Amneris' Laune war auch am heutigen Tage nicht die beste. Im Grunde genommen befand sie sich etwa auf einer Höhe mit dem Hades, seit sie sich von Celeste hatte überreden lassen, deren neuen "Arbeitgeber", beziehungsweise dessen Vergangenheit genauer unter die Lupe zu nehmen.
So kam es, dass sie sich am Ende dieses sonnigen Tages, der so gar nicht zu ihrer Stimmung passen wollte, zum einzigen Anhaltspunkt aufgemacht hatte, den Celeste ihr genannt hatte. Das namenlose Lupanar beim Venustempel. Missmutig der Sonne entgegen blinzelnd blieb sie vor dem Gebäude stehen, in das sich zu dieser Tageszeit naturgemäß eine Großzahl an Kundschaft hinein bewegte. Würde sie nichts von den Angestellten erfahren, so fand sich vielleicht ein 'alter Freund', der ihr ein wenig weiterhelfen konnte.
"Das Mädel hat dich ziemlich um den Finger gewickelt, was?", grinste ihr Begleiter Crinix sie an. Crinix war seit langen Jahren ein... Kollege und Freund der Nubierin, jemand, der ihr absolutes Vertrauen genoss. Aus diesem Grund hatte sie ihn gebeten, sie zu begleiten, wollte sie doch tunlichst vermeiden als aufgeschlitzte Leiche im Tiber zu enden. Schließlich würde es seine Gründe haben, dass der Decimer einst unter einem anderen Namen gelebt hatte. Nichtsdestotrotz funkelte sie den Muskelberg neben sich nun böse an. Da ihr jedoch keine rechte Erwiderung einfallen wollte - schließlich entsprach seine Äußerung ja den Tatsachen - zischte sie nur:
"Halt die Klappe!" und verschränkte einem trotzigen Kind gleich die Arme. Crinix kicherte leise - ein Geräusch, das bei seiner Statur mehr als lächerlich wirkte - und beließ es dabei.
Minuten verronnen, Freier und Huren kamen und gingen, lediglich Amneris und ihr Begleiter verharrten an Ort und Stelle.
"Sollten wir nicht reingehen?"
"Vermutlich."
"Warum tun wir es dann nicht?"
"Mpf..."
Es folgte abermals das Geräusch, das so gar nicht zu Crinix passen wollte.
"He, die brauchst du nicht, wir haben genug eigene lupae.", empfing der Türsteher die beiden Einbrecher auf Abwegen.
"Sie ist keine lupa, sie ist Kundin.", erwiderte Crinix, der bei diesem Auftrag offensichtlich mehr Spaß hatte, als Amneris, die ihn finster anfunkelte.
"Was?", echote der Türsteher und zog beide Augenbrauen in die Höhe.
"Glaub mir, sie kann zahlen."
"Also ich weiß nicht..."
Nachdem ein Säckchen mit Sesterzen den Besitzer gewechselt hatte schienen die Bedenken schließlich zerstreut, Gallier und Nubierin durften eintreten. Amneris war überrascht. Positiv überrascht, hatte sie sich bislang Lupanare doch als düstere, stinkende und dreckige Löcher vorgestellt. Hier war es, sah man von der durch viele Menschen bedingten stickigen Luft einmal ab, eigentlich recht angenehm. Nunja, kein Ort den sie unbedingt zweimal aufsuchen wollte, aber es hätte wesentlich schlimmer sein können.
"Da gehts lang.", ließ Crinix sich vernehmen und ging zielstrebig den Korridor entlang, der in den Schankraum führte.
"Wie oft warst du denn schon hier?"
"Ein, zweimal vielleicht..."
Nun war es an Amneris zu grinsen. Sicher, ein, zweimal...
Im Schankraum selbst empfing sie ein Gemisch aus Musik, Stimmen, Lachen, Klatschen und den obligatorischen Gerüchen, die ein solcher Raum mit sich brachte. Den Gallier Crinix indes empfing noch etwas anderes - eine leicht angesäuselte (nennen wir sie) 'Dame', die ihn mit einem geräuschvollen Schmatzer auf die Lippen begrüßte. "Crinix, Schätzchen! Wie schön dich wieder zu sehen, warst ja Ewigkeiten nicht hier... wie lange war das nun? Eine Woche? Zwei?"
Amneris' Laune hob sich zusehends, während sie ihrem Kumpan ein vielsagendes Grinsen zuwarf.
"Gladiola!", erwiderte Crinix verlegen lächelnd und übersah gnädig die Freude Amneris'. Ehe sie es sich versah wurde sie jedoch mitgezerrt und auf einem Stuhl platziert inmitten einer kleinen persönlichen Wiedersehensfeier von der lupa und ihrem Kollegen. Ein wenig amüsiert betrachtete sie den Austausch von Küsschen und gegenseitigem Pieken, bis sie sich schließlich vernehmlich räusperte.
"Crinix..."
"Mh? Achja... Gladiola, Licht meines Lebens, du kannst uns doch bestimmt ein paar Auskünfte geben."
"Für dich doch alles, Schätzchen."
"Meine Freundin hier sucht ihren... äh... Bruder. Flosculus heißt er und war früher mal recht oft hier."
Bruder. Etwas Dümmeres konnte ihm wohl wirklich nicht einfallen. Amneris' Blick wechselte von aufmerksam zu resigniert und bereute augenblicklich nicht doch alleine hergekommen zu sein. Wie konnte eine Nubierin, schwarz wie die Nacht, die Schwester eines allenfalls gebräunten Römers sein? Doch die lupa, vermutlich an solche abstrusen Geschichten gewohnt, grinste wissend.
"Dein Bruder, ja? Muss ja eine interessante Familie sein. Ach, aber ich weiß nicht... Flosculus, sagst du? Flosculus... hm..."
Ein weiteres Säckchen wechselte den Besitzer und, oh Wunder, im Handumdrehen veränderte sich Gladiolas Miene. "Flosculus, natürlich, nun fällt es mir ein. Ja, das Herzchen. Ach, wie lange hab ich den nicht mehr gesehen...Was willst du denn wissen, Kätzchen?"
Offenbar hatte Gladiola für jeden, den sie traf, umgehend einen Kosenamen bereit. Die Nubierin störte sich nicht weiter daran, schließlich hieß es die Quelle bei Laune zu halten.
"Weißt du, wo er sich früher noch so herumgetrieben hat? Was hat er gemacht um über die Runden zu kommen... und alles, was dir noch so einfällt."
Die lupa wog das Säckchen in einer Hand, als messe sie ab, wie viel sie für das entsprechende Gewicht gewillt war zu verraten.
"Flosculus, tja... ein netter Kerl. Toller Flötenspieler. War immer dabei, wenn es was zu feiern gab."
Es folgte ein Kichern, das dem von Crinix in nichts nachstand.
"War ein guter Freund von Hannibal, wenn ich mich recht entsinne. Hm... was aus dem wohl geworden ist... naja, egal, Flosculus, nicht?"
"Ja...", bestätigte Amneris gedehnt.
"Hatte viele Schulden, der Ärmste. Naja, kein Wunder, als Künstler verdient man ja meist nicht so viel..."
"Musiker, ja?"
"Oh, neinein. Ein so begabter Poet... aber leider überhaupt nicht geschäftstüchtig. Und dann diese angebliche Geschichte mit den Urbanern..."
Hier wurde Amneris endlich hellhörig. Ein Urbaner mit einer kriminellen Vergangenheit?
"Hat sich aber nur als Gerücht herausgestellt. Hat er zumindest behauptet."
Die lupa zwinkerte der Einbrecherin zu, was dieser ein gewisses Unwohlbehagen bereitete.
"An Gerüchten", erwiderte diese mit honigsüßer Stimme, "bin ich besonders interessiert."
"Dachte ichs mir doch."
Eine eindeutige Geste gab Amneris zu verstehen, dass diese Türe allerdings nur mit weiteren Zuwendungen in Form von Sesterzen zu öffnen war. Innerlich seufzend zog sie also das letzte der verbliebenen Säckchen hervor, um es jener Lupa zu überlassen, die sicher noch nie auf derart einfache Weise derart viel Geld verdient hatte.
"Hat angeblich etwas gestohlen und ist dann ein Weilchen im Kerker der Urbaner verschwunden. Sagte man zumindest."
"Soso."
Die folgenden Minuten verbrachte die unfreiwillige Hobbydetektivin damit, sich Geschichten über strahlend blaue Augen anzuhören und 'wie niedlich' Flosculus doch gewesen sei. Amneris, die nach wie vor fürchtete, jener 'Flosculus' könne ihr die Freundin ausspannen, hatte allerdings gewisse Schwierigkeiten jene Lobeshymnen kommentarlos zu schlucken. Im Gegenteil, mit jedem Wort wurde sie unruhiger, bis sie schließlich abwinkte.
"Ich glaube, mehr muss ich nicht wissen... darf ich annehmen, dass du hier bleibst?", fragte sie an Crinix gewandt, der nur vielsagend lächelte.
"Na dann, einen schönen Abend."
Mit diesen Worten erhob sie sich von ihrem Sitzplatz, hielt jedoch nochmals inne.
"Ach, Gladiola?"
"Ja, Kätzchen?"
"Bei wem hatte Flosculus denn Schulden?"
"Ach herrje, wie hieß er noch..."
Hilfesuchend sah Amneris zu Crinix, mit einer Geste bedeutend, dass ihr Geldvorrat für heute aufgebraucht war. Der Gallier verdrehte die Augen und flüsterte der Lupa etwas ins Ohr. Diese kicherte, schien jedoch einverstanden und wandte sich ein letztes Mal an Amneris.
"Satryus hieß der Mann."
"Danke."
"Nichts zu danken, Kätzchen."
Womit sie vermutlich recht hatte, schließlich hatte Amneris mehr als gut gezahlt. Das sollte die Nubierin jedoch am heutigen Abend nicht weiter stören, hatte sie doch weit mehr erfahren als erhofft. So machte sie sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zurück nach draußen, halb zufrieden, halb beunruhigt. Ein oder zwei recht eindeutigen Angeboten begegnete sie mit stiller Verachtung und war doch recht froh, als die ausnahmsweise sehr angenehme Luft Roms sie umfing. Nun hieß es erst einmal wieder ab nach Hause.