Beiträge von Helvetia Severina

    Wahrhaft langweilig? Severina kam es nicht so vor, als ob Rom langweilig wäre. Wenngleich sie nur sehr selten, eigentlich nie, bei irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen eingeladen wurde, Klatsch hörte sie trotzdem, gerne und manchmal auch reichlich. Nur leider nur von den Sklaven und Sklavinnen, die viel mehr aus der domus ihres Onkels kamen als sie selber. Es war merkwürdig, dass sie mitten in Rom dennoch abgeschnitten war von der politischen und gesellschaftlichen Welt. In diesem Moment wurde ihr klar, niemand würde sie an der Hand nehmen und herausführen, sie musste es selber tun. Diese Erkenntnis verleitete sie fast zum Seufzen, sicher wäre ihr lieber gewesen, ihr Onkel Gemi, hätte dies getan, wenn es schon nicht ihr Vater tun konnte.


    "Es liegt sicher am Wetter. In Alexandria ist es ja wärmer als hier." Severina war jetzt selber über ihre Worte erstaunt. Sie hatte einfach drauflos geplappert, ohne weiter darüber nachzudenken, und für einen Moment blickte sie überrascht über sich selbst ihre Gesprächspartnerin an, eine Erklärung für ihre Worte suchend. "Äh... ich meine, es ist einfacher, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn das Wetter schöner ist. Wenn schon hier die Sonne sehr oft scheint... also... nicht wie jetzt gerade..." Herrje, was stotterte sie nur für ein Durcheinander? "Dann müsste ja in Alexandria noch öfter die Sonne scheinen, weil es ja südlicher liegt. Und weil es im Norden viel kälter ist als bei uns... ist es ja viel zu kalt zum Hinausgehen und so..." Bona Dea, sie hätte lieber ihren Mund halten sollen. Also so einen ausgemachten Stumpfsinn über ihre Lippen... Und zu allem Überfluss wurde sie deswegen auch noch rot. Verlegen senkte sie den Blick und richtete ihre Augen auf ihre Arme, die im Wasser hin- und herschwebten.

    Begierig hörte sich Severina die Worte ihrer Gesprächspartnerin an und versuchte sich im gleichen Moment vorzustellen, wie die Grenze wohl mit drei Legionen weniger aussehen möge. Vielleicht gelangen so kriminelle Subjekte ungehindert ins römische Reich? Welch schreckliche Vorstellung, die Severina fast erschaudern liess und sie hoffte, dass ihre Gesprächspartnerin Recht hatte mit ihrer Einschätzung, der Cäsar würde schon wissen, was er tue. "Aber..." fiel ihr dann eine Frage ein. "Wieviele Legionen gibt es überhaupt in Illyrien?" In dem Moment, wie sie es aussprach, fand sie, dass sie eine ganz intelligente Frage gestellt hatte. Oder eine sehr dumme, wenn es allgemein bekannt war, in welchen Provinzen wieviele Einheiten standen.


    Zum Glück fand ein Themenwechsel statt, wenn es auch Griechenland war. Sie verstand nicht wirklich, warum alle Welt so begeistert von Griechenland war, sie hatte sich dort unendlich gelangweilt. "Wir waren in etlichen Städten, aber vor allem in Athen. Mein Vater hatte sehr darauf geachtet, dass ich eine standesgemässe Erziehung bekommen sollte. Und Bauten haben wir daher auch einige gesehen, ja." Wobei Architektur für sie auch nie wirklich interessant war, sie fand nicht, dass die griechische Architektur von der römischen so verschieden war, dass man dabei Unterschiede ausmachen könnte. "Theater und Musik hat mich aber doch mehr berührt als kalter Stein. Sie erst erfüllt einen Raum mit Leben." Und natürlich das dazugehörige Mobiliar und die Menschen, aber so oberflächlich wollte Severina auch nicht erscheinen.

    Erstaunt blickte Severina ihre neue Gesprächspartnerin an. "Drei Legionen?" fragte sie nochmals nach, nur zur Sicherheit. "Das sind wirklich viele Soldaten." fügte sie überflüssig hinzu. "War er nicht vorher in Illyrien? Wer bewacht denn dort jetzt die Grenze?" Severina hatte zwar nur wenig Ahnung von der Politik und vom Militär noch weniger, dank der Erziehung ihrer Amme, aber drei Legionen aus einer Provinz mitzunehmen fand sogar sie etwas merkwürdig. Oder vielleicht hatte der neue Kaiser Angst? Nein, ein Kaiser hatte doch nie Angst, befand sie. In ihrer Vorstellung war ein Kaiser ein wagemutiger, mächtiger, großer Mann, vor dem sich seine Feinde fürchten mussten.


    Sie strich sich eine störende Haarsträhne aus dem Gesicht und tauchte ihre Hand wieder zurück ins warme Wasser, wo sich auf ihrer Hand und ihrem Unterarm kleine Luftbläschen bildeten und einzeln, einer nach dem anderen, aufstiegen. Es kribbelte und kitzelte ein wenig, so kratzte sie sich ein- oder zweimal an dieser Stelle, während Severina überlegte, ob sie überhaupt schon einmal einen Kaiserwechsel miterlebt hatte. Der vorige Kaiser war ja so lange Kaiser, dass sie sich an gar niemanden zuvor erinnern mochte. Fast schon so, als würde dieser ewig leben. Natürlich eine kindische Vorstellung, wie sie für sich selber bemerkte. "Ich... ich kann mich an gar keinen anderen Kaiser erinnern." antwortete sie daher wahrheitsgemäss. "Ich weiss nicht, vielleicht war ich zu der Zeit in Griechenland, dort haben wir nur wenig von Rom gehört." Fast schon entschuldigend lächelte sie ob ihrer Unwissenheit.

    In einer Therme ist es nie ruhig, erst recht nicht, wenn es sich um eine Therme in der grössten Stadt der Zivilisation handelt. Severina mochte es zu baden, ein wenig zu plantschen und die anderen Frauen zu beobachten, denn eine beste Freundin hatte sie ja nicht, wie denn auch. Nur in seltenen Momenten konnte sie andere Frauen kennen lernen, aber dank der Abschottung durch ihre Amme konnte Severina ihre Bekanntschaften nie vertiefen. Minervina kam ihr gerade in den Sinn, was sie wohl derzeit machte? Sicher war sie auch schon verheiratet. Und da sie gerade so in ihre Gedanken vertieft war, hatte sie die fremde Frau im ersten Moment gar nicht bemerkt, bis sie angesprochen wurde.


    "Entschuldige? Ach so, ja, du hast recht." sagte sie etwas aufgeschreckt. "Das Wetter könnte tatsächlich viel besser sein." In diesem Augenblick fiel ihr auf, dass sie tatsächlich etwas vermisste, nämlich den Geruch von Frühling in der Stadt. Der liebliche Duft von Blumen und Gras, den hatte sie in diesem Jahr noch nicht bemerkt, war er tatsächlich noch nicht da oder hatte sie zuviel Zeit in ihrem Zimmer verbracht? Beängstigend, egal was nun wirklich zutraf. "Aber ob deswegen sich der Imperator soviel Zeit lässt...?" stellte sie jene Frage, die, das hatte sogar sie bemerkt, sich derzeit ganz Rom stellt.

    Drusilla, ihre Amme, war tot. Unendliche Trauer überkam sie und doch war sie ein wenig erleichtert. In den letzten Jahren, spätestens seit sie aus Griechenland zurückgekehrt waren, fühlte sich Severina immer mehr eingeengt von ihrer Amme. Sie grollte ihr deswegen nicht, keineswegs, sie wusste, dass ihr Vater es genauso gewünscht hatte, dennoch hatte sie sich mehr und mehr eingeengt gefühlt. Manchmal, so war ihr Gefühl, dachte sie, dass es Drusilla sehr recht wäre, wenn sie sich den Vestalinnen verpflichtet hätte. Sicher, das war nur ein Gefühl, und Severina wäre zudem auch schon zu alt dafür, aber dennoch.


    Ihr Heim, so sie es überhaupt so nennen konnte, war still. Selten verirrte sich ein Verwandter zu ihrer Zimmertür, und noch seltener wagte sie sich hinaus. Sie verbrachte ihre Zeit alleine oder mit ihrer Amme, aber als sie vom Tod letzterer erfuhr, da wollte sie nur hinaus. Einfach hinaus und kurz den Kopf freikriegen. Was wäre da geeigneter als eine Therme?


    Eine Sklavin begleitete sie und trug ihre Sachen, während sie sich im wohlig warmen Wasser räkelte und sie sich richtig gut gehen liess. Später würde sie sich einen Nubier gönnen, oder war es ein Numider? Es war ihr egal, er sollte sie nur gut massieren können. Aber vorerst wollte sie das warme Wasser genießen.

    Der Kaiser war tot. Auch er war nun in die elysischen Gefilden gegangen, so erzählte man es in Rom, auf dem Forum, auf den Märkten, überall. Severina hatte das Gefühl, seit ihrer Rückkehr nach Rom würden alle Konstanten in ihrem Leben einfach so verschwinden. Ihre Mutter, ihr Vater, ihre Brüder und jetzt der Kaiser, sie verstarben einfach. Wen wunderte es, dass sie sich in Rom nicht mehr wohlfühlte?


    Der Brief des Vigintivirs. Lange hatte sie diesen angesehen, ebenso lange wiederum nicht beachtet. So lange, bis die vom Vigintivir gesetzte Frist verstrich. Als Severina dies nach einigen Tagen bemerkte, atmete sie erleichtert aus und dankte den Göttern, dass sie sich nun nicht mehr damit plagen musste. Nein, sie wollte sich nicht mit dem schmutzigen Geld ihres Bruders beflecken. Doch der Vigintivir, der ehrenwerte, er hatte eine Antwort verdient. Sie dachte nicht lange nach, sondern schrieb ihn, so wie es aus ihren Gedanken kam, auch wenn sie damit unstandesgemäß ihre Gefühle zeigte. Doch in diesem Moment war ihr das einerlei.


    Ein Sklave würde ihren Brief im Hause des Vigintivirs abgeben. Severina hingegen blieb in ihrem Zimmer sitzen.

    Ein Bote brachte ein Briefchen vorbei.


    An den ehrenwerten Vigintivir
    Titus Aurelius Ursus
    Villa Aurelia


    Salve Aurelius,


    ich danke für deine mitfühlenden Worte bezüglich dem Tod meines Bruders Helvetius Gabor, auch wenn ich weiß und dir daraus keinen Vorwurf mache, dass sie durch dein Amt initiiert sind. Eine Benachrichtigung, was mit dem Erbe meines Bruders zu geschehen habe, nein, ich war nicht in der Lage, dir zu schreiben. Verzeih meine konfusen Worte, sie sind gänzlich unangebracht. Ich möchte nur noch zu Papier bringen, dass ich mit dem üblichen Verfahren gänzlich einverstanden bin.


    Mögen die Götter deinen künftigen Weg segnen.


    Vale,
    Helvetia Severina

    Severina errötete blitzschnell und blickte zu Boden. Ihr Vater wollte, dass sie den jungen Agrippa heiratete. Sie hatte es geahnt, doch sie wollte auf keinen Fall den Proconsul damit belasten, dass dieser für eine für ihn nunmehr uninteressante Verbindung einstehen musste. Aber der Prätor hatte ganz ins Schwarze getroffen. Sie schluckte.


    "In der Tat." antwortete sie etwas leiser als zuvor. Mit einem Schlag war die Erinnerung an ihren Vater schmerzhafter als noch vor ein paar Momenten. Sie hatte einen seiner letzten Wünsche nicht erfüllt und jetzt gab es keine Möglichkeit, diesen Fehler wieder rückgängig zu machen. Ihr wurde heiss und gerade in diesem Augenblick hatte sie nur einen Wunsch.


    "Prätor Flavius, ich möchte nicht unhöflich erscheinen." richtete sie ihre Stimme an ihn, während sie wieder ihr Gesicht hob und in das Gesicht des Prätors blickte. "Aber hast du noch viele Fragen?"

    Sim-Off:

    Entschuldigung... ganz auf die ID vergessen. -.-


    Sorgloser Umgang mit Geld hatte Severina nie gelernt, im Gegenteil, sie war von ihrer Amme immer zu sparsamer Haushaltung erzogen worden. Und das gleich so intensiv, dass sie sich kaum etwas gegönnt hatte, vielleicht hie und da etwas Früchte in Honig, und das war es auch schon. Drusilla meinte immer, dass Bescheidenheit einer römischen Dame gut zu Gesicht stehen würde und damit ist auch eine bescheidene Lebensführung gemeint. Severina hatte sich dann zwar immer gefragt, in welcher Welt ihre Amme wohl leben würde und wie unrömisch dann Rom in den Augen Drusillas sein mochte, aber sie hatte sich den Worten ihrer Amme gefügt, weil es ihr Vater so befohlen hatte.


    Als der Händler ihr den Preis nannte, wölbte sich ihre Stirn. Wenn sie immer so viel Geld für Kleider ausgeben würde, wäre das Erbe ihres Bruders schnell ausgegeben. Ob das sein Ernst war? Eigentlich war dieser Preis eine Dreistigkeit, die ihresgleichen suchte. Sicher war der Stoff unheimlich schön und glatt, man konnte sich geradezu darin verlieben, aber das war doch zuviel des Guten.


    Sie versuchte sich zu erinnern, was ihr Drusilla beigebracht hatte. Wichtig war es, mit fester und ruhiger Stimme zu sprechen, und die Körperhaltung so, als ob man das Kleid gleich wieder weglegen wolle. Sogar etwas gelangweilt konnte die Stimme klingen, Hauptsache, man zeigt nicht oder nur wenig Interesse. "Ich gebe dir 70."

    Etwas skeptisch blickte Severina zwischen Arrecina und dem blauen Kleid hin und her. Diese Tunika würde sie eher bei einer Festlichkeit tragen, aber wohl kaum, wenn sie auf den Markt ginge. Auf der anderen Seite hatte Arrecina recht, fand Severina. Warum eigentlich nicht? Man gönnt sich ja sonst kaum etwas.


    "Ich denke, du hast recht." sagte sie, bekräftigte damit gleichermassen ihre Gedanken und entschloss sich nun endgültig zum Kauf. "Bei so etwas schönem ist die Versuchung zu gross, als dass man einfach Nein sagen könnte. Nicht wahr?" Sie blickte wieder die Tunika an und ihre Augen bekamen ein kleines Leuchten. Sie malte schon in ihrer Vorstellung aus, wo sie das tragen könnte. Vielleicht wirklich bei einem Fest? Ob Onkel Gemi vielleicht, wenns ihm wieder gut geht, so etwas veranstalten würde? In diesem Moment nahm sie sich fest vor, ihren Onkel zu fragen.


    "Ich gehöre zur Familie von Helvetius Geminus, dem Senator, vielleicht kennst du ihn. Das heisst, ich bin seine Nichte." warf Severina nur kurz ein und unterliess eine Gegenfrage, weil Arrecina schon gleich weiterredete und dabei auch einen wunden Punkt ansprach. Ein wenig schmerzhaft wurde sie jetzt an ihren Vater und an Hispania erinnert, wobei sie einen deutlichen Widerwillen gegen die Provinz spürte, ein merkwürdiges Gefühl ohne jede Logik, denn was konnte denn Hispania für ihren Schmerz. Sie unterdrückte daher ihre aufkommende Trauer und lächelte tapfer, wenn auch etwas gequält weiter und hoffte, dass Arrecina dies nicht sonderlich auffallen würde. "Stimmt, sowas sollte man wirklich ausnützen."


    Und es war wahr, da kam tatsächlich schon der Händler her. Severina achtete gar nicht so sehr auf das Lächeln, sie überlegte statt dessen, was das Kleid wohl angemessen kosten würde. "Salve. Sag, was würde denn diese Tunika hier kosten?"

    Severina lächelte müde. Sie soll wie ein fröhlicher Mensch aussehen? Dann musste sie beneidenswerte schauspielerische Fähigkeiten innehaben, denn fröhlich war sie in der letzten Zeit eher kaum gewesen. Wohl eher hatte sie vor etlichen Tagen entdeckt, dass sie Augenringe hatte, zweifelsohne eine Folge ihres nächtlichen Wachens, weil sie nicht schlafen konnte und daher sehr viel las. Der Wachsverbrauch war jedenfalls enorm, weil diese kleinen Tonlämpchen viel zu wenig Licht spendeten, um auch nur einigermassen die Worte auf den Schriftrollen entziffern zu können. Und als sie dann ganz erschreckt diese Ringe gesehen hatte, entschied sie sich gegen die bisherige Lebensweise und schwörte auf Kamillensud, sowohl innerlich als auch äusserlich. Und es wirkte, zumindest was die Augenringe anging. Nur das schnelle Einschlafen war noch immer ein Problem. Und wer auch immer gesagt hatte, Schäfchen zählen würde helfen, sollte sich in Acht vor Severina nehmen. Aber das waren Gedanken, die nur kurz durch ihr Gehirn wanderten, denn schon sprach die Frau vor ihr wieder.


    "Findest du? Eigentlich wollte ich ja eine Tunika haben, mit der ich ausser Haus und auf den Markt gehen kann. Das hier scheint mir dafür fast ein wenig zu schön zu sein." entgegnete sie und hielt weiter das Kleid an ihrem Körper, überlegend, wo sie das anziehen könnte. Innerlich hatte sie sich schon längst entschieden, aber dennoch wollte sie nicht sofort sagen, dass sie das hier wollte. Sie hatte nämlich den Händler gesehen, der wohl eine Verkaufsmöglichkeit sah und Severina wollte nicht so sehr ihr Interesse bekunden, um den Preis niedrig zu halten. Sie hatte ihrer Meinung nach auch nicht viel Talent im Verhandeln der Preise, zumindest hatte ihr das ihre Amme immer wieder gesagt.


    Severina lächelte zurück. "Oh ja, entschuldige, ich habe ja auch meine Manieren vergessen. Ich heisse Helvetia Severina, und ich dachte mir schon, dass du aus einem ähnlichen Grund hier bist."

    Severina war in Gedanken gewesen, als sie angesprochen wurde. Sie drehte ihren Kopf zu der anderen und Erstaunen spiegelte sich in ihrem Gesicht. Nicht weil jemand sie ansprach, eher weil sie mit diesem Kommentar überhaupt nicht gerechnet hatte.


    "Zu blass?" Sie blickte wieder auf die Tunika, eine cremefarbige, die sie noch immer vor ihren Körper hielt und die sich so fantastisch anfühlte. "Findest du wirklich?" fragte sie die junge Frau neben sich. Sie wollte zwar nicht schillern, erst recht nicht mit einer gebräunten Haut, aber zu weiss im Gesicht wollte sie auch nicht wirken. "Wie eine Tote möchte ich nämlich nicht aussehen..." meinte sie noch, als sie die Tunika aus ihrer Hand weglegte, nicht ohne noch einmal mit ihren Fingern ganz kurz über den wunderbaren Stoff zu gleiten. Dann sah sie sich um und ihr sprangen gleich andere Tuniken ins Auge. Schon wollte sie zu einer hingreifen, da stockte ihre Hand und blieb vor zwei Kleidern stehen. Severina konnte sich nicht so recht zwischen einer azurblauen mit roten Borten oder einer dunkelgrünen mit gelben Borten entscheiden, nahm dann nach einigen Momenten des Überlegens aber doch das blaue. Sie ergriff das Kleid und hielt dieses vor sich hin. "Wie wäre das hier?" Abwartend sah sie ihr Gegenüber an und wartete und hoffte auf ein diesmal positiveres Signal. Die ganz schrillen Stücke wollte sie nicht wirklich anziehen, das würde zu ihrem Typ nicht passen, so dachte sie, und ausserdem mussten die ja ein Vermögen kosten, welches sie einfach nicht bezahlen wollte. Falco hatte ihr zwar gesagt, dass sie sich kaufen könne, was sie wolle und brauche, aber sie wollte seine Freigiebigkeit nicht über Gebühr strapazieren. Ausserdem hatte sie ja selber jetzt ein wenig Geld. Obwohl es schon herrlich sein musste, wenn man sich kaufen könnte, was man wollte. "Zu dumm, dass man sich hier selber nicht sehen kann. Das würde das Einkaufen entscheidend vereinfachen." seufzte sie ein wenig.

    Hätte sie in diesem Moment logisch denken können, so hätte sie die Beweggründe von Falco sicher erahnen oder zumindest Vermutungen anstellen können. So aber war sie schlicht ratlos und konnte sich nicht erklären, warum Falco das Testament ihres Vaters anzweifelte oder gar anfechten wollte.


    "Nun ja... Es war so..." begann sie erneut, während sie es vermied, den Prätor in die Augen zu sehen, zu sehr schämte sie sich. "Ein Bruder, Tranquillus, war in Germania stationiert, bei der Ala. Meine anderen Brüder starben bereits vorher und Gabor..." Sollt sie ihm wirklich sagen, dass Gabor kriminell wurde? Nein, das konnte sie nicht. "Gabor verschwand auch, ich liess ihn zwar suchen, doch es war erfolglos. Und was mich angeht... mein Vater hatte wohl gedacht, dass ich den Sohn des Proconsuls heiraten werde. Vielleicht war das seine Art, mich an sein Versprechen des Proconsuls zu binden."

    Rom war laut. Jeder, der je in Rom seinen Fuss hineingesetzt hatte, würde dies ohne zu Zögern bejahen. Severina wusste das. Sie wusste ganz genau, worauf sie sich eingelassen hatte, und dennoch erschrak sie, wegen den Marktschreiern, den Bettlern, den armen, verrunzelten Weibern, die an den Strassenecken ihre kleine Ernte verkaufen wollten, dem Schmutz, der auf der Strasse lag, den Soldaten von der Cohortes Urbanae, die geflissentlich ihre Patrouillen durchmarschierten. Aber dennoch wagte sie sich immer weiter. Der Sklave hinter ihr folgte ihr, liess sie nicht aus den Augen, das spürte sie und es gab ihr zusätzliche Sicherheit. Sie hatte nicht viel eingesteckt, eigentlich sie gar nichts, ihr Sklave hatte das Geld bei sich, doch dieses wenige wollte sie sich an diesem Tage gönnen, etwas kaufen, etwas schönes kaufen.


    Und sie wusste auch, was sie kaufen wollte: eine neue Tunika sollte es sein. Eine gebleichte, die vollkommen weiss war, so eine wollte sie haben. Ein wirklich magerer Wunsch, aber genau jetzt ihr sehnlichster. Und sie wurde sogar recht bald fündig. Auf den Mercati, dort wo viele Händler ihre Stolen, Togen und auch Tuniken anpriesen, dort hatte sie etwas gefunden. Fasziniert ging sie hin, fasste den Stoff an, befühlte ihn, überprüfte die Nähte und den Saum, roch daran und begutachtete ihn, als wäre genau diese Tunika ein Schatz, den sie gerade gefunden hatte. "Ob sie mir wohl passt?" fragte sie sich halblaut, während sie probeweise die Tunika vor ihren Körper hielt.


    Sim-Off:

    Wer will, der sei eingeladen. :)

    Lange, wirklich lange hatte sie sich zurückgezogen, war nur in ihrem Cubiculum gewesen, hatte gelegen, gelesen, geschrieben, getrauert. Irgendwann hatte Severina sich mit ihrem Schicksal abgefunden, hatte Freundschaft mit einer der Sklavinnen geschlossen, liess sich über diese Sklavin mit den neuesten Klatsch und Tratsch versorgen und mit der Zeit auch zurechtweisen. Ismene, die Sklavin, hatte schon manches Mal beanstandet, Severina solle wieder unter die Leute gehen, solle auf den Markt, in die Thermen, ja zumindest den Göttern opfen gehen. Severina hatte nur müde gelächelt, lautlos dies versprochen, doch nie war sie wirklich daran interessiert gewesen, tatsächlich ihr Zimmer verlassen zu wollen.


    Dann, einige Wochen später, bekam sie wieder einen Brief. Es war wieder vom Vigintivir, doch diesmal nicht von Flavius, der sie immer korrekt ansprach, diesmal war es ein wenig merkwürdiger. Sie bekam ein Erbe, und es war ihr sowohl zum Lächeln als auch zum Weinen zumute, als sie diesen Brief las. Zum Lächeln, weil sie eine doch erkleckliche Summe bekam, zum Weinen, weil dieses Geld aus der Hinterlassenschaft ihrer Brüder stammte. Die Götter spielten ein gar arges Spiel mit ihr, schlossen sie doch eine Tür und machten gleichzeitig eine andere auf. Severina wusste nicht, was sie davon halten solle. Aber mit dem, was ihre Brüder ihr vermachten, brauchte sie sich nicht verstecken, sie konnte wirklich erhobenen Hauptes aus der Tür wandeln und endlich ihr Leben in die Hand nehmen.


    In diesem Moment erschrak sie. In den letzten Monaten war sie quasi nur in ihrem Cubiculum gewesen. Wie konnte sie glauben, dass sie einfach so raustreten könne, Rom betreten könne? Ein merkwürdiger Gedanke, aber abwegig war er nun nicht mehr. Sie hatte Geld, nicht viel, eigentlich wirklich wenig, aber dieses wenige verschuf ihr nun ein wenig Freiheit, Freiheit, sich kleine Dinge kaufen zu können. Sie konnte nun auf den Markt gehen und sich eine neue Tunika kaufen, ohne dass sie vorher Falco fragen musste. Als sie diesem Gedanken gewahr wurde, stand sie ohne zu zögern auf und ging zur Türe. Dort aber stockte sie doch, zu sehr wirkte in ihr ihre Erziehung mit, aber nur zwei Momente später verliess sie ihr Cubiculum, nein, sie verliess das Haus ihres Onkels. Nur ein Sklave begleitete sie, denn ohne Schutz wollte sie nicht weggehen, aber dennoch: in diesem Moment fühlte sie sich allein und frei. Ein wundervolles Gefühl.

    Severina war jetzt nicht mehr ganz so verunsichert, da der Prätor ihre Angaben so hinnahm, wie sie es sagte, war es doch die ganze Wahrheit. Doch dieses Gefühl dauerte nicht lange, schon kam der nächste Hieb.


    "Falco? Er ... zweifelte?" stotterte sie ein wenig. Nein, davon wußte sie wirklich nichts. Warum tat er das? Sie verstand es nicht. Sie hatte doch seinen letzten Willen gelesen, es war seine Unterschrift! Wieso? Warum? Nein, sie verstand es wirklich nicht, und genau dieser Ausdruck spiegelte sich in ihrem Gesicht wider.


    "Nein. Ich hatte keine Ahnung..." Warum hatte Falco ihr nichts gesagt? Traute er ihrem Vater nicht? Oder ihrem Bericht?

    Severina dachte schon, dass dies alles wäre, doch dem war wohl nicht so. Noch verwirrter als bei seiner ersten Frage sah sie ihn an.


    "Aber... Nein. Es gibt keinen Agrippa in meiner Familie. Nicht, dass ich wüsste." Sie verstand den Sinn seines Besuches nicht, erst recht nicht die seiner Fragen. Daher entkam ihr wenig eloquent ein "Wieso eigentlich?"

    Severina begrüsste den Prätor, wie es die Sitte von ihr beanstandete, denn immerhin war der Besucher ein hoher Magistrat und man verlangte von ihr den ihm gebührenden Respekt. Sie nickte, als ihr Verwandter das Atrium verliess und bemerkte im Augenwinkel beruhigt das Beisein der Sklavin. Die Frage des Prätors aber verwirrte sie ein wenig. Mittlerweile wusste sie ja schon sicher, dass es um den Nachlass ihres Vaters gehe, doch seine Frage verwunderte sie.


    "Aber ja." antwortete sie. "Der Proconsul Matinius ist... verzeih mir, er war ein guter Freund meines Vaters. Vor dem Tod Papas wohnten wir sogar im Haus des Proconsuls, er hatte uns grosszügigerweise Logis angeboten, und auch nach dem Tod Vaters war der Proconsul in dieser Hinsicht sehr kulant zu mir."

    Der Sklave hatte Severina in ihrem Cubiculum angetroffen, welches sie seit ihrer Ankunft in Rom kaum verliess. Ihre Trauer war zwar nicht mehr ganz so gross wie nach dem Tode ihres Vaters, dennoch war sie noch weit davon entfernt, in Rom lustwandeln zu können. Daher war sie sehr erstaunt, als der Sklave ihr vom Besuch des Prätors erzählte. Severina hatte keine Ahnung, worum es gehen könnte, war doch die Erbschaft ihres Vaters für sie schon vollkommen abgehakt gewesen. Sie zupfte ihre Kleidung zurecht, sah sich noch einmal im Spiegel an und kam dann ins Atrium.


    "Du hast mich rufen lassen, Falco?" fragte sie leise ihren Anverwandten. Die Begrüssung des Magistraten unterliess sie, bis sie ihm der Sitte gemäss vorgestellt wurde.