Der Sklavin vermochte ich nur einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Selbst in dieser schrecklichen Situation mochte ich es nicht, mich zu wiederholen. Nicht einmal für ein Nicken reichte es, ich sah die blonde Sklavin nur bedauernd an. Kurz darauf lief sie fort. Ich sah ihr nur kurz hinterher und wurde mir dann der umstehenden leute bewusst. Wie unwürdig war es für das Haupt der Vestalinnen, teilweise entblößt und in einer Blutlache zu liegen, hier auf den Stufen des Vestatempels und umringt von gaffenden Bürgern. "Pyrrus", wollte ich eine Anweisung bellen. "Sieh zu, dass die....." Ein Ruf ereilte meine Ohren. "....für den pontifex. Macht Platz! Lasst den pontifex durch!"
Ich hielt inne und sah auf. Der Adrenalinspiegel hob sich etwas. Wie war es möglich, dass ein Mitglied des collegium pontificium so rasch Kunde über diesen Vorfall erlangt hatte? Doch dann leuchtete es mir ein: Die Sklavin war fortgelaufen, die regia nicht weit. Oder war der pontifex nur zufällig zugegen gewesen?
Da teilte sich die Menge dank der calatores auch schon. Sie spuckte allerdings nicht irgendeinen pontifex aus, sondern Flavius Gracchus. Schon setzte ich dazu an, ihm zu antworten, da bemerkte ich sein sichtliches Unwohlsein. Er schien über die Maßen erschrocken, vielleicht mehr als es ein pontifex sein sollte. Pyrrus entfernte sich diskret einige Schritte. Womöglich war es auch nur der Ekel vor all dem Blut, denn er konnte diesen Anblick nicht ertragen, das wusste ich. Befangen und stumm verfolgte ich das Verhalten des Flaviers, bis er schließlich neben mich sank und aussah wie ein Häufchen Elend. Und endlich dämmerte es mir. Die Gedanken tropften zäh wie Wachs in meinen Verstand hinein: Flavia Agrippina. Flavius Gracchus. Mit dieser neuen Erkenntnis wandte ich Gracchus das bestürzte Gesicht zu. Mit meinen blutbeschmierten Händen und der fleckigen toag kam ich mir plötzlich wie der Frevler selbst vor. Scheinbar hatte Gracchus sich in engerer Verwandtschaft mit der Vestalin befunden. Was sagte man in einer solchen Situation? Schließlich galt es hier nicht nur den Tod zu beklagen, sondern auch den Mörder zu fangen.
Gracchus leise Worte ergriffen mich. Ein passend aufkommender, kalter Hauch bauschte die Kleidung der Umstehenden auf und ließ einen Schauer bunter Herbstblätter auf die Szenerie nieder regnen. Ich stand auf, der Wind zupfte an dem schweren Stoff meiner Kleidung und kühlte die Haut an jenen Stellen, die blutig waren.
"Heute wurde eine grauenvolle Bluttat begangen. Hier in unserer Mitte, auf den Stufen des heiligen Vestatempels! Das Opfer ist die Vorsteherin des Vestakultes, unschuldig und unbefleckt. Können wir eine solch hinterhältige Tat dulden?" fragte ich in die Runde und deutete bei den anschließenden provozierenden Fragen willkürlich auf umstehende Personen. "Rom wird seiner Söhne beraubt und seiner Töchter. Wer ist der nächste? Vielleicht dein Bruder? Dein Vater? Deine Schwester? Euer liebster Mensch auf Erden? Lasst uns nicht eher ruhen, bis der Schuldige gefasst ist, denn eine solche Meucheltat-" Ich deutete auf den Leichnam der schräg hinter mir liegenden Vestalin. "-kann kein Römer stumm hinnehmen. Es darf nicht sein, dass dieser Frevler seiner gerechten Strafe entgeht. Ans Kreuz mit ihm! Lasst uns nicht eher ruhen, bis wir diesen Mord gesühnt haben." Ich hob die Hand und ballte sie fest zur Faust. Einige Blutstropfen fielen auf den weißen Marmor. "Und du, Meuchler, sei dir deines Lebens nicht sicher! Wir werden dich finden. Das schwöre ich, per Iovem lapidem!" Ich schüttelte die Faust und ließ sie dann sinken.
Den Mob ignorierend, wandte ich mich wieder Gracchus zu. Ich hatte nicht groß nachgedacht, die Worte hatten einfach hinaus gemusst. Schon wollte ich ihm meine blutige Hand reichen, um ihm aufzuhelfen. Ich wischte sie doch noch zuerst an meiner ohnehin schon besudelten toga ab, ehe ich sie ihm reichte. "Wir werden ihren Tod rächen, Flavius", sagte ich ernst statt der üblichen Beleidsfloskeln, die mir einfach nur lächerlich vorkamen in diesem Moment. "Rom wird nicht untergehen, solange Männer wie du dies zu verhindern wissen."