Seiana runzelte leicht die Stirn, als sie Senecas Schmunzeln sah, seine Antwort hörte. Irgendwie... irgendwie schien er die Sache nicht ganz ernst zu nehmen, kam es ihr vor. Ihm schien nicht klar zu sein, was es bedeutete, wenn ihr Bruder tatsächlich als Hochverräter verurteilt werden würde. Dass sie alles verlieren könnte. Ihr Leben, wie es bisher war. Auch wenn der Kaiser beschloss, sie in Ruhe zu lassen – wenn Faustus verurteilt wurde, musste er gar nichts tun was sie betraf. Die gesellschaftliche Ächtung würde völlig ausreichen. Ganz davon abgesehen, was es für sie persönlich bedeuten würde. Sie hatte Angst davor, wie der Kaiser über ihren Bruder entscheiden würde, aus mehr als nur einem Grund. Und Seneca... Seneca schien das nicht so wirklich ernst zu nehmen, hatte sie das Gefühl. Sie presste die Lippen aufeinander und sah wieder fort, sah schließlich auf seine Hand und ihre hinunter, die ineinander verschränkt waren. „Ich weiß dass du nichts tun kannst“, erwiderte sie, während sie sich zugleich innerlich zurückzog, sich hinter ihrer Maske zu verstecken suchte. Sie wusste nicht, wie sie sonst auf sein Verhalten reagieren sollte, außer einfach so zu tun, als wäre alles in Ordnung. „Aber sicher hast du recht. Es wird alles... gut werden.“ Kurz stockte ihre Stimme, als sie das sagte, und sie sah Seneca immer noch nicht an, aber davon abgesehen war ihre Fassade nun glatt, so glatt wie sie selten in seiner Gegenwart war. Trotzdem zerriss es sie innerlich fast, sich ihm gegenüber so zu verhalten, verhalten zu müssen, weil sie nicht wusste wie sie sonst reagieren sollte. „Ich sollte die Amme zurückholen, das Kind braucht vielleicht etwas...“ Es war nicht viel mehr als ein kläglicher Versuch abzulenken, hatte das Mädchen doch inzwischen wieder aufgehört zu jammern und gab höchstens den ein oder anderen glucksenden Laut von sich.
Beiträge von Decima Seiana
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Seiana erwiderte das Lächeln schwach und nickte leicht. Wenigstens Seneca hatte nichts weiter zu befürchten, wie es schien... mehr noch: er würde in Rom bleiben. Es hätte auch sein können, dass die Centurionen auch ausgetauscht wurden, es hätte sein können, dass Seneca sonst wohin versetzt wurde. Dass er bleiben konnte, bleiben würde, in ihrer Nähe, ließ Erleichterung sich in ihr ausbreiten. Sie war sich bewusst darüber, wie merkwürdig das im Grunde war, wo sie ihm gerade eben erst noch gesagt hatte, dass sie keine Ahnung davon hatte was die Zukunft bringen würde, auch nicht für sie beide, keine Ahnung wie es weiter gehen sollte... aber allein das Wissen, dass er in ihrer Nähe sein würde, dass die Möglichkeit bestand sich weiter zu treffen, sorgte für ein warmes Gefühl in ihr.
Bei seiner Gegenfrage verging ihr das Lächeln wieder. Sie begegnete kurz seinem Blick und sah dann auf die Tischplatte vor sich. „Ich kann es schwer beurteilen. Er war... sehr neutral. Er hat sich nichts anmerken lassen, was er von dem hält, was ich ihm gesagt habe, weder im positiven noch im negativen Sinn. Und am Schluss meinte er nur, ich solle in der Stadt bleiben und er würde mir Bescheid geben.“ Sie atmete tief ein und sah Seneca nun doch wieder an. „Ich habe ihm gesagt, wie ich zu meinem Bruder stehe“, wisperte sie. „Ich weiß dass das nicht klug war, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte nicht so tun als ob es anders wäre als es ist, als ob ich nicht zu ihm stehen würde, ganz egal was er tut...“ -
Nach und nach verlor Seianas Lächeln das Erzwungene, blieb zwar schwach, wurde aber ehrlicher. „Ich weiß“, murmelte sie und lehnte sich ein wenig enger an ihn. Allein das bedeutete ihr schon viel. Dass er sich wünschte, etwas tun zu können, dass er ihr helfen wollte, auch wenn er es in dieser Situation kaum konnte.
Als er von den Prätorianern zu erzählen begann, löste Seiana sich ein wenig von ihm, setzte sich wieder aufrecht, legte aber ihre Hand so auf den Tisch, dass ihre Finger sachte die seinen berührten. „Das heißt, du hast nichts zu befürchten? Keine Repressalien, keine Zurückstufung?“ Ihre Finger umschlossen seine, und sie versuchte sich erneut an einem Lächeln. „Das sind gute Nachrichten.“
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http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Raghnall deutete ein Achselzucken an. „Der Feldherr, denke ich mal, vielleicht nach Empfehlung seines direkten Umfelds. Es sind einige Leute festgenommen worden, die unter Vescularius höhere Positionen bekleidet haben. Bei meiner Herrin reichte wohl die Tatsache, dass sie Auctrix der Acta Diurna ist.“ Offiziell war sie das ja immer noch, niemand hatte ihr das bisher aberkannt. Der Gallier vermutete allerdings, dass das nicht mehr lange so bleiben würde. „Die unter Arrest Gestellten werden wohl so lange in der Castra behalten, bis Cornelius Palma in Rom ist und er oder jemand in seinem Auftrag Zeit gefunden hat, sich mit ihnen zu beschäftigen.“
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
Ein junger Sklave führte Celeste ins Tablinum der Casa Decima und bot ihr dort etwas zu trinken an. Seiana selbst tauchte nur kurze Zeit später auf. Sie hatte Zeit im Moment – viel Zeit. Zu viel für ihren Geschmack, aber das war etwas, was sich nicht ändern ließ. So lange unklar war, was der Kaiser entschied, nicht nur im Hinblick auf sie, sondern auch auf ihren Bruder, hielt sie es für klüger sich zurückzuhalten. Entsprechend war sie nicht nur weit häufiger als früher daheim, sondern hatte auch genug freie Zeit, um sich um spontane Besuche kümmern zu können. In diesem Fall allerdings hätte sie sich die Zeit genommen, selbst wenn sie keine gehabt hätte – Celeste, Scriba und vorgebliche Freundin ihres Bruders, Seiana war bei jenem Essen dabei gewesen, als Faustus sie in der Familie vorgestellt hatte. Celeste bedeutete eine Verbindung zu ihrem Bruder, welcher Art auch immer, und so war es für Seiana keine Frage gewesen, ob sie sie empfing. „Salve, Celeste“, begrüßte sie die Scriba, als sie das Tablinum betrat, während sie sie zugleich musterte. War sie früher nicht blond gewesen? „Mein Bruder kann dich leider nicht empfangen... Aber es freut mich, dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?“
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Zitat
Original von Celeste
Als die Tür sich öffnete war sie guter Hoffnung. Die Familie schien da zu sein.
"Ich bin Celeste, eine Scriba und Freundin des Hauses. Ist jemand anwesend mit dem ich sprechen kann?"
Vielleicht wäre ja etwas mehr herauszufinden als man auf der Straße hören konnte.http://img16.imageshack.us/img16/1551/ephialtesianitor.jpg
Ephialtes
Ephialtes grübelte kurz, als er die Frau sah. Irgendwie... irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen. Erst als sie ihren Namen nannte, fiel es ihm ein: hatte Dominus Serapio nicht eine Scriba diesen Namens gehabt? Das war noch vor seinem Dienst in Aegyptus gewesen, da hatte es eine Zeit gegeben, als sie hier ein und aus gegangen war – damals war noch der alte Marcus Ianitor gewesen, und er nur der Laufbursche, der ihn unterstützte... und jetzt, jetzt war er der Ianitor – bei dem Gedanken strafften sich unwillkürlich stolz seine Schultern –, während Marcus als Libertinus seinen Lebensabend mit seiner Familie in einem Häuschen irgendwo genoss. Ephialtes lächelte flüchtig. „Wenn du einen Moment warten würdest? Ich lasse kurz nachfragen, ob dich jemand empfangen kann.“ Es dauerte etwas, dann ging die Tür wieder auf und Ephialtes bat den Gast herein. „Decima Seiana wird dich im Tablinum empfangen.“
IANITOR - GENS DECIMA -
Seiana glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als sie von einem Sklaven hörte, wer gerade angekommen war. Livianus. Livianus war wieder in Rom... Sie brauchte einen Moment, bis sie das begriffen hatte – und dann noch einen weiteren, bis sie das Chaos aus Erleichterung und Nervosität, das sich in ihr breit machte, so weit gemeistert hatte, dass sie ihm gegenüber treten konnte. Erleichterung, weil die Verantwortung für die Familie, die so lange so schwer auf ihren Schultern gelastet hatte, mit einem Mal leichter zu werden schien – selbst zu Zeiten, als Faustus hier war, selbst Varenus' Ankunft hatte nichts daran geändert, dass Seiana sich hauptverantwortlich gefühlt hatte. Faustus war immer wieder lange weg gewesen und noch dazu jünger als sie, und Varenus war ebenfalls nicht so lange in Rom wie sie. Livianus hingegen war bereits hier gewesen, als sie noch in Tarraco ihre Jugend verbracht hatte, hatte sich hier stets um alles gekümmert gehabt – er und Meridius. Seine Ankunft hieß, dass sie die Verantwortung, endlich, abgeben konnte. Trotzdem war da auch Nervosität... weil sie die Vorwürfe fürchtete, die kommen konnten, Vorwürfe, weil die Decimi so schlecht da standen, weil sie es in den letzten Jahren geschafft hatten, sich auf eine Art zu positionieren, die sie am Ende auf die Verliererseite des Bürgerkriegs gebracht hatten – und das, obwohl gerade Livianus schon ein erklärter Gegner des Vescularius gewesen war, als sich sonst noch keiner wirklich getraut hatte, gegen diesen etwas zu sagen.
Ein paar Momente vergingen also, dann erhob sie sich und ging ins Atrium, dessen Schäden aufgrund der Plünderung zwar behoben waren, das aber immer noch so spärlich mit Mobiliar und Dekoration bestückt war, dass es auffiel. Die Zeit, die Seiana in der Castra verbracht hatte, und der Stress, den sie vor dieser Zeit gehabt hatte, war ihr immer noch anzusehen – sie war dünn geworden, fast schon zu dünn, ihr Gesicht war schmal und blass, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, ein Zeichen davon, wie schlecht sie schlief, noch schlechter als sie es gewohnt war. „Onkel Livianus!“ Sie lächelte mit aufrichtiger Freude, als sie auf ihn zuging. „Es tut gut, dich zu sehen. Verzeih, dass nichts vorbereitet ist für dich, wir hatten keine Nachricht bekommen.“
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Wirklich überzeugt klang Seneca immer noch nicht. Aber Seiana wusste nicht, was sie sonst noch hätte tun sollen, damit er zufrieden war. Was ihm offenbar vorschwebte – ein glückliches, ehrbares Familienleben zu dritt –, war nun mal nicht möglich... und auch das, was dem am nächsten kommen würde, dass das Mädchen wenigstens bei einem von ihnen sein würde, kam in ihren Augen nicht in Frage. Aber die Lösung, sie hier in Italia zu haben, irgendwo in der weiteren Umgebung Roms, war doch... akzeptabel, fand sie. Auch wenn es ihr nach wie vor nicht gefiel, das Kind in so großer Nähe zu haben, weil dadurch das Risiko der Entdeckung sprunghaft anstieg – jedenfalls versuchte sie sich einzureden, dass das der einzige Grund war, obwohl sie wusste dass das nicht stimmte –, war das ein Kompromiss, auf den sie sich einlassen konnte. Umso mehr da ihr klar geworden war während ihres Gesprächs, wie viel Seneca das offenbar bedeutete.
Als sie danach auf ihre Zukunft zu sprechen kamen, war es nicht schwer zu bemerken, dass er sie beruhigen wollte... aber es war ebenso wenig schwer zu bemerken, dass er Faustus völlig überging. An Faustus' Schicksal hing aber so viel... nicht nur im Hinblick darauf, wie viel er ihr persönlich bedeutete. Wenn ihr Bruder verurteilt, gar hingerichtet würde, wäre sie die Schwester eines Hochverräters. Ihre Familie wäre die Familie eines Hochverräters. Und sie selbst hatte im Gespräch mit dem Kaiser eine Sache sehr deutlich gemacht: dass sie hinter ihrem Bruder stand. Sie glaubte durchaus, dass ihr persönlich nichts passieren würde – aber ihr Leben in Rom würde um so vieles schwerer werden, wenn Faustus verurteilt würde. Ihr Ansehen, ihre Einflussmöglichkeiten, all das wäre dahin, ebenso wie die Chance, etwas auch nur annähernd Ähnliches wieder aufzubauen. Sie würde nicht neu starten können. Nicht als Schwester eines Verräters. Was ihr letztlich sogar egal wäre, so lange ihr Bruder nur am Leben blieb... dennoch fiel es ihr schwer, irgendetwas über ihre Zukunft zu sagen, für die Zukunft zu planen, so lange sie nicht wusste, wie es mit ihm weiter ging.
Von all dem sagte Seiana allerdings nichts. Was hätte es auch gebracht, darüber zu reden? Es änderte nichts, und allein dass Seneca kein Wort über ihren Bruder sagte, zeigte ihr, dass er darüber nicht reden wollte. Weil er ähnlich wie sie keinen Sinn darin sah... oder weil er es einfach nicht wollte, aus welchen Gründen auch immer. „Ich wünschte nur ich wüsste Bescheid. Dann könnte ich etwas tun. Die nächsten Schritte planen, Ordnung in mein Leben bringen. Ich bin nicht so gut darin, mit solchen Ungewissheiten umzugehen.“ Seiana presste die Lippen aufeinander und bemühte sich dann wenigstens um ein Lächeln. „Wie sieht es bei dir aus? Jetzt, wo der Alltag wieder einkehrt, wie läuft es da mit den Prätorianern?“ -
Alles Gute
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„Natürlich geht die Amme mit“, erwiderte Seiana. „Dafür habe ich sie gekauft.“ Die Amme würde noch Jahre bei der Kleinen bleiben, bis sie erwachsen war... und vielleicht auch noch länger, wenn sie das wollte. Seiana hatte ihr die Freiheit versprochen, wenn das Kind alt genug war, und wenn sie bleiben wollte, würde sie sie anstellen danach. „Und ich werde auch die anderen sorgfältig aussuchen... wenn ich irgendwo ein kleines Landgut kaufe für sie, kann ich mich auch persönlich um alles kümmern.“ Musste sie sogar. Wäre die Kleine weit weg gewesen und hätte es daher keine Möglichkeit eines Besuchs gegeben, wäre es nicht so wichtig wie zuverlässig alle waren, aber wenn Seneca häufiger zu Besuch kam – und das würde er, davon ging Seiana aus –, wenn sie auch hin und wieder nach dem Rechten sehen würde... dann war es von wesentlicher Bedeutung, dass sie jedem einzelnen, der sie dort sehen würde zusammen mit dem Kind, absolut vertrauen konnte.
Elena. Plötzlich war dieser Gedanke da. Elena, ihre alte Leibsklavin, ihre Spielgefährtin, ihre Freundin, mit der sie aufgewachsen war, die ihre ständige Begleiterin gewesen war, bis sie ihr vor einigen Jahren die Freiheit geschenkt hatte... Elena und ihr Mann Katander. Wenn sie sie fragte... vielleicht würden sie von Tarraco wieder nach Italia ziehen. Elena war all das, was sie nicht war, Elena würde sich gut um die Kleine kümmern, Elena wäre... fantastisch.Mitten in diese Gedanken hinein stellte Seneca dann plötzlich seine Frage – und Seiana erstarrte. Sie öffnete die Augen, auch wenn sie nicht viel sah, weil ihr Kopf immer noch an seiner Schulter lehnte, nah an seinem Hals, aber sie starrte ohnehin einfach nur vor sich hin. Sie schwieg, zunächst, schwieg so lang bis sie das Gefühl hatte dass es unerträglich war, bevor sie dann doch antwortete – das einzige, was ihr einfiel: „Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme klang mutlos. „Ich... weiß noch nicht mal, wie es mit mir weiter geht, Seneca. Der Kaiser hat mit mir gesprochen und mich dann gehen lassen, aber bisher noch nichts gesagt. Auch nicht über meinen Bruder...“ Die Unsicherheit zerrte an ihren Nerven, mehr als sie sich eingestehen wollte.
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http://img16.imageshack.us/img16/1551/ephialtesianitor.jpg
Ephialtes
Mittlerweile hatte der Alltag wieder Einzug gehalten – auch wenn in der Casa Decima noch einiges an Arbeiten anstehen mochten, immerhin herrschte keine Angst mehr, sie könnten Ziel eines weiteren Übergriffs sein. Entsprechend war auch Ephialtes wieder etwas weniger vorsichtig geworden, wenn jemand klopfte. „Salve. Wie kann ich dir helfen?“
IANITOR - GENS DECIMA -
Immer noch waren Laute von dem Kind zu hören, aber es war leiser geworden, und es jammerte nicht mehr durch, sondern machte Pausen... wofür Seiana dankbar war. Ihre Nerven waren auch so schon angespannt genug. Immerhin Seneca schien sich wieder gefangen zu haben, er kam zurück zu ihr, berührte sie, küsste sie. Seiana schloss die Augen und genoss diesen Moment, lehnte ihre Stirn an seine Wange, und obwohl sie sich fragte, was um alles in der Welt das Mädchen ihnen denn verzeihen sollte, wenn sie alles taten, damit sie ein gutes Leben hatte, sagte sie das nicht laut. Seit der Begrüßung war das hier der erste Moment, in dem es halbwegs richtig schien, in dem sie sich halbwegs gut fühlte, und sie wollte ihn nicht kaputt machen. Seneca dachte anders als sie, das hatte ihr das Gespräch gezeigt, er legte auf andere Dinge Wert als sie, deutlich mehr Wert... Er wollte, dass sie eine Familie waren. Aber das konnten sie dem Kind... Silana, zwang sie sich zum ersten Mal den Namen wenigstens gedanklich zu formulieren, nicht bieten. Sie konnten nicht gemeinsam als Mutter und Vater in Erscheinung treten, das hieß – sie konnte überhaupt nicht als Mutter auftauchen, wollte sie nicht, dass ihr Ruf vollkommen ruiniert war. Dass Männer außereheliche Kinder zeugten, war keiner Diskussion Wert, erst recht wenn es Soldaten waren, aber bei Frauen war das anders. Sie konnte nicht zulassen, dass das bekannt wurde. Und nach wie vor hätte sie das Kind am liebsten deutlich weiter weg gewusst von Rom, von ihr, von jeder Gefahr entdeckt zu werden, dass da irgendwelche Verbindungen zu ihr bestanden. Aber Seneca hätte die Kleine wohl umgekehrt am liebsten ganz zu sich genommen... da war es wohl die beste Lösung, einen Aufenthaltsort in Italia zu suchen. Nah genug an Rom, dass er sie würde besuchen können, dass sie persönlich würden sicher stellen können, dass es ihr gut ging. Und was die Zugehörigkeit zur Familie anging... es wäre ihr lieber gewesen, auch das jetzt zu regeln, einfach damit es vom Tisch war, aber dafür hatten sie ja wirklich noch etwas Zeit. Sie wollte nicht mehr mit ihm streiten. „Ich liebe dich auch“, wisperte sie zurück, ihr Kopf mittlerweile an seiner Schulter. „Ich werde mich um alles kümmern, was nötig ist. Bis dahin kann sie hier bleiben.“
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So fern. Sie fühlte sich so fern von ihm. Sie hätte nie gedacht, dass das möglich war, und doch war es jetzt so: sie fühlte sich unendlich fern von Seneca, und sie hatte das Gefühl dass sie sich immer mehr voneinander entfernten. Und ein Teil von ihr kam nicht umhin, dem Kind die Schuld dafür zu geben. Es hatte alles nur noch komplizierter gemacht, als es ohnehin schon war, beharrte dieser Teil, und auch wenn der Rest von ihr dagegen hielt und diese Gedanken nicht wirklich zulassen wollte, auch wenn ein anderer Teil von ihr wusste, dass es so oder so kompliziert war, immer schon gewesen war, waren doch auch diese Gedanken da in ihr – und machten ihre Gefühle in Bezug auf ihre Tochter bei weitem nicht einfacher.
Und ihm schien es genauso zu gehen. Zwischen uns wird es nie wieder wie vorher. Seiana begriff zuerst gar nicht, dass er das laut gesagt hatte... und als sie es tat, hob sie endlich den Kopf starrte ihn an. Nie wieder wie vorher. Was um alles in der Welt meinte er damit? Was... Wollte er... Ihre Gedanken rasten, zu schnell, zu ungeordnet, als dass sie hätte fassen können, und so starrte sie ihn nur sprachlos an und versuchte, Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf zu bringen. Sie konnte sich jetzt nicht damit beschäftigen, was auch immer er gemeint hatte. Eins nach dem anderen, erinnerte sie sich. Sie hatten erst mal ein anderes Problem zu lösen. Das Kind, das im Hintergrund immer noch quengelte und ihr damit auch noch den letzten Nerv zu rauben drohte.Sie atmete tief durch und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was er sagte. Geschichten von früher. Von einer liebevollen Mutter. Während er gleichzeitig dem Kind über den Kopf strich... etwas, was Seiana noch nie getan hatte. Hatte sie das Mädchen überhaupt je berührt gehabt, seit der Geburt? Nein, hatte sie nicht. Sie schluckte mühsam, als das schlechte Gewissen über ihr hereinzubrechen begann, das sie bisher so gut es ging verdrängt hatte. Würde das Kind es gut haben? Sicher, lag ihr auf der Zunge. Aber die Wahrheit war, dass sie es nicht wusste, nicht wissen konnte. Sie vertraute der Amme, und sie konnte mit Geld dafür sorgen, dass es dem Mädchen an nichts mangeln würde. Aber das war noch keine Garantie dafür, dass sie es gut haben würde, gut in dem Sinn, den Seneca nun offenbar ansprach. Nicht materiell... sondern ob sie geliebt werden würde. Und das konnte Seiana nicht sagen.
„Ich...“ Sie hätte so gerne ja gesagt, einfach ja, um das Thema ein für alle Mal erledigt zu haben. Und vielleicht... vielleicht wurde zwischen ihnen dann ja doch wieder alles, wie es war. Aber sie brachte es nicht über sich. Sie brachte es nicht fertig so zu tun als ob sie genau wüsste, dass es dem Kind gut gehen würde, wenn sie nicht dabei sein konnte um es zu kontrollieren. Und ein Teil von ihr bezweifelte stark, dass zwischen ihr und ihm alles wieder wie vorher werden würde, wenn das Kind weg war... weil sie beide trotzdem noch wissen würden, dass es es gab. Und Seneca wollte seine Tochter bei sich haben. Er sagte es nicht laut, nicht noch einmal, hieß das, aber so viel war klar geworden. So wie er sie gerade ansah, war Seiana sich nicht mal sicher ob er ihr das verzeihen würde, wenn sie darauf bestand das Mädchen wegzuschicken. „Ich kann das nicht sagen. Ich weiß nicht, was wird.“ Sie legte ihren Kopf in die Hände und atmete tief durch. „Wenn sie... nicht in Rom, aber in Italia bleibt, vorerst...“ begann sie zögernd. „Irgendwo auf einem Landgut. Wo wir bestimmen, wer sie sieht. Sie ist noch jung, wir... haben noch Zeit, bevor sie sich an etwas erinnert.“ -
Seiana starrte auf die Tischplatte vor sich. Das hier lief nicht gut... nicht so wie bisher, wo alles immer so einfach geschienen hatte, wenn sie mit Seneca Zeit verbracht hatte. So leicht, so selbstverständlich. Nichts schien einfach zu sein in diesem Moment. Und sie fühlte sich allein... etwas, was ihr in seiner Gegenwart noch nie passiert war. Das war eines der Dinge, die sie an ihm liebte, eines der Dinge, die überhaupt dafür gesorgt hatten dass sie sich ihm zugewandt hatte: dass er ihr das Gefühl gab, nicht allein zu sein. Jetzt war auch das anders.
Erst als Seneca wieder sprach, sah sie auf, und diesmal hatte sie Mühe still zu bleiben. Was sollte das jetzt? Diese Frage? Sie hatte einen Plan für das Kind, sie hatte sich etwas überlegt, und das nicht erst seit heute oder ein paar Wochen, sondern seit Monaten schon. In den letzten Wochen der Schwangerschaft, die sie in dieser Insula verbracht hatte, hatte es Phasen gegeben, da hatte sie nichts anderes getan als darüber zu grübeln, was sie mit dem Kind machen sollte, damit es ein gutes Leben hatte, und ihm Chancen offen standen. Hatte ihren Plan immer und immer wieder im Kopf umgedreht. Und jetzt kam er an, warf alles über den Haufen, lehnte ab was sie vorhatte – nur um dann sie zu fragen, was sie vorschlug? Nein, hätte sie ihm liebsten gesagt, gefaucht, nein, sie sah keine Möglichkeit für das Kind in Rom, vielleicht in ein paar Jahren, aber nicht jetzt. Sie presste ihre Lippen aufeinander und zählte in Gedanken bis zehn. So viel war passiert in letzter Zeit, so viel was immer mehr Druck auf sie geladen hatte, und nur ein Teil dieses Drucks hatte sich gehoben bisher, während anderer hinzu gekommen war. Ihre Nerven lagen blank. Sie wusste das... und sie wusste auch, dass es nichts brachte sich jetzt mit Seneca zu streiten. So nah sie an den Punkt auch kam, an dem ihre Selbstbeherrschung sich in nichts auflösen würde, sie musste irgendwie versuchen ihn nicht endgültig zu erreichen. Sie musste sich zusammenzureißen. „Ich sehe Möglichkeiten für sie außerhalb Roms“, entgegnete sie schließlich, mühsam kontrolliert und so kühl, wie sie es häufig gerade in solchen Momenten war – aber schon in dem Augenblick, in dem sie zu sprechen anfing, spürte sie wie ihre Kontrolle nachließ. Und mit den nächsten Worten nahm das noch zu, wurde ihre Stimme etwas heftiger. „Es ist nicht so, als hätte ich mir keine Gedanken gemacht. Ich hatte Monate, mir Gedanken zu machen, und ich habe versucht, die bestmögliche Lösung zu finden.“ Sie war allein gewesen... und sie hatte geglaubt, dass sie mit diesem Problem auch allein bleiben würde, selbst wenn Seneca zurückkam. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er helfen würde. Und erst recht nicht damit, dass er mitreden wollen oder sogar Ansprüche stellen würde. „Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten es in Rom gibt, weil ich diese Variante von vornherein ausgeschlossen habe! Ich dachte nicht, dass du...“ Sie brach ab, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn mittlerweile anfuhr – was sich auch dadurch bemerkte, dass das Kind nun wach wurde und zu quengeln begann. Seiana fuhr sich über die Augen und versuchte es zu ignorieren. „Du willst sie unbedingt hier haben?“ -
Ob ehelich oder unehelich. Seiana glaubte ihren Ohren nicht so zu trauen. Natürlich war es etwas anderes, ob ein Kind ehelich oder unehelich geboren war. In der Welt eines Soldaten mochte es kaum einen Unterschied machen, aber in der gesellschaftlichen Schicht, in der sie sich bewegte... Aber darum ging es ihm nicht. Es ging ihm darum, sein Kind bei sich zu haben. Seiana schloss die Augen, als sie Senecas Hand auf ihrer Wange spürte, lehnte sich sacht dagegen und genoss die Berührung... und kämpfte zugleich gegen den Gedanken an, der in ihr empor stieg: dass Seneca egoistisch war. Dass er nicht daran dachte oder denken wollte, was das beste für das Kind war, sondern dass ihm seine Wünsche wichtiger waren. Das Problem war nur: sie wusste ja selbst nicht so recht, was das beste war. Sie wusste nicht einmal, was sie wollte... und so blieb doch nur das, was aus gesellschaftlicher Sicht zu erreichen war für das Kind.
Und er machte es nicht besser. Jetzt sprach er auch noch davon, dass er sie heiraten würde, wenn es nur ginge, und das obwohl sie beide wussten, dass das kaum möglich war. Seiana konnte sich nicht so recht vorstellen, dass ihre Familie einwilligen würde – und sie konnte sich im Grunde auch nicht vorstellen, dass Seneca seine Worte wirklich ernst meinte. Immerhin hatte auch er eine Familie, und obwohl einer seiner Verwandten ein Klient ihres Onkels war, gab es da doch auch noch eine andere, die bisher alles daran gesetzt hatte, um ihr Leben zu zerstören, und die auch in Zukunft davon kaum abweichen würde. Auch wenn Seneca das wohl nicht zugeben würde, auch wenn er in vergangenen Gesprächen immer gemeint hatte, dass es so schlimm nicht wäre, dass er das im Griff hätte... ihm musste bewusst sein, dass das nicht stimmte. Er sah sie ja noch nicht einmal an in diesem Augenblick, als er von heiraten sprach. „Wir... müssen realistisch sein, Seneca“, murmelte sie. Und die Vorstellung sie beide könnten heiraten gehörte nicht wirklich dazu.
„Wir müssen für das Kind eine Lösung finden.“ Seiana wollte das Kind nicht in der Casa Iunia wissen. Es war auch ihr Kind... und in der Casa Iunia konnte Axilla ein und aus gehen. Sollte diese Frau je erfahren, wer die Mutter des Mädchens war... „Als Waise eines gefallenen Kameraden wird sie dennoch unehelich sein. Und sie wird Nachteile deswegen haben.“ Sie wollte nicht von Senecas Verwandter anfangen und den Vorbehalten, nicht schon wieder, nicht wo es noch nie gut gegangen war mit ihm darüber zu reden, aber das war ja nicht der einzige Grund den sie hatte. Nicht einmal der Hauptgrund... nur ein weiterer, der in ihren Augen ganz konkret gegen die Casa Iunia sprach. „Was für eine Geschichte willst du denn erzählen? Wenn du sie zu dir nimmst, brauchst du bald eine, bei der du bleiben kannst. Am besten von Anfang an, weil dann niemand in deinem Umfeld weiß, dass es anders ist. Irgendwann wird nicht funktionieren, nicht wenn du nicht willst dass sie darunter zu leiden hat.“ -
Einen Namen gegeben, aber nicht aufgehoben. Seiana zerbrach sich für einen Moment den Kopf darüber, was das nun wieder bedeuten sollte, aber sie gab es auf, konzentrierte sich lieber auf das, was Seneca sagte. Er hatte abwarten wollen... Sie rieb sich mit ihrer freien Hand erneut über die Stirn, verdeckte für Momente ihre Augen und versuchte zu überlegen, ohne dass sie das Gefühl hatte, auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Die Quintessenz dessen, was er sagte, war simpel: er hatte sich nichts gedacht. Er wollte das Kind einfach nur gern behalten, bei sich haben, als seine Tochter großziehen. Er hatte nicht daran gedacht, was für sie beide am besten wäre – ihn selbst und für sie. Und er hatte auch nicht daran gedacht, was für das Kind womöglich am besten wäre. Wenn überhaupt hatte er nur daran gedacht, was er jetzt wollte. Seiana wünschte sich für einen Augenblick, sie könnte es sich so einfach machen. „Ja, aber... was hast du dir vorgestellt?“ wiederholte sie, hilflos, und einen etwas drängenden Unterton in der Stimme. „Willst du sie wirklich als uneheliches Kind aufwachsen lassen?“ Das wäre vielleicht noch eine Option. Für einen Soldaten war das nicht allzu ungewöhnlich, zumal wenn er eine Geschichte in die Welt setzte, dass die Mutter bei der Geburt gestorben war. Trotzdem wüsste dann jeder, dass Kind unehelich geboren war. Und Seiana wollte das nicht. So fremd sie sich dem Kind auch fühlen mochte, so wenig war ihr egal, was mit ihrer Tochter passierte – und dazu gehörte auch und vor allem, dass sie ihr den besten Start verschaffte, der möglich war. Zugleich tat es ihr weh Seneca so zu hören, die Verzweiflung und die Resignation in seiner Stimme, und als er dann zu dem Punkt kam, an dem er von Liebe sprach, von ihren Lebenswelten und dem Heiratszwang, spürte Seiana wie Tränen in ihr aufstiegen. Die Mauer, die in ihrem Inneren war und sie schützte, begann gefährlich zu bröckeln, sie konnte es spüren.
Sie atmete ein paar Mal tief durch. Zu schnell, viel zu schnell anfangs, aber sie bekam es wieder in den Griff, versuchte sich zu konzentrieren. Eins nach dem anderen. „Ich weiß es nicht. Mein Bruder ist noch... noch...“ Ihre Stimme brach. So viel war passiert, und sie saß hier und... redete mit Seneca über Dinge, die sie eigentlich schon längst erledigt geglaubt hatte. Und es wühlte in ihr, wühlte etwas auf, von dem sie gehofft hatte nicht mehr daran rühren zu müssen. Wenn alles so gegangen wäre wie seit Monaten geplant, hätte sie einfach die letzten Details ihres Plans umsetzen müssen und es wäre erledigt gewesen. Sie hätte die Gedanken an das Kind nach und nach komplett verdrängen können, hätte sich nicht mehr damit beschäftigen müssen, nicht mit den Umständen der Geburt, nicht mit ihren Gefühlen, nicht mit dem Kind selbst. Seneca verhinderte all das, und das Resultat davon war, dass Seiana sich so unsicher fühlte wie selten. „Ich will nicht wieder heiraten. Aber ich weiß einfach nicht, was kommt. Ich will sie versorgt wissen, und... ich weiß keinen anderen Weg, der ihr alles bietet. Was sollen wir denn sonst tun, welche Alternativen gibt es dazu denn?“
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Nicht die Reaktion, die Seiana sich gewünscht hätte. Aber die, die sie sich wirklich gewünscht hätte, hätte sie sich wohl nicht einmal in ihren kühnsten Träumen tatsächlich vorgestellt, insofern war es ziemlich genau die Reaktion, mit der sie gerechnet hatte nach dem Verlauf des bisherigen Gesprächs: gar nicht. Er reagierte gar nicht darauf... sagte nichts, gab nicht mal den kleinsten Hinweis, kein Verziehen der Mundwinkel, nicht einmal ein freundlicher oder abweisender Blick. Nur ein Nicken mit denkbar regungsloser Miene. Wäre Seiana nicht so... erschöpft, von der Anspannung, die sie während des ganzen Gesprächs im Griff gehabt hatte ebenso wie von den Strapazen der ganzen letzten Zeit, hätte sie sich vermutlich gedacht, dass selbst sie sich noch etwas von ihm abschauen konnte wenn es darum ging, einfach keine Gefühlsregung nach außen zu zeigen.
Immerhin: es kam auch nichts, was darauf schließen ließ dass das Schicksal ihres Bruders schon in negativer Hinsicht besiegelt wäre. Das war auch schon etwas, und vor allem war es das, womit sie sich zwangsläufig zufrieden geben musste, ob sie wollte oder nicht. „Ich werde in der Casa Decima zu erreichen sein“, erwiderte sie auf seinen Hinweis, dass sie die Stadt nicht verlassen sollte, jedenfalls ging sie davon aus, dass es das war. Aber die Worte hießen zugleich auch, dass sie zumindest theoretisch wohl könnte – dass sie also nicht mehr in die Castra zurück musste, nicht mehr eingesperrt sein würde, und sie war erleichtert deswegen. „Vale, Imperator“, verabschiedete sie sich dann und ging.
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Es. Seiana presste erneut die Lippen aufeinander und dachte daran, dass auch Raghnall schon so komisch darauf reagiert hatte, wenn sie so von dem Kind sprach. Sie musste sich das endlich abgewöhnen... dachte aber gleich schon nicht weiter daran, als Seneca fortfuhr. Sie konnte ein Zusammenzucken nicht unterdrücken. „Du hast dem Kind einen Namen gegeben?“ fragte sie nach, leise, aber irgendwie... ungläubig, fast ein wenig fassungslos. „Hast du... sie aufgehoben?“ Auch wenn nur Sklaven anwesend gewesen wären... wenn Seneca das bestätigte, wenn er das getan hatte, was ein Vater tat, um ein Kind als seines anzunehmen... Seiana konnte es nicht so wirklich fassen. Gleichzeitig fragte sie sich selbst, warum sie eigentlich so überrascht war, dass Seneca sich für das Kind, sein Kind, interessierte. Dass er sich kümmern wollte. Und zwar wortwörtlich: dass er sich kümmern wollte, persönlich, offenbar, wenn er nicht wollte, dass das Mädchen fernab von Rom aufwuchs.
Regungslos saß sie da, hörte sich an was er zu sagen hatte, und versuchte immer noch, es zu fassen, zu begreifen, und einen Weg zu finden wie sie darauf reagieren sollte. Es war alles so viel... und sie hatte das Gefühl, gerade nicht sie selbst zu sein. Sie starrte auf seiner Hand, die auf ihrer lag, und ganz langsam drehte sie die ihre dann um, damit die Handfläche nach oben kam und ihre Finger sich verschränken konnten. Sie brauchte etwas, jemanden, zum Festhalten, kam es ihr vor, aber sie brachte es nicht fertig das laut zu sagen, brachte es nicht fertig ihn zu bitten sie zu halten. Sie hatte Angst davor, welche Schleusen das öffnen würde wenn sie das zugab, und erst recht wenn er es tatsächlich tat, hatte Angst, dass sie dann zusammenbrechen würde. „Das... ich will nur dass e... sie“, verbesserte sie sich und verwünschte sich selbst, weil ihre Stimme zitterte, „ein gutes Leben hat. Ein Leben als Römerin, das ihr später alle Chancen bietet.“ Und sie wusste nicht, ob sie mit dem Gedanken leben könnte, dass ihre Tochter hier in Rom war, so nah bei ihr... eine ständige Erinnerung daran, wie sie versagt hatte, diesmal als Mutter. Und das womöglich ohne die Möglichkeit sie öfter zu sehen, ohne die Möglichkeit, etwas davon wieder gut zu machen. Dazu zu lernen und es besser zu machen, wenn ihr das gelang. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du... dass du...“ Sie machte eine vage Geste in Richtung der Wiege und räusperte sich wieder, versuchte den Kloß in ihrem Hals, der plötzlich da war, weg zu bekommen. Und brach schließlich ab und stellte eine andere Frage, weil sie nicht vorwärts kam. „Was hast du dir vorgestellt?“
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Selbst für sie war es nicht allzu schwer zu merken, dass Seneca verwirrt war von ihrem Verhalten, und sich vielleicht auch zurückgewiesen fühlte – was sie um keinen Preis wollte, eigentlich. Im Gegenteil, sie sehnte sich nach seiner Nähe. Aber sie wusste auch nicht wirklich, wie sie sich verhalten sollte, was richtig war, wie sie es fertig bringen konnte, einfach... normal zu sein. Sie presste die Lippen aufeinander und starrte für Momente einfach vor sich auf die Tischplatte, bevor sie wieder aufsah – selbst verblüfft wie er. Was sollte sie schon damit meinen? „Nun... gut haben. Ich kann es nicht zu mir nehmen, das geht nicht...“ Nicht als ihr Kind. Nicht einmal als Decima, weil es Fragen aufwerfen würde... sollte das Mädchen eines Tages wieder nach Rom kommen, würde sie älter sein müssen, deutlich älter, denn je mehr Zeit vergangen war, desto weniger Fragen würden gestellt, sondern die Geschichte einfach hingenommen werden. Jetzt ging es also nicht, es sei denn das Kind kam als Peregrina ins Haus, mit seiner Mutter, als Bedienstete... und das wollte Seiana nicht. „Das Mädchen wird als Römerin aufwachsen, und ich werde dafür sorgen, dass sie alles hat was sie braucht.“ Seiana räusperte sich.
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Seiana stand da... weiterhin einfach nur da, wie lange genau, hätte sie nicht sagen können. Sie war endlich wieder daheim, aber obwohl sie unglaublich erleichtert war, konnte sie sich im Augenblick scheinbar nicht einmal wirklich darüber freuen. Sie fühlte sich... merkwürdig taub. All das war einfach zu viel, das Gespräch mit dem Kaiser, die Zeit im Carcer, all das was davor passiert war...
Die Sklaven ließen sie in Ruhe, schienen nicht recht zu wissen was sie mit ihr anfangen sollten, und so wurde Seiana aus ihrer Starre erst heraus gerissen, als Varenus auftauchte und sie ansprach. Seiana brauchte einen Moment, aber dann sie auf, erkannte ihren Verwandten. Sie holte tief Luft, fast wie eine Ertrinkende, als das taube Gefühl in ihr plötzlich nachzulassen und eine Flutwelle an Emotionen auf sie einzustürmen begann. „Varenus“, wisperte sie, und sie machte eine Bewegung, als wollte sie auf ihn zugehen und ihn umarmen. Ihre Familie. Sie konnte gar nicht ausdrücken, was es ihr bedeutete, wieder hier sein zu können, ihre Familie wieder sehen zu können. „Es tut so gut dich zu sehen.“ Seiana holte erneut tief Luft. „Wie... wie geht es dir?“