Sehr gern sind Zuhörer und Gäste bei Ravillas Rede gesehen.
Die Wahlkampfrede des Galeo Seius Ravilla
Die Menschen drängten hinaus ins Freie bei dem schönen Wetter. Die Sonne des Spätsommers lockte das Volk auf die Straßen, um Sols letzte Gunst zu genießen, ehe der Herbst über die Welt hereinbrechen würde. Gleich einem Bote der Sonne schritt huldvoll Ravilla mit seinem Gefolge über den Platz, im Parfum den Duft von Zimt und Orangen mit sich tragend. Jeder Sklave war von ausnehmend schöner Gestalt, um die Blicke auf das Gefolge zu lenken, die Kleidung exotisch, doch nicht obszön. Einige von ihnen trugen Instrumente, andere gefüllte Körbe, weitere Knüppel zur Sicherheit ihres aufstrebenden Herrn. Ravilla selbst war, wie stets, ebenso farbenfroh gewandet, rot am heutigen Tag (nicht Purpur, das dem Kaiser und seinen Triumphatoren vorbehalten war), und die Augen mit schwarzem Lidstrich umrahmt.
Ziel der Prozession war die Rostra, jene Rednertribüne, aus deren Fassade Schiffsschnäbel aus Antium ragten. Als Ravilla die Stufen erklomm, hatte sein aus Sklaven und gemieteten Leibwächtern bestehendes Gefolge ihm den Weg gebahnt. Gewandet und geschminkt waren sie alle in östlich anmutender Manier, so wie ihr Herr, Rot die Farbe des heutigen Auftritts. Authentizität zu demonstrieren lautete die Devise. Es lag Ravilla fern, östliche Gepflogenheiten nach Roma zu bringen, doch war ihm ebenso wenig daran gelegen, seine Herkunft zu leugnen, die sein griechischer Akzent ohnehin jedem Zuhörer verriet. Auch das östliche Imperium, geprägt von den Hellenen, Persern und Kappadokiern, war Teil von Rom.
Die Musikanten hoben ihre Instrumente. Ravilla hielt es für unter seiner Würde, zu brüllen. Und so waren es die Klänge einer Melodei, welche die Augen in Richtung der Rostra lenkten.
Huldvoll hob Ravilla die gepflegten Hände, um zu demonstrieren, dass er gleich sprechen würde, doch auch, weil die Hände mittels Gesten das Gesagte bei einem guten Redner unterstrichen. Da stoben rote Rosenblätter zu beiden Seiten von ihm in die Menge, geworfen von den dafür vorgesehenen Sklaven.
"Quiriten", so hallte die Stimme des Seius Ravilla mit den leiser werdenden Klängen über das Forum, als sei sie eine musikalische Fortsetzung der Musik. "Heute stehe ich vor euch als Kandidat für das Vigintivirat. Mein Wunsch ist es, als Tresvir capitalis meinen Anteil beizutragen, die Würde und die traditionellen Werte Roms zu wahren. Der Kandidaten, welche das Wort Tradition als Köder für ihren Wahlkampf verwenden, gibt es viele. Doch was Tradition heißt, dies Wissen fließt im Blut durch meine Adern und ist durch keine weltliche Macht von mir zu trennen. Ich trank die Tradition mit der Milch meiner Amme, ich lernte sie von meinen Erziehern zu deuten und zu würdigen, ich atme ihre Verwirklichung seit meiner Geburt mit jedem Atemzug."
Warum Rot die Farbe seiner heutigen Wahlkampfaktion war, erschloss sich an dieser Stelle womöglich für den ein oder anderen Zuhörer.
"Vor euch steht Galeo Seius Ravilla, Sohn des Volusus Seius Victor, dessen Haus seit der späten Republik verschiedene Magistrate hervorgebracht hat, und ebenso auch Sohn der Domna, Nachfahrin aus dem ehrwürdigen Geschlecht des Lycomedes, des Tempelpriesters der Magna Mater in Komana."
Für einen Moment ließ er diese Worte wirken, denn er legte großen Wert auf seine Abstammung. Dass Ravilla in Rom zwar ein Homo novus war, doch seine Familie seit Generationen auf dem Parkett der Politik tanzte, meinte er, sei wichtig, für das Volk zu erkennen. Bewusst verwendete er die römische Bezeichnung der Ma, denn er nahm nicht an, dass der einheimische Name der Göttin in der Hauptstadt vielen geläufig war.
"Als Sohn dieser traditionsreichen Häuser möchte ich meinen Dienst am Imperium von den Reihen des Senats aus leisten. Im ersten Schritt ist das Vigintivirat als Tresvir capitalis mein Weg, um die ehrlichen Bürger zu schützen und ihre erbrachten Leistungen zu behüten. Denn wisset!"
Seine dunklen Augen schweiften über die Anwesenden, eindringlich in ihrer schwarzen Umrandung funkelnd wie Obsidiane, deren braunes Schillern sich nur aus der Nähe offenbarte. Einige rote Blütenblätter hatten sich in den Falten seiner Toga verfangen. Rot, wie das Blut, das durch seine Adern strömte, aber auch Rot wie die Farbe des Mars, die von nicht unerheblicher Bedeutung war, wenn man für das Amt des Tresvir capitalis kandidierte, der eng mit dem Praefectus Urbi und den Stadtkohorten zusammenarbeitete.
"Mein Wahlkampf ist ein Kampf für das Gute. Ein Kampf für Rom, ein Kampf für den Kaiser und für den Senat. Zuerst aber ist er ein Kampf für das Volk, dessen Wohlergehen auch die Höchsten mit ihrem Gewissen verpflichtet sind.
Nicht Eigennutz soll meine Handlungen lenken, sondern Tugend. Nicht Geld soll folglich den Weg in den Senat mir ebnen, sondern Leistung. Nicht eure Ohren will ich heute erreichen, sondern eure Herzen. Macht euch stark für Galeo Seius Ravilla, und es wird euer Schaden nicht sein, denn der Mann, welcher vor euch hier steht, weiß, worauf es bei seinem Wege ankommt. Wenn die irdische Hülle ich eines Tages abstreife, so möchte ich sagen können: Mein Leben war erfüllt, denn es stand im Dienst des Imperiums und mein Dienst war gut. Er war gut, weil das Volk ein klein wenig besser lebt, als es leben würde, wäre Seius Ravilla niemals Tresvir capitalis gewesen."
Erneut erklang die Musik, um das Ende der Rede zu verkünden. Zwei ältere Sklaven von bemerkenswerter Schönheit und Würde, eigens aus dem privaten Besitz in der Heimat mitgeführt, traten nun zur Rechten und zur Linken des Kandidaten. Beide hatten dazu beigetragen, aus dem Kind Ravilla zu jenem Manne zu erziehen, der heute auf der Rostra von Rom vor dem Volke sprach. Jeder von ihnen trug ein Füllhorn. Zahlreiche Gabenpäckchen warfen die beiden Sklaven nun nacheinander in die Menge, einmal nach hier und einmal nach dort.
Wer eines fing, der sah, dass die Gabe Tücher waren, die im Inneren eine Füllung bargen. Zusammengeschnürt mit buntem Schleifenband offenbarten sie nach dem Öffnen je ein Honigküchlein. Die mit Ravillas Namen bestickten Mappae waren hochwertig verarbeitet, so dass sie einluden, aufbewahrt und für künftige Cenae verwendet zu werden - eine Methode, mit der Ravilla hoffte, seinen Namen in die abendlichen Gespräche zu tragen.