Tripp, trapp. Schritt für Schritt, in den Wirrgarten hinein, verschlungen, undurchsichtig in seinen Irrwegen; Schlangen, die sich durch den Leib Roma, der Ewigen, hindurch wälzten, träge Wassermassen, schmutzige Kadaver trieben vorbei, Ratten, Ratten und noch mehr von den Nagetieren. Eindringlich prägte sich die Umgebung in des Mädchens Geist hinein. Der Stank des widerwärtigen Gemisches konnte nicht von einem Fluss stammen, der die elysischen Gefilde umrahmte, es war der Begleiter in eine düstere Welt, die sich wundersam jedoch vor der jungen Sklavin auftat, mit funkelnden Sternenlichter im Bauche der Erde, mit grotesk komödiantischen Figuren, die Plautus oder Menander nicht besser hätte entwerfen können. Angewidert wollte sich Dido der Hand des Mannes entwinden, Sciurus kam ihr jedoch zuvor und Stolz keimte in Dido auf. Sie, die doch mehr unbedeutende Dido aus der barkasischen Sklavenlinie, stand unter dem Schutze von Sciurus höchst persönlich. Rumps, die Tür schloß sich hinter ihnen, nun waren sie wahrhaftig im Tartaros und Dido hoffte, dass sie auch wieder heraus gelassen wurden. Blaugrüne Augen ergründen fasziniert ihre possierlich verkehrte und schöne Umgebung, wichen jedoch nicht von der schützenden Gestalt des flavischen Sklaven weg.
Würfel rollten, sie sausten über einen fettig beschmierten Tisch, der gut Freund mit billigem Weinfusel war, durch eine Lache kullerte der Knochen, ruhte auf einer Kante und fiel auf den Rücken. Ein grober Fisch starrte dem besagten Einäugigen entgegen, dessen Name lange Vergangenheit war, von allen nur noch Fundus genannt. Ein pockennarbiger Mann mit karottenfarbenen Gestrüpp auf dem Kopf lachte laut auf, einer Ziege nicht unähnlich, und klatschte sich in die Hände. „Magnifica! Fisch und Auge, genau was Dir fehlt, Fundus! Gnhihi!“ Fundus verzog nicht das Gesicht bei dem keifenden Gelächter, sondern griff mit seinen fleckigen Händen nach den Würfeln, seinen Würfeln, von denen man behauptete, sie waren aus dem Knochen des ersten Mannes geschnitzt, der ihn beim Spiel betrügen wollte. Die Würfel rollten! Fasziniert blieb Dido unter den bunten Glasscherben stehen, wollte sich recken, um nach einer zu greifen, doch eine dicke Frau stieß sie zur Seite. „Aus dem Weg, Kleene. He, Goldlöckchen...“, warf sie Sciurus zu. „Der Traum meiner schlaflosen Nächte bisde. Willsde nich' endlich meene Gebeete erhör'n?“ Grinsend zwinkerte die dicke Ansera dem flavischen Sklaven zu, wog verführerisch ihre prallen Hüften und wackelte weiter bis zum nächsten Platz der erlauchten Runde, wo sie zwei tönerne Humpen mit Cervisia vor einen Mann stellte, der seine Hand auf ihren Hintern klatschte als sie sich umdrehte. „Du solltest Deenen Mund zumachen, Kindchen. Sonst verschluckste noch 'ne Fleddermus!“, raunte die dicke Ansera Dido zu als sie an ihr vorbei watschelte. Mit einer Hand drückte sie das Mädchen auf einen Stuhl herunter, mit der Anderen schob sie ihr eine Essensplatte herüber. Das, was Ansera in dem Augenblick Sciurus zuflüsterte, ernst und gar nicht mehr mit Schalk, verstand Dido nicht, obwohl sie aufmerksam nach oben starrte und die Handbewegungen der Dicken betrachtete, doch die Worte schienen noch nicht mal Latein zu sein, zumindest konnte Dido nichts davon enträtseln.
„Ein Kind?“ Ein Lachen neben Dido ließ das junge Mädchen herum fahren, ein Mann mit einer Glatze, dafür umso mehr Narben als Haare, beugte sich vor, seine braunen Augen glitzerten amüsiert, aus seinem Mund drang der intensive Gestank nach ordinärem Fusel als er sich bis direkt neben Dido beugte. „Ha, der kühle Eisklotz zeigt also doch noch menschliche Seiten. Ein Kind! Ho! Ha!“ Das Leder seines Brustpanzers, verdreckt, speckig und an vielen Stellen lädiert, knarrte als sich Milvus zurück lehnte und nach einer Frau griff, sie an ihren schmächtigen Hüften an sich und auf seinen Schoß. „Hoi, Sciurus, hätte ich gewusst, dass Dich Kinder mehr anregen, hätte ich für Dich schon längst ein flottes Mädchen mitgebracht. Statt die hier! Frisch aus Aquitania!“ Glasig starrten die Augen der jungen, brünetten Frau auf den fleckigen Boden vor ihr, die groben Berührungen an ihrem malträtierten Körper schien sie nicht mehr zu bemerken. Blaue Flecken zierte ihre Wange und ein Platzwunde an ihrer Lippe, Milvus verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen und lehnte sich gemütlich zurück auf seinen Stuhl. „Sciurus und ein Mädchen...ha, vortrefflich...der schweigsame Sciurus hat doch...“ Eine heisere Stimme unterbrach ihn. „Halt's Maul, Milvus! Keiner will Dein Geschwätz heute ertragen oder soll ich Dir noch einen Finger abschneiden?“ Hastig zog Milvus seine Hand von der Tischplatte und verstummte in seinem großmäuligen Palaver. Beeindruckt sah Dido zu dem Urheber jener Stimme, konnte jedoch nur den Schatten von einem Gesicht unter einer Kapuze aus schwarzem Wollstoff erkennen, eine Nasenspitze, die aus der Dunkelheit hervor ragte. Ein Bluthund lag zu dessen Füßen, das Tier hob den Kopf, zog seine Lefzen zurück und knurrte leise, aber eindringlich, nur die Hand seines Besitzers an dem stachligen Halsband ließ das Tier auf dem Boden verharren. Dido schluckte und versuchte sich etwas kleiner zu machen als sie war, aus den Augenwinkeln beobachtete sie Sciurus und bewunderte ihn noch sehr viel mehr, da er sich mit einer verblüffenden Leichtigkeit zwischen all diesen Menschen bewegte und nicht nur respektiert wurde, von scheinbar manchen sogar gefürchtet. Oder bildete sich die kleine Dido das nur ein?
„Drei...“ Ein Husten unterbrach den Mann, der Didos Aufmerksamkeit in all dem Treiben errang, wahrscheinlich weil der blasse und ernst drein schauende Römer keine Ausgeburt der Hässlichkeit war, aber dafür mit einem schlimmen Husten geplagt, den er in ein blutbeflecktes Tuch hinein hauchte, und so gar nicht in die Umgebung zu passen schien. Sogar eine Toga, wenn auch alt und verschlissen, trug der Mann. Er schien mehr ein Gelehrter oder erfolgloser Politiker zu sein. Ein grobschlächtiger Kerl mit bloßer Brust, die von zahlreichen Narben bedeckt wurde, mampfte neben ihm vom Festtagsschmaus. „Dreihundert für einen Abend?“, brachte der Togaträger hervor. Der Zweite nickte und entblößte eine Reihe von schiefen, gelblichen Zähnen. „Jo!“, grunzte er. Der Togaträger seufzte resigniert und hustete in sein Tuch. „Da sage mal einer, der Stylus ist schärfer als das Gladius.“ Didos Augen wanderten weiter, betrachteten all die kleinen Wunder an Menschenpracht bei der etwas anderen Saturnalienfeier, sie kam immer noch nicht aus dem Staunen heraus. Erneut war es Ansera, die Sciurus etwas zu flüsterte, gebannt verfolgte Dido das Spiel ihrer Hände und war sich nun sicher, auch das musste etwas bedeuten, oder liebte es Ansera einfach nur, derartig verschlungene Zeichnungen mit ihren kurzen und dicken Fingern in die Luft zu malen, die sich doch erstaunlich flink und elegant bewegten, kein bisschen Behäbigkeit offenbarten? Ein Mysterium, darum wunderte Dido sich nicht, dass es bereits weiter ging, große Schritte der Erwachsenen, die Dido mit Drei ihrer Kinderbeine antworten musste. Ein Torgewölbe unterschritten sie aus großen Quadern geformt, sonst verschlossen mit dicken Türen, auf denen schwarze Fratzen gemalt waren, in Gestalten von Gorgonen, deren Haare sich in Schlangenformen am Holz entlang wandten und dessen Schuppen durch die Maserung des Holz gebildet wurden; schummrig leuchteten zwei Fackeln im angrenzenden Raum.
„Mh, hm.
Strahlend waren ihre Wangen, leuchtend rot.
Weiß ihre Haut, glänzend ihre blauen Augen'lein.
Schön ihr Antlitz, wallend das Haupte fein.
Weich ihr Fleisch, doch ihr Leib war tot.
Mh, hm!“
Irritiert sah sich Dido um und erkannte eine Kreatur, die mit ihrem Fuß an die Wand gekettet war, ein brauner Leinenfetzen bekleidete sie und sie war nicht größer als Dido, ihr Haupt dafür grotesk groß, größer als das eines Kindes, ihr Körper eindeutig mit den Rundungen einer Erwachsenen. Mit einer Hand drehte sie an ihren fettigen Haaren und starrte Dido mit einem breiten und zahnlückigen Grinsen an. „Sei still, Forma!“ Eine sanfte Stimme durchdrang den Raum, fehl geleitet in die grobe Welt des römischen Tartaros. Die Kreatur verstummte in ihrem disharmonischen Summen, gaffte unverwandt Dido an, die sich schnell hinter Sciurus stellte und den Blick von der Frau nicht abwenden konnte, deren Gesicht grobschlächtig war und nur deren Augen eine Schönheit offenbarte, die der Name andeutete. Aber irr war das Flackern in ihren rehbraunen Augen.
Schwärze verbarg ihn, vermochte nicht zu deuten, ob es seine Stimme war oder die eines Anderen. Aus dem Schatten löste sich eine Frau mit hüftlangen, schwarzen Haaren, einem vollschlanken Leib, der sich wie ein Halm in der lichten Sommerwiese bewegte. Ihre bloßen Füße traten über dreckigen Boden hinweg, ihre Finger strichen über Sciurus Schulter. „Das ist also Sciurrrhus!“, schnurrte die Dunkelhaarige mit einem ausgeprägt orientalischen Akzent. „Sciurus?“, ertönte die Stimme, die Weiche, die so hart wie Stahl sein konnte. Goldbraune Augen betrachteten Sciurus, wanderten zu Dido und die Frau trat an den Rücken von Sciurus, zwischen ihn und Dido.