Beiträge von Flavia Epicharis

    Aristides schien wenig begeistert zu sein. Vielleicht nahm er sie auch gar nicht ernst! Epicharis rümpfte die Nase und versuchte, ihr Missfallen zu überspielen. Wie gut, dass sie sich um die Pronuba gekümmert hatte und nicht er. Sonst wäre ihre Ehe wohl dem Untergang geweiht. Genaugenommen war es auch keine Laus gewesen, die ihr über die Leber gelaufen war, sondern Aristides' Sohn. Wobei der Vergleich mit der Laus da gar nicht so unpassend erschien, wie sie soeben feststellte...


    Nun ja, sie sollte nicht weiter über Serenus und den mangelnden Respekt ihr gegenüber nachdenken. Immerhin waren sie gerade auf einer Hochzeit, auf der soeben die Glückwünsche ausgerufen wurden. "Feliciter", murmelte Epicharis, der so gar nicht nach felicitern zumute war. "Hm? Ist denn überhaupt Familie anwesend?" fragte sie, nun selbst irritiert. Florus hatte sie gesehen, aber das schien der einzige Verwandte zu sein, oder täuschte sie sich da? Epicharis unterdrückte einen Seufzer und spielte weiterhin ihre Rolle. Sie war seit einigen Tagen schrecklich unleidlich und beinahe dauerhaft müde. Vielleicht wurde sie krank.

    Natürlich war da Skepsis in Bridhes Stimme. Epicharis wusste zwar nicht, wie sie zuvor als Sklavin behandelt worden sein musste, aber sie wäre an ihrer statt ganz sicher auch skeptisch gewesen. "Was hältst du davon, wenn wir das gleich morgen machen? Es fällt mir sicher auch viel leichter, wenn wir meinem Mann gleich einen ausreichend durchdachten Plan vorstellen können", schlug Epicharis vor. Nicht, dass sie glaubte, Aristides würde ihr die Finanzspritze für Bridhe verweigern, wenn sie ihm von der Idee erzählte - es war vielmehr der Tatendrang, der sie dazu veranlasst hatte, diesen Vorschlag zu machen. Warum auch warten, wenn man vielleicht schon etwas bewegen konnte? "Mit deinem Namen? Nichts. Aber ich finde, du brauchst etwas Aussagekräftiges. Etwas, das dich von den anderen abhebt, abgesehen von der Auswahl deiner Produkte und der Qualität natürlich." Das klang ganz so, als hätte Epicharis bereits eine Idee, doch genaugenommen war das nicht der Fall. Wirtschaftlich tätig zu sein, war auch für sie etwas Neues. Vermutlich war das auch einer der Grunde, aus dem sie mit Feuereifer dabei war. Diarmuid brabbelte leise.


    "Lass uns mal überlegen... Also, dein Früchtebrot hier solltest du in jedem Fall in dein Sortiment aufnehmen. Und was hältst du von gefülltem Fladenbrot? Ich habe das in Spanien mal gesehen, man macht einen dünnen Teigfladen und belegt den dann halb mit Gemüse, Fleisch, Fisch oder dergleichen. Dann klappt man ihn zusammen. In Tarraco gab es das an fast jeder Straßenecke, hier habe ich das noch nirgends gesehen. Da müsste man natürlich ein Rezept austüfteln... Und was den Namen angeht, müssen wir uns auch noch etwas überlegen." Epicharis lächelte Bridhe über Apfel, Kerze und Krümel hinweg an. "Oder wir nehmen einfach diesen Namen und denken uns noch einen bombastischen Werbespruch aus. Mit Bridhes Brot ist alles im Lot oder so ähnlich. Naja, vielleicht nicht so platt. Mit etwas mehr....Schmackes. Hmm......."

    Aristides strahlte eine Wärme aus, die allein schon ein Grund für Epicharis war, sich an ihn zu schmiegen. Doch sein Zögern war es, das sie irritierte. War sie ihm nicht hübsch genug? War sie zu forsch gewesen mit dem gehauchten Kuss? Epicharis' Herz pochte bis hinauf in ihre Kehle, so zumindest fühlte es sich an. Daran, dass er sich fragen könnte, ob sie Erfahrung hatte, dachte sie nicht. Wie auch? Ihrer Ansicht nach gehörte es sich schließlich so, dass eine Patrizierin jungfräulich in die erste Nacht ihrer ersten Ehe ging! Es konnte also nur ihr Aussehen sein. Hastig strich sie eine der obligatorisch missplatzierten Strähnen zur Seite und hinters Ohr - eine typisch unsichere Geste. Sie wollte ihre Hand dann wieder in die von Aristides legen, doch diese war nun auf dem Weg zu ihrer Wange, um sanft darüber zu streichen. Seine Lippen näherten sich, berührten nur flüchtig ihre Wange und glitten dann zu ihren Lippen hin. Epicharis schloss die Augen. Sie konnte die Leidenschaft fühlen, die Aristides immer stärker zum Ausdruck brachte in diesem Kuss, ihrem ersten als Mann und Frau. Epicharis sollte sich noch lange daran erinnern - doch auch die Hochzeitsnacht sollte ihr im Gedächtnis bleiben...


    Nach einer kleinen Ewigkeit - zumindest kam es ihr so vor - glitten die Lippen ihres Gemahls zu ihrer Halsbeuge hinab. Eine schnelle Gänsehaut überkam Epicharis, denn sie war kitzelig, und in dem Versuch, ein Kichern zu unterdrücken, gluckste sie seltsam. Ihr Hochzeitsgewand, die Tunica Recta, glitt ein wenig von ihrer Schulter, als Aristides seine Hand darüberwandern ließ. Unmittelbar darauf machte er sich an ihrem Gürtel zu schaffen. Es dauerte. Dauerte es immer so lang? Oder wollte er vielleicht die Zeit noch schinden, bis es ans Eingemachte ging? Vielleicht hatte er doch zu viel getrunken... Epicharis betrachtete Aristides' Gesicht eingehender. Waren da Anzeichen zu erkennen, dass es doch zu viel Wein gewesen war? Ob sie ihm helfen sollte? Nein, das war die Aufgabe des Ehemannes. Wenn er schon an dem Knoten scheiterte, würde gewiss auch alles andere scheitern...sie durfte ihm nicht dabei helfen! Epicharis versuchte, ganz ruhig zu sein. Antonias Worte gingen ihr wieder durch den Kopf. Je mehr Wein er getrunken hat, desto schneller geht es. Scheinbar. Habe ich gehört. Das bezog sich aber wohl nicht auf den Gürtel. Epicharis überlegte, ob sie vielleicht zeitgleich an Aristides' Kleidung herumnesteln sollte. So eine Toga war recht leicht auszuziehen, immerhin hatte sie weder Fibeln noch Spangen oder Knöpfe. Epicharis legte vorsichtig ihre Arme um Aristides' Hals. Dabei schubste sie wie zufällig das unbequeme Männerkleidungsstück von seiner Schulter herunter. Es schwang kurz nach rechts, dann nach links, und hing anschließend nur noch lästig im Weg herum. Epicharis zog die Lippen nach innen und grinste verschmitzt. Aristides hatte den Gürtel noch immer nicht aufbekommen.

    Epicharis jauchzte vergnügt, als das Äffchen zu kreischen begann, und versuchte, einen Finger in den Käfig zu stecken. Der Sklave gab dem Tier einen Leckerbissen, und Epicharis strahlte, als das kleine Tierlein ihn mit seinen süßen Vorderpfötchen hielt und daran knabberte. Celerina veranlasste die Öffnung des Käfigs, und schnurstracks schoss das Äffchen heraus. Sicher wäre es davongelaufen, wenn es kein Halsband angehabt hätte. Der Sklave legte das Tier an eine Leine. Begeistert verfolgte Epicharis daraufhin das kleine Kunststückchen und klatschte ausgelassen. "Wie intelligent er ist! Oder ist er eine Sie?" Nur kurz sah Epicharis zu Celerina hin, dann lag ihr Blick schon wieder auf dem Tier. Sie hob ihre Hand und beschrieb mit ihrem Zeigefinger ebenfalls einen Kreis. Das Äffchen drehte sich und blickte sie dann aufmerksam an, ganz so, als wartete es auf etwas. "Schau nur!" zirpte Epicharis Aristides entgegen und schnappte dem Sklaven dann die Leckerlis fort, um ihr neues Haustier selbst zu belohnen. Aristides' Frage nach dem Namen interessierte sie auch. Bereits jetzt begann sie, nach einem geeigneten Namen zu grübeln. "Kann er noch mehr Kunststücke?" Damit würde sie bei ihren Freundinnen ganz sicher auftrumphen können. Epicharis warf Gracchus und Antonia einen Blick zu. "Ist er nicht süß?"

    Äußerst mysteriös, wie sich dieser Sklave gab. Er benahm sich beinahe so, als sei er nicht ein Sklave, sondern vielmehr Celerinas Ehemann. Epicharis schob den Gedanken fort. Er würde sicher wissen, wo sein Platz war, sagte sie sich, nämlich ganz sicher nicht an der Seite Celerinas. "Du wärest nicht der erste, der versucht, hinterrücks einen Vorteil herauszuschlagen", erwiderte sie ihm in zurechtweisendem Tonfall. Dann ignorierte sie ihn wieder völlig und konzentrierte sich ganz auf Celerinas Worte und Mimik.


    Sie hob einen Mundwinkel, als Celerina sich erneut bedankte. Für sie war es selbstverständlich, dass sie nach dem Rechten sah, wenn etwas so Schreckliches stattgefunden hatte. Celerina wirkte zunächst verwirrt, dann entsetzt. In Epicharis machte sich eine dunkle Vorahnung breit. Sie schluckte - und versuchte sich lieber nicht vorzustellen, wie kalt die Hand war, die sich gerade um Celerinas Herz schließen musste. Sie versuchte, neutral an die Sache heranzugehen. "Bist du überfällig?" fragte sie ebenso nüchtern wie ernst. Es bestand immerhin noch die Möglichkeit, dass Celerina ohnehin erst in einigen Tagen wissen würde, was mit ihr los war.

    Niemals würde Epicharis vergessen, wie sehr Cassim sie enttäuscht hatte mit seinem Verhalten! Und soviel zum Thema Treue, dachte sie sich in Bezug auf Chimerion, der erst wenige Tage zu vor die ganze Wahrheit über Celerina und die Entführung erfahren hatte. Verächtlich schnaubte sie bei Cassims Worten. Sie glaubte ihm kein Wort mehr! Doch plötzlich trat Erstaunen in ihre Augen, als er Hannibal erwähnte. Nach dem, was sie von Aristides erfahren hatte, sah sie ihn zwar mit anderen Augen, aber wozu sollte er fliehen? Und wohin überhaupt? Er hatte doch niemanden außerhalb von Rom, oder etwa doch? Verständnislos blickte sie von Cassim zu Chimerion und dann zu Dido, die plötzlich auftauchte. Ihre Worte trafen sie härter. Bis zu diesem Augenblick war da immer noch ein Fünkchen Hoffnung gewesen, dass sich mit Serenus noch alles zum Guten wenden würde, wenn er nur erst einmal sich an sie gewöhnt hatte. Didos Worte allerdings erstickten den Funken unter einer schwarzen Masse, die Epicharis wie eine Mischung aus Verbitterung und tauber Wut, gewürzt mit einer Prise aufkeimender Gleichgültigkeit, erschien. Dass die Worte dazu angedacht waren, ihre Situation zu verbessern, fiel ihr nicht einmal auf. Zu enttäuscht war sie von Serenus, dessen Hass sie einfach nicht nachvollziehen konnte.


    Sie zappelte nicht mehr, als man sie halb aufhob und in den Stall schleifte. Befreien würde sie sich ohnehin nicht können. Bereits jetzt schmerzten ihre Schultern davon, dass man ihr die Hände auf den Rücken gebunden hatte, und das Seil scheuerte an ihren Handgelenken. Stroh raschelte, als noch jemand hinzu trat. Sie erkannte Hannibals Stimme. Und er fragte, was vor sich ging. "Mmmh!" machte Epicharis und wand sich so gut es ging. "Mhmbhmmmmnh" Er würde alles aufklären. Sie war sich sicher!


    Und dann verstummte sie, als sie Cassim hörte. Da bist du ja? Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie ihn an. Er gehörte doch dazu? Und sie würden sie mitnehmen? Erneut keimte Angst auf in ihrem Blick, aber da waren auch Ärger und Trotz. Sie wollten sie also als Geisel haben? Bittesehr, sie würden nicht einmal aus der Stadt kommen, an den Wachen am Tor vorbei, wenn sie sie mitnahmen! Verächtlich sah sie Hannibal an. Wie konnte er nur?

    Natürlich versuche ich zu fliehen! dachte sich Epicharis, die zugleich wütend wie panisch davonlief. Sie hatte doch sonst eine so gute Menschenkenntnis, warum hatte sie dann Cassim derart faösch eingeschätzt? Und sie hatte ihm sogar noch Hilfe angeboten! Schritte wurden hinter ihr laut, als die beiden hinter ihr her liefen. Epicharis verhedderte sich in ihrem Mantel und wäre wohl ohnehin gestürzt, auch ohne dass Cassim sie angesprungen und niedergedrückt hätte.


    Unsanft ging sie mit ihm zu Boden. Ihr wurde die Luft aus der Lunge gedrückt. Die Kieselsteine pieksten arg in ihre patrizische Haut. Epicharis japste nach Luft und wurde auf die Seite gedreht. "Was fällt dir..." spuckte sie Cassim entrüstet entgegen. Dann hatte sich seine große, nach Pferd und Gefieder riechende Hand über ihren Mund gelegt. Darüber starrte Epicharis ihn mit großen Augen an. Im nächsten Moment biss sie so herzhaft zu, wie sie konnte. Beinahe augenblicklich schmeckte sie Blut. Sie begann zu zappeln und um sich zu treten, und hin und wieder gelang es ihr, an der Hand vorbeizuschreien. ".....wagt ihr....mich los!....Wahnsinnig.....MAAAAARCUUUUUU-......Ihr werdet..." Epicharis sah bald ein, dass es keinen Sinn hatte, halb erstickte Rufe auszusenden. Also konzentrierte sie sich wieder auf Cassims Hand. Ihre Hände mochte Chimerion schnell fassen können, aber auch wenn Cassim auf ihr hockte, gebärdete sie sich doch wie toll, was die Beine anbelangte. Kies verteilte sich in weitem Kreis abseits des Weges, auf dem sie lag. Einmal verpasste sie irgendwem einen deftigen Tritt, doch im Dunkel konnte sie nicht sehen, wen sie getroffen hatte. Ein zweites Mal biss Epicharis so fest zu wie sie konnte, dann war die Hand plötzlich fort. "MAAAAAAAAAAANIUSSSSS!!!!" kreischte sie aus Leibeskräften. Sicher würde Gracchus doch nicht so viel trinken wir Aristides. Irgendwer musste sie doch hören! Sie spuckte Chimerion an. Sie hatte doch gewusst, dass mit dem was nicht stimmte! "HIIIILF-mmmh. Mmmmmh! Mh mh mhhhh!" Da hatte sie den Knebel im Mund. Angestrengt schnappte sog sie die Luft durch ihre Nase ein. Wäre Hass tödlich gewesen, würden die beiden Sklaven schon nicht mehr leben. Dann gesellte sich Angst hinzu. Epicharis dachte an Celerina. Würden sie ihr dasselbe antun wie ihr? Epicharis sah zu Cassim. Enttäuscht schüttelte sie den Kopf. Ihr Haar hatte sich gelöst, die silberne Spange lag unter ihm verborgen im Kies des Weges.

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    „Das wird schon seine Gründe haben...wer ist es denn?“


    Epicharis sah ihn irritiert an, schwieg jedoch, bis die beiden Eheleute ihren Schwur geleistet haben. Darauf folgte auch sogleich die rituelle Formel, die man sich doch eigentlich erst im Haus des Bräutigams erwiderte. Nun ja. Vielleicht wohnte ja auch Annaeus Varus hier in diesem Haus. Als die ersten Gäste zu klatschen begannen, beantwortete auch Epicharis Aristides' Frage, indem sie sich leicht zu ihm hinüber lehnte. "Es bringt Unglück, wenn die Pronuba nicht in erster Ehe verheiratet ist, Marcus", sagte sie. "Das ist Duccia Clara, sie arbeitet in der Bibliothek der Schola." Und wie viel Unglück mochte es dann bringen, wenn die Brautführerin noch gar nicht verheiratet war? Epicharis war nur froh, dass Antonia bei ihnen diese Rolle übernommen hatte. "Wollen wir nicht gehen und gratulieren?" fragte sie ihren Gemahl. Sie glaubte nicht daran, dass das Brautpaar die übrigen Riten nun ebenfalls vorziehen würde.

    Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was für Qualen Celerina durchgestanden haben mochte. Trotzdem stiegen Bilder in ihr auf, die sie lieber gleich zurückdrängte. Epicharis lehnte sich vor und nahm Celerina in den Arm. Waren die beiden Frauen eben noch beinahe Fremde füreinander gewesen, so schmiedete sie das gemeinsame Wissen um die schrecklichen Dinge nun doch zusammen. Epicharis strich Celerina tröstend über den Rücken. Derweil überlegte sie, was sie sagen sollte.


    "Das tut mir leid. Wirklich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es für dich sein muss..." sagte sie und löste sich danach wieder ein wenig von Celerina, um sie ansehen zu können. Celerina griff nach Epicharis' Hand, und Epicharis umfasste Celerinas zweite Hand. "Weißt du ob...?" Sie biss sich auf die Unterlippe. Eine prekäre Situation war das. "Hast du deine Blutung bekommen?" fragte sie schließlich gerade heraus. Danach schoss sie einen Blick zu Chimerion ab. "Und du wirst besser gleich wieder vergessen, was du hier hörst, oder wir schneiden dir deine Zunge heraus, hast du das verstanden?" sagte sie leise und möglichst drohend zu Chimerion, der ihrer Meinung nach die größte Gefahr für Celerinas weitere Zukunft darstellte. Dann sah sie die Flavia wieder eindringlich an.

    Da bist du ja endlich? Epicharis' Stirn legte sich misstrauisch in Falten. Das war Cassim, der da sprach, sie erkannte nicht nur seine Statur, sondern auch seine Stimme! Sie blieb stehen und studierte die sich ihr bietende Szene. Cassim wirkte entsetzt. Chimerion schwieg. Epicharis ebenfalls. Irgendwo rief ein Käuzchen.


    Schon klappte Epicharis' Mund auf, als Cassim sie anfuhr. Viel zu perplex, um noch ein Rede-und-Antwort-Stehen zu verlangen, klappte Epicharis den Mund zunächst wieder zu und blinzelte. "Ich, äh..." begann sie automatisch, bis ihr einfiel, dass sie diejenige sein sollte, die eine Erklärung verlangte. Sie straffte sich sichtlich und stemmte, um größer zu wirken, die Hände in die Hüften. "Was macht ihr da? Wieso sattelt ihr mitten in der Nacht die Pferde? Was geht hier vor sich?" verlangte Epicharis zu wissen, als ihr schon im nächsten Moment in Entrüstung den Mund erneut aufklappte. "Was?" entfuhr es ihr verblüfft. Ihre Stimme klang hoch im absoluten Unverstehen. Greif sie dir? Epicharis sah zu dem Puschel hin. "Was hat das zu bedeuten? Was soll das? Ihr könnt doch nicht einfach..." Entgeistert starrte Epicharis von Chimerion zu Cassim und wieder zurück. Der Thraker täte gut daran, diesen Befehl Cassims nicht auszuführen. Langsam dämmerte Epicharis, was hier vor sich ging. Sie war schließlich nicht auf den Kopf gefallen! Sie machte einen Schritt zurück, dann noch einen. Flugs wandte sie sich um und begann, zum Haus zurückzurennen.

    "Natürlich!" versicherte Epicharis Celerina. "Sobald du dich gut genug fühlst, ist Rom nicht mehr sicher vor uns. Wir könnten zuerst über die Märkte und dann in die Thermen gehen. Uns von den anstrengenden Einkäufen erholen", träumte Epicharis laut vor sich hin - immerhin standen bald die Winterschlussverkäufe an - und lächelte Celerina an, die allerdings aussah, als würde sie noch mindestens eine Woche lang nirgendwo hingehen.


    Erneut verzogen sich die flavischen Lippen mitfühlend, als Celerina von den Schmerzen in ihrem Herzen sprach. Ein wenig fröstelte Epicharis, als Celerina so unheilvoll von dem sprach, was ihr widerfahren war. Einen kurzen Augenblick war es still im Raum, dann sprach Celerina wieder. Epicharis sog die Luft ein. Ihre Nasenflügel bebten empört. Das nächste, was sie tat, war dem Sklaven einen erschrockenen Blick zuwerfen. Wieso nur hatte Celerina sich vor diesem Sklaven offenbart? Jeder wusste doch, dass solch eine Gutgläubigkeit schrecklich enden konnte! Was, wenn dieser Puschel es ihrem Verlobten erzählte? Entsetzt wandte Epicharis den Kopf wieder zu Celerina. Allein die Vorstellung dessen, was sie soeben erzählt hatte, trieb ihr eine Gänsehaut auf den Körper. "Du meinst, er... Er hat...?" hauchte sie. "Weiß er es?" war die umgehend folgende Frage, und beinahe ohne abzuwarten, fuhr Epicharis fort. "Du darfst es ihm nicht sagen, Celerina! Du weißt, dass er die Verlobung lösen könnte. Vielleicht hast du nie wieder so ein Glück mit einem Verlobten. Sag es ihm nicht!" Epicharis dachte auch an den Sklaven, der mit ihnen im Raum war. Was, wenn er diese Information nun als Druckmittel benutzte? Nein, Celerina war aber auch wirklich dumm gewesen, sich vor ihm zu offenbaren! Epicharis seufzte. Sie selbst würde natürlich niemals etwas sagen.

    Epicharis tauschte einen schmunzelnden Blick mit Antonia aus, als Tucca behauptete, sie hätten sich gerade erst gesetzt. Sie hatte fortan beinahe nur noch Augen für Minor, schnitt ihm Grimassen oder zog die Nase kraus. Epicharis liebte dieses Kind. Und sie hatte das Gefühl, dass der Kleine sie auch mochte. Vom Großteil der Unterhaltung bekam sie nun, da sie sich mehr mit Minor beschäftigte, nicht mehr allzu viel mit. Erst, als sie ihren Namen hörte und damit auch Tuccas Frage, wandte sie sich dem Gespräch wieder zu. "Mh? Oh, das kann natürlich sein, ja, aber ich denke, dass es eher an dem Namen liegt", erwiderte sie. Kaum jemand erinnerte sich schließlich auf der Straße daran, dass sie einmal eine Claudia gewesen war. Viele verbanden den flavischen Namen mit namhaften Kaisern - namhafteren als jene, die die Claudia hervorgebracht hatte. Tuccas Bemerkung bezüglich der Holzsoldaten empfand Epicharis als unnötig. Ein wenig zweifelnd betrachtete sie Tucca, der das glücklicherweise nicht sehen konnte. Dennoch entstand eine kurze, peinliche Pause, wie sie fand.


    Doch schon seine nächsten Worte lösten in ihr wieder das altbekannte Mitgefühl aus. "Das muss schrecklich gewesen sein", sagte sie und fragte sich zugleich, ob Tucca die Ärzte manchmal verfluchte, die ihm nicht hatten helfen können. Minor brabbelte wieder munter vor sich hin, was Epicharis ein wenig ablenkte. Er griff nach dem nachträglichen Geschenk, das sie für Serenus eingepackt hatte. Epicharis nahm es aus seiner Reichweite, was ein unterschwelliges Meckern zur Folge hatte. Die Flavierin erhob sich. "Ihr müsst mich jetzt entschuldigen, ich wollte Lucius noch sein Geschenk bringen. Es war schon peinlich genug, dass ich gar nichts für ihn hatte", entschuldigte sie sich. "Vale Tucca, es war schon, mal wieder mit dir zu sprechen. Auf bald", verabschiedete sie sich und nickte auch Antonia zu, ehe sie die beiden allein ließ.


    Wieder einmal hatte sie gemerkt, wie wenig sie noch mit ihrer alten Familie verband.

    Die Meinung ihres Ehemannes konnte Epicharis nicht teilen. Das mochte daran liegen, dass sie nicht fand, Vescularius sei der richtige PU. Hungaricus war ein weitaus angenehmerer Mann gewesen, wie sie fand, wohingegen sein Vorgänger, dieser Octavier, nicht allzu viel besser gewesen war als der amtierende Präfekt. Doch sie schwieg dazu, erkannte, dass es keinen Sinn hat, darüber weiterzureden mit Aristides - nicht etwa, weil sie die andersartige Meinung scheute oder sie nicht respektierte, sondern weil es keine Auswirkungen auf die Umstände haben würde.


    Ob seines Lachens runzelte sie fragend die Stirn. Aristides hielt den Artorier also für gefährlicher. Nachdenklich hörte sie sich die genannten Gründe an, konnte ihm aber nicht beipflichten. Hunde, die bellten, bissen schließlich nicht. Und soweit sie sich erinnerte, hatte der Caecilier niemals gebissen. Aber war da nicht eine Konfrontation wegen Aristides' Tochter gewesen? Epicharis glaubte, sich an entsprechende Informationen von Hannibal zu erinnern. Vielleicht war es auch Aristides selbst gewesen, der ihr davon erzählt hatte, das war aber im Grunde einerlei. Epicharis glaubte, dass Aristides zumindest einen der beiden Männer falsch einschätzte. Iulianus hatte große Stücke auf den Caecilier gehalten, das war mehr als einmal offensichtlich geworden. Der Artorier allerdings war ein unbeschriebens Blatt in der Politik Roms, was zweierlei für ihn bedeuten konnte, einerseits einen Vorteil, andererseits einen Nachteil. "Und du denkst, dass Artorius Avitus sich im politischen Gerangel behaupten kann?" gab sie zu bedenken. "Der Posten des Prätorianerpräfekts dürfte von weitaus politischerer Natur sein als der eine Lagerpräfekten uns Ausbilders. Ich missgönne ihm seinen Erfolg nicht, aber ich habe Zweifel, dass er unter Vescularius' Fuchtel stehen wird. Eher, als der Caecilier es tat. Hast du mal daran gedacht, dass Caecilius Crassus vielleicht wegen Diskrepanzen mit seinem Vorgesetzten darum gebeten hat, abdanken zu dürfen?"


    Der Sklave, der Aristides' Becher gefüllt hatte, bedachte danach auch Epicharis mit einem fragenden Blick, doch sie schüttelte stumm den Kopf, woraufhin der Sklave nur verkündete, das Essen sei auch bald soweit, ehe er wieder ging. Epicharis seufzte leise, als Aristides sich so vehement gegen einen Platz in einem der Kollegien sträubte und anschließend auch bei einem Senatssitz alles andere als willens aussah. Sie hatte sie schon fest vorgenommen, diesmal kein Pardon mehr zu dulden, aber der Blick, mit dem er sie bedachte, weichte das claudisch-flacische Herz dann doch schneller auf, als der Vorsatz umgesetzt worden war, sodass Epicharis zunächst erstmal schwieg und die wettergegerbte Gesichtshaut ihres Mannes musterte. Die Äußerung mit der Ritterfamilie war nun einmal ein vermeidbarer Patzer gewesen, aber solchelei Gespräche zu führen, waren etwas, das man lernen konnte. Epicharis hob einen Mundwinkel und die Brauen gleichzeitig an, beugte sich dann vor und küsste Aristides einige Sekunden lang liebevoll auf die Lippen, ehe sie sich wieder zurücklehnte. "So. Du meinst also, mir würde eine Senatorentoga besser stehen als dir, mh?" neckte sie ihn schmunzelnd. "Da bin ich aber anderer Meinung. Es haben schon weitaus ungeeignetere Männer einen Senatssitz ergattert. Schau dir doch mal diesen Germanicer an, den jüngeren, oder diesen dicken Cornelier, du weißt schon, den Vater von Lucius' Spielgefährten? Wenn solche Leute es schaffen, warum dann nicht auch du?" Aristides wurde mit einem schmeichlerischen Blinzeln bedacht. "Und ich denke, du weißt, dass sowohl Manius als auch ich jederzeit an deiner Seite wären, um dich zu unterstützen. Wenn der Aurelier wahrhaftig Celerina heiratet, bedeutet das im Umkehrschluss außerdem, dass du von vorn herein mehr Stimmen hättest. Und solche Gespräche zu führen, kann man lernen. Im Grunde ist es doch nichts weiter als Diplomatie. Ich glaube einfach nicht, dass du der Familie schaden würdest. Du würdest damit Lucius' den Einstieg erleichtern." Epicharis überlegte kurz. "Und deine Mutter stolz machen. Mich sowieso", fügte sie dann an und hob die Hand, um mit deren Rücken über Aristides' stoppelige Wange zu streichen.


    "Sie hat mich gebeten, ihr die Freiheit zu schenken", sagte Epicharis schließlich kurzbündig, nachdem sie einen kurzen Moment lang überlegt hatte, wie sie das geführte Gespräch am besten verpackte. "Ich habe natürlich gesagt, dass es dafür zu früh ist... Ich meine, ich müsste ja nun ohnehin erst mit dir darüber reden, das weiß ich, aber..." Es war Epicharis stets ein wenig unangenehm, wenn sie darauf zu sprechen kamen, dass Aristides nun über sie zu bestimmen hatte, und damit auch über ihren sämtlichen Besitz. Sie räusperte sich, stibitzte sich seinen Becher und nippte einen Schluck an dem süßgoldenen Wein. "Sie war natürlich nicht begeistert. Und jetzt redet sie kein Wort mehr mit mir. Ich bin mir aber sicher, dass das bald vorbeigeht", fügte sie hinzu, ehe Aristides vielleicht vorschlagen konnte, jemanden mit Fiona darüber reden zu lassen oder sie gar zu bestrafen. Die Eskalation ließ sie absichtlich außen vor, immerhin war sie selbst auch ein wenig von der Bahn geglitten. Und ohnehin war das Ausmaß dessen, was ihr Ehemann eben erzählte, weitaus weitgreifender. Epicharis lauschte mit aufmerksamer Miene und gab Aristides seinen Becher zurück. Es war nicht nur traurig und ärgerlich, wenn ein Sklave getötet wurde, fand sie. Es war schrecklich, denn jeder Mord war schrecklich. Doch sie beide schienen eine unterschliedliche Auffassung davon zu haben, und es war nicht das erste Mal, dass Epicharis das feststellte. Bei seinem Versprecher wurde sie ein wenig stutzig. Konnte es denn sein, dass Hannibal Gleichgeschlechtliche... Aber nein, das war einfach absurd, schalt sie sich eine Närrin. Doch schon Aristides' nächste Worte ließen sie wieder zweifeln, denn er sprach von einem Verehrer und nicht von einer Verehrerin, Nachdenklich und ernst sah sie drein und erwiderte so Aristides' Blick. "Glaubst du denn, dass er jetzt Dummheiten anstellt, wo du einen Streit mit ihm hattest und er denkt, dass er niemald frei sein wird?" fragte sie ihn nachdenklich. Was hätte Hannibal denn noch zu verlieren jetzt? "Du wärst die Verantwortung nicht los, wenn du ihn nach Baiae schickst, weißt du. Aber wenn du ihn frei ließest... Ich meine, wenn du ihm ohnehin nicht mehr vertrauen würdest, wäre es wirklich das Naheliegendste, oder?" Dann wäre er zwar Hannibals Patron, aber er würde nicht mehr dafür gerade stehen müssen, wenn er etwas anstellte. Epicharis bedauerte diesen Vorschlag im Grunde. Sie mochte Hannibal, zumindest hatte sie ihn bis eben gemocht. Niemals hätte sie angenommen, dass so ein wohlerzogener junger Mann ein solches Schlitzohr sein könnte! Betrübt blinzelte sie. "Vielleicht sollte ich einmal mit ihm reden?" schlug sie halbherzig vor.


    Da spazierten vier Sklaven hinein. Der erste trug ein ovales Silbertablett, auf dem allerlei Buntes angerichtet war: Gemüse aller Art, eingelegt, angesäuert, gekocht, gedünstet und gewürzt. Der zweite trug zwei Schalen, aus denen es dampfte. In einer befand sich eine Art Kohl mit ein klein wenig magerem Speck, in der zweiten eine hellgrüne, sämige Suppe, auf der Kresse schwamm. Der dritte trug ein rundes Tablett, in dessen Mitte eine kunstvoll geschnitzte Melone in Form eines flügelschlagenden Flamingos thronte, und um ihn herum waren allerlei Obststücke in appetitlichen Häppchen drapiert. Der vierte und letzte Sklave trug neben der Verantwortung zwei Teller, auf denen sich jeweils ein kleines Stückchen gebratener Fisch befand. Alle zusammen stellten sie ihre Gaben ab, und dann begannen sie, die Teller mit verschiedenen Gemüsesorten zu füllen. Fleischplatte gab es keine. Auch Süßes wurde nicht dargereicht, sah man vom Obst einmal ab. "Überraschung!" freut sich Epicharis und lächelte herzlich. Sie langte nach vorn und nahm eines der kleinen Früchtebrotstücke an sich, um es dann Aristides zu reichen. "Hier, probier das mal. Findest du es? Ist das nicht ganz außergewöhnlich?" Erwartungsvoll hielt sie ihm das krümelte Stückchen unter die Nase.

    Sie konnte nicht erahnen, was in ihm vorgehen mochte. Sie wusste nichts von der eingerissenen Feste, vom Tosen und Donnern der Felsen ins Meer seiner Seele. Epicharis erwiderte nur Gracchus' Blick, der so tiefgehend in ihren Augen nach der Wahrheit forschte und dort nichts anderes finden würde als ihre tiefste Überzeugung, dass es nicht sein Fehlen war, welches das Unheil so vieler herbeigeführt hatte. Lawine um Lawine schienen ihre Worte zu sprengen, und mit jedem Niedergang würde er freier atmen können. Epicharis hörte Verwunderung aus seinen Worten heraus, als er letztendlich sprach. Es gab nichts, das sie darauf hätte erwidern können. Kein Wort hätte das frische Fundament des neuen alten Manius Gracchus untermauern können. Das Lächeln, das Epicharis' Züge aber umspielte, beschien die neuen Grundmauern, aufdass er frohen Mutes beginnen konnte, seine Seelenfeste neu aufzubauen. Gracchus würde wissen, dass es keiner Frage und keines Zauderns bedurfte, sollte er je eine helfende Hand beim Wiederaufbaue seinerselbst benötigen. Epicharis schien es fast so, als gäbe es nun einen schillernden Regenbogen, der über allem stand und der eine Brücke schlug zwischen seinem Sein und ihrem eigenen Inneren. Sie wusste nicht, ob er genauso empfand, aber Epicharis schloss die Augen und genoss das sich ihr bietende Bild und die Gewissheit, ihrem Seelenverwandten begegnet zu sein.


    Erst sein unnötiger Dank tauchte in die friedfertige Oberfläche der Harmonie ein, ließ sie sich kräuseln und vertrieb damit in unzähligen kleinen Wellen das Bild. Epicharis blickte nun wieder Gracchus an, der eine Hand zum Mund geführt hatte und äußerst verschmitzt wirkte. Epicharis' Brauen neigten sich einander zu und untermalten den fragenden Ausdruck, der in ihren Blick getreten war. Und dann geschah etwas Außergewöhnliches. Einige Male hatte sie Gracchus lächeln, in Minors Gegenwart sogar strahlen sehen. Doch dies hier ließ ihre Augenbrauen sich in Überraschung nach oben wölben: Gracchus grinste. Beinahe wissenschaftlich fasziniert studierte Epicharis die Fältchen und Kräuseln der flavischen Gesichtshaut, bemerkte Lachfältchen um die Augen herum, die sie zuvor niemals wahrgenommen hatte - und stellte fest, dass ein solcher Ausdruck Gracchus geradezu stand. Epicharis' Lippen strebten auseinander, als sie fragen wollte, was es überhaupt zu verzeihen galt, doch da erklärte sich Gracchus bereits, und aus den zu sprechen bereiten Lippen wurde eine von Grund auf überraschte Lücke, die Epicharis erst nach einigen verdutzten Atemzügen wieder verschließen konnte. Dass Gracchus zu einer solchen Aussage sich hinreißen ließ, verblüffte sie beinahe noch mehr als sein breites, jungenhaftes Grinsen. Und doch... Epicharis sah hinunter auf die zerwühlten Laken des Bettes, wurde sich schlagartig der munkelhaften Dunkelheit um sie herum gewahr und spürte nun mit jeder Faser ihres Körpers Gracchus' Nähe. Wäre es hell gewesen, hätte Gracchus ihr Erröten unzweifehaft bemerkt. Ein kleines, leises Prusten entfuhr ihr. Dann begann sie zu kichern. "Tatsächlich?" fragte sie ihn und grinste nun ebenfalls verschmitzt. Sie war sich bewusst, dass diese Leichtigkeit nur kurz währen würde, denn Celerina war nach wie vor tot, und die Realität würde sie beide bald wieder einholen. Trotzdem konnte sie das erfrischende Gelächter nicht länger zurückhalten. "Es hätte mir eigentlich klar sein müssen, nachdem du mich so beherzt über die Schwelle getragen hast", erwiderte Epicharis und stubste den neben ihr sitzenden Gracchus mit ihrer Schulter an.

    Epicharis unterdrückte ein Schmunzeln - manchmal wirkte Aristides wie ein großer Teddybär in einem Haibecken. Aber gerade das mochte sie so an ihm. Auch, wenn sie sich nicht erköären konnte, warum ihm gerade so warm wurde, dass er rötlich anlief. Sie schnappte sich einen Becher von einem vorbeieilenden Sklaven und drückte ihn ihrem Mann kurhand wortlos in die Hand. Derweil sah sie sich weiter um. Sie selbst kannte bisher niemanden hier. "Achso?" wunderte sie sich dann, als Aristides sagte, dass er die Brautleute nicht kannte. Doch sie fragte nicht weiter nach. Eine lange Geschichte wäre auch zu viel gewesen, um sie jetzt zu hören, befand sie.


    Ein wenig sonderbar fand sie, dass auf dieser Hochzeit scheinbar das Essen im Vordergrund stand und den Gästen noch vor den Opferhandlungen angeboten wurde. Dennoch sah sie sich ob des sehr interessierten Blicks ihres Ehemanns dazu aufgefordert, ein leises, mahnendes "Marcus...." kundzutun. Immerhin versuchte sie gerade, ihn ein wenig abzuspecken, was selbstverständlich nicht ganz uneigennützig war. Auf seine Frage hin sah sie sich noch einmal genauer um. "Nein, persönlich nicht. Aber das dort dürfte Annaeus Florus sein, nicht wahr? Und...oh, warte, dort düben stehen Aurelia Prisca und Aurelius Ursus", sagte Epicharis und deutete mit einem Blick auf eben jenen Fleck.


    Plötzlich schien die Kulthandlung zu beginnen. Epicharis stellte mit einem beruhigten Seitenblick fest, dass Aristides sich in der kurzen Zeit nichts zu essen hatte nehmen können. Es wäre für sie eine mittelschwere Katastrophe gewesen, wenn ihr Gemahl dem Opfer mampfend beigewohnt hätte. Trotzdem gab es genug Gäste, die schneller als ihr Mann gewesen waren, und die nun kauend beobachteten, was sich vorn tat. Epicharis konnte nicht nachvollziehen, warum man so schlecht geplant hatte, schwieg aber taktvoll dazu. Sie wollte niemanden vor den Kopf stoßen. Und schließlich war das Opfer angenommen, auch wenn Aristides scheinbar nur Augen für die Braut hatte. "Hm? Oh. Ja", machte Epicharis auf seine gemurmelten Worte hin und nachdem sie die Braut einer eingehenden Musterung unterzogen hatte. "Ihre Pronuba ist nicht verheiratet", bemerkte Epicharis ein wenig konsterniert, aber so leise, dass nur Aristides die kritischen Worte vernehmen konnte.

    Kaum hatte der Bote offenbart, dass er aus Alexandrien kam, geschahen zwei Dinge: Epicharis dachte an Aelia und fragte sich, ob rotweiße Kleidung und Rauschebärte dort die Mode der Einheimischen waren. Ihre Lust, das Land einmal zu besichtigen, stieg rapide an. Doch zunächst galt es, die Geschenke zu bewundern - und es waren derer einige!


    Epicharis erhielt zunächst eine Tafel. Sie las sie rasch, viel schneller als Aristides, und ein breites Lächeln spiegelte sich auf ihren Lippen wider, als sie sie anschließend fort legte und sich die Gaben besah, die Aelia ihnen geschickt hatte. Neben regionaltypischen Dingen Ägyptens, wie den Glasdingen und den außergewöhnlichen Sandalen, befanden sich auch ein Buch und mehrere kleine Schachteln darunter. Epicharis lachte gut gelaunt, als Aristides sie nach dem Buch fragte, las den Titel und griff sich eine der kleinen Boxen, um sie zu öffnen. "Psychologie, würde ich meinen", erwiderte sie auf die Frage ihres Gemahls hin und löste die Schleife des Päckchens. "Das alles ist von Aelia und ihrem Mann. Du weißt doch, die Auctrix PPA und der Präfekt von Ägypten. Sie wünschen uns nachträglich alles Gute und laden und nach Alexandrien in den Palast ein, falls wie sie einmal besu......oh....oooh, schau mal!" Epicharis hatte den Ring befreit und streifte ihn sich über den Finger. Er saß wie angegossen. Fasziniert blickte sie darauf hinab. "Ist der nicht schick?"


    Schon wollte sie sich dem nächsten Päckchen widmen, da betrat Celerina in Begleitung eines Tragesklaven die Bildfläche. Epicharis ließ das Opiumpäckchen unverrichteter Dinge sinken und blickte Celerina entgegen, die eben verkündete, ebenfalls ein Geschenkzu haben. Augenblicklich besah sich Epicharis das verhüllte Etwas in den Händen des Sklaven, der es nun eben vor ihr und Aristides auf den Boden setzte. "Ach wie schön!" rief Epicharis aus. "Celerina, du hast leider das Theater verpasst, es war herrlich, wirklich! Du..." Da rappelte der Käfig und Epicharis sah ihn verdutzt an. Es hätte Celerinas Aufforderung gar nicht mehr bedurft - Epicharis wechselte einen irritierten Blick mit Aristides, streckte dann die Hand aus und zog an dem Tuch. Es gab einen Käfig samt Äffchen frei. Verblüfft besah sich Epicharis das Tierchen, das mit seinen Knopfaugen zurückstarrte und dann von einer der Seitenstangen auf den Boden des Käfigs sprang. "Nein, wie niedlich!" entfuhr es ihr.

    Sie hatte gewusst, dass ihr Mann gern trank und demnach auch einiges vertrug. Insofern hatte sie sich keine Illusionen darüber gemacht, dass er sie vielleicht noch besuchen würde. In seinem Zuständ hätte er ohne Hilfe wohl nicht einmal mehr sein eigenes Zimmer gefunden. Vermutlich würde sie ihn morgen früh im Triclinium begrüßen können, weil er dort eingeschlafen war. Und dass Gracchus so aus sich heraus gehen konnte - für seine Verhältnisse - das war Epicharis auch neu gewesen. Sie selbst hatte sich vor einer Weile dann allerdings zurückgezogen. Müde war sie aber noch nicht. So hatte sie noch eine Weile die hübschen Geschenke von allen bestaunt, bis sie sich überlegt hatte, vielleicht Cassim noch einmal aufzusuchen. Ihm war nicht wohl gewesen vorhin, und vielleicht ging es ihm nun ja schlechter, sodass sie einen Arzt holen mussten. Und wenn nicht, konnte sie ihn mit Fragen über den Falken aufheitern.


    Da es ein wenig kühl war - immerhin kümmerte sich derzeit kein Sklave darum, dass die Kohlebecken auch stets Nahrung hatten - legte sie sich einen wärmenden Umhang in dunklem Rot um. Nachdem sie die Fibel zugeclipst und ihr Äffchen noch einmal gefüttert hatte, verließ sie ihr Zimmer und suchte die Sklavenunterkünfte auf. Doch sie war leer, sah man von dem komatös schnarchenden Nordwin ab, der in seine Decke gewickelt augenscheinlich vom Bett gefallen war. Epicharis überlegte. Sah Cassim vielleicht nach dem Vogel? Wo sonst sollte er um diese Uhrzeit sein? Sie schloss also die Tür wieder, schmunzelte, als sie Aristides entfernt laut lachen hörte, und begab sich durch den Säulengang in den Garten.


    Irgendwo schnaubte ein Pferd, was Epicharis aber nicht als Ungewöhnlich einstufte. Sie machte ein paar Schritte in den Garten hinein und rügte sich dann selbst, dass sie keine Laterne mitgenommen hatte. Hier draußen war es noch kühler als drinnen, und so zog sie fröstelnd den Umhang näher um die Schultern. "Cassim?" fragte sie ins Dunkel der Rosenbüsche. Die Voliere musste dicht bei den Ställen stehen, so wie Cassim sie zuvor beschrieben hatte. Kies knirschte unter Epicharis' Schritten. Am Stall sah sie ein Pferd. Und eine Gestalt. Eben gesellte sich eine weitere hinzu. Spätestens jetzt hätte Epicharis auffallen müssen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Es fiel ihr auch auf. Aber sie ahnte nicht, welche Intention die Sklaven hatten, und so ging sie näher heran, die Stimme nun ein wenig lauter und deutlich verwundert. "Cassim? Bist du das?"

    Feuer und Wasser - die Gaben, mit denen sie Aristides zur Hausherrin machte. Viele mochten es nicht wissen, aber sie selbst würde damit tatsächlich die Hausherrin werden, da Aristides der älteste in Rom lebende Flavier war und nicht Gracchus. Doch Epicharis würde ganz sicher nicht Antonia diesen Posten streitig machen. Sie war eigentlich sogar froh darum, dass Antonia bislang die Rolle der Hausherrin ausgefüllt hatte, und Epicharis fand, dass sie das auch weiterhin tun sollte. Immerhin lebte sie viel länger bei den Flaviern, und Gracchus hatte ganz gewiss eine so unangefochtene Autorität auch nach außen hin, dass kaum jemand bemerken mochte, wenn sich die Formalia geändert haben würden. Aber Epicharis machte sich ohnehin kaum Gedanken darüber, denn das Bronzeschälchen mit dem Feuer war inzwischen doch ziemlich warm geworden, so dass sie nach kurzer Verweildauer und ihrem rituellen Schwur beide Schalen an Fiona abgab.


    Im flackernden Schein der Flammen war damit den Riten der Hochzeit beinahe Genüge getan. Epicharis hatte noch ihre Münzen zu opfern, was sie mit großer Hingabe und ehrlichen Worten auch tat. Die Götter des häuslichen Herdes erhielten die ihre, Marcus die seine und auch den Laren machte sie dieses symbolische Geschenk. Und damit war nun auch der vorletzte Teil vollzogen. Eines fehlte noch, damit sie vollends ein Ehepaar waren. Ein wenig bang dachte Epicharis an das Ehegemach, das Antonia für sie hergerichtet hatte und welches nun auf sie beide wartete. Es war nun an Antonia, sie, Epicharis, ein Stück des Weges dorthin zu begleiten, und Epicharis ließ sich von ihr führen, bis die feiernde Gästeschar außer Sichtweite war und Antonia sie an Aristides übergeben hatte. Einen letzten, dankenden Blick in dem Wissen ihres geführten Gesprächs warf sie ihrer Pronuba zu, dann wandte sich Epicharis Aristides zu und obließ ihm die Führung, die letzten Endes im Ehegemach enden würde.

    Je näher sie dem Zimmer kamen, das Antonia für sie hergerichtet hatte, desto angespannter wurde Epicharis und deste kühler wurde die Hand, die sie in jene von Aristides gebettet hatte. Sie hatte zwar ohnehin nicht viel essen können, obwohl die Speisen allesamt köstlich ausgesehen hatten, aber nun war ihr fast schlecht, so sehr breitete sich die Aufregung in ihr aus. Sie wünschte sich nun, sie hätte doch ein wenig mehr als nur ein paar Schlucke stark verdünnten Wein getrunken. Dann würde sie auch nicht so frieren...


    Epicharis wartete, bis Aristides sie zum Ehegemach geführt hatte. Dann ließ sie ihn die Tür öffnen und betrat mit ihm das Zimmer. Flinke Sklavenhände hatten bereits unzählige Ölllampen entzündet, die den Raum in goldfarbene Harmonie tauchten. Epicharis bemerkte hier und dort ein Amulett. Langsam drehend reflektierten sie dann und wann einen Lichtreflex. Die Frischgebackene ließ Aristides - ihren Ehemann - los. Ein zaghaftes Lächeln suchte über die aufwallende Schüchternheit hinwegzutäuschen. Nie war sie eine Frau gewesen, die fordernd oder bestimmend gewesen war. Manch einer mochte sie sogar als epiphane Lichtgestalt beschreiben, doch dies war sie ebenso wenig wie eine Walküre. Epicharis versuchte, den Frosch in ihrem Hals zu dem Kloß in ihrem Magen hinunterzubefördern, doch es gelang nicht. Stattdessen glitt ihr Blick über die Blumenvielfalt im Raum und auf das Mosaik im Boden. Sie musste sofort an das Gespräch mit Antonia zurückdenken. Ob das Kunstwerk den Boden hier immer schon geziert hatte?


    Gelegentlich drang ein fernes Lachen von der noch feiernden Gästeschar zu ihnen hinein. Epicharis fühlte sich wie in einem Wachtraum. Sie stand nun vor Aristides, und weil sie nicht wusste, wohin mit ihren Händen, legte sie beide in die seinen hinein. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie konnte gerade noch einen nervösen Blick zu dem breiten Bett hin vermeiden und lächelte wieder ein klein wenig. Epicharis fand, dass Aristides im Gegensatz zu ihr doch recht warme Hände hatte. Ob es unpassend war, wenn sie ihn küsste? Epicharis biss sich flüchtig auf die Unterlippe und kniff kurz die Augen zusammen. Dann erhob sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihrem Ehemann einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, nur um sich sogleich augenblicklich wieder scheu zurückzuziehen.

    Celerina schickte ihren Sklaven nicht fort, kümmerte sich aber auch nicht weiter um ihn, sodass Epicharis einfach versuchte, ihn ebenfalls gar nicht zu beachten. Sie lächelte nur wissend, als Celerina auf das Gebäckstückchen hinunter sah und behauptete, sie sei so lieb. Mit Speck fing man Mäuse und Zucker heiterte auf - machnmal zumindest. So musste man stets das rechte Mittel wählen, um das zu erreichen, was man wollte. Allerdings hatte zu viel Speck bisweilen arge Nebenwirkungen, wie Epicharis sich im Bezug auf Aristides dachte.


    "Oh, ja. Doch", sagte sie. Sogar bis in Gracchus' Bett hatte sie es binnen weniger Wochen geschafft, überlegte sie, und verhinderte gerade noch ein albernes und vollkommen unangebrachtes Kichern. Dabei half ihr Celerinas von Blessuren übersähtes Gesicht recht zuverlässig, und schnell entstand ein mitfühlender, sich-die-Augenbrauen-zusammenziehen-lassender Ausdruck auf ihrem Gesicht. "Es wäre nurschöner gewesen, wenn wir uns schon ein wenig besser hätten kennenlernen können... Aber umso mehr freut es mich, dass du wieder da bist", fuhr sie freundlich fort und suchte sich nicht weiter an den Flecken und Malen Celerinas zu stören. "Tut es denn sehr weh?" erkundigte sie sich vorsichtig. Immerhin wollte Epicharis nicht mit der Tür ins Haus fallen und Celerina fragen, was die Piraten ihr angetan hatten, dass sich ihre Haut so verfärbt hatte und schorfig war. Von den Dingen, die sie nicht sehen konnte, einmal ganz abgesehen. Eine angewärmte Hand legte sich auf Celerinas Unterarm. "Ich hoffe, dass es dir sehr bald wieder besser geht. Das hoffen wir alle."