Mit der Consecratio Templi Ulpiorum erreichten die kultischen Zeremonien einen neuen Höhepunkt. Plotina hatte sich mittlerweile wieder etwas gefangen und verfolgte daher die Handlungen, soweit sie sich für die Menge sichtbar vollzogen, mit größerem Wohlwollen als zuvor und auch mit einer gewissen Ergriffenheit. Sie konnte nicht anders als es bewundern, wie ernsthaft und bis in alle Einzelheiten korrekt die Würdenträger der Religio romana mitsamt dem Kaiser jeden Akt durchführten.
Wirklich hellhörig wurde Plotina aber erst wieder, als der Letztgenannte zu einer Rede an das Volk anhob, welche die Sergierin dank ihrer günstigen Position innerhalb der Menschenmenge recht gut verstehen konnte. Jedoch machten die Worte des Augustus Plotina auch von Neuem nachdenklich: Sicher, das Ulpianum sollte die Geschichte des Reiches verherrlichen, dazu war es geplant und gebaut worden. Und der heutige Tag der Einweihung dieses Gebäudes stand so ganz selbstverständlich im Zeichen der feierlichen Rückbesinnung. Was aber war mit der Zukunft des Reiches? War es wirklich auch um diese gut bestellt? Wandte man dieser überhaupt genug Aufmerksamkeit zu?
Natürlich konnte die Sergierin solches nicht beurteilen; nur fragen, hoffen und wünschen konnte sie. Oder gab es etwa auch für sie einen Platz, an dem sie mehr tun konnte? Insgeheim hatte Plotina sich diese Frage schon des Öfteren gestellt, und eine Antwort auf sie nahm in der Vorstellung der Sergia immer deutlichere Konturen an. Dies aber war noch nicht der Tag, diese Antwort auch zu formulieren und zu geben.
Stattdessen blickte auch Plotina zusammen mit dem Kaiser und all den Menschen vor dem Ulpianum noch einmal zurück in die Geschichte des Reiches, als der Augustus die Namen derjenigen nannte, deren Ehrenbüsten als erste in dem neuen Gebäude aufgestellt werden sollten. Voller Überzeugung stimmte Plotina hier in den Jubel der Menge mit ein, denn alle vier Namen sagten ihr etwas, ganz besonders natürlich der des Prudentius Commodus, der Konsul gewesen war während ihres ersten Aufenthaltes in Rom und der auf so schändliche Weise umgebracht worden war.
Neben sich musste die Sergierin jedoch pubertäres Gefeixe zweier unangenehmer Gesellen anhören, welche die Lautstärke des allgemeinen Jubels dazu benützten, ihre unpassenden Bemerkungen zu überdecken: "Höh?! SenatoIN Tiberia dingsbums?! Weiber in der Curia Iulia?? Echt jetzt?? Keine Verar***e??" - "Ja, war wirklich früher mal so. Aber der eine göttliche Ulpius hat den Weibern dann endlich 'nen Riegel vorgeschoben. Schön zu Hause bleiben am Herd, he, he, und was Leckeres kochen! - Aber da geht eh' nix über Muttern."
Verglichen mit solchem Sprachduktus konnte jede der Reden, die jetzt offenbar im Rahmen der weiteren Feierlichkeiten gehalten werden sollten, nur eine Wohltat sein.