Es schien voller geworden zu sein. Obwohl ein solcher Wettstreit das Gegenteil zu versprechen scheint, schien die Stimmung ausgelassener zu werden. Clemens meinte sogar, seinen Schwager in der Menge gesehen zu haben. Wie der wohl diese geheuchelten Schwärmereien von ihm aufgenommen hat? ...Wobei zumindest der letzte Teil irgendwie was Wahres dran hatte.
Ravillas Rede stand der seines Teamkollegen - abseits des dramatischen Einstiegs - nicht nach und ergänzte die Grundlinie gut. Seneca und Ovid zu vergleichen ist aber ein Frevel, der in Clemens ein unerwartetes Feuer der Empörung emporsteigen ließ. So ein spießiger und verlogener Moralapostel* kann schließlich höchstens spielen, was eine wirklich inspirierte Seele hervorbringen kann.
Er schoss von seinem Sitz hoch und wollte etwas in die Menge rufen, doch bei dem Gedanken an seine eigenen Worte verstummten diese Regungen so schnell wie sie kamen. Wenn der Quintilier schon für seinen Sieg sündigen wollte, warum kann dann sein Gegner nicht auch die Dichtkunst verleugnen? Es blieb der Applaus der Menge am Ende, in den Clemens unauffällig mit einstimmte. Als ihm jedoch die Vigintivires, die sich in Richtung Küche zu begeben schienen, unter die Augen kamen, sah der alte Sitzplatz wieder ungewöhnlich erstrebenswert aus. Jeden Gedanken an neuen Wein oder Essen trugen die hinzugekommenen Beamten zu Grabe.
Die Geste des Hinsetzens mag für die Außenwelt das Gegenteil beteuern, aber auch Vindex Rede, der Clemens den Umständen wegen in stiller Heimlichkeit lauschte, enttäuschte nicht. Vom Ansatz her waren beide ähnlich; Vindex hatte jedoch den Mut, Saturnius und sein zugegebenermaßen leicht provokantes Intro direkt herauszufordern und sogar ins Lächerliche zu ziehen. Das schien auch ordentlich Eindruck geschindet zu haben.
Clemens tat es fast ein wenig Leid um den charismatischen Eröffnungsredner der Pro-Seite, aber ein so gebildeter und eloquenter Mensch würde sicher auch auf diesen Angriff elegant antworten können. Auch diese Laune verfolg also.
"Roma aeterna." Mit einem warmen Grinsen, das zu gleichen Teilen aus Ironie wie Freude erwuchs, erwiderte der Quintilier die Floskel und hob sein wiedergefundenes Weinglas in Richtung seines Teamkollegen.
*In keinem Fall ein zwingendes Urteil über die Person; allerdings im Hinblick auf den Opportunismus, der sich gerade auch im Timing der Apocolocyntosis äußerte, seiner anschließend zumindest fragwürdigen Position als Berater eines ebenfalls umstrittenen Kaisers sowie seinem luxuriösen Lebensstil in potentiellem Kontrast zu seinen moralphilosophischen Ansichten gut vertretbar.