Triclinium | Amici pro amico

  • Wer Menecrates kannte, wusste dass ihn auch diese Antwort nicht zufriedenstellte. Mit dem Gensmotto Tapferkeit und Treue konnte man sowohl die Traditionalisten als auch die Veränderer unterstützen. Als Mann der klaren Worte bezog Menecrates stets inhaltlich und eindeutig Position, erwartete aber in gleichem Maße den ungetrübten Durchblick bei seinem Gegenüber. Die Strategie des Seius schien es allerdings zu sein, möglichst kompatibel für viele Fürsprecher zu bleiben und nur wenige zu verprellen. Die Situation ließ zwei Möglichkeiten zu: Entweder der Claudier vertiefte das Gespräch nicht weiter und zog sich zurück, oder er bohrte nach. Einen Versuch wagte er noch, von dem er sich allerdings nicht allzu viel erhoffte.


    Er wartete, bis Senator Annaeus seine Frage gestellt und die Antwort erhalten hatte.


    "Wenn du all jenen Männern deine Treue beweist, ungeachtet ihrer Ansichten und Positionen, einzig aus Dankbarkeit für die erhaltene Unterstützung, wird deine Position nichts anderes als eine beliebige sein. Beliebige Positionen drehen sich mit dem Wind und berücksichtigen in der Regel jene Wege, die am erfolgversprechendsten sind." Menecrates konnte sich reflektieren und bemerkte, dass er - im Gegensatz zu früher - längst nicht mehr Vertrauensvorschüsse vergab. Vor allem die lange Senatszugehörigkeit hatte ihn unerbittlich gemacht. Er kämpfte seit Jahren gegen Antitraditionalisten und Möchtegernweltverbesserer. Möglicherweise wurde er auch langsam alt und schrullig.

  • "Indem zum Beispiel ein neumodisches Gesetz, welches der Tradition zuwiderläuft, revidiert wird. Dies wäre eine Veränderung, die zur Wahrung der Tradition beitragen würde", beantwortete Ravilla die durchaus klug gestellte Frage von Annaeus. "Aus diesem Grund meine ich, dass Veränderungen nicht zwingend das Traditionsbewusstsein ausschließen. Sie können im Gegenteil durchaus auch der Wahrung der Tradition dienen."


    Erneut konfrontierte ihn hernach der Praefectus Urbi mit der Forderung nach deutlichen Worten. Ravilla behielt sein Lächeln bei, während er sich darum mühte, Klarheit zu schaffen.


    "Opportunismus lautet dein Vorwurf. Doch die beiden Konzepte Treue und Opportunismus schließen einander aus wie Wasser und Öl. Einen loyalen Menschen bindet sein Wort, ungeachtet der Richtung, aus welcher der Wind weht. Treue generiert Verlässlichkeit. Verlässlichkeit generiert Vertrauen. Vertrauen generiert fruchtbare Zusammenarbeit. In einem Umfeld stetigen Misstrauens kann nichts Gutes gedeihen. Wenn Treue in diesen Tagen einen Menschen beliebig macht, müssen es gute Zeiten sein.


    Doch sicher hast du deine Gründe für deine Sichtweise. Möchtest du uns an deinen Erfahrungen teilhaben lassen?"


    Wie stets in solchen Diskussionen meinte Ravilla seine Rückfrage ernst, denn er hatte ein aufrichtiges Interesse daran, die Sicht seines Gegenübers zu vernehmen. Differierende Ansichten anzuhören und zu durchdenken hielt den Geist jung und das Herz offen.

  • Menecrates registrierte, dass sich Seius bei seiner Antwort an Senator Annaeus erstmalig positionierte. Er sagte darauf nichts, merkte sich aber die Aussage. Warum sich der junge Mann anfangs nicht traute, dem Lager der Traditionalisten zuzuordnen, erschloss sich ihm nicht. Im Grunde blieb nur die Annahme, dass Seius Annaeus kannte und bewusst dieses Beispiel wählte, um entweder verstanden zu werden oder zu gefallen. Wieder bemerkte Menecrates, wie selten er noch einen Vertrauensvorschuss gab. Seius würde sich beweisen müssen, um sich Respekt beim Praefectus Urbi zu erarbeiten. Ihn überzeugten nur Taten. Behauptungen konnte jeder aufstellen.

    Nichts von dem, was Ravilla in Bezug auf Treue und Beliebigkeit äußerte, war falsch. Der junge Mann mühte sich und doch konnte er Menecrates nicht überzeugen. Sie drangen im Gespräch trotz aller Mühe nicht zu den Inhalten vor, die den Claudier interessierten.

    "Vielleicht ist heute kein guter Tag zum Diskutieren. Wir schleichen um den Brei und beäugen einander. Zugegeben, ICH beäuge, DU mühst dich. Belassen wir es dabei." Er lächelte abschließend und blickte zu den schweigenden Flaviern, um Seius zu signalisieren, dass er die Unterredung für beendet hielt. Der junge Mann konnte es nicht wissen, dass sich Menecrates für seine Verhältnisse über die Maßen gesprächig zeigte - es sei denn, Gracchus Minor hatte etwas durchblitzen lassen. Er kannte den Claudier von allen Anwesenden am Besten und wusste, in Gesellschaften galt der alte Mann als zurückgezogener Sonderling.

  • Inmitten der Interrogation manövrierte sich Ravilla in einige Bedrängnis, als die beiden Gäste über seine Loci communes konkrete Positionen abverlangten. Da der jüngere Flavius fürchtete, sein Tiro fori hätte sich davon auf seinen Rat selbst hin davon distanziert, beschied er, ihm beizuspringen und erhob das Wort:

    "Was der gute Ravilla besagen möchte, ist der Umstand, dass Tradition eine gewisse Dynamik nicht exkludiert, dass sie gleichsam die Weitergabe eines Feuers, nicht das Bewahren einer Asche darstellt. Wir alle wissen ja, dass zum Schutze unserer Mores maiorum bisweilen neue Strukturen erforderlich sind, wenn die Situation sich wandelt, manches wiederum sie gar nicht tangiert. Welche Entscheidungen hier das Tagesgeschäft wird erfordern, können wir kaum ästimieren, denn insonderheit auf den ersten Schritten des Cursus Honorum geht es doch eher um persönliche Integrität denn um politische Visionen: Ein Tresvir capitalis sollte die Mores maiorum achten und ihnen gemäß ermitteln und urteilen, sie gleichsam auf die konkrete Situation adaptieren. Wenn er indessen erkennt, dass unser Recht einer Konkretion bedarf, um sie besser zu erfassen, so steht es ihm gut an, diesen Wandel anzustoßen."

    Das augenscheinlichste Exempel dessen war zweifelsohne die Einführung des Prinzipats durch Divus Augustus.

    "Und was Opportunismus und Treue betrifft: Seius Ravilla hat bereits eine Seite gewählt, indem er meinen Vater um sein Patronat bat. Damit exkludiert er zugleich die Unterstützung jener Kreise, die auf beständige Neuerungen setzen und die Mores maiorum mit Füßen treten, denn er wird kaum uns Treue erweisen können, wenn er zugleich sich zugleich unter die Fittiche derartiger Agitatoren begibt."

    Dies zumindest wollte Minor erwähnt wissen, nachdem Menecrates bereits abwinkte und damit dem jungen Seius die Gelegenheit nahm, nochmals sich aus seiner misslichen Lage zu manövrieren. Zwar wusste er, dass der Claudius sich durchaus zugänglich hatte präsentiert, doch die Worte mussten seinem vormaligen Tiro fori als Ablehnung erscheinen.

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