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Hannibal
Ohne sie mit einem Wort zu unterbrechen hatte Hannibal der neuen Sklavin der Villa Flavia gelauscht, hatte beobachtet, wie ihre Lippen die vielen Worte formten, die einem jungen Mädchen eher selten entschlüpften. Ehrliches Interesse breitete sich in Hannibal aus, stieg aus den Untiefen seines Geistes hervor, den er hervorragend in den letzten Monaten mit Wein und anderen berauschenden Mittel gedämpft, unterdrückt und bezwungen hatte, damit nicht all jenen Gedanken hervor kamen, die in den schmerzenden Wunden herum wühlten, analysierten, spekulierten, welche Zukunft hätte sein können, seine Fehler vor Augen führte und ihn einfach selber quälten. Aus diesen Tiefen, die seinen Intellekt und seine Ratio beherbergte, trat die Neugier zu Tage. Neugier, was die junge Frau vor ihm, noch alles offenbaren würde. Denn immer mehr schien aus der Schatzkiste namens Asny an das Licht der Welt zu kommen, weitere Fassetten einer interessanten und viel geschichteten Persönlichkeit. Eine wache und kluge junge Frau hatte er vor sich. Eine, die bedacht ihre Worte wählte und die Antworten des Gegenüber mit geistiger Schärfe durch leuchtete und auf Lücken in der Argumentation hinwies. Das gefiel Hannibal, denn wenige Sklaven in der Villa waren in der Lage eine interessante Disputatio zu führen. Jung an Jahren war Asny, aber inspirierender als so manch ein Sklave, der schon viele Jahrzehnte sein Leben gefristet hatte und wenig seinen Geist durch seine monotone Arbeit geschult hatte. Aber nur wenigen Sklaven war es vergönnt, anspruchsvollere Aufgaben vollführen zu müssen. Hannibal war ebenso privilegiert und da er bei Asny einen klugen Geist im Laufe der Unterhaltung erkannte, würde er schon dafür sorgen, dass sie nicht in der Küche oder als Waschmagd enden würde. Sofern er noch den Einfluss auf seinen Herrn hatte wie in früheren Zeiten, ganz so sicher war sich Hannibal diesbezüglich nicht mehr. Nicht nach all dem, was in den letzten Monaten passiert war. Womöglich war Hannibal nicht mehr so wertvoll in seinen Diensten wie früher. Ein düsterer Schatten glitt in jenem Augenblick über die Gesichtszüge des älteren Sklaven.
Nicht lange umwölkte Hannibals Miene die skeptische Aura über seinen eigenen Wert für den Flavier. Seine Mundwinkel zuckten. So, einen Händler kannte sie also, der ihr noch einen Gefallen schuldig war? Ein durchaus vorhandenes Potential konnte Hannibal in der Sklavin erkennen, was so manch einer der flavischen Sklaven nutzten oder genutzt hatten. Sica zum Beispiel, Sciurus auch, selbst Hannibal frönte solcherlei, was ihren Herrn hin und wieder zu großem Nutzen gereichte. Wobei Hannibal sich noch nicht im Klaren war, welche Rolle Sciurus in manchen Kreisen spielte. Sica war leichter zu durchschauen gewesen, Sciurus entglitt immer wieder Hannibals Gedankennetz, was er um den anderen Sklaven schlingen wollte. Sciurus zerriss dieses Gespinnst genauso, wie es Asny mit dem der kleinen Spinne tat. Durchdringend musterte Hannibal die junge Asny bei der Erwähnung des Händlers, ließ es jedoch dabei auch bewenden. Was sie aus dem Opfer machen würde, ob es ihr in der Tat gelang, das Opfertier zu besorgen, würde sich noch zeigen. Und Hannibal würde lediglich beobachten und erneut ein wenig über die junge Frau vor sich lernen.
So nahe vor sich, konnte Hannibal noch sehr viel intensiver die hellen Augen von Asny mustern, die feine Aderung, die das blasse Blau durchzog, wie es jede Iris eines Menschen zu eigen war, der Glanz des Lichtes auf der klaren Oberfläche, der mit dem Schwarz ihrer Pupillen verschmolz und die Tore zu ihrer Seele aufzufressen drohte, je nachdem, wie sich Asny bewegte und das Licht auf ihre Augen fiel. Hannibal merkte durchaus, dass eben jene Augen ihn gleichsam durchdringend fixierten und keinen Moment der Aufmerksamkeit entließen. Interessant!, dachte sich Hannibal. So nahe an Hannibals Gesicht war das Zucken um seine Mundwinkel unstreitig nicht zu übersehen. Diese Worte aus dem Munde einer jungen Frau erheiterten Hannibal jedes Mal aufs Neue. Womöglich, weil er diese eher von einem älteren Satyriker erwarten würde, aber gewiss nicht von einem Mädchen, die erst fünfzehn Jahre erlebt hatte. Es gefiel Hannibal erneut, der Kauf von der jungen Sklavin stellte sich immer mehr als großer Gewinn heraus und jeder Sesterces, den sein Herr in sie investiert hatte, durch Hannibals Entschluss, schließlich wusste Aristides noch nichts von seinem Glück, war gut angelegt. In ihrer unbestechlichen Logik, ihrem scharfen Verstand und den klaren Schlussfolgerungen hatte Asny nicht nur Recht, sie hatte Hannibals Worte in der Absurdität und der inneren Diskrepanz entlarvt. Hannibal, dessen Gedanken durch die vielen durchlebten Nächte und sein flatterhaften Lebenswandel getrübt waren, nannte sich selber einen Narren. Schon von Anfang an hätte er erkennen müssen, dass man Asny nicht mit banalen und derart stümperhaften Aussagen abspeisen konnte. Mit seinem Kopf deutete er schon während ihrer Rede an, dass er den berechtigten Einwand einsah und akzeptierte.
„Wohl denn, die Repugnanz meiner beiden Aussagen hast Du gut enttarnt und damit den Nonsens aller unsinnig daher gesprochenen Worte meinerseits offenbart. Bitte entschuldige, Asny, ich sehe durchaus, dass Du sehr bedacht bist und Dich und Deinen Corpus alleine den Anforderungen als Sklavin des Marcus Aristides zur Verfügung stellen wirst. Somit verkörperst Du sicherlich eine aufmerksame, loyale und folgsame Sklaven. Dann will ich meinen Atem nicht damit verschwenden, Dir Ratschläge zu geben, Dir, die Du doch durchaus reflektiert genug ist, Konsequenzen und Folgen des eigenen Handelns zu bedenken.“ Hannibal sah, dass sie, was einfach nicht zu leugnen war, durchaus klug genug war, um das Wesentliche zu erkennen. Und dass Sklaven durch Romanzen nicht nur abgelenkt waren, sondern gar ihrer Arbeit unfähig und den Herrn in arge Not sogar bringen konnten, dafür war Hannibal der schlagende Beweis. Immer und immer wieder. Aber, vergessen wir nicht, Hannibal hatte doch der Liebe abgeschworen. Nie wieder, so seine Selbstlüge, würde er sein Herz hin weg schenken, um nur erneut enttäuscht zu werden, was manchmal blutig, manchmal einfach nur schmerzlich endete. Hannibal lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Temporär unterbrach Hannibal den Blickkontakt, ganz als ob er sich nicht wohl fühlte. In der Tat hatte Hannibal das Gefühl, dass Asny in ihm las, wie in einer Schriftrolle. Als ob sie ihm bis auf den Grunde seiner trüben Seele sehen konnte, als ob sie in einen moosgrünen Teich sah, der voller Schlamm und Algen war.
Die braunen Augen des Sklaven schweiften durch die Sklavenunterkunft. „Natürlich steht es an Dir, auf Dich so zu achten, dass Du weiterhin für Deinen Herrn von Wert bist. Aber in dieser Hinsicht und in Anbetracht Deiner schlagenden Argumentation hege ich keine Sorge, was diese Angelegenheit betrifft. Ansonsten, Asny, zweifele ich ebenso wenig daran, dass Du Deine eigenen Erfahrungen machen wirst. Weder Worte, noch Schriften werden Dich darauf vorbereiten und jede Lebenserfahrung ist nicht mit der von Älteren zu vergleichen.“ Hannibal lächelte dünn. Natürlich war das eine phrasenhafte Verallgemeinerung und Hannibal wusste, dass Asny ihn auch in dieser Hinsicht durchschauen würde, zumindest vermutete er das. So manch eine Situation ähnelte der Anderen und andere Erfahrungen konnte man vergleichen mit dem, was man selber erlebte. Um nicht weiter Oberpaedagogushaft zu wirken, suchte Hannibal danach, die Schritte vom Pfad der Liebe und der körperlichen Leidenschaften in eine andere Richtung zu lenken und einen Weg zu suchen, der weniger von Gradwanderungen und tiefen Schluchten durchzogen war. „Ich werde in den nächsten Wochen Dich beobachten und Deine Arbeit beurteilen. Am Morgen, nach dem Frühstück der Sklaven, und bis zum Mittag wirst Du mit den anderen Sklaven im Haushalt arbeiten. Sicherlich sind die Flavier reich genug, um sich auch Sklaven alleine für Sonderaufgaben zu leisten, selbst wenn es nur in dem Einschenken des Weines bei der Cena besteht, aber ein Mensch muss arbeiten, ansonsten verlernt er es wieder!“ Meinte Hannibal nicht ein höhnisches Lachen in sich zu vernehmen? Wann hatte er zuletzt mal anständig gearbeitet? Lange war es her, aber die Zeiten würden sich auch wieder ändern, wenn sein Herr zurück kam und er würde es auch nicht schätzen, wenn Hannibal die anderen Sklaven zur Faulheit anregte. Oder sein Herr würde es gar nicht merken, die Wahrscheinlichkeit dafür war wesentlich größer.
Aus den Augenwinkeln bemerkte, dass Dido gelangweilt Löcher in die Luft starrte und anfing leise vor sich hin zu summen, aber im Moment war das Hannibal mehr oder minder egal. Diese Angelegenheiten mussten erörtert werden und Kinder waren sowieso von Natur aus ungeduldig. „Den Nachmittag kannst Du anschließend für Deine Übungen und Deine Weiterbildung nutzen.“ Selbst den Sklaven stand, wie sonst auch im Imperium ein geregelter Arbeitstag zu. Natürlich waren die Horae im Sommer wesentlich länger und im Winter sehr viel kürzer, aber dennoch hatte auch der Arbeitstag eines Servus irgendwann sein Ende. So fügte Hannibal noch an: „Der Abend steht Dir dann zur Verfügung, wie Du ihn nutzen möchtest. Das kann sich natürlich noch etwas ändern, wenn Dein Herr zurück kommt. Womöglich bedarf er Dich dann mehr am Abend als am Morgen, aber einige Stunden am Tage werden auch Dir gehören. Und wenn Du Dich in den nächsten Wochen folgsam und tatsächlich so ergeben zeigst, dann wirst Du auch gerne die Villa verlassen dürfen für einige Stunden. Wobei Du das lieber in Gesellschaft von anderen Sklaven der Villa tun solltest.“ Schließlich waren die Straßen von Rom nicht ungefährlich in den späten Abendstunden. „Manchmal wirst Du auch so hinaus kommen, schließlich führen die Aufträge der Sklaven auch öfters mal außer Haus.“ Ermahnungen, nicht zu fliehen, die glaubte Hannibal nicht machen zu müssen. Die Strafen der Flavier, von Manchen zumindest, waren in dieser Hinsicht drakonisch und in dieser Materie war selbst Aristides nicht kompromissbereit, so gut kannte Hannibal ihn. Aber wenn Asny bereits Fluchtpläne schmiedete, so verbarg sie solche Intentionen zu gut. „Hast Du noch Fragen, Asny?“