Die Meinung ihres Ehemannes konnte Epicharis nicht teilen. Das mochte daran liegen, dass sie nicht fand, Vescularius sei der richtige PU. Hungaricus war ein weitaus angenehmerer Mann gewesen, wie sie fand, wohingegen sein Vorgänger, dieser Octavier, nicht allzu viel besser gewesen war als der amtierende Präfekt. Doch sie schwieg dazu, erkannte, dass es keinen Sinn hat, darüber weiterzureden mit Aristides - nicht etwa, weil sie die andersartige Meinung scheute oder sie nicht respektierte, sondern weil es keine Auswirkungen auf die Umstände haben würde.
Ob seines Lachens runzelte sie fragend die Stirn. Aristides hielt den Artorier also für gefährlicher. Nachdenklich hörte sie sich die genannten Gründe an, konnte ihm aber nicht beipflichten. Hunde, die bellten, bissen schließlich nicht. Und soweit sie sich erinnerte, hatte der Caecilier niemals gebissen. Aber war da nicht eine Konfrontation wegen Aristides' Tochter gewesen? Epicharis glaubte, sich an entsprechende Informationen von Hannibal zu erinnern. Vielleicht war es auch Aristides selbst gewesen, der ihr davon erzählt hatte, das war aber im Grunde einerlei. Epicharis glaubte, dass Aristides zumindest einen der beiden Männer falsch einschätzte. Iulianus hatte große Stücke auf den Caecilier gehalten, das war mehr als einmal offensichtlich geworden. Der Artorier allerdings war ein unbeschriebens Blatt in der Politik Roms, was zweierlei für ihn bedeuten konnte, einerseits einen Vorteil, andererseits einen Nachteil. "Und du denkst, dass Artorius Avitus sich im politischen Gerangel behaupten kann?" gab sie zu bedenken. "Der Posten des Prätorianerpräfekts dürfte von weitaus politischerer Natur sein als der eine Lagerpräfekten uns Ausbilders. Ich missgönne ihm seinen Erfolg nicht, aber ich habe Zweifel, dass er unter Vescularius' Fuchtel stehen wird. Eher, als der Caecilier es tat. Hast du mal daran gedacht, dass Caecilius Crassus vielleicht wegen Diskrepanzen mit seinem Vorgesetzten darum gebeten hat, abdanken zu dürfen?"
Der Sklave, der Aristides' Becher gefüllt hatte, bedachte danach auch Epicharis mit einem fragenden Blick, doch sie schüttelte stumm den Kopf, woraufhin der Sklave nur verkündete, das Essen sei auch bald soweit, ehe er wieder ging. Epicharis seufzte leise, als Aristides sich so vehement gegen einen Platz in einem der Kollegien sträubte und anschließend auch bei einem Senatssitz alles andere als willens aussah. Sie hatte sie schon fest vorgenommen, diesmal kein Pardon mehr zu dulden, aber der Blick, mit dem er sie bedachte, weichte das claudisch-flacische Herz dann doch schneller auf, als der Vorsatz umgesetzt worden war, sodass Epicharis zunächst erstmal schwieg und die wettergegerbte Gesichtshaut ihres Mannes musterte. Die Äußerung mit der Ritterfamilie war nun einmal ein vermeidbarer Patzer gewesen, aber solchelei Gespräche zu führen, waren etwas, das man lernen konnte. Epicharis hob einen Mundwinkel und die Brauen gleichzeitig an, beugte sich dann vor und küsste Aristides einige Sekunden lang liebevoll auf die Lippen, ehe sie sich wieder zurücklehnte. "So. Du meinst also, mir würde eine Senatorentoga besser stehen als dir, mh?" neckte sie ihn schmunzelnd. "Da bin ich aber anderer Meinung. Es haben schon weitaus ungeeignetere Männer einen Senatssitz ergattert. Schau dir doch mal diesen Germanicer an, den jüngeren, oder diesen dicken Cornelier, du weißt schon, den Vater von Lucius' Spielgefährten? Wenn solche Leute es schaffen, warum dann nicht auch du?" Aristides wurde mit einem schmeichlerischen Blinzeln bedacht. "Und ich denke, du weißt, dass sowohl Manius als auch ich jederzeit an deiner Seite wären, um dich zu unterstützen. Wenn der Aurelier wahrhaftig Celerina heiratet, bedeutet das im Umkehrschluss außerdem, dass du von vorn herein mehr Stimmen hättest. Und solche Gespräche zu führen, kann man lernen. Im Grunde ist es doch nichts weiter als Diplomatie. Ich glaube einfach nicht, dass du der Familie schaden würdest. Du würdest damit Lucius' den Einstieg erleichtern." Epicharis überlegte kurz. "Und deine Mutter stolz machen. Mich sowieso", fügte sie dann an und hob die Hand, um mit deren Rücken über Aristides' stoppelige Wange zu streichen.
"Sie hat mich gebeten, ihr die Freiheit zu schenken", sagte Epicharis schließlich kurzbündig, nachdem sie einen kurzen Moment lang überlegt hatte, wie sie das geführte Gespräch am besten verpackte. "Ich habe natürlich gesagt, dass es dafür zu früh ist... Ich meine, ich müsste ja nun ohnehin erst mit dir darüber reden, das weiß ich, aber..." Es war Epicharis stets ein wenig unangenehm, wenn sie darauf zu sprechen kamen, dass Aristides nun über sie zu bestimmen hatte, und damit auch über ihren sämtlichen Besitz. Sie räusperte sich, stibitzte sich seinen Becher und nippte einen Schluck an dem süßgoldenen Wein. "Sie war natürlich nicht begeistert. Und jetzt redet sie kein Wort mehr mit mir. Ich bin mir aber sicher, dass das bald vorbeigeht", fügte sie hinzu, ehe Aristides vielleicht vorschlagen konnte, jemanden mit Fiona darüber reden zu lassen oder sie gar zu bestrafen. Die Eskalation ließ sie absichtlich außen vor, immerhin war sie selbst auch ein wenig von der Bahn geglitten. Und ohnehin war das Ausmaß dessen, was ihr Ehemann eben erzählte, weitaus weitgreifender. Epicharis lauschte mit aufmerksamer Miene und gab Aristides seinen Becher zurück. Es war nicht nur traurig und ärgerlich, wenn ein Sklave getötet wurde, fand sie. Es war schrecklich, denn jeder Mord war schrecklich. Doch sie beide schienen eine unterschliedliche Auffassung davon zu haben, und es war nicht das erste Mal, dass Epicharis das feststellte. Bei seinem Versprecher wurde sie ein wenig stutzig. Konnte es denn sein, dass Hannibal Gleichgeschlechtliche... Aber nein, das war einfach absurd, schalt sie sich eine Närrin. Doch schon Aristides' nächste Worte ließen sie wieder zweifeln, denn er sprach von einem Verehrer und nicht von einer Verehrerin, Nachdenklich und ernst sah sie drein und erwiderte so Aristides' Blick. "Glaubst du denn, dass er jetzt Dummheiten anstellt, wo du einen Streit mit ihm hattest und er denkt, dass er niemald frei sein wird?" fragte sie ihn nachdenklich. Was hätte Hannibal denn noch zu verlieren jetzt? "Du wärst die Verantwortung nicht los, wenn du ihn nach Baiae schickst, weißt du. Aber wenn du ihn frei ließest... Ich meine, wenn du ihm ohnehin nicht mehr vertrauen würdest, wäre es wirklich das Naheliegendste, oder?" Dann wäre er zwar Hannibals Patron, aber er würde nicht mehr dafür gerade stehen müssen, wenn er etwas anstellte. Epicharis bedauerte diesen Vorschlag im Grunde. Sie mochte Hannibal, zumindest hatte sie ihn bis eben gemocht. Niemals hätte sie angenommen, dass so ein wohlerzogener junger Mann ein solches Schlitzohr sein könnte! Betrübt blinzelte sie. "Vielleicht sollte ich einmal mit ihm reden?" schlug sie halbherzig vor.
Da spazierten vier Sklaven hinein. Der erste trug ein ovales Silbertablett, auf dem allerlei Buntes angerichtet war: Gemüse aller Art, eingelegt, angesäuert, gekocht, gedünstet und gewürzt. Der zweite trug zwei Schalen, aus denen es dampfte. In einer befand sich eine Art Kohl mit ein klein wenig magerem Speck, in der zweiten eine hellgrüne, sämige Suppe, auf der Kresse schwamm. Der dritte trug ein rundes Tablett, in dessen Mitte eine kunstvoll geschnitzte Melone in Form eines flügelschlagenden Flamingos thronte, und um ihn herum waren allerlei Obststücke in appetitlichen Häppchen drapiert. Der vierte und letzte Sklave trug neben der Verantwortung zwei Teller, auf denen sich jeweils ein kleines Stückchen gebratener Fisch befand. Alle zusammen stellten sie ihre Gaben ab, und dann begannen sie, die Teller mit verschiedenen Gemüsesorten zu füllen. Fleischplatte gab es keine. Auch Süßes wurde nicht dargereicht, sah man vom Obst einmal ab. "Überraschung!" freut sich Epicharis und lächelte herzlich. Sie langte nach vorn und nahm eines der kleinen Früchtebrotstücke an sich, um es dann Aristides zu reichen. "Hier, probier das mal. Findest du es? Ist das nicht ganz außergewöhnlich?" Erwartungsvoll hielt sie ihm das krümelte Stückchen unter die Nase.