Die Sonne blendete Hannibal als er mitsamt des Kreuzes in die Höhe gehoben wurde. Den Sklavenjäger bedachte er mit keiner Aufmerksamkeit mehr. Auch die anderen Anwesenden übersah Hannibal. Weil vor seinen Augen wieder alles zu verschwimmen begann. Das Fieber hielt ihn gefangen und benebelte seinen Kopf. Glasig starrte er nach vorne, spürte den Schmerz der durch seinen Körper ging als sein Gewicht jetzt auf den Seilen um seine Hände und seine Beine drückten. Sein Atem ging jetzt schon flach und er schloß die Augen um dem blendenden Gelb der Sonne zu entweichen. Schon dämmerte er hinweg. Schwarze Punkte bewegten sich vor dem Licht, das selbst seine Augenlider durch drang. Die Minuten verstrichen und Hannibal dämmerte einfach stumm, bis sein Körper sich gegen das Hängen am Kreuz zu wehren begann. Schmerz zuckte durch seinen Körper und weckte den Sklaven aus dem Fieber auf. Er blinzelte und öffnete ganz langsam die Augenlider. Verwischte Schemen starrten ihm entgegen. Augenpaare, die gafften. Einige lachten? Weinten sie? Stöhnte er? Durst brannte in seinem Mund. Doch schon wurde es wieder schwarz vor seinen Augen. Zeit? Keine Bedeutung. Hannibal wurde von dem nächsten Schmerz aus seinem Dämmern gerissen. Er schmeckte Blut in seinem Mund, fühlte die aufgerissenen Lippen, die nach Wasser verlangten, doch keiner reichte es ihm. Wo war er überhaupt?
Glotzende Totenschädel, die ihn ansahen. Knochenkörper, die ein grausiges Reigen begannen. Eine lachende Frau. Sie hob die Hand und deutete anklagend auf Hannibal. "Siehst du es? Jetzt erkennst du es. Das ist die Strafe für das, was Du mir angetan hast. Du wirst dafür büßen und für alle Ewigkeit im Tartaros leiden. Der Mörder gesellt sich zu seinen Opfern. Nicht die Götter haben die erwählt, es war Pluto, der dich zu seinem Werkzeug machte. Siehst du es, Hannibal. Es ist die Strafe für all das." Stiche, heiße und kalt zu gleich, fuhren in Hannibals Herz als das Blut nur mit Mühe durch seinen Körper pulsierte. "Romana....du hast...es verdient.", flüsterte der Sklave. Die Totenschädel lachten höhnisch. Romana verschwand zwischen den Knochenbergen. Hannibals Augenlider fielen herab. Schwärze.
Brennendes Feuer. Es griff nach jeder Faser seines Körpers. Brannte durch seine Adern, griff nach seinem unstetig schlagendem Herzen. Verzehrte jeden Muskel und brachte unsägliche Pein. Wimmernde Gestalten krochen über den Boden. Braune Augen starrten auf diese hinab und sahen die zerschmetterten Körper, die von Dolchstichen durchbohrt waren. Sah das Leid, das gesät wurde. "Büssen wirst du, Hannibal. Büssen!" Männergesichter verschmolzen mit denen von Frauen. Alle sahen ihn anklagend an. "Vertraut habe ich Dir....aber ich hab dich doch geliebt...warum hast du micht getötet...warum verlassen....du hast uns betrogen." Ein Kanon aus anklagenden Stimmen erhob sich. Hannibal wollte sich die Ohren zu halten, doch seine Hände waren gefesselt. "Lasst mich...", flüsterte er kraftlos. Rannen Tränen über seine Wangen? Über sich oder über die, die er hintergangen hatte. In seinem Glauben das Richtige zu tun und immer nur den falschen Pfad gegangen zu sein. Schmerz und Qual. Dann Schwärze.
Eisige Kälte. Schwarze Schatten umhüllten ihn. Er öffnete die Augen und doch sah er nicht. Aber er spürte ihre schwarzen Arme überall um sich. Sie drückten ihm die Luft ab. Sie verschlossen ihm den Mund, sie drückten gegen seinen Brustkorb, sie zwangen seine Hände gegen Holz. Er konnte sich nicht rühren. "Du hast schon immer etwas von einem Philosophen gehabt, Hannibal." Er hörte die kalte Stimme seines Herrn, sah ihn jedoch nicht. "Für Platon ist der Tod das höchste Ziel eines Philosophen. Das Schauereregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht, wenn wir sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind wir nicht. Ich habe es dir doch gesagt, eines Tages wird das passieren. Aber nimm es mit Fassung. Wir haben es eigentlich viel schlechter als Du, wir müssen weiter leben. Für Dich ist es bald zu Ende. Du glaubst doch sowieso nicht an die Götter. Stimmt es nicht? Nun, Du wirst bald sehen, ob Du in Deinem ganzen Leben lang geirrt hast oder Recht. Finis. Sterbe wohl, mein Freund." Wieder Schwärze. Fortwährende Dunkelheit. Kälte, die ihn weiter umfasst hielt. Ein Herz, das immer langsamer schlug. Stöhnen und schweres Atmen. Poch...Poch....das Herz, es schlug immer langsamer. Der Atem versiegte und ein letztes Mal glitt das warme Hauchen über die blutigen Lippen.
Wieviel Zeit verging? Stunden, womöglich weit mehr, doch die Qualen des Kreuzes hielten den Sklaven lange gefangen. Immer wieder stöhnte er Namen, von Menschen, denen er vielleicht einst Unrecht getan hatte, die er ermordete, die seine Freunde waren, die er geliebt hatte. Bis er gar nichts mehr sagte und sein Kopf auf seine Brust gesunken war. Und so starb Hannibal, Sklave der siebten Generation einer flavischen Zuchtlinie. Einer der vielen, die verrückt im Kopf waren und dennoch lange den Flaviern treu gedient hatte. Im Jahr 106 nach jenes Heilandes, der auch am Kreuze starb.