Sulla hatte alles bisherige gehört. Er wurde nun von zwei Prätorianern in den Gerichtssaal geführt. Eingehüllt in eine dunkle Toga schritt er langsam und bedächtig zum Platz des Angeklagten. Die Torturen des Aufstands, der Schlacht um Corduba, die schwerwiegenden Verletzungen und das karge Leben in der Zelle hatten ihn stark altern lassen. Nichts war mehr da von dem vitalen Aufrührer. Er machte eher den Eindruck eines alten, gebrechlichen Greises. Seinen rechten Armstumpf behielt er in seiner Toga.. Sein Gesicht war aschfahl. Die Wangenknochen traten deutlich in dem eingefallenen Gesicht hervor. Sein Haar war mittlerweile schneeweiß. Nur seine tief in den Höhlen sitzenden Augen ließen noch etwas von dem Feuer vergangener Tage erahnen.
Ein geschwätziger Wächter hatte ihm einige Details aus dem Prozess gegen Strabo erzählt. Er hatte sich auf den Augenblick seiner Verteidigungsrede schon eine Weile vorbereitet. Als er an seinem Platz stand, blickte er in den Saal. Er erkannte seinen militärischen Bezwinger, den Prätorianerpräfekten an seiner Uniform. Sonst konnte er kein ihm bekanntes Gesicht entdecken. Laevina war anscheinend nicht da. Das beruhigte ihn. Er atmete noch einmal tief durch und fing an zu sprechen.
“Söhne und Töchter des Romulus,
hier stehe ich, Appius Helvetius Sulla und werde Rede und Antwort für meine Handlungen stehen. Ich bin mir des bereits jetzt feststehenden Urteils bewusst und brauche daher mich nicht auf irgendwelche Albernheiten von Winkeladvokaten einlassen. Meine nun folgende Rede ist daher nicht als Verteidigungsrede zu verstehen, sondern als Erklärung meines Handelns und als politisches Testament.
Um zu den mir vorgeworfenen Taten Stellung zu beziehen, ist es notwendig etwas weiter auszuholen. Ich bin vor mehr als 28 Jahren zu den Legionen gegangen um dem Kaiser und dem Imperium zu dienen und habe mir meine Sporen auf den Schlachtfeldern Palästinas, Britanniens und Germaniens verdient. Ich habe an dem Chattenfeldzug des Kaisers Domitian teilgenommen. Ganz Rom und vor allem er selbst feierte sich als „Bezwinger der Germanen“. Diese Scheinheiligkeit wurde den im Felde stehenden Truppen zum Verhängnis. Schnell hatte sich das Barbarenpack wieder zusammengerottet und drängte die Römer erneut zurück. Domitian aber ließ sich weiter feiern, während gleichzeitig tausende Legionäre in den kalten Wäldern Germaniens ihr Leben ließen. Zu dieser Zeit begann ich erstmals ernsthaft am Kaiser zu zweifeln. Ich fand unter den kämpfenden Truppen Gleichgesinnte, die auch Kontakte zur Politik hatten. Der damalige obergermanische Statthalter Lucius Antonius Saturnius erhob sich als erster gegen Domitian, doch er musste dafür mit dem Leben zahlen. Nach und Nach entwickelte sich aber eine immer stärkere Verschwörung gegen den Kaiser. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Im Jahr 96 wurde er ermordet. Im Jahr 100 nahm ich im Bürgerkrieg auf Seiten der republikanischen Aufständischen teil. Als die Ulpier aber die Macht zurückgewonnen hatten, musste ich untertauchen und lebte fortan im Untergrund in verschiedenen Provinzen des Reiches.
Vor einem Jahr dann hielt ich die Zeit für reif mich wieder an die Öffentlichkeit zu wagen. Die damaligen Ereignisse lagen lange zurück und es gab keine Verfolgungen mehr von Republikanern. Ich war gewillt mich nun mit dem System zu arrangieren und nicht mehr subversiv zu agieren. Als Geläuterter betrat ich nach Jahren wieder Rom, doch was ich dort erblickte, ließ mich schnell in meine alten Ansichten zurückfallen. Die Sittenlosigkeit und mangelnde Tugend dieser Stadt, der aufgeblähte Hofstaat des Kaisers, die Schar von Speichelleckern im Senat, all das machte einen derart abstoßenden Eindruck auf mich, dass ich schnell wieder längst abgelegte republikanische Überzeugungen aufgriff. Trotzdem war ich noch gewillt, nicht erneut Ärger zu machen. Ich wendete mich an den mittlerweile verstorbenen, aber wohl den meisten hier noch bekannten, Senator Caius Helvetius Tacitus, der mich aufgrund eines weitläufigen Verwandtschaftsverhältnisses als seinen Clienten aufnahm. Er war es, der mir den Posten als Magister Scriniorum in der hispanischen Region Baetica vermittelte. Ich war voller Hoffnung wenigstens in dieser schönen Provinz zum Wohle der Menschen wirken zu können. Doch ich erblickte eine Provinz, die trotz großartigen wirtschaftlichen Potentials am Boden lag. Jahrelange Misswirtschaft und Korruption hatten Baetica verrotten lassen. Im krassen Gegensatz dazu häufte die Provinzregierung unter Proconsul Agrippa unermessliche Reichtümer an . Während die Bevölkerung Hunger litt, frönte dieser wollüstige Epikureer entweder seiner schon geradezu sprichwörtlichen Liebe zum Wein oder er gab sich seiner Leidenschaft für junge Knaben hin. In einem Gespräch über die fatale finanzielle Lage der Regio, die jedes wirtschaftliche Entwicklungsprogramm schon im Keim ersticke, schielte der Senator lieber auf einen in meinem Officium angestellten Diener, statt den Lösungsvorschlägen zu zuhören und war nicht bereit die Regio finanziell zu unterstützen. Die Sitzungen der Provinzcurie(der ich nie angehörte) endeten für gewöhnlich in ausschweifenden Orgien in denen keine noch so widernatürliche Tat ausgelassen wurde. Es musste etwas geschehen um die Regio vor dem völligen Ruin zu bewahren. In dem damaligen Duumvir Pompeius Strabo fand ich einen Verbündeten. Wir hatten ähnliche politische Überzeugungen, trotzdem merkte ich schnell, dass auch er seine charakterlichen Schattenseiten besaß. So teilte er mit Agrippa die gleichen sexuellen Neigungen. Er schwärmte immer von den Ausschweifungen bei den Curiensitzungen. Ich lernte ihn als Mann der Extreme kennen. Mit außerordentlicher Brutalität versuchte er die Christen von Baetica physisch auszurotten. In diesem Vorhaben wurde er vom Proconsul unterstützt. Allein mein Eingreifen verhinderte weitere Greueltaten. Gleichwohl war Strabo ein äußerst fähiger Beamter, der mit kreativen Ideen und Tatendrang das beste für die Regio herauszuholen suchte.
Als der damalige Comes von Baetica Aulus Octavius Avitus, der wie ich hörte nun in Rom wieder zu neuen Ehren gekommen ist, damals plötzlich die Lust verlor sich den schwerwiegenden Problemen der Regio zu stellen, wurde Strabo von seinem Intimfreund Agrippa zum Comes befördert. Von nun an konnte er seine politischen Vorstellungen umsetzen. Oftmals befragte er mich nicht einmal, sondern preschte mit immer neuen Verordnungen hervor. Ich bekenne mich in dieser Hinsicht für schuldig, dass ich nicht entschiedener gegen seine immer absurderen Anordnungen protestiert habe. Das Problem war, dass er über eine größere Anhängerschaft als ich verfügte. Jede Opposition hätte meinen Tod zur Folge gehabt. Daher entschied ich lieber meinen Einfluss zu nutzen um das Schlimmste zu verhindern. Seine Anhänger bredrohten mich immer wieder, weil ich versuchte die Ausschreitungen der marodierenden Milizsoldaten gegen die Zivilbevölkerung zu dämpfen. Als sein Einfluss in der Stadt schwand und sich das Kräfteverhältnis zu meinen Gunsten verschob, flüchtete er und stahl sich aus der Verantwortung. Als ich die alleinige Herrschaft über die Stadt besaß, war es allerdings bereits zu spät die fatalen Folgen von Strabos Terroregime rückgängig zu machen. Eine Reintegration ins Reich war nicht möglich, da wir alle als Verschwörer galten. Für eine weitere Befreiung hispanischen Bodens von der Herrschaft der unsäglichen Provinzregierung war es bereits zu spät, denn Strabo hatte mit seinen brutalen Maßnahmen und seinem autoritären Gehabe bereits bei den uns eigentlich, anfänglich sehr wohlgesonnenen hispanischen Städte, die unter dem Joch der Provinzregierung litten, jede Sympathie verspielt. Mit der Landung der Prätorianer in Hispania war es dann ohnehin zu spät. Der Rest ist bekannt. Die Stadt wurde eingekesselt und von den Prätorianern erobert.“
Sulla hielt kurz inne
“Mehr habe ich nicht zu sagen“