Beiträge von Diagoras von Melos

    In der Tat, Doros, ich habe die letzte Zeit in Athen an der platonischen Akademie den schwerkranken Historiographen Xenophon von Anabasis vertreten und habe noch den Lehrstuhl inne, obwohl ich hierher gesandt wurde. Ich habe ein Zimmer hier im Gästetrakt bekommen, wenn Du Zeit hast, können wir uns gerne einmal in Ruhe zusammensetzen. Warst Du nicht auch schon in Athen?


    Leicht irritiert beobachtete Diagoras den jungen Mann, wie er ein immer länger werdendes Eulogion - oder was auch immer - verfaßte. Und was für ein Interesse sollte er am toten Tychios haben? Irgendwie hatte er dem Knaben garnicht genau zugehört, was wollte er jetzt - und schon wieder - beim Präfekten?


    Junger Mann, das ist ganz reizend von Dir, daß Du mich mit einem Empfehlungsschreiben für den Präfekten ausstatten nöchtest, aber einerseits habe ich ein eigenes Diplom meiner Auftraggeber aus Athen und Ephesos dabei (wonach der Präfekt aber überhaupt nicht gefragt hatte), andererseits war ich erst vor kurzem beim Präfekten.


    Diagoras lächelte und sprach wieder mehr zu Doros als zu dem Jungen :


    Ich glaube nicht, daß sich Germanicus Corvus für meine Magenbeschwerden interessiert, die ich Doros bitte, mit ein paar Kräutern zu kurieren. Etwas neues habe ich dem Präfekten nämlich seit unserer letzten Unterredung nicht zu berichten.


    Er wandte sich ganz an Doros:


    Aber vielleicht magst Du ja dem Präfekten an Deinen Erkenntnissen teilhaben lassen? Wenn Du weißt, wie er gestorben ist, dann ist das durchaus wichtig genug, um nochmals hinüber zu gehen.


    Ein wenig schalkhaft setzte er hinzu:


    Ich habe dem Präfekten gegenüber den Standpunkt vertreten, Tychios sei eines natürlichen Todes gestorben, jedenfalls habe ich gehört, sein Lebenswandel sei nicht sehr wissenschaftlich-asketisch gewesen, oder gibt es andere Befunde?

    Diagoras blickte etwas erstaunt zu dem Jungen hin und meinte leichthin:


    Diagoras, Junge, Diagoras. Ich bin hier, weil ich in einer persönlichen Angelegenheit einen Arzt konsultieren möchte. Man hat mich mangels Auswahl im Haus der Ärzte zu einem, zu diesem?, Doros geschickt. - Diagoras wandte sich dem jungen Arzt zu. So einfach ist das.


    Natürlich konnte ich nicht ahnen, daß Dich gerade ein anderer Patient konsultiert, ich vernahm ein "Ja" und interpretierte es als Aufforderung, einzutreten. Soll ich ein wenig warten? Ich brauche nur ein paar getrocknete Kräuter.


    Du solltest mehr an der frischen Luft spielen, wandte er sich kurz wieder an den Jungen, und nicht andauernd über den Büchern hängen, das bekommt Dir garnicht gut, wie man sieht. Aber ein wenig Bewegung und Vitamine werden Dich wieder auf Vordermann bringen, keine Sorge, nicht? Diagoras schaute wieder zu Doros und lächelte.


    Auch Diagoras war eigentlich ein Stubenhoker, aber der Bursche sah wirklich ungut aus, überspannte Phantasie und etwas korrekturbedürftige Umgansformen, naja die Säfte der Jünglinge.

    Nachdem Diagoras mit rumorendem Bauch vergeblich im Haus der Ärzte einen Arzt angetroffen hatte, wandte er sich an einen Dienstboten, der ihm den Weg zum Arzt Doros von Pelusion wies. Der sei auf seinem Zimmer und könne dem Herren sicher helfen undsoweiterundsofort.


    Diagoras klopfte kurz und, nachdem er Stimmen gehört hatte, von der eine "Ja?" sagte. In der Annahme, daß das seinm Klopfen galt, steckte steckte seinen Kopf ins Zimmer:


    Chaire, Junge - da war wieder der Käferknabe, wann wollte der eigentlich studieren? - Chaire, Doros von Pelusion - Diagoras grüßte den Menschen, den er im Raum nicht kannte und ordnete seinem Gesicht den Namen zu - Chaire, Epistates - nickte er der Gestalt auf dem Tisch zu. Nicht sehr friedlich sah er aus, aber die nachlassende Totenstarre würde seine Züge wieder glätten.


    Ich ... ach, wenn ihr den Epistates schon dahabt ... Er ist es doch, oder?.... ich bin Diagoras von Melos, nicht völlig unbeschlagen in diesem und jenem (Diagoras war bescheiden genug um nicht klarzustellen, daß er einen grundsolidien Einblick in gänzlich alles besaß, sofern es irgendwie mit Kernobst zu tun hatte) ... hat der Alte - eine Kopfbewegung zum Leichnam - Dir schon verraten, woran er gestorben ist? Scheint sich ja mächtig ans Leben geklammert zu haben, so verbissen schaut er drein.

    Als Diagoras die Rede des Theodoros hörte, richtete er sich wieder auf, wurde er wieder aufgerichtet.


    Welch' ein Apell! Welch' ein Hymnos auf ... "freie Kunst, freie Forschung, freier Austausch an Meinungen und freie Lehre" - Ob Theodoros selbst glaubte, was er sagte? Diagoras war sich nicht immer klar, was nun pathos und was ehrliche Überzeugung war.


    Diagoras biß wieder vergnüglich in den Apfel, als er hörte, daß Theodoros die berühmte Leuchtfeuer-von-Pharos-Metapher, die er oft selbst in Gesprächen in Athen gebracht hatte, ebenfalls verwendete. Sogar heller als der Pharos soll das Museion die Welt erleuchten! Und "die Söhne Ägäiis, die alten Ionier und die Attiker", die manche wohl "kleinliche, provinzielle Pseudosophistik der Schulen Achaias und Asias" schmähen, nennt er seine Lehrmeister! Er konnte den Kopf nur schütteln (tat es aber nicht, sondern hörte aufmerksam zu) über die Menschen, die Theodoros nicht für einen geeigneten Kandidaten hielten.


    Aber Diagoras verstand immer noch nicht, warum man ihm in Alexandria offenbar mit Reserviertheit begnete - weil er Grieche Ioniens war? Was machte er eigentlich falsch? Oder war er etwas mimosig? Er wollte niemandem etwas Böses, hatte vorgehabt, sich niederzulassen und ein wenig in der Pomologie, seinem großen Steckenpferd, zu arbeiten. Nur, weil er stolz auf die griechische Freiheit, die griechische Autonomie war, eine Freiheit, die es in Asia und Achaia seit Jahrhunderten gab?


    Etwas mulmig wurden ihm aber doch, als Theodoros sich zu seinem Volk bekannte - Diagoras hatte, was ihn damals sehr beunruhigte, von einem Jungen gehört, Theodoros würde im jüdischen Viertel wohnen; eine Information, die er und damit auch seine Auftraggeber nicht hatten. Wie die Versammlung darauf reagieren würde, wagte er sich nicht auszudenken. Im Grunde hatte er gehofft, daß dieser Aspekt nicht öffentlich behandelt und erstmal in Vorgesprächen eruiert würde; irgendwie ärgerte ihn dieser Alleingang des Theodoros, das gab wohl ein Nachspiel. Vor allem mußte er Athen informieren, denn noch weniger als Juden waren nur die Christianer beliebt, denen ja jegliches öffentlich-politische Engagement verboten war.


    Die Offenheit war zwar umwerfend, die Rhetorik zumindest für Hellenen einleuchtend (was jedoch Juden dazu sagen würden? nicht seine Sache, zumindest jetzt nicht), und Diagoras schätzte Offenheit über alles, auch wenn offene Türen auch viel Ungebetenes ins Haus ließen: Prügel, Verfolgung und Häme zum Beispiel, aber besser so als vor Süßigkeit triefendes und völlig verschnittenes Opium für die Ohren.


    Vorsichtig kruschte Diagoras in seinem Lederbeutel und ertastete einige fruchtig-harte Wurfgeschosse, sollte es zu Tumulten kommen, an denen er sich sicherlich beteiligen wollte. Jedenfalls von seinem Logenplatz aus - und nicht im Parterre. Er ließ seine Augen über die Anwesenden streifen und suchte nach eventuellen Krawallmeiern.


    Sim-Off:

    [SIZE=7]edit:/ Auf Wunsch habe ich aufgrund eines von mir nicht beachteten Risses im Zeitkontinuum und in der Abfolge der Ereignisse den Beitrag nachträglich inhaltlich verändert und in die SimON-Chronologie eingepaßt. Ist eigentlich "No-No", ich weiß. "Kommt davon, wenn mehrere Drehbuchautoren an einem Skript arbeiten und sich nicht rechtzeitig absprechen; einer sagt: "ich dachte" - und dann ist etwas schiefgegangen. [/SIZE]

    Die herrschenden Sitten dieser Stadt scheinen zu sein, daß man weder seine Meinung frei äußern, noch seinem Gewissen entsprechend handeln darf, ohne in den Verdacht zu geraten, sich gegen "herrschende Sitten" aufzulehnen - oder meinst Du die "Sitten der Herrschenden", Theodoros? - oder verdächtig zu sein, ein "Feind der Römer" zu sein. Was ein Unsinn! Oder gilt hier: 'wer nicht immer brav nickt, der ist gegen uns?'


    Ich habe es für meine Pflicht als ordentlicher polites Alexandrinos mit Recht auf Sitz und Stimme in der Ekklesia gehalten, meinem Gewissen und meiner Meinung Stimme zu geben. Nur, weil die Versammlung im Theater der Stadt abgehalten wird, heißt das nicht, daß die Bürger dieser Stadt nur Statisten oder Publikum sind.


    Wenn Du griechische Werte wie Isonomie, Autonomie und die freie Meinungsäußerung hinter Duckmäusertum, Anpassung und Schmeichelei zurückstellst, dann ist das Deine Sache. Meine ist es nicht. Ich bin Grieche, ich habe meinen Stolz.


    Wenn Du sagst: die Privilegien der Griechen werden in dieser Stadt "allein durch die Römer gegen die Juden und Ägypter gesichert", sprichst Du dann als - was? Als Römer? Gegen die Juden? Du bist ein seltsamer Sohn Deines Volkes.


    Und wenn Du mein Zimmer anderweitig vergeben möchtest, sag' Bescheid. Ich will ja nicht, daß Du in den Ruch kommst, Du würdest das Museion als eine freie Institution leiten wollen.


    Es hat mich gefreut, Dich kennenzulernen, ich bedauere, daß wir in Dissens und Unfrieden scheiden. Wie ich schon sagte: möge Dein Gott Dir Gnade, Weisheit und Kraft schenken. Schalom!


    Damit verabschiedete sich Diagoras mit einer angedeuteten Verneigung und verließ das Haus des Alabarchen.

    Alle Dinge haben ihre guten und ihre weniger guten Seiten - auch eine Wasser-und-Kernobst-Diät, wie sie Diagoras von Melos eisern hält, macht da keine Ausnahme. Zwar sind die vielen kleinen Tierchen im Obst, die Vitamine, äußerst gesund und förderlich, allerdings bieten sie nur eine einseitige Kost, die hie und da zu einigen Turbulenzen im Verdauungstrakt des Philosophen führt.


    Chaire, ich suche Anis, Kümmel und Fenchel, vielleicht kann mir jemand behilflich sein?

    Der Blick des Theodoros war nicht der, den er erwartet hatte. Diagoras wußte im Moment nicht, was er damit anfangen sollte, er zögerte ein wenig. Zu zögern heißt manchmal, einen kairós zu verpassen ... als er noch den Gedanken hin- und herwälzte wie einen Bissen von der einen Backe in die andere, kam ihm der alte Sosimos dazuwischen. Sosimos?


    Aber ... Sosimos das Sistrum schlug Theodoros vor! Zeichen! Wunder! Diagoras wurde ein wenig schwindelig und er rutschte aus seiner unbefangen legeren Haltung an der Säule ab, Das mühsam in den letzten wiedergewonnene Gleichgewicht schwand wie sein neu angelegter Apfel- und Birnenvorrat in einem Anfall von Heißhunger, man konnte dem jungen Mann dabei zusehen.


    Diagoras rappelte sich buchstäblich wieder auf und biß vor Nervosität in den Apfel und in Damen und Zeigefinger, die sich in das Obst gekrallt hatten, als ob ein Apfel Halt böte. Der ganze labende Krawall war über dem lauten Gekrächze der Mumie Sosimos verstummt, man starrte auf Theodoros, Diagoras betrachtete eindringlich einen feuchten Fleck, der sich von der Decke über Nordwand langsam und allmählich im Laufe der Jahre breitgemacht hatte, als erwartete er Antwort auf die Frage nach dem Wieso? der menschlichen Existenz. Wasser ... alles fließt, oh Ihr ionischen Weltweisen!

    Erschöpft und mutlos kehrte Diagoras nach dem Gespräch mit Theodoros in sein Zimmer zurück. Ein Käfer saß auf dem Kopfkissen seiner Liegestatt und begrüßte ihn freundlich, jedenfalls interpretierte Diagoras das Schwenken eines Fühlers derartig. Er hatte Zuspruch nötig, denn er fühlte sich mehr denn je in der Fremde. Man sprach griechisch miteinander, aber man verstand einander nicht. Griechische Institutionen, aber kein griechischer Geist. Ein Abziehbild irgendeiner römischen Provinzstadt, irgendeiner Kolonie, aber nicht das Zentrum der intellektuellen hellenischen und der jüdischen Welt.


    Diagoras war noch nicht alt genug, um die Leere in seinem Inneren, die Verzweiflung über diese scheinbar vertraute aber so fremde Welt zu verstehen. Stattdessen nahm er den Apfel von seinem Tisch und war ihn mit vor Wut tränenden Augen mit aller Kraft an die Wand. Es blieb ein feuchter Abdruck auf dem Verputz zurück, als die von Aufprall zerborstene Frucht zu Boden fiel.


    Es war der letzte Apfel, den er besaß.

    Diagoras wunderte sich sehr über die Rede des Theodoros.


    Nun, ich mußte feststellen, daß viele Menschen in Alexandria, gleich ob griechischer oder nicht-griechischer Abkunft ganz selbstverständlich Alexandria für eine römische Stadt halten, eine Stadt, die von Römern regiert wird, als ob es die alten Institutionen und Traditionen nicht mehr gäbe. Als sei Alexandria eine römische Stadt mit griechischem Anstrich, das Museion eine römische "Schola" mit griechischem Zierrat. Als ob keinen Alexandriner irgendetwas anging, was in seiner Stadt passiert.


    Ihr habt Euch - die Ihr eigentlich das Leuchtfeuer des Hellenentums sein solltet, so wie es der Turm von Pharos für die Schiffe auf dem dunklen Meer ist - offenbar in ein eigenartiges Schicksal als römisches Anhängsel dreingeschickt, als ob nichts von den Einheimischen und alles von den Römern entschieden werde. Das ist - sei versichert - in keiner Stadt in Griechenland oder in Ionien der Fall, wir haben alle unsere Autonomie innerhalb unserer Stadt bewahrt. Natürlich setzt der Kaiser den Epistaten ein, aber bislang folgte er stets dem Wahlvorschlag und der Weisheit der Gelehrten des Museions. Was will ein Römer, fernab in Rom von den Verhältnissen hier wissen? Aber gut, darüber zu diskutieren scheint müßig.


    Und Du selbst solltest wissen, daß außerhalb Eueres eigenen Landes, die inzwischen römische Provinz ist und Euerer eigenen Nation kein Jude in einer verwaltungs- oder gar verantwortlichen Position berufen wird - und sich auch nicht berufen ließe, außer er würde damit von seiner Religion und seinem Volk abfallen. Das scheint Dir allerdings, so wie Du redest, kaum Probleme zu bereiten. Wieviele Juden sind von ihrem Volk abgefallen und haben die Religion gewechselt? Du währest wohl einer der Handvoll in den letzten Jahrhunderten, wenn es überhaupt so viele gewesen sind.


    Wir haben uns wohl in Dir getäuscht, Theodoros, das bedauere ich. Ich werde in meine Heimat schreiben und dort vom Stand der Dinge berichten, die alles andere als ermutigend sind. Sollte ich keinen anderen Bescheid erhalten, kann ich Dich als Vertreter der Griechen nicht unterstützen, denn Du bist kein Vertreter von uns Griechen.


    Diagoras zuckte bedauernd mit den Schultern und erhob sich.


    Damit ist wohl meine Mission in Alexandria gescheitert. Alexandria ist keine griechische Stadt mehr, sondern eine römische Kolonie, in der auch Griechen wohnen. Griechen, die ihr Griechentum verleugnen und sich zu Handlangern der Römer machen, ohne selbst je Römer zu sein.


    Ich gehe jetzt ins Museion zurück, vielen Dank für Deine Bereitschaft, mit mir zu reden - möge Dein Gott Dir Gnade, Weisheit und Kraft schenken.


    Sim-Off:

    "Daß ich momentan völlig blank bin, blank wie eine leere Obstschale" war kein Hinweis auf des Meliers finanzielle Lage, sondern die Metapher galt der Leere in seinem Kopf.
    /edit am 27.12.: Auch nach öfterem Suchen habe ich nicht gefunden, daß Diagoras eine Arbeit angeboten wurde - oder er das hätte merken sollen/können. Aber irgendwann wird sein Obstvorrat vielleicht zur Neige gehen ... :D

    Als Theodoros und sein Gast im Arbeitszimmer angekommen waren - ein Raum, in dem offensichtlich gearbeitet wurde und an dem offensichtlich arbeiten mußte, aufräumen beispielsweise - schob Diagoras einige Rollen unter einern Stuhl und setzte sich daselbst nieder.


    'Machen wir's kurz, sprach der Henker und schlug dem Delinquenten mit einem Hieb den Kopf ab" - Theordos - Du bist Jude. Und ein Jude als Epistates des Museions - sowohl die Griechen wie auch Dein eigenes Volk hätte etwas dagegen - sogar ziemlich Wirksames.


    Im Rat der Bibliothekare und Wissenschaftler ist nie davon die Rede gewesen, daß Du Jude bist. Entweder liegt es an der geographischen Entfernung, an schlechten Informationen oder an der schlichten Dummheit solcher Gremien, die ephemere Dinge einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Prinzipiell ist es nämlich egal, ob Du Jude, Phönikier, Kilikier, Thraker oder - die, die man die Götter nennt, mögen uns beistehen! - Römer. Aber in Alexandria ist es - aufgrund der großen Spannungen vor Ort - nicht unwichtig. Und es erscheint mir zweifelhaft, daß die religiöse, die kultische Seite des Epistaten-Amtes sowohl Deinem Volk wie den anderen Alexandrinern unwichtig ist und Du quasi eine Ausnahmegenehmigung bekommt. Von beiden Seiten.


    Was mich zum Besuch beim Präfekten führt: Decius Germanicus Corvus ist Soldat, damit ist im Grunde schon alles gesagt.


    Seine Feinfühlichkeit ist die eines Krokodils, sein Interesse an den regionalen, an den griechischen Besonderheiten vor Ort die eines, eines schläfrigen Hippopotamus. Germanicus Corvus hat entweder selbst keine Ahnung, daß Du Jude bist, was mich nicht wundern würde, oder es ist ihm egal, was mich auch nicht wundern würde.


    Er will einen Schuldigen für den Tod des Tychios finden, gleichgültig, ob das nun das Museion beschädigt oder nicht. Germanicus Corvus ist ein Holzkopf und von gerissenen wie ungebildeten Satelliten umgeben.


    Theodoros, hast Du mit Deiner Gemeinde über eine mögliche Wahl gesprochen? Was planst Du? Oder hast Du Alternativen vorzuschlagen? Ich muß zugeben - und das ist der Grund meines Ärgers - daß ich momentan völlig blank bin, blank wie eine leere Obstschale - und nichts in Reichweite, was man da hineintun könnte.


    Diagoras seufzte und zuckte mit den Schultern. ?(

    Chaire, Theodoros. Ich wollte mal wieder so richtig in eine Keiferei verwickelt werden, darum bin ich gekommen. -.^ G'sund schaust übrigens aus - so rote Backen!


    :D


    Diagoras war alles andere als gut aufgelegt, aber langsam und allmählich wich das Fieber und er erreichte erträgliche Grade.


    Ich bin gekommen, weil ich mit Dir über meinen Besuch beim Präfekten reden wollte und außerdem über einen möglichen Strategiewechsel, also von überhaupt einer Strategie zu überhaupt keiner Strategie. Ich war nämlich so dämlich wie ich jetzt ratlos bin - Rabbi.


    Ist die Geißel Deines Gottes weg, dann könnten wir ja 'reingehen?!

    Warum kommen die Iudäer immer gleich auf Geld? Diagoras verlor zielstrebig die Geduld - gerade wollte sie schon um die Ecke entwischen, da packte er sie gerade noch am Kaputzenzipfel und riß sie zu sich.


    Wenn hier kein Theodoros wohnt, dann nehme ich auch mit dem Sohn des Alabarchen vorlieb. Und wenn Du Dich als brave Jüdin erweisen willst, dann geh' und melde mich dem Sohn des Alabarchen, danke.


    Huschhusch! :motz:

    'Deren Gott muß einen unsäglichen Geschmack haben, wenn alle Angehörigen Seines auserwählten Volkes so aussehen.' Fuhr es Diagoras durch den Kopf. Oder vielleicht legte Er ja auf etwas anderes wert.


    Shalom, Guten Abend, ich möchte Theodoros Al... Iosephos sprechen. Jetzt. Wenn er wach ist, hole ihn bitte, wenn er schon schläft, wecke ihn und hole ihn ebenfalls. Ich bin Diagoras von Melos, er und ich kennen uns vom Museion.


    Los, Frau oder was Du auch immer bist, spute Dich. -.^

    Diagoras schalt sich einen Esel. Dieser dumme und ignorante Haufen und selbst er hatte ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, von Theodoros Iosephos, dem Alexandriner gesprochen, oder eben Theodoros Alexandreus. Diagoras konnte sich beide Ohren langziehen, bis sie über seinen Kopf hinausragten. Vielleicht würde er dann besser die Untertöne hören können.


    Diagoras von Melos hatte für Religion nicht sonderlich viel übrig, allerdings war er kein Atheist und keiner, der anderen ihren Glauben nehmen wollte. Er selbst aber beschränkte sich in seinem Verhältnis zu den Göttern auf's Minimum, wenn es sich nicht anders umgehen ließ. Man ging sich freundlich aus dem Weg.


    Die engen Gassen, bei Sonnenschein am Himmel und im Herzen pittoresk und gemütlich, flößten ihm Unbehagen ein, das Verwinkelte mache ihn reizbar. So stapfte er im Zickzack aber zielstrebig seinem Ziel zu. Wie verhagelt seine Stimmung war, vermag der aufmerksame Kenner daran zu erkennen, daß unser Held jede vitaminreiche Wegzehrung verschmäht.


    :blitz:


    Vor einem größeren aber verknurpselten Haus, das aussah, als hätten Generationen von einander spinnefeind gesinnten Architekten und Künstlern daran herumgewerkelt, blieb er stehen und klopfte an.

    Na endlich kam Leben in die Bude. Diagoras holte sich vor Vergnügen eine "Köstliche von Ephesos" aus seinem Beutel, die er für besondere Gelegenheiten hortete. Theodoros hatte endlos und dabei fast überhaupt nichts gesagt, er hätte auch schweigen können, so wenig Auswirkungen hatte seine Rede gehabt.


    Hört! Hört!


    rief er kauend in die Menge, als jemand rief . „Ich schlage Hilinos vor. Den Philosophos Hilinos.“ Hilnos? Hilnas? Hilnis? Ah, der Alte, der da sich ächzend vom Stuhl erhob.


    Diagoras liebte Versammlungen aller Art, das Herumgeblöke, Vondensitzengespringe, die Unflätigkeiten, die die demaskierten, die sie vorbrachten, das ganze aufregende Brimbamborum. Die Römer hatten ihre Gladiatorienkämpfe, die Griechen ihre Demokratie. Obwohl - er hatte gehört, daß man sich auch schon im Senat geprügelt hatte. Je dämlicher man sich stellte, desto leichter ließen sich die Menschen an der Nase herumführen.


    Ho! Ho!


    Wer war da jetzt aufgesprungen? Schade, daß er das Dossier nicht gelesen hatte, bevor es im Sturm bei der Überfahrt so naß geworden war, daß es nur noch ein Klumpen Pflanzenfaser war. Egal. Lassen wir die unwichtigen Kampfhähne einander verausgaben.


    Diagoras wartete ab und suchte den Blick von Theodoros. Der hatte ihn ja eingeladen, wer weiß, ob Diagoras öffentlich sprechen sollte. Und wenn nicht, würde er seinen Kandidaten anders lancieren.

    Diagoras wollte sich gerade schon hinsetzen, wandte sich dann aber nochmals zum Eutheniarchen. Er biß in einen kleinen verschrumpelten Apfel, den er auf dem Weg vom Palast des Präfekten am Wegesrand aufgelesen hatte und meinte:


    Was soll ich noch sagen? Ich habe meine Bedenken und meine Kritik gegen die Bestimmungen und ihren Weg bis heute hier vor die Ekklesia geäußert. Ich halte die Bestimmungen für wenig durchdacht, zum Teil für überflüssig, ungenau gefaßt und in ihrer Formulierung nicht zukunftsträchtig. Denn nur was geschrieben steht, gilt, nicht, was mit dem Geschriebenen "gemeint" ist. Aber gut, Ihr als Co-Auctor dieses Papiers seid von der Brillianz und Lucidität der Bestimmungen überzeugt, alles andere wäre auch ungewöhnlich. Man verteidigt ja nicht Dinge gegen seine Überzeugung. Und genauso kann ich Euch und den Bestimmungen aus meiner Überzeugung heraus nicht zustimmen. Warum, habe ich dargelegt - und diese Gründe konntet Ihr für mich nicht erschüttern. Demokratie ist die institutionalisierte Möglichkeit des sachlichen Dissenses. Der besteht in diesem Punkt, so ist es nun einmal.


    Und damit setzte er sich und wartete ab, was die Ekklesia mit den vorgelegten Bestimmungen machen würde.

    Eutheniarchos, viele Worte, aber keine konkrete Antwort auf meine Kritikpunkte. Darum für Euch und die anderen Prytanen, die sich ihre Köpfe schier über dieser "Bestimmung" zerbrochen haben mögen:


    Erstens: Die Bestimmung 1_b_ (nicht 1a!) ist überflüssig. Denn sie ist eine Wiederholung schon bestehender Regelungen. Bis repetita non placent, wie der Lateiner sagt.


    Zweitens: Euer Vorgehen ist regelwidrig, denn einerseits mißachtet Ihr die ekklesia, wenn Ihr sie zuletzt fragt, andererseits ist der Eparch bzw. der Präfekt als Amt am Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht beteiligt. Ihr könnt privat seine Meinung einholen bzw. der Eparch kann als persönliches Mitglied der Ekklesia sprechen und mit seiner persänlichen Stimme abstimmen, aber nicht anders und nicht anderswo.


    Drittens: Ich fordere, ich rege an, daß - wie in den beiden Käffern Athen und Ephesos üblich, in denen ich gelebt und gearbeitet habe - jeder, der in Alexandria volle politische Mitwirkung haben möchte, also aktives und passives Wahlrech und Stimme, seine schon abgelegte Ephebie oder seine abgelegte römische Grundausbildung aktiv anerkennen lassen muß, wie es jemand aus Athen, aus Ephesos oder aus Antiochia machen muß. Oder eben, wenn er in Alexandria aufwächst oder als Fremder ohne Heimatephebie hierher kommt, hier seine Ephebie ablegen muß.


    Diese drei Punkte sind es, die ich vorbringe. Daß Ihr als Urheber dieses Papiers, das Ihr der ekklesia vorlegt, und dieses Vorgehens, keinerlei Empfinden und Gefühl für die politische Katastrophe, die damit einhergeht, zeigt und wohl auch nicht habt, stimmt mich nicht hoffnungsfroh. Aber gut, quod dixi, dixi.


    Sim-Off:

    Der Reden-Marathon des Diagoras von Melos hat zumindest dazu geführt, daß in der neuesten Acta-Ausgabe der alte Artikel korrigiert wurde. Immerhin etwas. :D

    Diagoras machte eine Kunstpause und kramte mit einer rechten Hand im Lederbeutel. Was zog er heraus? Einen Apfel, eine Birne oder gar eine Kreuzung beider Kernfrüchte, um herzhaft darin seine Zähne zu versenken wie ein Raubtier? Oder würde er elegant das Obst filettieren? Nichts dergleichen!


    Ach, meine Herren, Bürger, ehe ich es vergesse. Habe ich doch heute morgen im Museion die neuste und tintenfrischeste LXXXVte Ausgabe der Acta Diurna aufliegen sehen. Sehr her, was Sie dort in der Rubrik "Politisches aus Alexandria" schreiben:


    ychaion: Gleiches Recht für Alle!
    Nun ist es beschlossen. Bürgern anderer hellenischer Städte wird von nun an in Alexandria die Sympolitie gewährt. Doch was ist das? Im Grunde ist es einfach. Ein Bürger der Stadt Athen zum Beispiel darf von nun an neben seinem Stadtrecht in Athen auch die Bürgerschaft von Alexandria besitzen. Somit kann er Bürger zweier Poleis sein. Aber auch für die Römer hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Nun ist es auch vom Tychaion verbrieft: Ein Römer hat mit dem Bestehen der grundlegenden Bildungsprüfungen (Cursus Res Vulgares) die gleichen politischen Rechte in der Polis Alexandria wie ein Hellene mit der abgeschlossenen Ephebia. Somit steht es Hellenen und Römern gleichermaßen frei, in der Politik von Alexandria tätig zu werden.
    Auch hat der neue Vorschlag des Tychaion nun genau geregelt, wie weit sich die Archonten von der Stadt entfernen dürfen: 50 Stadien. Es sei denn, sie haben eine Sondererlaubnis durch die Ekklesia, die Volksversammlung der Polis Alexandria. So beschloss es der Koinon mit dem Segen des Praefectus Aegypti et Alexandriae.




    Diagoras wedelte leutselig mit der Rolle.


    Bürger! "Nun ist es beschlossen!" Wir brauchen die Ekklesia überhaupt nicht! Die Worte der Prytanei sind Schall und Rauch, hier haben wir es: Tinte auf Papyri!


    Eutheniarchos, warum ich mich so aufrege, daß der Gesetzesentwurf dem Eparchen vorgelegt wurde?
    Ist die vorherige Absegnung von Seiten des Eparchos natürlich nichts Verbindliches für unsere freie Selbstbestimmung? Ein freundlicher Ratschlag einer überaus honorigen Person? Kein Bruch des verfassungsmäßigen Procederes geschehen?


    Und uns wollen die Prytanen weismachen, des Eparchen "Absegung" sei in Wirklichkeit völlig harmlos, unverbindlich, eine wertvolle Meinung, alle Gewalt läge bei der Ekklesia, der man den Gesetzesentwurf, ja: Entwurf! vorlege und die alleinig darüber zu einscheiden habe!


    Ach! Offensichtlich stimmen die Acta Diurna, die man im ganzen orbis terrarum lesen kann, mit mir überein, daß die Ekklesia von den amtsführenden Prytanen übergangen wurde, überhaupt nicht erwähnenswert ist. Denn "Nun ist es beschlossen" schreiben die Acta Diurna. Und das offiziell bevor überhaupt der Gesetzesentwurf der Ekklesia zur Kenntnis gebracht wird, nämlich am KAL NOV DCCCLVII A.U.C. (1.11.2007/104 n.Chr.). Interessant, nicht?