Beiträge von Eretha

    Das Bettuch würde man wohl reinigen müssen, aber wenn es um Leben und Tod ging, gehörte Wäsche eindeutig nicht zu den Dingen, um die sich eine Amazone auch nur ansatzweise Gedanken machen würde. Sie ließ nicht locker, ließ ihre Herrin so lange nach vorn über gebeugt in ihren Armen hängen, bis der Körper nur noch matt zuckte und sie sich sicher war, dass nun nur noch Galle nachkam. Behutsam, fast zärtlich wischte sie Helena mit einem Zipfel ihrer Tunika den Mund ab, bevor sie die Römerin kurzerhand aus dem Bett hoch hob und Anstalten machte, zur Tür zu schreiten - frische Luft war nun ebenso dringend notwendig wie ein wenig Ruhe. Vielleicht würde Körperwärme ihr übriges tun, das Entsetzen und die Verzweiflung ihrer Herrin zu widmen.


    "Du wirst nicht einfach sterben, Deine Tochter braucht Dich!" sagte Eretha leise, aber ernst, und es war ihr in diesem Moment gleich, ob Helena sie hören konnte oder nicht. Romanus hielt sie nicht auf, und so schritt Eretha mit ihrer zitternden und matt atmenden Last in den Innenhof der Casa hinunter, in die warme Sonne, die süsse, duftende Luft des gepflegten kleinen Gartens. Ein Ort, an dem so manches Mal eine Seele Ruhe gefunden haben mochte, vielleicht auch jetzt - als Daphne vorüber eilte, einen Korb in beiden Händen, hielt sie der Ruf der Amazone auf, und einige auf griechisch gebellte Befehle später entschwand die Sklavin auch schon eilig wieder, um für die Herrin Milch zu holen - und eine wärmende Decke.

    Dass die Kleine ging, war Eretha nur recht - sie sollte ihre Mutter nicht so krank sehen, und was nun zu tun war würde keinem Kind gefallen.
    "Kannst Du Milch organisieren, dominus? Sobald ihr Magen leer ist, muss sie trinken und sich reinigen."
    Minervina erinnerte die Amazone an einen kleinen, bunten Schmetterling, fast zu zart und süss, um der Wirklichkeit anzugehören - aber so war ihre eigene Tochter auch einmal gewesen. Alles schien so weit fort - und die Erinnerung wich hinter der Realität zurück. Sie berührte Helena an der Hand, drückte sie fest. "Herrin! Hörst Du mich? Siehst Du, wer ich bin?" sagte sie laut und benutzte die Anrede, die ihr Helena verboten hatte, sehr bewußt - vielleicht würde sich bei diesem Klang irgend ein innerer Teil in ihr erinnern, aufmerksam werden.


    "Du hast etwas Schlechtes gegessen, und das muss nun heraus ... erschrick nicht, ich helfe Dir jetzt beim Erbrechen ..." Eine Feder, mit der sich reiche Römer oft das Erbrechen erleichterten, war nicht in Sicht, also musste das Hausmittel dienen - ein Finger. Langsam öffnete sie mit einer Hand den Mund der fast apathischen Frau, während sie mit dem anderen Arm den zitternden Körper in eine Haltung bugsierte, die ihr das Herauswürgen erleichtern würde - halb nach vorn geneigt ging es eben besser als liegend. Dann schob sie der Pontifex kurzerhand den Finger in den Hals und bewegte ihn vorsichtig, nach dem Gaumenzäpfchen tastend, dem sichersten Auslöser eines Würgereizes ...

    Doch es war nicht der Medicus, der mit der kleinen Minervina den Raum betrat, sondern eine hochgewachsene, braungebrannte Frau mittleren Alters, die eine einfache Tunika und bis zu den Waden hochgeschnürte Sandalen trug. Auf den Beinen und Armen waren helle, dünne Streifen zu entdecken, die recht schnell als Narben kenntlich sein dürften - es war Eretha, die Sklavin, die von Helena selbst gekauft worden war, um ihr Leben zu schützen, wenn sie das Haus verließ.


    Als sie einige Schritte näher kam, neigte sie höflich den Kopf vor Romanus, ging dann aber sofort neben dem Bett auf ein Knie herunter und betrachtete das leichenblasse Gesicht ihrer Herrin mit wachsendem Ernst. Langsam schweifte ihr Blick über das Antlitz der Pontifex, registrierte die unnatürlich geweiteten Pupillen, obwohl es zwar hell, aber nicht gleißend hell war, der allgemein fast faulig riechende Atem der jungen Frau, ihr unsteter, müder Blick ... es konnte in der Summe nur eines bedeuten, und das erforderte rasches Handeln.


    "Dominus, ich glaube, sie wurde vergiftet - und um sie zu retten, muss sie alles erbrechen, was sie heute gegessen hat, an die frische Luft und wir brauchen viel Milch, um ihren Körper gesunden zu lassen - und irgendwer im Haus sollte einen Kräuterkundigen auftreiben!" sprach sie rasch zu Romanus und fühlte die fiebrig heisse Stirn Helenas mit einer Hand. "Erlaubst Du, dass ich sie berühre und zum erbrechen bringe? Und es wäre sehr wichtig zu erfahren, was sie heute zu sich genommen hat - am besten das Geschirr, das sie heute benutzt hat."

    "Ich komme mit Dir," sagte Eretha knapp, aber ihr war der Blick Kayas nicht vollkommen entgangen. Wieso erschrak sie so über die Meldung des kleinen Mädchens? Sie hatte Helenas Krankheit bisher betreut, fürchtete sie eine Strafe für ihr offensichtliches Versagen? Oder ...?
    "Komm, meine Kleine, nimm mich bei der Hand und zeig mir den Weg," sagte sie ruhig und freundlich zu Minervina, wie sie zu ihrer eigenen Tochter gesprochen hätte, wäre diese so sehr in Panik gewesen wie das Mädchen vor ihr.

    "Es war eine sehr wechselhafte Sache. Manchmal hat man Glück, manchmal nicht. Einer meiner Herren war ein Freund der Peitsche, und wir haben sie regelmäßig gespürt. Er mochte es, seine weiblichen Sklaven auszupeitschen und uns zuzusehen, wie wir leiden, verstehst Du?" Sie machte eine kurze Pause und blickte zu Kaya, deren Reaktion abschätzend. "Dieser Mann war glücklicherweise sehr alt ... und als er einmal eine junge Gallerin zu Tode peitschte, starb er, weil es ihn zu sehr aufgeregt hat - und wir wurden von seinem Sohn verkauft, dem das alles peinlich war. Der nächste Herr sammelte Frauen aus allen möglichen Ländern, um bei ihnen zu liegen .. heute Nubien, morgen Thrakien, übermorgen Aegyptus, du verstehst?" Sie lächelte dünn, die Stimme schwankte zwischen trockenem Amüsement und einem gewissen Abscheu vor der Erinnerung.


    "Ein anderer meiner Herren sah gern Frauen kämpfen, also wurde ich gekauft und kämpfte ... aber er verkaufte mich sehr schnell, als er bemerkte, dass ich wirklich kämpfe, und nicht nur so tue." Sich wieder gemütlicher ausstreckend, schloß sie die Augen zur Hälfte, was ihr den Ausdruck einer schläfrigen Löwin verlieh.

    Sie erwiederte den Blick Kayas still, folgte ihr dann mit ihrem Blick, als diese sich zum Fenster wandte und die kühler werdende Nachtluft in den kleinen Raum hinein drang, um ihre nackten Arme wehte und ihr die Erinnerung an die fernen Steppen ihrer Heimat zurückbrachte. "Ich hatte acht Herren, und lebe noch immer. Wenn man es geschickt genug anstellt, wird man verkauft, wenn man mit seinem Herrn nicht zurecht kommt ..." sie rieb sich kurz mit den Fingern über die wunden Handgelenke. "Man muss nur bereit sein, für einige Zeit wieder auf dem Markt zu stehen und sich begaffen zu lassen ..." Und es kam auch darauf an, was man konnte. Leibwächtersklaven mit einem gesunden und attraktiven Äusseren waren immer gefragt, in sofern hatte sie bisher relativ viel Glück gehabt, wenn man die Sklaverei überhaupt als Glück bezeichnen konnte.


    "Was machst Du eigentlich hier im Haushalt? Die Herren direkt bedienen oder hilfst Du in der Küche, im Garten ...?" Es war dringend notwendig, dass sie sich möglichst schnell eine Übersicht über den Haushalt verschaffte. Irgend etwas stimmte nicht, die Voraussetzunge waren geradezu perfekt ... und der alte Instinkt der Kriegerin kehrte zurück. Eine Warnung? Ein Wissen? Nur eine Ahnung, nur ein vages Echo einer Möglichkeit ... aber manchmal wurden Möglichkeiten zu Tatsachen.

    "Weil auch römische Männer nur Männer sind und von ihrem Schwanz gesteuert, wenn sie lange kein Weib hatten," erwiederte die Amazone nicht wesentlich bewegter als zuvor. Sie betrachtete den Nagel ihres rechten großen Zehs und stellte fest, dass er demnächst mal wieder gekürzt werden musste, bevor sie den Blick zu ihrer Mitsklavin wandte. Das Gesicht der Amazon wirkte ruhig, fast unbewegt - oder aber beherrscht? Das vage Gefühl, auch hier auf der Hut sein zu müssen, setzte sich in einem Eckchen ihres Magens fest, aber noch war sie nicht gewillt, dem nachzugeben. Noch nicht ... Eretha hatte Geduld, sie würde abwarten. Die meisten Menschen offenbarten ihre wahre Wesenheit irgendwann, man musste nur aufmerksam genug sein.


    "Warum sollte sie mich interessieren? Sie hat mich gekauft, aber das bedeutet nur, dass ich ihr dienen werde. Es bedeutet nicht, dass mein Leben zwingend sie als Mittelpunkt hat. Oder denkst Du von morgens bis abends an Deinen Herrn, der Dir diese nette Verzierung an der Schulter beschert hat? Es hieße, sich aufzugeben." Sie streckte sich ein klein wenig auf der Bettstatt und räkelte sich träge. Fast zu weich für ihren Geschmack ...sie würde auf dem Boden schlafen müssen, um keine Rückenschmerzen zu bekommen.

    "Mhm ..." machte die Amazone und blickte sinnierend an die Decke des Raums. Ein Haus, in dem so viele unterschiedliche Gemüter herrschten, konnte nur sehr interessant werden. Die Hausherrin höchstwahrscheinlich gutgläubig und naiv, deren Bruder ein übereifriger, stolzer junger Mann, eine Sklavin, welche die Herrin hasste - für einige Momente lang fühlte sie sich an eine der Geschichten mit wechselvollen Schicksalen der Protagonisten erinnert, die sie als Kind von fahrenden Dichtern gehört hatte. Sicher, dies hier war nicht Troja und die Illias war es auch nicht, aber die klassischen Zutaten für ein sich bald entwickelndes Drama schienen vorhanden. Langweilig würde es wohl kaum werden, überlegte Eretha und schmunzelte dünn vor sich hin.


    Und wie dünn die Maske der Beherrschung doch zu sein schien, hinter der sich Kaya zu verbergen versuchte ... ja, es würde interessant werden, zweifellos. "Ihr Charakter ist mir gleichgültig, solange nicht mitten in der Nacht ein betrunkener Römer hier in der Tür steht und sein Herrenrecht einfordert," meinte Eretha trocken und wackelte mit den bloßen Zehen. "Ich nehme mal an, dass das hier nicht passiert."

    "Sie scheint mir mehr an das Gute im Menschen zu glauben als an das Schlechte," meinte die Amazone nach einigen Momenten des Nachdenkens. "Solche Menschen sind selten, aber wer reich ist, kann sich das wohl auch leisten. Wir wissen es besser ..." Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich etwas zurück. Wahrscheinlich hatte diese Kaya recht, aber es klang seltsam, die Beschreibung Helenas auf eine fast abfällige Weise zu hören ... doch nach einer solchen Bestrafung hätte wahrscheinlich jeder Sklave angefangen, seine Herren zu hassen. Es war ihr mit ihren vorherigen Herren auch nicht anders ergangen, in sofern sollte es ihr egal sein, was Kaya dachte.


    "Wie ist das Leben hier im Haus so? Ich meine, gibt es etwas, das man wissen sollte, um sich nicht gleich am ersten Tag irgendwelchen Ärger einzuhandeln?" Die üblichen Fragen eben, die man stellte, wenn man in einem Haushalt neu war - aber die Antwort darauf würde ihr auch verraten, wie sie Kaya einzuschätzen hatte. Diese junge Frau schien nicht dumm zu sein, und ausgesprochen wachsam. Es war sicher kein Fehler, sich an ihrem Wissen ein wenig zu orientieren.

    Langsam runzelte sie die Stirn, als sie die Buchstaben betrachtet hatte - man hatte einer Sklavin die Initialen ihres Herrn eingebrannt? Auch wenn sie schon viel von Römern hatte erdulden müssen und sie das Volk nicht unbedingt mochte, nicht zuletzt, weil es ihre Freiheit genommen hatte - das war eine neue Spitzenleistung an Grausamkeit. Gebrandmarkt wie ein Tier - für einen kurzen Moment fühlte sie etwas wie Mitleid mit der jungen Frau vor ihr, aber gleichzeitig kam ihr auch die Frage in den Hinterkopf, wieso sie so behandelt worden war. Helena schien freundlich zu sein, ihr Bruder wie ein jasagender Hänfling, wieso also wurde in einem solchen Haushalt eine Sklavin gebrandmarkt? Es musste einen Grund haben ...


    "Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass jeder, der die Herrin angreift, dafür bezahlt ..." meinte die Amazone recht trocken und deutete in Richtung der eingebrannten Zeichen. "Warum haben sie Dir das angetan?"

    "Ich grüße Dich, Kaya ... mein Name ist Eretha." Die Amazone hatte relativ knapp gesprochen, aber sie war ohnehin nie eine Frau großer Worte gewesen - sie erwiederte das Lächeln Kayas nur und nickte ihr sachte zu, die Beine auf ihrem Bett etwas weiter ausstreckend. Anscheinend hatte die Frau gerade geschlafen oder gedöst, genau konnte man es nicht sagen, doch sprach der Blick Erethas für einen ausgesprochen wachen Geist.


    "Gehörst Du auch der Herrin Helena oder einem anderen Mitglied des Haushalts? Bisher habe ich hier noch nicht viele Menschen kennengelernt, vielleicht kannst Du mir etwas über das Haus und sein Bewohner sagen ..." es klang wie eine normale, harmlose Frage.

    Sie nickte langsam und sagte in normalem Ton: "Ich wünsche Dir Kraft und Stärke." Ein fast traditioneller Gruß, bedachte man, dass die Stärke nicht zwingend nur in den Muskeln vorhanden sein musste, um einen Menschen zu bewegen - und gerade jetzt schien die Römerin dessen zu bedürfen. Es war, als schleppe sie eine schwere Last mit sich, nicht sichtbar, aber dennoch vorhanden. Erst als sich die Türe hinter Helena schloss, atmete die Amazone tief durch. Sie trat an das schmale Fenster des Raums und blickte hinaus in den Himmel, der mit einem Mal heller geworden schien, freundlicher ...


    Sollte das wirklich ein neuer Weg geworden sein? Eine Möglichkeit, sich langsam, Schritt für Schritt, all das zurückzuholen, was sie vermisste? Und irgendwann wieder in einem Leben zu stehen, in dem sie sich wieder wie das fühlte, was sie war - nicht wie ein seltsames, abartiges Ding, ein Spielball anderer, den man benutzte wie eine Sache und dann zur Seite warf, wenn die Notwendigkeit der Benutzung verbraucht war ... langsam strich sie sich mit den Fingern der rechten Hand über die wundgeriebene Stelle des linken Handgelenks. Keine Ketten mehr ...

    "Es ist, als reisse einem jemand Herz und Seele aus dem Leib," sagte Eretha schlicht und ließ den Blick wieder zu Helena schweifen, nachdem sie sich in Erinnerungen verloren hatte. Wie traurig die Römerin wirkte, auch wenn sie lächelte. Es musste einen tiefen Kummer in ihrem Leben geben, dem sie nicht entkommen konnte, zumindest wirkte sie für die kurzen Momente, in denen das Lächeln und die Augen Helenas einen tieferen Blick erlaubten, seltsam unglücklich. Auf das Angebot der Römerin indes antwortete sie nicht. Der einzige Wunsch, den Eretha tief in sich trug, konnte ohnehin nicht erfüllt werden, nicht von Rediviva Helena, nicht von ihr selbst, wohl nicht einmal von den Göttern - dass alles so werden würde, wie es einmal gewesen war, die Amazonen als freier Stamm in den Ebenen umherstreifen konnten und sie mit ihnen reiten würde.


    "Ich werde mich nach deinen Wünschen richten," sagte sie stattdessen. Sie war das reiten bei jeder Witterung gewöhnt, und es war ihr egal, ob die Sonne vom Himmel knallte oder ob es regnen würde - hauptsache reiten. "Wie gut kannst Du reiten? Denn wirklich verstehen wirst Du es erst können, wenn Du reitest wie ich." Sie lächelte kurz und stellte sich die Römerin auf einem Pferderücken ohne Sattel vor - fast undenkbar. "Ich kann Dich auch mit mir auf ein Pferd nehmen und Dich festhalten."

    Es dauerte einige Momente, bis die Amazone begriffen hatte, was Helena eigentlich mit ihren Worten sagen wollte, dann jedoch veränderte sich ihre Mimik schlagartig. Ein Ausritt! Sie würde wieder reiten dürfen, und das sogar sehr bald .. es war kaum zu glauben. Kämpfen zu dürfen war schon eine Belohnung, und nun würde sie vielleicht schon am nächsten Tag reiten können ... es war, als sei ihr die Göttin mit einem Mal, nach so vielen Jahren der Gefangenschaft, gnädig geworden. Und das ohne eigenen Verdienst ...


    "Mein Volk kann ich Dir auf dem Rücken eines Pferdes am besten erklären, denn so leben wir ... bevor eine Amazone lernt zu laufen, lernt sie zu reiten, und wenn unsere Pferde sterben, sind wir nicht mehr, was wir waren. Eine Amazone ohne Pferd ist keine Amazone ... ich weiss, es ist für jemanden, der in der Stadt lebt, wahrscheinlich schwer zu verstehen. Aber es wäre genauso, als würde ein reicher Römer keine Toga tragen - oder ein Senator keinen roten Streifen an seiner Kleidung," versuchte sie es zu erklären, aber das Leuchten ihrer Augen dürfte in diesem Augenblick deutlich mehr sagen als jedes Wort.

    Der Blick ihrer Herrin wurde von der Amazone ruhig zurückgegeben, wenngleich nicht forschend - was immer sie denken mochte, es verbarg sich unter einer aufmerksamen, beherrschten Mimik. Ihr Gesicht sprach vor allem davon, dass sie viel Zeit an der Sonne verbracht haben musste - einige Lachfältchen in den Augenwinkeln und Mundwinkeln waren schon zu sehen, ein Tribut an die alles verschlingende Pracht der Sonne. "Was möchtest Du wissen? Ich werde Dir antworten, wenn ich es vermag."


    Ziemlich jede Waffe - ob darin auch der geschwungene Säbel inbegriffen war, an den sie sich gewöhnt hatte? Aber auch das römische gladius wäre eine angemessene Waffe für sie gewesen, wäre das Schwert unter einer Tunika zu verbergen. Nein, dieser Weg würde eindeutig in die Richtung von Dolchen, Kraftverstärkern und Wurfwaffen gehen müssen, um unauffällig zu bleiben.

    "Ich weiss nicht, wie die Ringelblume auf lateinisch heisst, aber ich kann sie dir sicher zeigen, wenn ihr hier im Haus Kräuter gelagert habt," erbot sich die Amazone und hob etwas die Brauen an. So viele Wörter fehlten ihr im Lateinischen, dass es leichter war, griechisch zu sprechen, selbst griechisch zu denken war ihr lieber, als haftete der melodielosen lateinischen Sprache etwas Dunkles an, das sie auch beflecken konnte, wenn sie diese zu oft benutzte.


    "Ich würde Dich gern begleiten, um die Schule zu sehen - und auch zu sehen, ob es dort Kämpfer gibt, die mehr tun, als nur mit ihrer Kraft zu arbeiten, denn ein solcher Gegner wird mir nicht viel helfen können, mich zu verbessern," erklärte sie dann und nickte leicht. "Was die Waffen angeht ... so soll mir ein Dolch in einer Beinscheide genügen, alles andere kann ich selbst herstellen, mit Steinen, Lederbändern und solchen Dingen. Manchmal sind die unauffälligsten Dinge die Besten."

    Eine Tunika also ... die Amazone nickte leicht und überlegte sogleich, welche Art der Waffen man unter einer Tunika verstecken konnte. Dass ihr gleich mehrere Möglichkeiten einfielen, war irgendwie sehr beruhigend, die meisten Angreifer glauben ohnehin, mit jemandem leichtes Spiel zu haben, der nicht bewaffnet aussah, und so lag der Vorteil zumeist ohnehin auf ihrer Seite. Für einige Momente lang wurde ihr Lächeln grimmiger, sie freute sich schon auf den ersten, der dumm genug sein würde, in ihr eine schwache Frau zu sehen.


    "Ich verstehe, Helena" sagte sie schlicht und blickte sich wieder in dem Raum um. Wer wohl die Frauen sein mochten, die hier ebenso lebten, mit denen sie nun auch würde leben müssen? "Wenn Du Ringelblumensud auf Deinen Bauch schmierst, wird er bald weniger schmerzen," fügte sie noch an und erwiederte das Lächeln der Römerin vorsichtig. Noch wusste sie nicht wirklich, woran sie war, denn so freundliche Römer hatte sie nie zuvor erlebt - aber die Zeit würde es wohl weisen.

    Seltsam, wie blass die Römerin wirkte, als könne sie sich in jedem Augenblick übergeben. Doch war es heller Tag und die Schwangerschaftsübelkeit kam meist eher morgens, bis der Körper ganz wach war. Zudem sah sie zwar aus wie eine Frau, die Kinder geboren hatte - wenn man selbst welche hatte, erkannte man das - aber sie wirkte nicht schwanger. Sie musste krank sein, oder zumindest wegen irgend etwas elend, vielleicht hatte sie etwas schlechtes gegessen? Aber auch dann war das nicht normal - man übergab sich irgendwann und dann war es wieder gut.


    "Ich werde mir überlegen, was ich bei mir tragen kann, ohne aufzufallen. Welche Kleidung werde ich tragen?" Während sie mit ihr sprach, überlegte die Amazone gleichzeitig, welche Auswahl sie haben würde - Schlaggegenstände dabei bevorzugend, die ließen sich am ehesten verstehen, vielleicht noch ein Messer in einer Beinscheide. Als die Rede jedoch auf das Pferd kam, leuchteten Erethas Augen unwillkürlich auf. Ein Pferd - wieder reiten zu dürfen brachte ihr für einige Momente lang eine strahlende Freude, einen vagen Geschmack nach Freiheit zurück. Reiten ... ein Pferd zwischen den Schenkeln fühlen, die schiere Gewalt und Kraft des Tiers spüren ...
    "Wir reiten früher, als wir das laufen lernen," erwiederte sie langsam, fast vorsichtig, wie sollte man das schon einer Frau in so feinen Kleidern erklären. "Zum Leben einer Amazone gehört ein Pferd wie ...wie ... zu euren Soldaten die Waffen. Eine Amazone ohne Pferd gibt es nicht."


    Wie müde sie aussah ... "Geht es Dir nicht gut, domina? Du wirkst, als sei Dir sehr übel." Zum ersten Mal hatte sie das Wort für 'Herrin' benutzt, und es klang seltsam aus ihrem Mund.

    Sie beobachtete die Römerin genau, und diese kleine Geste des Unwohlseins entging ihr nicht, als Helena ihre Hand auf den Bauch legte - aber sie schwieg darob, vielleicht war sie schwanger oder fühlte sich einfach nur nicht gut. Es mochte ihr vielleicht als unangenehm wirken, solche Dinge gefragt zu werden, überlegte die Amazone, ließ den Blick aber nicht von Helena weichen.


    "Wenn Du ausgehst, begleite ich Dich," stellte Eretha fest und auch wenn sie im Grunde keine andere Wahl hatte, als dazu ja zu sagen, so wirkte es doch bekräftigend. "Werde ich eine Waffe zu deinem Schutz tragen oder muss ich mit den Fäusten kämpfen?" fragte sie kurz darauf, denn danach würde sich ihr Training richten müssen. Sklaven vertraute man selten scharfe Waffen an, aber schon mit einem Stein in der Toga konnte man vieles anrichten, wenn man ihn schwang. "Ich würde gern mit Kämpfern trainieren, die den Kampf kennen." Was wohl dem Angebot der Gladiatorenkämpfe galt und es ebenso bestätigen sollte. "Willst Du lernen, wie man Waffen führt?"