Beiträge von Quintilia Flava

    Flava lächelte Drusus zu und setzte dann einen der Steine in die Mitte. Das war wohl der langweiligste aller Anfänge, aber auch der sicherste und Flava musste Drusus erst einmal einschätzen.


    „Drusus“, fiel ihr dann eine recht wichtige Frage ein. „Wenn wir Valerian in Rom schreiben wollen... Wie müssen wir den Brief denn dann adressieren? Wo wohnt er denn dort?“

    Beim Tempelbezirk angekommen sah Flava sich staunend um. Die Größe der Tempel war immer wieder einschüchternd, man fühlte sich selbst noch kleiner, als ohnehin schon als kleine Frau. Flava sah sich suchend um, wusste jedoch nicht genau wohin. Sie hatte noch nie in einem Tempel geopfert, zumindest nicht selbst, wenn dann hatte sie nur zugesehen, und die Tempel hier kannte sie überhaupt nicht.


    Mit fragendem Blick wandte sie sich an Lando. „Wohin?“ Sie flüsterte unwillkürlich und kam sich gleich lächerlich vor, wenn auch immer noch etwas eingeschüchtert.

    Flava musste wegen Landos Worten wider Willen kurz Lachen, auch wenn es eher wie ein seltsames Schluchzen klang, sie lächelte danach zumindest ansatzweise. Sie nahm seine Hand, ehe er sie wieder ganz sinken lassen konnte und hielt sie fest. Ihre Finger wirkten winzig im Gegensatz zu seinen, drückten die seinen jedoch sachte. Bittend sah sie ihn nun an.


    „Würdest du mich auch zum Tempel begleiten?“


    Sie wollte den Göttern ein Opfer darbringen. Einmal für all ihre Brüder und zum anderen für Narcissa, dass sich die Schwestern in diesem Leben noch mal treffen würden. Inzwischen war sie fest davon überzeugt Narcissa so lange nicht für tot halten zu dürfen, bis sie zumindest deren Grabstein gesehen hatte. Dann würden sie sich auch sicher wieder sehen! Aber alleine traute sie sich irgendwie nicht zu den Tempeln zu gehen.

    Flava hatte Iuba kaum gekannt, hatte kaum noch Erinnerungen an ihn, und doch zog sich alles in ihr zusammen als sie zu dem Gräberfeld kamen. Sie drückte Landos Hand fester, dankbar, dass er sie nicht losgelassen hatte und ließ sich von ihm zögernd zu dem entsprechenden Grab führen. In der richtigen Reihe vor dem entsprechenden Grabstein, wies Lando sie noch einmal darauf hin. Wieder verstärkte sich kurz Flavas Händedruck, ehe sie sich von Lando löste und ein paar kleine Schritte nach vorne ging, um dort langsam in die Hocke zu sinken.


    Sie berührte den Grabstein und las den Namen ihres Bruders. Wieder kamen ihr die Tränen, doch waren diese nicht ganz so bitter, wie noch vorhin. Sie verharrte ein paar Momente, die Hand auf dem Grabstein, den Kopf gesenkt und versuchte sich an die gemeinsame Zeit zu erinnern.
    Nach einer Weile küsste Flava ihre Handinnenfläche und drücke diese dann auf den Grabstein, ehe sie sich wieder erhob und sich die Tränen von dem Gesicht wischte.


    „Ich kann mich erinnern, wie er mich am Zopf zog und wie er mir die Puppe wegnahm. Das ist so lange her.“ Sie sprach mit einem wehmütigen Lächeln und spürte einen kleinen Stich im Herzen, ehe sie sich zu Lando umdrehte und schlich sagte: „Danke“ Sie wusste selbst nicht, wofür genau sie ihm dankte, ob dafür, dass er sie hierher geführt hatte, oder dafür, dass er bei ihr war. Doch sie hatte einfach das Gefühl ihm danken zu müssen.

    Flava hatte zwar keine Ahnung, wer oder was diese Nornen waren, aber Landos Worte beruhigten sie etwas. Vielleicht lebte Narcissa noch. Flava klammerte sich an diesen Gedanken und würde ihn wohl erst loslassen können, wenn sie die Leiche ihrer Schwester sah. Sie schloss die Augen und genoss die kleinen Streicheleinheiten die sie von Lando bekam und machte sich momentan deswegen überhaupt keine Gedanken. Dann sprach Lando wieder und Flava hörte ihm still zu. Ja, irgendwann würden sie sich sicher wiedersehen. Oder sie war schon hier, bei ihr. Beides war irgendwie tröstlich.


    Sie hatte noch immer die Augen geschlossen, als Lando sich zu ihr herunter beugte. Sie spürte, wie er ihre Tränen fortwischte und öffnete die Augen. Überrascht sah sie wie nah Lando ihr war und in die Angst und die Traurigkeit mischte sich wieder dieses seltsame Kribbeln im Bauch. Sie nickte langsam. Sie wollte sehen, wo ihr großer Bruder lag, aber gleichzeitig wäre das auch endgültig, und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren würde. Doch die Gewissheit war wohl besser, und sie musste sehen, wo er lag, sie musste es einfach, auch wenn sich etwas in ihr dagegen sträubte.

    Wie von selbst drehte sich Flava Lando zu, als dieser neben ihr stand, und vergrub ihr Gesicht in dem Stoff an seiner Brust. Die Tränen tropften auf die Tunika und ließen den Stoff, dort wo sie auftrafen dunkler werden. Sie hielt sich an Lando fest und weinte um die große Schwester, mit der sie als sie beide Kinder waren so viel Spaß hatte.


    Es dauerte eine ganze Weile, und der eine oder andere herzzerreißende Schluchzer bahnte sich doch noch seine Bahn, dann ließ das Zittern ihrer Schultern jedoch langsam nach und auch die Tränen versiegten. Wenn auch nicht die Trauer.


    Sie löste sich zögernd und vorsichtig von Lando, wagte es nicht ihm dabei ins Gesicht zu sehen und wischte sich beinahe brutal mit dem Handrücken die nassen Wangen.


    „Ich... wir...“, Flava räusperte sich und flüsterte dann: „Ich hab sie nie als Frau gesehen, das letzte Mal als ich sie sah, waren wir beide noch Kinder. Ich dachte... ich hoffte... dass ich vielleicht nach Rom...“ Sie brach ab und wischte sich die neu aufkommenden Tränen weg.


    „Könnte sie noch..?“, wieder brach Flava ab, sah nun jedoch mit roten Augen, noch immer nassen Wangen und roter Nase zu Lando hoch. Verzweiflung und ein Funke Hoffnung stand in ihrem Gesicht geschrieben.

    Flava lauschte immer fassungsloser Landos Worten. Ihre Augen wurden groß und ihr Mund öffnete sich, wie um ihn zu unterbrechen, oder zu widersprechen, ehe sie eine Hand darauf legte, die typische Geste der Entsetzten. Als Lando geendet hatte schüttelte Flava nur den Kopf.


    Sie konnte darauf nichts sagen, konnte es nicht glauben und doch bildete sich ein Klos in ihrer Kehle und ihr traten die Tränen in die Augen. Ihre Tante hatte ihr davon nichts erzählt, hatte sie davon gewusst? Hatte sie vielleicht sogar Kontaktversuche abgehalten? Nein, so grausam war sie nicht! Nie und nimmer!


    Die Tränen kamen nun hervor, liefen Flava über die Wangen und sie senkte den Blick. Inzwischen hatte sich die zweite Hand zu der ersten gesellt und sie bedeckten nun zusammen Mund und Nase, während Flava gegen das Schluchzen ankämpfte, doch ihre Schultern zitterten.

    Flava bekam bei Landos Herumgedruckse ein ziemlich schlechtes Gefühl. So ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend.
    „Was soll sie mir erzählt haben?“, fragte sie widerstrebend, irgendwie wollte sie es gar nicht wissen. Sie blickte Lando kritisch an und wappnete sich, obwohl sie selbst niht genau wusste, für was.

    Flava wollte Lando nicht wiedersprechen, was den Winter anging, und kam eigentlich auch gar nicht dazu, weil er diesen verrückten Sprung von einer Zinne auf die nächste wagte. Flava hielt erschrocken die Luft an, bis Lando wieder sicher saß. Dann begann er von seiner Schwester zu erzählen und Flava musste wieder schmunzeln, das verging ihr jedoch wieder etwas, als er auf ihre Geschwister zu sprechen kam.


    „Ich hatte vier Brüder. Die hab ich nie wirklich kennen gelernt. Und ich hab eine Schwester, Narcissa, sie wohnt so weit ich weiß in Rom bei unseren Großneffen, die jedoch beide älter sind als wir.“
    Sie lehnte den Kopf gegen die Zinne und seufzte leise.
    „Ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen und beinahe genauso lange nichts mehr von ihr gehört. Als unsere Eltern starben verstreute es uns halt in alle vier Winde.“

    „Dann komm ich die Tage hier auf jeden Fall noch einmal vorbei!“, versprach Flava und stand wieder auf und reichte Eila die Hand. Sie lächelte ihrer Gegenüber fröhlich zu und sprach:
    „Hat mich gefreut dich kennen zu lernen und bis bald!“
    Das war wirklich toll, wie schnell man hier Leute kennen lernte. Befand Flava und ihr Lächeln wurde sogar noch eine Spur fröhlicher. Hier in der Stadt war es wirklich toll!

    Wie ernst er heute war. Flava blickte verwundert nach oben, jedoch ohne Lando so sehen zu können. Dann drehte sie ihren Kopf ebenfalls wieder zum Waldrand und nickte. Dann wurde ihr bewusst, dass Lando das wohl nicht sehen konnte und sprach es deshalb laut aus:


    „Ja, da hast du recht. Im Frühling spielt immer alles verrückt.“ Sie konnte jedoch nicht ohne ein Schmunzeln davon reden. „Vielleicht ist es so, weil wir froh sind vom Winter befreit zu werden. Das muss irgendwie gefeiert werden.“ Nicht, dass der Winter nicht auch seinen reiz hatte, aber nach ein paar Wochen Schnee und im Haus bleiben wurde einem die Zeit doch sehr lang und man sehnte sich die warme Zeit wieder herbei.

    Flava versuchte sich grad vorzustellen, wie Valentina wohl auf Verkupplungsversuche reagieren würde, las sie jemand ansprach. Überrascht drehte sie den Kopf zu dem Sprecher und erkannte Lando. Zuerst wusste sie nicht genau, wie sie reagieren sollte, doch ihr Gesicht spiegelte einfach ohne ihre Erlaubnis Landos Lächeln wieder und sie erwiderte ebenfalls:
    „Hallo“
    Sie musterte den Mann vor sich von oben bis unten, machte jedoch keine Anstalten sich irgendwie von dem Platz, wo sie saß, weg zu bewegen. Dann stellte sie scheinbar ohne große Überraschung fest:
    „Du kommst tatsächlich häufig hierher.“

    Flava schüttelte verlegen lächelnd den Kopf.
    „Ich fürchte mit Met kannst du mich momentan jagen. Ich hab erst vor kurzem recht... unschöne Erfahrungen damit gemacht.“
    Sie wollte das nicht unbedingt näher ausführen, wenn es nicht sein musste, aber ihre verlegene Mine sagte schon einiges.
    „Ich will dich aber auch nicht aufhalten. Ich sollte eh zu meiner Cousine zurück. vermutlich wartete sie schon, weil ich ihr versprochen hab heute beim Essen zu helfen.“
    Flava spähte in Richtung der Sonne.
    „Aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne wieder kommen. Es war schön dich zu treffen, und vielleicht darf ich dann ja sogar legal den Garten betreten?“
    Fragend und bittend zugleich sah Flava Eila an, während ihre Augen vorfreudig funkelten.

    Flava hatte keine Ahnung, warum es sie wieder hierher verschlagen hatte, sagte sich jedoch selbst, dass es die schöne Aussicht sein musste. Sie saß zwischen zwei Zinnen auf der Mauer, den Rücken an eine der beiden Zinnen gelehnt und eines ihrer Beine angewinkelt, das andere auf der Innenseite der Mauer, also zum begehbaren Teil hin, baumelnd. Sie war doch nicht so verrückt wie dieser Loki und setzte sich da ganz an den Rand!


    Args und schon wieder waren ihre Gedanken bei Lando angelangt. das durfte doch nicht wahr sein! Aber so ziemlich genau hier hatte sie ihn nun mal beinahe von der Mauer heruntergeschockt, wie er es ausgedrückt hatte. Warum hatte sie sich denn keinen anderen Platz suchen können? Flava haderte mit sich, ob sie nicht aufstehen und woanders hingehen sollte, doch sie wollte nicht. Hier war nun mal die schönste Aussicht, fand sie.


    Sie lenkte ihre Gedanken auf Witjon und Valentina. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie es um Valentina stand, aber wie Witjon sie ansah... Doch da könnte etwas sein! Konnte sie da irgendwie nachhelfen?, fragte sich Flava, ihr Schmunzeln wurde vorfreudig und sie überlegte, wie sie das anstellen konnte.

    „Ja,“ seufzte Flava. „Vor allem, weil ich solche Mühe hatte drei möglichst identische helle und drei möglichst identische dunkle zu finden. Ich sag dir, das hat einen ganzen Nachmittag gedauert!“ Sie schmunzelte leicht wehmütig. Man muss sich angeblich so teure Sachen ja nicht immer kaufen. Und Flava hatte die kurze Zeit, die sie mal mit ihrer Tante am Meer einen Verwandten besuchte, eben mit der Muschelsuche genutzt.
    Gerne gab sie Drusus die dunklen und fragte dann: „Wer fängt an?“

    „Ich hatte es dir ja auch noch nicht gesagt.“, erwiderte Flava mit einem Schmunzeln und dann zuckte sie mit den Schultern.
    „Warum ich es dort nicht mehr aushielt? Ganz einfach. Jeder meiner Schritte war geplant und zwar nicht von mir, sondern von meiner Tante. Mein Tag war durchgeplant, mein ganzes Leben war durchgeplant. Ich bin mir sicher, meine Tante hat sogar schon einen Namen für meine späteren Kinder ausgesucht, von dem Mann mit dem ich sie haben soll, mal ganz zu schweigen.“
    Flava seufzte und richtete sich kurz etwas grader auf.
    „Ich hab keine Ahnung, wie ich meine Tante eigentlich überzeugt hab, dass ich hierher darf, aber ich hab es nach vielem hin und her geschafft... Die Frage ist jetzt nur, wie lange mich meine Tante hier sein lässt. Wir haben da zum Glück keine genaue Zeit ausgemacht.“
    Sie sackte wieder etwas zurück und lächelte Eila zufrieden an.
    „Und ich hoffe, dass es noch sehr lange dauert! Ich find es hier viel schöner!“

    Na auf den Garten konnte man sich aber auch etwas einbilden, dachte sich Flava. Wie er wohl aussah, wenn die Pflanzen hier wirklich zuwachsen begannen, und nicht nur die aller ersten ihre Köpfe aus der Erde streckten? Dann sähe er sicher noch beeindruckender aus.
    „Ich wohne momentan in der Casa Quintilia. Kennst du die? Ist ein bisschen von hier entfernt...“, Flava wusste nicht so recht, wie sie den Standort beschreiben sollte, wenn Eila die Casa nicht kannte. So genau kannte sich Flava hier in Mogontiacum ja noch nicht aus. „Sie ist nicht so groß wie eure, aber urgemütlich. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich fühl mich dort immer sofort pudelwohl.“ Flava lächelte glücklich, ehe ihr Lächeln etwas schief geriet. „Ursprünglich komm ich aber von einem Gut auf dem Land, ich hab bei meiner Tante gewohnt, die mich aufgezogen und erzogen hat. Aber da hab ich es nicht mehr ausgehalten, also bin ich hierher zu meiner Cousine gekommen.“

    Da sagte Eila etwas Wahres, anbeten und existieren war wirklich nicht das Gleiche, wobei sich Flava irgendwie schlecht vorstellen konnte, wie ein Gott existierte, den man nicht anbetete. Aber vermutlich reichte es schon, wenn man ihn fürchtete. Das waren wieder so typisch verwirrende Gedanken, die Flava einfach so kamen, und sie manchmal selbst überraschten. Dennoch musste sie bei Eilas letzen Worten lachen.
    „Ja....“, sprach sie, immer noch breit grinsend. „Da magst du recht haben.“
    Ob sie sich nun auf das anbeten und existieren bezog, oder den letzten Satz, im Bezug auf Lando. Dann wusste sie jedoch nicht mehr recht etwas zu sagen und sah sich noch einmal im Garten um. Wie wickelte dabei den Mantel etwas enger um sich weil der Wind manchmal doch noch recht kühl sein konnte und bewunderte die Frühlingspflanzen.
    „Schön habt ihr es hier!“, seufzte sie und lächelte Eila an.

    „Oh, ja, das passt zu ihm!“, lachte Flava und ließ sich mit einem dankbaren Nicken neben Eila auf die Bank sinken. Das war doch viel bequemer als stehen zu bleiben, auch wenn es sich etwas seltsam anfühlte hier neben dieser eigentlich noch Fremden in deren Garten zu sitzen, den Flava eigentlich ohne Erlaubnis betreten hatte. Aber diese Bedenken schob die junge Römerin rasch beiseite.
    „Aber etwas verwirrt mich, Loki“, Flava musste grinste und verbesserte sich: „also, ich mein natürlich Lando, er hat mir erzählt, dass ihr nur drei Götter anbeten würdet.“
    Sie runzelte kurz die Stirn, während sie eben überlegen musste wie diese noch einmal hießen.
    „Die Göttermutter, Donar und... ach wie hieß er noch gleich... ah ja, ‚bei Wotans Socken’ hatte er gesagt.“
    Flava musste bei der Erinnerung wider Willen schon wieder grinsen.
    „Also, er meinte halt, dass ihr nur diese drei Götter anbeten würdet, wo passt da denn jetzt Loki rein?“