Beiträge von Cassim

    Schweren Herzens möchte ich Cassim vorerst ins Exil schicken. Familiäre Ereignisse und deren Nachwirkungen lassen mir im Augenblick keine andere Wahl. :( Bei allen meinem Mitspielern möchte ich mich bedanken. Ich bitte die Speler um Verständnis, mit denen ich noch offene Threads habe. Vielleicht können wir si irgendwann zu Ende spielen. ;)


    Trotzallem werde ich die Geschehnisse mitverfolgen, so gut es eben geht. Und mit Ahura Mazdas Hilfe werde ich vielleicht auch irgendwann wieder selbst mitschreiben können. ;)


    Machts gut!

    Eines seiner Privilegien, die der Parther wieder zurück erlangt hatte, war die Möglichkeit, die Villa zu verlassen. Zwar geschah dies nicht oft. Doch hin und wieder hatte er Besorgungen zu machen. Etwa wenn es um neuen Lesestoff für seinen Herrn ging. Darin hatte Cassim ein gutes Händchen bewiesen. Er hatte ein Gespür dafür, das Richtige für den Flavier auszuwählen.
    Mit einem Beutel voller Münzen und gepflegt gekleidet war er vor gar nicht langer Zeit losgezogen. Lediglich die Toga fehlte. Ansonsten wäre niemand auf den Gedanken gekommen, es könne sich bei ihm um einen Sklaven handeln.
    Die nächsten Stunden, wollte Cassim dazu nutzen, es sich gut gehen zu lassen. Zuerst wollte er die Bedürfnisse seines Herrn stillen und danach wollte er seine eigenen stillen.
    Es war sehr lange her, seitdem er in den Armen einer hübschen Frau gelegen hatte, die ihn dann auch noch nach allen Regeln der Kunst zufrieden stellte. Noch immer voller Wonne dachte er an die kleine Killikierin, die ihm nicht nur von ihrer Heimat vorgeschwärmt hatte. Längst hätte er ihren Namen vergessen, wenn er denn überhaupt im Eifer des Gefechtes danach gefragt hatte. Damals hatte es viel wichtigeres zu tun gegen, als sich um solche Unwichtigkeiten zu kümmern. Die Kleine hatte ihn an seine Yasmina erinnert, die man zu Hause in Parthia wahrscheinlich längst an einen anderen Mann verscherbelt hatte, den sie nun glücklich zu machen hatte. Das fuchste den Parther so sehr, dass er ganz plötzlich und unerwartet einen parthischen Fluch ausstieß, den natürlich niemand verstand.


    Ungefähr zur gleichen Zeit vernahm er unweit vor sich das wüste Fluchen eines Bettlers, der am Straßenrand saß und einer hübschen jungen Frau Ausdrücke übelster Art nachkeifte.
    Selbstverständlich war er gewillt, der Schönen zu helfen. Das war schließlich eines seiner leichtesten Übungen, zuerst den stinkenden, verlausten Bettler in die Flucht zu schlagen und dann der jungen Dame zu helfen.
    „Verschwinde, du Dreckskerl und belästige gefälligst nicht die jung Dame!“, schrie er, nachdem er sich drohend vor dem Bettler aufgebaut hatte. Dieser bekam es nun doch mit der Angst zu tun und rannte davon, denn Cassim sah nicht gerade wie ein Fliegengewicht aus.
    Dann, als im wahrsten Sinne der Wortes die Luft wieder rein war, wandte er sich der jungen Frau zu.
    „Dir ist hoffentlich kein Leid zugestoßen, meine Schöne! Kann ich dir irgendwie helfen.“ Galant lächelte er ihr zu. Der alte Cassim, einstiger Savaran aus Parthien, war für kurze Zeit zurückgekehrt. Er lebte in der Gestalt des Sklaven Cassim wieder auf.

    Cassims Leben in der Gefangenschaft war ein auf und ab gewesen. Nachdem er am tiefsten Punkt angelangt gewesen war, war er nun wieder auf dem Höhenflug, seitdem er Flavius Gracchus diente. Für die wiedererlangten Annehmlichkeiten hatte er einen hohen Preis gezahlt, welcher außer dem Parhter wohl niemand recht bewusst gewesen war. Er war seinem Stolz verlustig gegangen. Jenem Stolz, der ihn einst zu einem Edlen seines Landes gemacht hatte. Aufrecht und mit gestählter Brust, war es einst an ihm gewesen, über andere zu herrschen. Doch jene goldenen Zeiten waren unlängst vorbei. Nun war er dem Wohlwollen seines Herrn ausgeliefert und um diesem immer gewiss zu sein, tat er alles auf äußerst speichelleckende Art und Weise, damit er Gracchus gefiel. Und nicht nur ihm hatte er zu gefallen, auch allen anderen, die dem Gentilomen Flavia anhänglich waren und Bewohner dieser Villa waren.


    Gerade noch hatte er gedankenzeflossen in die Ferne geschaut und über die glorreichen Tage seiner Freiheit nachgedacht, da wurde er durch ein fürchterliches Gekrächze wieder zurück in die Realität katapultiert. Etwas derartig falsch gesungenes, hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht vernommen. In Parthia hätte man sich solchen Verbrechern am menschlichen Gehörgang auf ganz besondere Weise entledigt: Erst Köpfen, Vierteilen und das was übrig blieb, in siedendheißem Öl frittiert und danach den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Etlichen musisch unbegabten Dilettanten am Hof des Shah in Shah war es so ergangen, dies hatte er zumindest gehört.
    Gänzlich verwirrt und auch keinen Ausweg mehr findend, da dieser Musicus ihn bereits entdeckt hatte, blieb er an Ort und Stelle und musste sich ihm stellen. Leise seufzend stellte er fest, dass es sich auch noch um einen der Flavier handelte. Er schickte ein Stoßgebet zu Ahuhra Mazdah und begegnete dem Flavier lächelnd.
    "Bitte verzeih Herr, ich hörte nur diesen wundervollen Gesang, Da wollte ich sehen, wer da so... Beeindruckt, Herr? Beeindruckt ist gar kein passender Ausdruck dafür! Ich bin überwältigt von deiner göttlichen Kunst! Doch ich bin zu Gering, als dass ich es verdiene, noch länger deinem süßen Gesang zu lauschen, Herr. Wenn du erlaubst, werde ich mich entfernen." Cassim hoffte, sich auf diesem Wege aus der Affäre ziehen zu können, damit er nicht länger Zeuge dieser erschütternden Folter werden musste.

    Dem Tod, sowie einem Leben als Niedrigster der Niedrigsten entkommen zu sein, lebte es sich ganz gut in der Villa der Flavier, sogar für einen Sklaven wie Cassim. Natürlich hatte der Parther einige Abstriche machen müssen. Der Sklaventrakt war beileibe nicht so mondän, wie der der Herrschaft, jedoch weitaus attraktiver als der Pferdestall.
    Er konnte sogar von sich behaupten, wieder eine einigermaßen angemessene Stellung erreicht zu haben. Seitdem Flavius Gracchus ihn nun sein Eigen nannte, hatte das Weiterleben wieder einen Sinn gemacht. Das Leben war ihm auf eine besondere Art wieder versüßt worden. Nur noch im Verborgenen, wenn er gerade nichts zu tun hatte, schweiften seine Gedanken ab, an die Seinen, die die in Parthien noch auf ihn harrten, sofern sie noch am Leben waren. An eine Flucht jedoch, dachte er gewiss nicht mehr. Drei Gefährten hatte er mit seinen absonderlichen Ideen ins Unglück gestürzt. Hannibals Tod am Kreuz war für ihn eine immerwährende Mahnung. Alleinig unter dem Verlust des Falken, dessen Flucht damals als einzigem gelungen war, und der damit verbundenen Arbeit trauerte er noch nach. Die Stunden, in denen er an der Vogelvoliere zugebracht hatte, um mit dem Tier zu trainieren, waren Stunden des vollkommenen Glücks in dieser dunklen Zeit. Dann hatte er sich wieder wie ein freier Mann gefühlt, dessen Gedanken sich nur auf den Falken konzentrierten mussten und sonst nichts.
    Von der Vogelvoliere war nicht viel übrig geblieben. Nur einige abgebrochene Pfahlstümpfe erinnerten daran, dass hier einst der hölzerne Käfig des Falken gestanden hatte.
    Cassim hatte es ursprünglich des schönen Wetter wegen nach draußen in den Garten verschlagen. Instinktiv jedoch war er den alten bekannten Pfad zur Voliere gegangen. Nun verharrte er uns seltsame Erinnerungen, an die er schon lange nicht gedacht hatte, waren im Begriff, wiederzukehren.



    Sim-Off:

    Wer mag? :)

    Es hatte kein Glanz mehr in seiner Stimme gelegen. Die Unbeschwertheit, mit der er Platons Worte wiedergegeben hatte, gehörte der Vergangenheit an. Nur noch der Abklatsch des Natürlichen hing seiner Stimme nach. Gekünstelt, gar gepresst kamen die Sätze. Jeder einzelne glich einer Marter, nicht nur für den Vorleser, auch für den Zuhörer durfte es sich ähnlich verhalten. Und eben dieser bereitete dem Ganzen ein abruptes Ende, nachdem er sich allzu lange die quälende Litanei hatte anhören müssen. Selbstzweifel plagten ihn, einen zu sehr gewagten Text ausgesucht zu haben oder einfach nur die Bemerkungen des Flaviers falschinterpretiert zu haben. Letztlich glaubte er doch zu wissen, sich zu sehr angeboten zu haben. Weniger war eben doch mehr, dies sagte auch schon das Sprichwort.


    Cassim beendete sogleich seine Lesung. Entgeistert lenkte der Parther seinen Blick auf seinen Herrn, nicht nur um seiner Zukunft besorgt festzustellen ob dieser im Zorn sprach auch ein Fünkchen Wehmut lag darin, um der alten Zeiten willen, die für ihn längst vorbei waren und auch nicht wieder kommen sollten. Auch jetzt noch beschlich ihn jenes seltsam anrührende Gefühl, zwar erleichtert zu sein, sich nicht hergeben zu müssen und dennoch meinte er, etwas verpasst zu haben. Jenes seltsame Verlangen, welches er schon einmal im Krieg verspürt hatte, des nächtens, wenn er sich einsam gefühlt hatte. Diese Begierde, die zweifellos mitgeschwungen hatte, sie war jedoch nun vollkommen verebbt und der Beklommenheit gewichen war.


    Verstört und unsicher rollte er die Schrift wieder zusammen, als ihm der Flavier eröffnete, die Lesung werde auf ein anderes Mal vertagt werden. Er war sich dessen nicht gewiss, ob auch er sich selbst nun entfernen sollte. Mit einem Unbehagen erhob er sich von der Kline.
    "Wie du wünschst, Herr. Soll ich nun gehen?", sprach er dann und verneigte sich leicht, um hernach auf die Wünsche seines Herrn zu warten

    Augenblicklich schwand der Anflug des Lächelns auf dem Antlitz des Parthers. Einem Tritt in die Magengrübe ähnelnd mochte es sich für ihn anfühlen, als er die Wortes des Flaviers vernahm, der ihn mittels scharfer Worte wieder dorthin verfrachtete, wohin er gehörte. Er war kein Gleicher unter Gleichen, auch nicht in der trauen Zweisamkeit des cubiculums seines Herrn. Er, der Sklave hatte sich über seinen Herrn erhoben, weil er sich selbst untreu geworden war. Sollte man dies als ein Glücksmoment für den Parther werten, dem es in letzter Sekunde dadurch erspart worden war, sich wie eine Hure selbst darzubieten, nur um der Gunst seines Herren willen? Auch wenn dies zugetroffen hätte, fühlte er sich nun getroffen in seinem Innersten und trat auch äußerlich den Rückzug an. Übereilt senkte er seinen Blick. Er war es nicht wert, länger seinen Herrscher schauen zu dürfen. Wie ein getretener Hund wähnte er sich, der einmal zu viel gebettelt hatte und an seinen Platz unter dem Tisch verwiesen worden war. Er empfand gegenüber sich selbst einen großen Widerwillen. Ekel, vor dem, was aus ihm geworden war. So groß war sein Empfinden, dass der Römer, der ihn gelockt hatte mit seinen verführerischen Anspielungen nicht einmal vordergründiges Ziel seines Golls wurde. Vielmehr gab er sich selbst die Schuld, unachtsam gewesen zu sein und fahrlässig, er der erfahrene Jäger, der er einst gewesen war. Blauäugig hatte er sich in die Falle locken lassen, wie ein ahnungsloser Nager, der sich vom Geruch des Specks hatte anziehen lassen. Die Gefangenschaft machte träge, sie ließ mit der Zeit die einst gestärkten Sinne verkümmern.


    "Verzeih mir meine Vermessenheit, Herr!" Gepresst schienen die Worte zu sein, die um des Pardon willens ausgesprochen worden waren. Wie abgehackt war sein Griff nach der Schriftrolle, um des Befehls seines Herrn nachkommen zu können. Die Augen suchten die Stelle im Text, an der er die Lesung unterbrochen hatte. Weniger beschwingt und unbeschwert, wie er es zu Anfang getan hatte, nahm er die Lesung wieder auf:



    So ungefähr, erzählte Aristodemos, habe die
    Rede des Phaidros gelautet; nach Phaidros aber
    seien einige andere Reden gefolgt, deren er sich
    nicht mehr genau erinnerte; mit Übergehung von
    ihnen teilte er mir daher die des Pausanias mit.
    Dieser habe nämlich folgendermaßen gesprochen:
    Nicht richtig ist uns, wie mich dünkt, lieber
    Phaidros, so schlechthin die Aufgabe gestellt worden,
    den Eros zu preisen. Denn wenn es nur einen
    Eros gäbe, dann wäre dies freilich ganz in der Ordnung;
    nun aber gibt es doch nicht bloß einen.
    Wenn dies aber der Fall ist, dann ist es richtiger,
    zuvor zu bestimmen, welchen man loben soll. Diesem
    Mangel werde ich daher abzuhelfen suchen;
    ich werde zuerst sagen, welchen man loben muß,
    und ihn sodann auf eine Weise loben, wie sie des
    Gottes würdig ist. Wir alle nämlich wissen, daß es
    ohne Eros keine Aphrodite gibt. Gäbe es daher nur
    eine Aphrodite, so würde auch Eros nur einer sein;
    nun gibt es aber deren ja zwei: folglich muß es notwendig
    auch zwei Eros geben. Wie sollte es nämlich
    nicht zwei solcher Göttinnen geben? Die eine
    ist ja die ältere und mutterlose, die Tochter des
    Uranos, welche wir deshalb bekanntlich auch die
    »himmlische« nennen; die jüngere aber ist die
    Tochter des Zeus und der Dione, welche wir ja als
    die »irdische« bezeichnen. Notwendigerweise muß
    nun danach der Eros, welcher der Gehilfe der letzteren
    ist, auch der »irdische« heißen, der andere
    aber der »himmlische«. Freilich sind nun wohl alle
    Götter zu preisen. Welche Aufgabe aber jedem von
    beiden zuteil geworden ist, will ich auszusprechen
    versuchen.
    Mit jeder Handlung verhält es sich folgendermaßen:
    keine ist an sich selbst schön oder verwerflich.
    So zum Beispiel was wir jetzt tun, trinken oder singen
    oder uns unterhalten, - nichts von dem allen ist,
    an sich betrachtet, etwas Gutes und Schönes, sondern
    es wird dazu erst durch die Art der Ausführung;
    auf schöne und richtige Weise ausgeführt,
    wird es zu etwas Schönem, im Gegenteil aber zu
    etwas Verwerflichem. So ist es denn auch mit dem
    Lieben, und nicht jeder Eros ist edel und einer Lobrede
    würdig, sondern nur der, welcher uns antreibt,
    auf eine schöne Weise zu lieben.
    Der Sohn der irdischen Aphrodite nun ist auch in
    Wahrheit irdisch, und es kommt ihm nicht darauf
    an, was er wirkt, und er ist es, in dessen Sinne die
    niedrigdenkenden Menschen lieben. Es lieben nämlich
    solche zunächst ebenso gut Weiber als Knaben;
    sodann aber an denen, welche sie gerade lieben,
    mehr den Körper als die Seele; ferner lieben
    sie die möglichst Unverständigen, indem sie nur
    darauf sehen, zu ihrem Ziele zu gelangen, unbekümmert
    darum, ob auf eine edle Weise oder nicht.
    Daher begegnet es ihnen denn auch, hierin zu handeln,
    wie es sich gerade trifft, bald gut und bald
    umgekehrt. Es stammt ja dieser Eros auch von der
    Göttin her, welche viel jünger ist als die andere und
    in ihrer Abkunft sowohl am Weiblichen als am
    Männlichen teilhat. Der andere aber stammt von
    der himmlischen, die erstens nicht teil hat am
    Weiblichen, sondern nur am Männlichen ( - und
    von ihm stammt daher auch die Knabenliebe - ),
    sodann auch die ältere und jeder Ausgelassenheit
    fremde ist. Deshalb wenden sich denn auch die von
    diesem Eros Beseelten dem männlichen Geschlechte
    zu, indem sie das von Natur Kräftigere und Verständigere
    lieben. Und man kann auch bei der Knabenliebe
    selbst leicht die rein von diesem Eros Getriebenen
    unterscheiden; denn sie lieben nicht Kinder,
    sondern erst die, welche schon zu Verstande
    kommen; dies fällt aber ungefähr mit der Zeit des
    ersten Bartwuchses zusammen. Es sind nämlich
    diejenigen, welche von diesem Zeitpunkte ab zu
    lieben beginnen, wie ich meine, dazu entschlossen,
    mit ihrem Geliebten für das ganze Leben vereinigt
    zu bleiben und dasselbe gemeinsam mit ihm zu
    verbringen und nicht trügerisch seine unverständige
    Jugend zu überrumpeln und ihn dann hinterher zu
    verlachen und in die Arme eines andern zu entfliehen.
    Es müßte daher auch Gesetz sein, keine unreifen
    Knaben zu lieben, damit nicht so viel Mühe
    aufs Ungewisse hin vergeudet würde; denn bei den
    Kindern ist es noch ungewiß, wohin ihre weitere
    Entwicklung an Seele und Körper im Guten oder
    Schlimmen zuletzt ausschlagen wird. Die Edelgearteten
    nun legen sich zwar selber freiwillig dieses
    Gesetz auf; man müßte aber auch den sinnlichen
    Liebhabern dasselbe aufzwingen, so wie wir sie ja
    auch nach Kräften zwingen, sich mit ihrer Liebe
    von freigeborenen Frauen ferne zu halten. Denn
    diese sind es auch, welche jene Schande über die
    Knabenliebe gebracht haben, daß man es hat
    wagen können, zu behaupten, es sei schimpflich,
    seinen Liebhabern zu Willen zu sein. Man behauptet
    dies nämlich nur im Hinblick auf diese und ihr
    ungehöriges und unredliches Verfahren, da doch
    wohl keine Handlung, wenn sie auf eine anständige
    und rechtliche Weise ausgeführt wird, mit Recht
    einen Tadel verdienen dürfte.
    So ist auch die in bezug auf die Liebe herrschende
    Sitte in andern Staaten leicht zu begreifen;
    denn ihre Bestimmungen sind nur einfach; hier aber
    und in Lakedaimon sind sie verwickelt. In Elis
    nämlich und bei den Boiotern und überhaupt da,
    wo die Leute nicht gewandt im Reden sind, da hat
    es die Sitte einfach festgestellt, es sei schön, seinen
    Liebhabern zu Willen zu sein, und keiner, weder
    jung noch alt, dürfte es dort für schimpflich erklären,
    damit sie, denke ich, bei ihrem Unvermögen
    zum Reden sich nicht erst die Mühe zu machen
    brauchen, die Jünglinge zu überreden. In Ionien dagegen
    und an vielen anderen Orten, soweit die
    Herrschaft der Barbaren reicht, gilt es für schimpflich.
    Denn die Barbaren halten dies infolge der unumschränkten
    Gewalt, mit der sie beherrscht werden,
    für schimpflich, und ebenso das Streben nach
    Ausbildung des Geistes und Körpers. Denn den
    Herrschern, sollte ich denken, gereicht es nicht zum
    Nutzen, wenn höhere Einsicht und feste Freundschaften
    und Verbindungen unter den Beherrschten
    entstehen, was vor allen andern Dingen die Liebe
    hervorzurufen pflegt. Das haben durch die Tat auch
    unsere einheimischen Gewaltherrscher erfahren;
    denn die Liebe des Aristogeiton und die zur festen
    Freundschaft gewordene Gegenliebe des
    Harmodios stürzten ihre Herrschaft. Wo es daher
    die Satzung als schimpflich festgestellt hat, dem
    Liebhaber zu Willen zu sein, da liegt dies an der
    niedrigen Gesinnung derer, bei denen sie es festgestellt
    hat, nämlich an dem Eigennutz der Herrscher
    und der Feigheit der Beherrschten: wo es aber ganz
    einfach für löblich erklärt wird, da liegt es an ihrer
    Geistesträgheit. Unsere hiesige Sitte ist dagegen
    viel schöner, nur, wie gesagt, nicht leicht zu verstehen.
    Denn man erwäge nur, daß es für schöner gehalten
    wird, öffentlich zu lieben als heimlich, und
    zwar vorzüglich die Edelsten und Besten, wenn sie
    auch viel häßlicher sind als die anderen, und daß
    ferner dem Liebhaber eine ganz ungemeine Aufmunterung
    von allen zuteil wird, gar nicht als ob er
    etwas Schändliches tue, und daß es für schön gilt,
    den Geliebten für sich zu gewinnen, und für
    schimpflich, ihn nicht zu gewinnen, und daß die
    Sitte dem Liebhaber verstattet hat, zur Erreichung
    dieses Zweckes unter allgemeiner Billigung wunderliche
    Dinge zu begehen, die, wenn jemand sie
    bei der Verfolgung und Ausführung irgend eines
    anderen Zweckes in Anwendung bringen wollte,
    die größten Vorwürfe einernten würden; denn wenn
    er, um Geld von jemandem zu erlangen oder Ehrenstellen
    oder sonstigen Einfluß, dergleichen tun
    wollte wie die Liebhaber gegen ihre Geliebten, demütige
    und flehentliche Bitten an sie zu richten,
    ihnen Eide zu schwören, des Nachts vor ihren
    Türen zu liegen und zu jedem sklavischen Dienste,
    wie kein wirklicher Sklave, bereit zu sein: so
    würde er von Freunden und Feinden hiervon zurückgehalten
    werden, indem diese ihm Kriecherei
    und knechtische Gesinnung vorwerfen, jene aber
    ihn zurechtweisen und sich in seine Seele hinein
    schämen würden; dem Liebenden aber steht dies
    alles wohl an, und es wird ihm von der Sitte zugestanden,
    dies ohne Schande zu tun, wegen der Herrlichkeit
    des Zieles, welches er dadurch zu erreichen
    sucht; was aber das Stärkste ist, so sind, wie man
    wenigstens insgemein behauptet, seine Eidschwüre
    die einzigen, deren Übertretung sogar von den Göttern
    verziehen wird: denn ein Liebesschwur, sagt
    man, sei gar keiner; so haben die Götter und Menschen
    dem Liebenden alle mögliche Freiheit gestattet,
    wie unsere hiesige Sitte besagt. Nach dieser
    Seite hin möchte man demnach glauben, daß es für
    schön in unserer Stadt gelte, zu lieben und den
    Liebhabern sich zu befreunden. Sofern aber die
    Väter durch die Erzieher, welche sie Ihren Knaben
    geben, es verhindern, daß ihre Liebhaber mit ihnen
    ein Gespräch anknüpfen, indem es dem Erzieher
    zur Pflicht gemacht ist, hierauf zu sehen, sofern
    überdies ihre Altersgenossen und Freunde sie
    schmähen, wenn sie sehen, daß dennoch so etwas
    vorkommt, und die Älteren diese hieran nicht hindern
    noch ihnen vorhalten, daß sie mit Unrecht tadelten,
    - wenn jemand dies andererseits ins Auge
    faßt, dann möchte er wiederum glauben, daß dergleichen
    hier für das Allerschändlichste gälte.
    Es verhält sich nun aber, denke ich, hiermit so:
    Auch dies ist, wie ich schon anfänglich bemerkte,
    einfach, an sich betrachtet, durchaus weder schön
    noch schändlich, sondern auf eine schöne Weise
    ausgeführt, ist es schön, im Gegenteil aber schändlich.
    Auf eine schimpfliche Weise geschieht dies
    nun aber, wenn man einem Schlechten und auf eine
    schlechte Art zu Willen ist, auf eine schöne Weise
    dagegen, wenn einem Edelgesinnten und auf schöne
    Art. Schlecht aber ist jener sinnliche Liebhaber,
    welcher den Körper mehr als die Seele liebt. Denn
    ein solcher ist auch nicht beständig, da er ja auch
    nicht etwas Beständiges liebt; denn zugleich mit
    dem Hinschwinden der Blüte des Leibes, welche er
    liebte, eilt auch er von dannen und macht alle
    seine Reden und Verheißungen zuschanden. Der Liebhaber eines edelgearteten Gemütes aber verharrt
    zeitlebens, da er sich ja mit dem Bleibenden
    verschmolzen hat. Unsere Sitte nun will, daß man
    hiernach die Liebhaber wohl und reiflich prüfe und
    nur denen der ersteren Art zu Willen ist, die der
    letzteren aber meide. Darum ermuntert sie die Liebhaber
    zum Verfolgen, die Geliebten aber zum Fliehen,
    indem sie so im Kampfe richtet und erprobt,
    zu welcher von beiden Gattungen der Liebende
    sowie der Geliebte gehören. So wird es denn aus
    diesem Grund zuvörderst für schimpflich gehalten,
    sich schnell zu ergeben, damit es nicht an Zeit
    fehle, welche ja am besten das meiste erproben
    soll. Ferner gilt es für schimpflich, sich für Geld
    oder aus Rücksicht auf den Einfluß im Staate zu ergeben,
    gleichviel ob man nun dabei aus Furcht vor
    Gewalttätigkeiten sich beugen und mutigen Widerstand
    aufgeben oder aber im Hinblick auf Wohltaten
    an Geld oder in der Unterstützung seiner politischen
    Absichten nicht widerstreben möge. Denn
    nichts von diesem allem kann als sicher und bleibend
    angesehen werden, abgesehen davon, daß
    hieraus nicht einmal eine hochherzige Freundschaft
    entstehen kann. So bleibt denn nach unserer Sitte
    nur ein Weg, wenn der Liebling auf eine schöne
    Weise dem Liebhaber zu Willen zu sein gedenkt.
    Wie es nämlich bei den Liebhabern nicht für Kriecherei
    und Schmach galt, den Lieblingen jeglichen
    Sklavendienst freiwillig zu erweisen, so bleibt nach
    unserer Sitte nur noch eine einzige andere Sklaverei
    übrig, welche keine Schande bringt, und dies ist die
    um der Tugend willen.
    Es herrscht nämlich bei uns die Ansicht, wenn
    jemand einem andern dienen will, weil er durch ihn
    in der Weisheit oder irgend einem andern Stücke
    der Tugend fortschreiten zu können glaubt, daß
    diese freiwillige Dienstbarkeit nicht schimpflich
    und keine Kriecherei ist. Diese beiden in der Sitte
    begründeten Ansichten, die über die Knabenliebe
    und die über die Philosophie und sonstige Tüchtigkeit,
    muß man daher in eins zusammenbringen,
    wenn die Willfährigkeit des Geliebten gegen seinen
    Liebhaber als etwas Löbliches erscheinen soll.
    Wenn nämlich Liebhaber und Liebling beide einander
    mit der gleichen Ansicht entgegenkommen:
    jener, man leiste den Lieblingen, die einem zu Willen
    sind, jeglichen Dienst, den man ihnen gewähre,
    mit Recht, und dieser, daß man dem, welcher uns
    weise und tugendhaft macht, zu jeder möglichen
    Willfährigkeit verpflichtet sei, und zwar so, daß
    dabei jener wirklich vermag, zur Weisheit und sonstigen
    Tugend beizutragen, dieser aber auch wirklich
    in Beziehung auf Bildung und Weisheit zu gewinnen
    begehrt; wenn also dergestalt diese beiden
    Seiten der Sitte in eins zusammentreffen. - dann allein
    tritt der Fall ein, in welchem es löblich für den
    Geliebten ist, seinem Liebhaber zu Willen zu sein,
    sonst aber nimmer. Bei einer solchen Absicht ist es
    auch nicht einmal etwas Schimpfliches, getäuscht
    zu werden; bei jeder andern aber hat man Schande
    davon, mag man nun getäuscht werden oder nicht.
    Wenn zum Beispiel jemand seinem Liebhaber, weil
    er ihn für reich hält, des Reichtums wegen zu Willen
    ist und sich dann hinterher getäuscht sieht und
    kein Geld bekommt, weil der Liebhaber sich als
    arm erweist, so mindert diese Täuschung die
    Schande nicht; denn ein solcher scheint, soviel an
    ihm selbst liegt, zu erkennen zu geben, daß er für
    Geld dem ersten besten sich zu jedem beliebigen
    Dienste hergeben würde; dies aber ist nicht schön.
    Aus demselben Grunde ist dagegen, wenn jemand
    seinem Liebhaber zu Willen ist, weil er ihn für gut
    hält und selber durch die Freundschaft mit ihm besser
    zu werden hofft, und sich dann dabei getäuscht
    sieht, indem sich zeigt, daß jener schlecht ist und
    keine Tugend besitzt, dennoch diese Täuschung ehrenvoll;
    denn es scheint wiederum auch dieser für
    seinen Teil offenbart zu haben, daß er der Tugend
    wegen und um besser zu werden einem jeden zu
    jedem bereit wäre; dies ist aber wiederum das
    Schönste von allem. So ist es denn in jedem Falle
    schön, der Tugend wegen sich zu ergeben. Dies ist
    die Liebe, welche von der himmlischen Göttin
    stammt und selbst himmlisch und von hohem
    Werte für den Staat wie für den Einzelnen ist,
    indem sie den Liebenden zwingt, viel Sorgfalt auf
    seine eigene Tugend zu verwenden, und ebenso den
    Geliebten; alle andern Arten der Liebe aber entspringen
    von der anderen Göttin, der irdischen.
    Dies, lieber Phaidros, ist es, was ich dir aus dem
    Stegreife über den Eros zu bieten habe.

    Ein wenig überstürzt griff der Parther zu seinem Becher. Verwirrt über seine eigenen Gedankengänge, gepaart mit Konfusion der ganzen Situation, in der er sich, für seinen Teil doch recht plötzlich, befand, leere er den Rest seines Bechers in einem Zug. Unglücklicherweise blieb Gracchus´ Anweisung ob der Fortsetzung seiner Lesung aus. So gerne hätte er sich nun hinter Platons Worten versteckt, ohne dabei sein eigenes Antlitz preisgeben zu müssen. Cassim glaubte, alleine schon mit dem Gedanken an seinen Jugendfreund mehr über sich preisgegeben zu haben, als ihm eigentlich lieb war. Selbst denn, wenn er es sich immer wieder soufflierte, der Römer könne ganz ausgeschlossen keine seine Gedanken nicht lesen, fand er keinen Weg, er selbst zu sein und diese innere Anspannung einfach abzustreifen. Cassim suchte nach Auswegmöglichkeiten, sich all dem zu entziehen. Jedoch fand er sich immer wieder nur auf dem Präsentierteller liegend, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Eventualität zur Flucht gab es nicht, keine jedenfalls, die seine wiedererlangten Privilegien mit einem Schlag zunichte gemacht hätten. Es war gleich einem Spiel, welchem er sich in seiner frühesten Jugend mit besonderer Passion hingegeben hatte und auch in seinem späteren Leben, war das Jagen für ihn eine solche Passion geblieben. Der einzige Unterschied bestand nun darin, dass man die Rollen getauscht hatte. Ihm war nun die ungewohnte Rolle des Gejagten zuteil geworden. Fatal war nur, dass er darin keinerlei Erfahrungen hatte, wie das Rebhuhn sich fühlte, bevor es vom Fuchs gepackt wurde.


    Der Flavier indes, so schien es anfangs, wollte wieder auf den vertrauten Pfad zurück kehren, und sich des platonischen Gastmahls auf rein literarischem Wege nähern, ganz so, wie es Cassim ursprünglich und fern jedes Hintergedankens geplant hatte. Temporär zeichnete sich auch Entspannung auf dem Parther ab. Wäre es nicht zu vermessen gewesen, so hätte er einmal tief durchgeatmet. Doch schon mit Gracchus´ Fortführung, verabschiedete sich dieses Gefühl wieder. Die Blicke der beiden Männer, des Herrn und seines Sklaven, trafen sich. Warum nur, beschlich es den Sklaven plötzlich, wie diese klebrig-süßsaftige Dattel zu sein, mit einem Mandelkern gespickt, die ganz genießerisch, auf den Höhepunkt wartend, zwischen Gracchus´ Lippen verharrte, bis sie in seinen Mund gesogen wurde,um dann verspeist zu werden? Um die Delikatesse noch abzurunden, goss er noch etwas Wein hernach, doch etwas hastig, wie sich herausstellte. Die lippenleckende Zunge des Römers und dann auch noch diese ominöse Frage nach Cassims Standpunkt waren es schlussendlich, die Cassims Körper anspannen ließ. Dies wäre nun die Gelegenheit für das Rebhuhn gewesen, den todbringenden Pranken des Fuchses zu entschlüpfen. Doch aufgrund seines Unvermögens, wusste der Parther seine Chance nicht zu nutzen. Was nun folgte, mochte jedem Außenstehenden als pure Eigennützigkeit erscheinen. Der Parther hatte an seinen neuen Privilegien Gefallen gefunden und war nicht willens, diese so schnell wieder zu verlieren. Drum wollte auch er auch seinem Herrn gefallen. Nicht dass er am Ende wie ein unattraktives Spielzeug in die Ecke geworfen wurde. Was der Preis dafür war, darüber mochte er sich nicht den Kopf zerbrechen. Der stolze Kataphrakt von einst existierte eh schon lange nicht mehr.
    "Mein Standpunkt? Ich respektiere diejenigen, die dieser Neigung anhängen. Nichts was zwischen zwei Menschen geschieht, seien es nun Mann und Frau oder Mann und Mann ist unnatürlich, denn jeder von uns ist doch Teil der Natur." Mit dieser Aussage hatte sich Cassim sehr weit hinausgelehnt, mehr als er in früheren Zeiten gewillt gewesen wäre. Die Zeiten aber änderten sich. Einiges jedoch blieb, so die These, Angriff sei die beste Verteidigung. So griff er ebenfalls in die Schüssel mit den gespickten Datteln, nachdem er sich noch etwas Wein nachgeschenkt hatte und tat es dem Römer auf gleiche Weise nach.
    "Anfangs war es für mich verwirrend, da es so divergent war, als der Beischlaf mit einem Weib. Doch als ich es zuließ, trieb es mich in schwindelnde Höhen. Dies liegt nun schon einige Jahre zurück. Doch ich erinnere mich noch genau daran. In diesen Dingen bin ich noch etwas unerfahren, du solltest Nachsicht mit mir haben und mir ein guter Meister sein." Die Mundwinkel des Parthers zogen sich dezent nach oben, während sein Blick dem des Gracchus weiter Stand hielt, ganz und gar nicht so, wie es für einen Sklaven gebührlich gewesen wäre.

    Mit verschränkten Armen, an eine Wand gelehnt, verfolgte der Wirt die ganze Angelegenheit. Einige der wenigen Gäste hatten sich in gebührendem Abstand um ihn herum versammelt und taten es ihm gleich. Ein einzelner witzelte über den Parther, der so mir nichts dir nichts wie ein Stück Papyrus aus der Taverne gefegt worden war.
    Der Wirt hatte sein Augenmerk gar nicht mehr auf den Nubier geworfen. Es war ja wohl augenscheinlich genug, was in seiner Taverne mit Radaubrüdern, wie dem Parther geschah. Jedoch als er merkte, dass jemand ihn ansprach, rückte blitzschnell sein Augenpaar in die Richtung, aus der der Einwurf kam - in Cimons Richtung. Mit einem vielsagenden, abschätzigen Blick bedachte er den Schwarzen, ehe er dazu überging, auf das, was der Nubier gesagt hatte, einzugehen. Die Tatsache, dass es sich bei den beiden um Sklaven handelte, ließ den Wirt ganz und gar unbeeindruckt.
    "Was ist mit dir Bürschchen? Ich hör ja wohl nicht richtig, was? Verzieh dich zu deinem Freund nach draußen, aber schnell! Sonst..."
    In der Zwischenzeit war der Kraftprotz wieder in die Taverne zurückgekehrt. Draußen hatte er zuvor noch auf den am Boden liegenden Parther eingetreten, damit der nicht noch einmal auf dumme Gedanken kam. Wie es schien, war nun auch der Nubier an der Reihe, der sich mit dem Wirt auf Diskussionen eingelassen hatte.
    "Gibt´s Ärger, Herr?", brummte er zur Überraschung aller. Der Kraftprotz war nicht unbedingt für seine Redefreudigkeit bekannt, eher für seine schlagkräftigen Argumente, die er, ohne länger darüber nachzudenken, einfach austeilte.
    "Ja, begleite unseren Gast nach draußen zu seinem Freund. Und wenn´s sein muss, rede ihm seine Flausen aus." Über seine eigene Wortwahl mehr als belustigt, johlte der Wirt und wandte sich dann den umstehenden Gästen zu. "Was ist? Los, setzt euch wieder, die Schau ist vorbei!"
    Indessen packte der Hüne den Nubier am Arm, um ihn nach draußen zu begleiten.

    Den Schichtungsversuchen des Nubiers zum Trotz erschien plötzlich aus einem Nebenraum hinter dem Thresen ein mit Muskeln bepackter Hüne, der scheinbar nur auf solch eine Gelegenheit gewartet hatte. Mit grinsender Mine schritt er selbstbewusst auf den Parther zu, der den Eindruck machte, reichlich benebelt zu sein. Eines war Sonnenklar, reden oder sogar zuhören gehörte nicht zu seinem Metier. Daher boxte er Cassim ohne Vorwarnung einmal kräftig in den Unterleib, so dass der vollkommen überrascht nur hilflos nach Luft schnappen konnte und in die Knie ging. Der Parther hatte keine Chance gehabt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und die Arme schützend um seinen Leib haltend, versuchte er erst gar nicht mehr aufzustehen. Dazu fehlte ihm einfach die Kraft und auch die Kontrolle über seinen Körper.


    Belustig sah der Wirt dem Kraftprotz zu, wie er dem parthischen Maulhelden eins verpasst hatte. Das war ganz nach seinem Geschmack. Als von Cassim keine Gefahr mehr auszugehen schien, richtete der Wirt das Wort an den Nubier. "Ihr verschwindet sofort aus meiner Taverne, nicht erst, wenn ihr euren Wein getrunken habt. Deinem Freund hier ist sowieso der Appetit verloren gegangen, wie mir scheint. Also raus hier!" Daraufhin packte der Hüne den Parther am Kragen und zerrte ihn hinaus auf die Straße, wo er im Drecklache liegen blieb. Dem Nubier überließ er es selbst, den Weg nach draußen zu finden.

    Die einzige Möglichkeit, die Trauer und der mit ihr einhergehende Verlust zu verschmerzen, sah Cassim im Wein. Auch wenn man diesen nur schwerlich als solchen bezeichnen konnte. Das saure Gebräu erinnerte eher an schlechten Essig. Jedoch verfügte er immer noch über die Fähigkeit, die Sinne des Parthers langsam zu vernebeln und selbst die mahnenden Worte des nubischen Freundes drangen nur unzureichend an des Parthers Ohr. Erst als der Nubier sich anstellte und Cassim vom Trinken abhalten wollte, sah dieser reichlich verdutzt zu Cimon auf. An sich wollte der Parther keineswegs auf die Bitte des Nubiers eingehen. Was bildete der sich eigentlich ein! Ein Sklave! Das langverdrängte Gefühl, welches ihn früher überkommen hatte, wenn er sich selbst durch die bloße Anwesenheit eines Sklaven gestört fühlte, überkam ihn. Der Zorn, den er verspürte, drohte ans Tageslicht zu entweichen. Noch hatte er sich unter Kontrolle. Doch irgendwann konnte er dem nicht mehr standhalten.
    "Was fällt dir ein! Du bist nicht in der Position, mir vorzuschreiben, wann ich genug habe und wann nicht, Sklave!" Der Parther errötete vor Zorn und wurde von Mal zu Mal lauter. So laut, dass selbst der Wirt wieder erbost zu ihnen hinübersah und mit einer drohenden Geste zu ihnen hinüber rief:
    "Hee, wenn ihr euch streiten wollt, dann werfe ich euch auf der Stelle hinaus!"
    Auf Widerworte, gleich von wem sie stammten, hatte der Parther nur gewartet. Die Herausforderung annehmend, erhob er sich und wandte sich dem Wirt zu. Abschätzig besah er ihn. Nur ein weiterer dreckiger Römer!
    "Ach ja? Dann komm doch! Fass mich an und ich zeige dir, was es heißt, sich an einem parthischen Kataphrakten zu vergreifen!"
    Noch war der Parther in der Lage, aufrecht und ohne zu straucheln zu stehen, während der Wirt ihn reichlich verwirrt begaffte.
    "Was für einer? Kata-was? Jetzt reicht's aber! Raus mit euch!" Mit einer eindeutigen Geste, wies der Wirt zur Tür.

    So sehr der Parther Platons Symposion auch schätzte, kam ihm die Pause, die ihm durch die Frage des Flaviers gewährt wurde, sehr gelegen. So viel und so lange zu sprechen, war er einfach nicht gewohnt. Drum setzte er sogleich noch einmal den Becher an, um daraus zu trinken. Jedoch suchte sich die mundende Flüssigkeit den falschen Weg, was ihn zu husten veranlasste. Dies war beileibe kein Versehen. Vielmehr war es eine Reaktion, heraufbeschworen durch die delikat anmutende Frage des Gracchus.
    Cassims Augenmerk waren auf den Römer gerichtet. Wie ertappt kam er sich vor, obgleich er sich nichts zu Schulden hatte kommen lassen. Niemals! Niemals? Vielleicht hatte er ein oder zweimal mit dem Gedanken gespielt, sich dieser Neigung auch nur ansatzweise zu nähern . Doch hatte er diesen verruchten Gedanken schnell wieder verworfen. Ein Ereignis jedoch, welches schon Jahre zurücklag und dessen er sich nur sehr ungern erinnerte, war ganz plötzlich wieder präsent. Einer seiner besten Jugendfreunde hatte sich dieser Neigung verschrieben. Schon als Jüngling hatte dieser ihn zu locken versucht, was er jedoch, bis auf dieses eine Mal abwehren konnte. Die jungen Parther hatten sich in ihrer Heimatstadt vergnügt, wobei auch reichlich Wein geflossen war. Völlig enthemmt waren sie sich näher gekommen. Der Freund hatte ihn geküsst. Doch bei einem Kuss war es an jenem Abend nicht geblieben...
    Cassim selbst war in der Tradition seines Glaubens erzogen worden, die die gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern verurteilte. Obschon er alleine des Freundes wegen, diejenigen, die sie praktizierten, nicht verteufelte.
    Während des Krieges hatte er in manchen Nächten lange wachgelegen , da er von Heimweh, insbesondere von Verlangen gepackt worden war. Wenn dieses Bedürfnis zu stark geworden war, hatte er durchaus mit dem Gedanken gespielt, sich die ersehnte Wonne anderenorts zu suchen. Jedoch war es ausgeschlossen, sich mit den eigenen Männern einzulassen, da sonst seine Autorität in Frage gestellt würde, so glaubte er. Und mit den gefangenen Römern, sofern er mit solchen in Berührung kam, hielt er ebenso für ausgeschlossen. Schlussendlich verwarf er diese schändlichen Gedanken wieder. Das Dilemma endete schlussendlich immer damit geendet, dass er selbst Hand an sich legte.
    "Es... es wird nicht gern gesehen. Ähm, das Beisammensein mit den eigenen Geschlecht. Dennoch findet diese Neigung auch in Parthien Verbreitung. Zumindest unter den Männern." Ausgerechnet jetzt hatte er das Bild seines Jungendfreundes so deutlich vor Augen, wie seit Jahren nicht mehr. "Wie... äh, wie es unter den Frauen bestellt ist, kann ich nicht sagen." Sein letzter Satz versetzte ihn nun vollständig in Verwirrung, denn er veranlasste ihn zudem noch über die Frage nachzudenken, was seine eigenen Frauen wohl taten, wenn er fernab der Heimat war und er ihnen nicht beiwohnen konnte.

    Nun jammerte er auch schon wie ein Weib! Schämen sollte er sich! Sich so gehen zu lassen! Wo blieb nur seine Ehre! Ehre? Nein, die war ihm verlustig gegangen, in dem Moment, als sie Hannibal ans Kreuz hängten. Spätestens aber als er vor Gracchus niedergekniet war. Von dem Standpunkt aus betrachtet, spielte es jetzt auch nur eine untergeordnete Rolle, ob er hier saß und jammerte oder sich bis zur Bewusstlosigkeit betrank. Es klang wie Hohn, was er soeben dem Nubier erzählt hatte. Vergangenheit und Gegenwart trifteten so weit auseinander, so dass von dem parthischen Edelmann nicht mal mehr ein kleines Reststück übriggeblieben war. Das Bild der Gegenwart zeigte Cassim, den Sklaven, der, wenn er den Worten Cimons Glauben schenkte und ein guter Sklave würde, eines Tages damit rechnen konnte, wieder freigelassen zu werden. Ein guter Sklave! Bei diesen Worten sträubte sich alles in ihm. Glücklicherweise hatte ihn der Alkohol noch nicht so enthemmt, sonst wäre seine Reaktion eher cholerischer Natur gewesen. So blieb der Parther beherrscht, lächelte sogar, wenn auch gepeinigt, über die Verwunderung des Nubiers.
    "Ja, du hast richtig gehört, drei Frauen! Und ich hatte… ich habe Kinder, um genau zu sein fünf." Diese waren natürlich nicht nur von einer Frau, wobei ihm seine Dritte, die Liebste war.
    Cimons Los wurde aber auch ganz offensichtlich, dem es bisher nicht vergönnt gewesen war, eine Familie zu gründen und auch dessen Frage nach Cassims Sklavin, ließen den Parther nachdenklich werden. Wenn er sich nun, selbst als Sklave fragte, wie er seine Leibeigenen behandelt hatte, musste er sich eingestehen, dass er keinen Deut besser gewesen war, als die Flavier oder jedes andere herrschaftliche Geschlecht Roms. Sinn und Zweck eines Sklaven war es nun, über ihn bestimmen zu können, ihn dazu zu zwingen, Dinge zu tun, die man selbst nicht bewerkstelligen wollte.
    "Also aus der Sicht des Sklavenhalters hätte ich wohl geantwortet, ein guter und gerechter Herr gewesen zu sein… doch wenn ich es nun aus der Perspektive des Sklaven betrachte… würde ich ein solches Leben als ungerecht empfinden. Du denkst jetzt sicher, ich habe es nicht anders verdient. Vielleicht hast du damit recht!" So setzte er ein weiteres Mal an, auf das der Alkohol ihn langsam betäuben mochte.

    Im Grund war diese Erklärung ja ganz einleuchtend gewesen. Wer von Kindesbeinen an Anhänger dieser Religion war, wuchs hinein in den Glauben und dessen Kulte und wusste am Ende genau, wen er wann anzurufen hatte. Cassim nickte verständig. Gewissermaßen war die nicht anders, wie auch in seiner Kultur. Man begann als Kind die Religion der Eltern kennenzulernen und festigte sein Wissen über die Jahre, bis es zu einer Art Reifeprüfung kam, in der man zeigte, dass man nun den Alten ebenbürtig war.
    Gewiss barg dieses Thema noch Möglichkeiten für endlose Diskussionen. Erst recht wenn man sich fragte, welche Religion wohl die bessere war. Obgleich man in diesem Fall auf keine objektive Antwort hoffen konnte, weder von dem Römer noch von dem Parther, denn keiner von beiden würde sich freiwillig vom Standpunkt, seine Religion sei die beste überhaupt, entfernen wollen.
    Vom eigentlichen Thema, dem Symposion des Plato nämlich, war das Gespräch inzwischen weit abgeschweift, was es aber deswegen nicht uninteressanter gemacht hatte. Ganz im Gegenteil, dem Parther gefiel es, sich nach langer Zeit auch über diese Fragen des Lebens Gedanken zu machen. Es ließ ihn zeitweise sogar vergessen, was sein Los war. Wenn auch die Beziehung mit dem Römer niemals eine wahrhaft freundschaftliche sein konnte, so hegte er doch Sympathien für ihn.


    Schließlich genoss er noch einen kleinen Schluck vom verdünnten Wein, bevor es wieder die Schriftrolle ergriff und sein Augenpaar zu der Stelle führte, wo er stehengeblieben war. Was nun folgen sollte, war die Preisung des Eros durch den jungen Phaidros.


    Damit waren denn auch alle anderen einverstanden
    und verlangten dasselbe wie Sokrates. An alles
    nun, was ein jeder redete, erinnerte sich schon Aristodemos
    nicht mehr genau, und ich wiederum
    nicht mehr an alles, was er mir erzählte; was aber
    und wessen Rede mir am meisten bemerkenswert
    erschien, diese Reden will ich euch einzeln berichten.
    Zuerst also, wie gesagt, erzählte er, habe Phaidros
    gesprochen und habe seine Rede ungefähr
    damit begonnen, daß Eros ein großer Gott sei und
    bewundernswert unter Menschen und Göttern sowohl
    aus vielen andern Gründen, als auch namentlich
    wegen seiner Herkunft. Denn daß er zu den ältesten
    Göttern gehört, sprach Phaidros, gereicht
    ihm zu einer besondern Ehre. Hierfür dient aber
    dies zum Beweise: Eltern des Eros gibt es weder,
    noch werden dergleichen bei irgend einem Schriftsteller
    in gebundener oder ungebundener Rede erwähnt;
    sondern Hesiodos sagt, zuerst sei das Chaos
    gewesen,
    ... aber nach diesem
    Ward die gebreitete Erd', ein dauernder Sitz den
    gesamten
    Ewigen...
    Eros zugleich...
    Er sagt also, diese beiden seien zuerst nach dem
    Chaos entstanden, die Erde und Eros: Parmenides
    aber schreibt von der zeugenden Urkraft:
    Unter allen den Göttern zuerst ersann sie den Eros
    Dem Hesiodos stimmt aber auch Akusilaos bei.
    Von so vielen Seiten her stimmt man darin überein,
    daß Eros einer der ältesten Götter sei. Als einer der
    ältesten ist er uns aber zugleich Urheber der höchsten
    Güter. Denn ich wüßte kein größeres Gut für
    den Menschen gleich in seiner Jugend zu nennen,
    als einen edelgesinnten Liebhaber, und wiederum
    für den Liebhaber seinen Geliebten. Denn was den
    Menschen, welcher sein Leben schön und würdig
    zubringen will, durch sein ganzes Leben leiten
    muß, das vermögen ihm weder Verwandtschaft,
    noch Ehrenstellen, noch Reichtum, noch irgend
    etwas anderes in dem Maße zu gewähren wie die
    Liebe. Was meine ich aber damit? Die Scham vor
    dem Schimpflichen und das wetteifernde Streben
    nach dem Würdigen und Schönen; denn ohne diese
    vermag weder ein Staat noch ein Einzelner Großes
    und Schönes zu vollbringen. Ich behaupte nun
    nämlich, daß ein Mann, welcher liebt, wenn er
    dabei betroffen würde, daß er etwas Schimpfliches
    täte oder von jemandem erlitte, indem er sich aus
    Feigheit nicht dagegen verteidigte, keinen so
    großen Schmerz darüber empfinden würde, von
    seinem Vater oder seinen Freunden oder von sonst
    jemandem dabei erblickt zu werden, als von seinem
    Geliebten. Eben dasselbe sehen wir aber auch bei
    dem Geliebten, daß er vor allem sich vor seinen
    Liebhabern schämt, wenn er bei etwas Schimpflichem
    erblickt wird. Ließe es sich daher ins Werk
    setzen, einen Staat oder ein Heer aus lauter Liebhabern
    und Geliebten zu bilden, so ist gar nicht zu
    denken, wie ein Staat im Innern besser verwaltet
    werden könnte, als wenn alle seine Bürger sich
    alles Schimpflichen enthalten und im Wetteifer
    zum Guten einander überbieten; aber auch im gemeinsamen
    Kampfe würden die so Verbundenen,
    selbst in geringer Zahl, ich möchte sagen, alle
    Menschen besiegen. Denn ein liebender Mann
    würde es gewißlich höher aufnehmen, von seinem
    Geliebten erblickt zu werden, wie er aus den Reihen
    wiche oder die Waffen wegwürfe, als von allen
    übrigen Menschen, und würde einen vielfachen
    Tod dieser Schande vorziehen. Oder gar den Liebling
    zu verlassen und ihm nicht beizustehen in der
    Gefahr, - so feige ist kein Mensch, den Eros selbst
    nicht begeistern sollte zur Tapferkeit, so daß er
    dem gleichkommt, der der Mutigste von Natur ist;
    kurz, was Homeros sagt, daß ein Gott diesem oder
    jenem Helden Mut eingehaucht habe, das gewährt
    Eros den Liebenden allen.
    Ja, sogar für einander zu sterben sind die Liebenden,
    und nur sie, bereit, und zwar nicht bloß
    Männer, sondern auch Frauen. Hiervon gibt auch
    die Tochter des Pelias, Alkestis, ein hinreichendes
    Zeugnis vor allen Hellenen zugunsten meiner Behauptung,
    indem sie allein für ihren Mann sterben
    wollte, da er doch Vater und Mutter hatte, welche
    sie vermöge ihrer Liebe so sehr an Zärtlichkeit
    überbot, daß sie dadurch jene ihrem Sohne fremd
    und nur dem Namen nach angehörig erschienen
    ließ. Und in der Tat schien sie denn auch hiermit
    nicht bloß den Menschen, sondern auch den Göttern
    ein so schönes Werk vollbracht zu haben, daß
    diese, obwohl sie unter den vielen, welche viele
    rühmliche Taten ausführten, doch nur einer geringen
    Anzahl die Ehre gewährten, ihre Seele wieder
    aus dem Hades zu entlassen, trotzdem die ihrige
    entließen aus Bewunderung ihrer Tat. So ehren
    auch die Götter den Eifer und die Tüchtigkeit im
    Dienste der Liebe vor allem. Den Orpheus aber,
    den Sohn des Oiagros, schickten sie unverrichteter
    Sachen aus dem Hades zurück, indem sie ihm ein
    Trugbild seines Weibes zeigten, um deretwillen er
    kam, sie selbst ihm aber nicht gaben, weil es
    schien, als habe er sich weichlich gezeigt - denn er
    war ja ein Zitherspieler - und nicht den Mut gehabt,
    für seine Liebe zu sterben wie Alkestis, sondern es
    nur zu veranstalten gesucht, lebend in den Hades
    zu kommen. Dafür bestraften sie ihn denn auch und
    ließen ihn den Tod durch Weiberhand finden; wogegen
    sie wiederum den Achilleus, den Sohn der
    Thetis, hoch ehrten und ihn auf die Inseln der Seligen
    versetzten, weil er trotz der Belehrung seiner
    Mutter, daß er sterben müsse, wenn er den Hektor
    tötete, während er nach der Heimat zurückkehren
    und ein hohes Alter erreichen würde, wenn er ihn
    nicht tötete, dennoch es kühnlich vorzog, als Helfer
    und Rächer seines Liebhabers Patroklos nicht etwa
    bloß für ihn zu sterben, sondern sogar dem Toten
    in den Tod zu folgen. Deshalb bewunderten die
    Götter ihn ganz besonders und ehrten ihn vor allen,
    weil er seinen Liebhaber so hoch achtete. Aischylos
    aber faselt, wenn er den Achilleus zum Liebhaber
    des Patroklos macht, da doch der erstere viel schöner
    war nicht allein als Patroklos, sondern auch als
    alle anderen Helden, auch noch bartlos, dazu auch
    viel jünger, wie Homeros bezeugt. In der Tat nämlich
    ehren die Götter zwar überhaupt eine solche
    Tugend im Dienste der Liebe aufs höchste; noch
    höher jedoch bewundern und erheben und belohnen
    sie es, wenn der Geliebte dem Liebenden, als wenn
    der Liebende dem Geliebten sich anhänglich erweist.
    Denn der Liebhaber ist göttlicherer Art als
    der Liebling, denn er ist der Gottbegeisterte.
    Darum ehrten sie auch den Achilleus höher als die
    Alkestis, indem sie ihn auf die Inseln der Seligen
    versetzten. So behaupte ich denn also, daß Eros
    unter den Göttern der älteste und ehrwürdigste und
    am meisten imstande sei, den Menschen zur Erwerbung
    der Tugend und Glückseligkeit zu verhelfen
    im Leben und im Tode...

    Nachdem sein Becher geleert war, ergriff der Parther erneut den Krug und goss sich nach. Dieses Gesöff war zwar nicht nach seinem Geschmack, doch es betäubte zeitweilig den Schmerz. Der Nubier gab sich erdenklich große Mühe, ihn zu besänftigen, oder gar zu trösten. Er hatte gut reden.
    "Nein, man kann nichts mehr daran ändern. Doch für mich ist es lange noch nicht vorüber. Solange ich des Nachts das Gesicht meines sterbenden Freundes vor mir sehe, dessen Tod ich verschuldet habe." Wieder folgte ein großer Schluck. Cassim schmeckte gar nicht mehr die unangenehme Säure des Weines. Der Alkohol überdeckte alles. Deprimiert starrte er vor sich hin und lauschte Cimons Vorschlag. Jedoch war das, was er sagte, für den Parther inakzeptabel. Niemals konnte er sich damit arrangieren, Sklave zu sein, Leuten hörig zu sein, die seine Feinde waren.
    "Ich bin Cassim, ältester Sohn des Surenas aus dem Hause Parwaz. Ich gehöre einer alten, angesehenen Familie an, die treu dem Shah in Shah dient. Ich bin Herr über das Anwesen meiner Familie und deren Ländereien. Mir unterstehen eine Vielzahl von Sklaven. An dem Tag, an dem ich in den Krieg gezogen bin, ließ ich meine drei Frauen und meine Kinder zurück. - Ich bin kein Sklave, Cimon und ich werde mich auch nie damit abfinden, einer zu sein. Alles andere wäre Verrat an meinem Land, meiner Familie und an mir selbst." Als der Parther seine Stimme erhob, sah der Wirt leicht irritiert zu ihnen hinüber. In seinem Gesicht war ablesbar, was er von ihnen hielt. Elendes, versoffenes Gesocks! Wehe, wenn sie ihre Zeche nicht zahlten.
    Der Parther indes begann mit einem Mal zu schluchzen. Hatte er nicht längst schon Verrat begangen, als er vor Gracchus niedergekniet war, um dessen Gunst zu erringen? Machte er sich nicht tagtäglich neu zum Verräter, indem er alles unternahm, um seinem Herr zu gefallen? Nein, den Cassim, der er geglaubt hatte, zu sein, gab es nicht mehr!

    Der Wirt, ein wahrlich schmieriger Geselle, schritt reichlich unmotiviert zu dem Tisch, an dem die beiden Männer Platz genommen hatten und stellte dort den Wein und die Becher ab. Abschätzig musterte er den Nubier und den Parther, bevor er wieder verschwand.
    Cassim goss sich den Wein ein. Der Nubier tat es ihm gleich und wartete augenscheinlich, auf dass sie miteinander anstoßen konnten. Dies tat nun auch der Parther und nahm danach gleich einen großen Schluck, als wolle er damit seinen Gram hinunterspülen. Es war keine besonders gute Qualität, doch dieser musste genügen.
    Dann traf sein Blick wieder den Nubier. Cassim spürte, dass dessen Gutmütigkeit ehrlich gemeint war. Seit langem wieder hatte sich jemand gefunden, mit dem er über alles sprechen konnte. So wie damals Hannibal, der für seinen Drang nach Freiheit sein Leben lassen musste.
    "Er hatte allen Grund dazu, grausam zu sein.", entgegnete er Cimon. "Wir hatten seine Frau als Geisel genommen. Das war so nicht geplant. Es war ein dummer Zufall. Sie hatte uns überrascht, als wir aufbrechen wollten. Was hätten wir sonst tun sollen? Hätten wir sie zurückgelassen, hätten wir es nicht einmal zur Stadt hinaus geschafft."
    Cassim sah zu Boden. Mit Epicharis´ Geiselnahme hatte ihr Schicksal seinen Lauf genommen.
    "Nein, ich werde nicht mehr fliehen. Ich habe Schande auf mich geladen und verdiene es nicht besser. Ich bin nur ein elender Sklave, dazu verdammt in der Fremde sein erbärmliches Leben zu fristen." Daraufhin leerte er seinen Becher in einem Zug. Nur mit Alkohol war dieses Los auf Dauer zu ertragen.

    Für den Nubier mochte Cassims Dasein recht undurchsichtig wirken. Er war zeit seines Lebens Sklave gewesen, als solcher geboren, keinem feindlichen Land zugehörig und nichtsahnend, was Freiheit bedeutete. Wie sollte er also verstehen? Der Parther war nach seiner Flucht in mehrfacher Hinsicht gebrandmarkt worden.
    "Nach meiner Flucht hat der Flavier jedem Sklaven Repressalien angedroht, der sich mit mir fraternisiert. Kein gutes Wort, nicht einmal ein freundlicher Blick. Nur die, die sich von mir abwenden, sollen es gut haben. Inzwischen hat der Flavier Rom zwar verlassen und hat mich seinem Vetter übereignet, doch ist die Furcht der Sklaven immer noch groß. Deshalb ignorieren sie mich bestenfalls und beäugen mich misstrauisch bei allem, was ich tue."Der Parther war im Begriff, die Taverne zu betreten, als ihn die Frage des Nubiers erreichte. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit. Bei der Erwähnung des Zeichens, verspürte er ein Stechen in seinem Nacken. Intuitiv führte er seine Hand an die Stelle, an der sich die Brandmarkung befand. Inzwischen war sie verheilt und nur noch selten tastete er nach ihr. Cassim hatte versucht, mit ihr zu leben. Doch nun, da der Nubier ihn auf die Existenz des Zeichens wieder hinwies, war alles wieder anders geworden. Als ob er einen Geist erblickt hätte, starrte er Cimon nur für einen Augenblick an. Dann betrat er schweigend die Taverne.
    Wider seiner Erwartung war dies kein besonders ansprechender Ort. Die Taverne wirkte heruntergekommen und es roch muffig. Doch sie musste genügen, da seine Mittel nicht überschwänglich groß waren.
    "Einen Krug Wein und zwei Becher für uns!", rief er dem Wirt zu, nachdem er sich an einen der Tische gesetzt hatte und dem Nubier mit einer Geste bedeutete, es ihm gleichzutun.
    Cassims Blick hatte sich verfinstert, jedoch nicht, weil er mit dem Nubier haderte. Es war nur die Thematik, die ihm zu schaffen machte.
    "Ist schon gut! Wir können gerne darüber sprechen. Du möchtest den Grund dafür wissen, weshalb ich es trage? Der Flavier hat es mir nach meiner Flucht einbrennen lassen. Es sollte eine Warnung an mich sein. Falls ich noch einmal davonlaufen sollte, erwartet mich das Kreuz." Die Worte des Parthers kamen ruhig und gleichmäßig. Nichts deutete auf seine wahren Gefühle hin. Er hatte sich im Griff. Noch...

    Diesmal gelang es dem Flavier, den Namen besser zu artikulieren, so dass es selbst dem Allmächtigen wohlgefällig gewesen wäre. Die Spur eines marginalen Lächelns zeugte denn auch von der Akzeptanz des Parthers.
    Wie es wohl für jemanden sein musste, der an dem Irrglauben festhielt und eine Vielzahl von Göttern anbetete? Für jedes Sujet einen anderen Gott. Das konnte leicht Verwirrung schaffen. Am Ende betete man noch den Falschen an! Nein, nein, Cassim war sich in dieser Sache sicher, niemals würde er sich dazu verleiten lassen, seinem Gott abzuschwören, oder ihn gar zu verleugnen. Lag nicht genau in der Einzigartigkeit Ahura Mazdas seine Stärke begründet?
    Mit einem gewissen Unbehagen dachte er an den Abend zurück, an dem er mit Aristides im Tempel dieses Götzen gewesen war. Damals hatte er noch so etwas wie Sympatie für den Flavier gehegt, die zweifellos nach dem kläglichen Ende seiner Flucht und dem was danach geschehen war, komplett zum erliegen gekommen war. Der Flavier hatte für den Beistand des Gottes beten wollen, da er beabsichtigt hatte, sich am Tag darauf mit seiner Frau zu vermählen. Alle möglichen Opferutensilien hatte Cassim für ihn herbeigeschafft, damit Aristides das Wohlwollen seines Gottes sicher sein konnte. Damals hatte sich Cassim sogar dazu hinreißen lassen, darüber nachzudenken, was den Gott des Römers besonders milde stimmen konnte. Seitdem hatte er es vermieden, mit den römischen Göttern näher in Kontakt zu geraten.


    Die Frage des Gracchus, die nun folgerichtig kommen musste, erstaunte den Parther keineswegs. Ob es ein Universalgott in solch delikaten Angelegenheiten wie der Liebe, sei sie nun fleischlich oder platonisch, schaffen würde, allem gerecht zu werden, so konnte Cassim dies nur bejahen.
    "Da Ahura Mazda der Schöpfer aller Dinge auf Erden ist, so obliegt ihm auch die Liebe. Deshalb würde ich ihm zu Ehren einen Hymnus darbringen, Herr." Der Parther griff nach seinem Becher und trank einen weiteren Schluck, damit ihm, falls er nun mit der Lesung fortfahren sollte, die Kehle nicht eintrocknete. Doch eine Frage lag ihm auf der Zunge, etwas, was er sich schon seit Jahren gefragt hatte, was er allerdings nie tatsächlich erfragt hatte.
    "Verzeih mir meine Frage, Herr, doch wie kann man bei einer Vielzahl an Göttern, wie ihr sie habt, immer genau wissen, wen man in welcher Situation anzubeten hat?"

    Den Weg zurück zum Markt hatten die beiden Sklaven fast schon zur Gänze zurück gelegt. Das Getümmel um sie herum nahm merklich zu. Der Parther mochte schon seit jeher keine großen Menschenansammlungen. Darum sah er sich nach einer Taverne um, in die sie einkehren konnten. Dabei hörte er dem Nubier fortwährend zu.


    "Ich habe zu danken, Cimon! Nicht du. Ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, ein Geschenk für dieses römische Fest zu fertigen. Seitdem man mich nach Rom gebracht hat, schlägt mir nur Hass und Verachtung entgegen. Ich bin nun mal der Feind. Verstehst du? Deshalb ist dein Geschenk etwas besonderes."
    Cassim lächelte.


    Endlich tat sich eine Taverne vor ihnen auf. Nicht die allerbeste, doch eine Taverne. Der Parther hielt an, nicht nur weil der Nubier ihm eine Frage gestellt hatte. Eine Frage von persönlichem Belang, das liess den Parther neugierig werden.
    "Selbstverständlich darfst du das! Worum geht es?" Er blickte gespannt in das Gesicht des Nubiers und wartete auf dessen Frage.
    "Wenn es dir recht ist, lass uns in die Taverne gehen. Bei etwas Wein lässt es sich besser erzählen," fügte er noch an.

    Was konnte die Quintessenz einer Diskussion über Religion sein, die ein Römer uns sein parthischer Sklaven führten? Vertreter zweier Völker, die selbst in der Frage des Glaubens nicht unterschiedlicher hätten sein können. Dem Römer gereichte es zum Vorteil, Herr über den Sklaven zu sein, was diesen wiederum in arge Bedrängnis führte. Denn dieser konnte keineswegs die Ansichten des Gracchus teilen, die er soeben geäußert hatte. Römische Legionen, die Kultur und Frieden brachten! Dass er nicht lachte! Ha! Wer hatte denn schlussendlich die Grenzen überschritten und somit einen Krieg herausgefordert? Römische Legionen brachten keinen Frieden. Sie brachten nur Tod, Zerstörung und Sklaverei. Der Parther hatte mit sich zu kämpfen, sein Empfinden nicht nach außen zu tragen, auch wenn ihm die Widerworte bereits auf der Zunge lagen. Doch so leichtsinnig wollte er seine neugewonnenen Privilegien nicht gleich wieder aufs Spiel setzen. Was zweifellos geschehen würde, trüge er nun seine eigene Meinung vor.


    Bei näherer Betrachtung, kam sich der Parther dabei sehr schäbig vor, sich dies anhören zu müssen und aus reiner Eigennützigkeit heraus nichts dagegen sagen zu können. Ganz recht, er war jetzt wahrhaftig ein Sklave geworden, der kriechend und speichelleckend am Rockzipfel seines Herrn hing und alles dafür tat, ihm zu gefallen, wirklich alles.


    So schwieg nun Cassim und machte ein ausdrucksloses Gesicht dazu, als würde alles an ihm abperlen. Innerlich jedoch brodelte es, nicht nur über das Gesagte, auch über sein Unvermögen und seinen Verlust von Ehre.
    Allenfalls nach der Frage des Gracchus gebot sich der Parther selbst, sich wieder zu äußern.
    "Ahura Mazda, Herr," berichtigte er ihn vorsichtig. "Er ist der Herr des Lichts, Schöpfer der Welt und der Menschen und ein unendlicher Quell der Weisheit. Mit Verlaub, Herr, für parthische Zungen gestaltet sich die Aussprache des Namens des Allmächtigen als weitaus unkomplizierter."
    Wenig Glorifizierung klang in den Worten des Parthers mit, als er über seinen Gott sprach, was keineswegs darin begründet war, dass er kein gläubiger Anhänger desselben mehr war, sondern lediglich eine Vorsichtsmaßnahme darstellen sollte, um den Römer keinen Vorwand zu liefern, ihn in Ungnade fallen zu lassen.