Was glaubte er nur, wen er vor sich hatte? Die Gosse würde sie verschlingen? Der Gosse war sie vor Jahren entkommen, sie war beileibe kein am Hungertuch nagender Dieb mehr. Helfen wollte er ihr. Ha! Hatte sie um Hilfe gebeten? Hatte sie auch nur eine Sekunde lang durchblicken lassen, dass sie etwas anderes tun wollte, als das was sie ihr Leben lang über Wasser gehalten hatte. Sie konnte sich nicht an etwas dergleichen entsinnen.
„Du glaubst wohl, nur weil ich eine Frau bin, warte ich seit eh und je darauf, dass ein Held in strahlender Rüstung auf einem Schimmel heranreitet, um mich aus meinem Elend zu befreien, wie?“
War es Stolz, war es Zorn? Einem inneren Impuls folgend knallte sie eine Hand mit einigen Münzen auf den Tisch und erhob sich.
„Mein Leben verläuft exakt so, wie ich es wünsche und niemand wird es mir nehmen. Auch du nicht. Weder will ich noch brauche ich deine Hilfe, also spar dir dein Mitleid, denn auch das will ich nicht.“
Ein giftiger Blick traf einen Mann am Nebentisch, den die Szenerie zu interessieren schien. Ein Ehestreit – oder eher Streits aller Art – waren immer und überall ein beliebter Zeitvertreib für die Nachbarn.
„Ich wünsche dir ein angenehmes Leben.“
Sprachs, durchmaß mit wenigen Schritten den Raum und stürzte sich kopfüber wieder ins Getümmel des römischen Nachmittags…
Beiträge von Amneris
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Ihre Lippen zuckten. Die Andeutung eines Schmunzelns. Ob aus Belustigung oder aus einem anderen Grund, wer vermochte dies zu sagen?
"Du errichtest dir deinen eigenen Scheiterhaufen.", murmelte Amneris kopfschüttelnd.
Aufstehen und gehen. Für ihrer beider Wohl. Wenn er es nicht tat, musste sie es eben tun.
"Du bist ein ehrlicher Mann. Und ich habe bereits zu viel Schuld auf mich geladen, als dass ich nun noch jemanden mit in den Abgrund reissen will. Denn so wird es sein, Silko. Du kannst mich nicht retten, denn ich will nicht gerettet werden. Aber du solltest in einer Umgebung bleiben, in der du nicht in Versuchung gerätst. Ich denke, wir sollten uns nicht wiedersehen."
Ernst war ihr Blick und ernst waren ihre Worte geworden. Ob sie es ehrlich meinte konnte man nicht sagen, zu sehr spielte die Nubierin ein Theaterstück. Das Stück ihres Lebens, denn die normale Amneris hatte keinen Platz in dieser Welt."Und glaube mir, du kennst mich nicht. Weder jetzt, noch irgendwann. Ich brauche deine Hilfe nicht."
Eine ihrer Hände hatte sich unterm Tisch an ihren Stuhl gekrallt. Nur nicht weich werden, sagte sie sich in Gedanken. -
Langsam aber sicher gewann Amneris ihre Fassung wieder. Die kühle Abgebrühtheit, die Celeste hier nun offenbarte, wollte einfach nicht so recht in das Bild passen, das die Nubierin sich von ihr gemacht hatte. Doch welches wahr nun Celestes wahres Gesicht? Dies hier? Sie konnte und wollte das nicht glauben. Zumal fühlte sie sich nun unwohl in ihrer eigenen Wohnung. Etwas, das sie so nicht auf sich sitzen lassen konnte. Die Katze lässt das mausen nicht und das gleiche galt auch für Amneris, die ihre Maske der Unnahbarkeit wieder aufsetzte.
"Nun, du hast mich also gefunden. Was hast du nun vor, da ich ganz in deinen Händen bin?"
Sacht lächelnd kam die Nubierin näher. Was in ihr vorging musste Celeste bereits wissen, sofern sie den Kuss nicht ohnehin gänzlich vergessen hatte. War sie deswegen gekommen?
"Du weißt, ein Wort und ich hätte dich gerne freiwillig mit hierher genommen."
Ein Zwinkern folgte. Es war eine Lüge, so glaubte sie zumindest. Es gab noch eine Wohnung. Quasi die offizielle Bleibe von Amneris, drüben in der Subura und keineswegs so komfortabel wie diese hier.
"Doch da du nun schon hier bist... wie soll es weiter gehen?"
Die Katze hatte die Maus angestuppst, wollte sie davontreiben, nur um sie wieder einfangen zu können. Die Frage war, ob die Maus mitspielte. -
Ein Lächeln, das Amneris innerlich dahinschmelzen ließ. Hätte Celeste nur geahnt, was sie in der Nubierin auslöste..
"Ja, da hast du Recht.", pflichtete sie der Keltin mit einem Nicken bei.
Auch von Amneris musste der Raum einen prüfenden Blick ertragen, ehe er sich wieder in die Unwichtigkeit seiner selbst zurückziehen konnte.
"Ich hoffe, ich halte dich nicht von wichtigen Geschäften ab? In deinem Beruf muss man doch sicher allzeit für neue Kunden bereit sein, nicht wahr?"
Bei Amneris war es hier anders. Ihre Fischzügen hatten meist eine lange Vorlaufzeit, in der geplant, getüftelt und organisiert werden musste. -
Die Nubierin ahnte nichts Böses. Warum auch, nie war jemand hier gewesen. Sah man einmal von den üblichen Vertretern ab, die alle naselang an die Türe klopften. So dachte sie auch nicht im Traum daran, dass plötzlich jemand mitten im Raum stehen konnte. Vielleicht hätte sie es auch erst gemerkt, wenn Celeste direkt neben ihr gestanden hätte, doch der Becher wurde viel zu schnell leer und so erhob sie sich, um Nachschub zu holen. Sie hätte nicht mehr erschrecken können, wenn anstelle von Celeste nun Merkur persönlich hier gestanden hätte. Der Schreck ihres Lebens. Amneris riss die Augen auf, zuckte zusammen, als hätte sie soeben ein Blitz getroffen und verlor zudem noch ihren Becher, der klirrend am Boden zerschellte.
"Was zum...", blaffte sie, ehe sie erkannte, wer da auf einmal vor ihr stand. Säße ihr nicht noch immer die Überraschung in den Gliedern, sie hätte wohl anerkennend genickt. So hatte Celeste also den Spieß umgedreht. Doch warum war sie hier? Und wie bei allen Göttern hatte sie sie gefunden?
Einige Momente brauchte die Nubierin, bis sie sich wieder gefangen hatte, wenngleich ihr das Herz noch immer bis zum Hals klopfte - aus mehr als einem Grund.
"Hättest du dich angekündigt, hätte ich einen Kuchen gemacht."
Es war der klägliche Versuch, ihre Unsicherheit und Aufgewühltheit mit einem lockeren Spruch zu überspielen. In Wirklichkeit schwirrten tausende Fragen in ihrem Kopf herum, gab es unzählige Dinge, die sie tun wollte.
"Wie hast du mich gefunden?", stellte sie die Frage, die ihr vorrangig erschien. -
Sie zuckte mit den Schultern. Wenn er es so empfand, hatte es wenig Sinn eine Diskussion darüber anzufangen. Und wenn Amneris eine Angewohnheit hatte, dann die, unnötige Anstrengungen zu vermeiden. Dies war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte.
Auf ihre Anspannung angesprochen, verengten sich für einen Moment ihre Augen. Wie hätte sie seinen Worten glauben können? Ihm glauben hätte bedeutet, sie vertraute ihm. Und sie vertraute niemandem, den sie erst ein einziges Mal gesehen hatte.
"Die Worte hör ich wohl.", erwiderte sie schmal lächelnd. "Allein mir fehlt der Glaube."
Irgendwo hatte sie jenes Sprichwort einmal gehört... oder würde sie es erst in vielen hundert Jahren hören können? Zumindest fand sie es in jenem Moment passend.
Um ein wenig Zeit zu schinden, erhob sie ihren Becher und nahm einen Schluck. Im Zweifelsfall stand ohnehin Wort gegen Wort. Und einem Peregrinus glaubte man mehr als einem Sklaven. Oft ein Fehler, doch Tradition war Tradition. Keine schlechte Einrichtung, wie sie fand. Zumindest solange, wie nicht das Wort eines Bürgers gegen das eines Peregrinus stand, doch das war eine andere Geschichte.Als Silko ihr jedoch so offen sein Interesse gestand, schien ihr einen Moment lang der Hals zugeschnürt zu werden. Und in der Tat, ihr erster Gedanke war die Flucht. Mit derlei Gefühlsregungen kam sie nicht zurecht, schirmte sie sich doch für gewöhnlich sorgfältig von solcherlei Dingen ab. So wusste sie nicht, was sie sagen sollte, geschweigedenn wie man in diesen Situationen am besten reagierte. Sie sah sich für gewöhnlich auf der anderen Seite. Sie war die Jägerin, sie ergriff die Initiative. Ihr Landsmann hatte sie in die Defensive gedrängt und nun war sie ratlos. Ganz abgesehen davon, dass nun auch noch Celeste in ihrem Kopf herumschwirrte. Was tun?
"Stell dir vor, ich wäre keine Nubierin. Wäre dein Interesse trotzdem geweckt worden? Denn allein aus Gründen der Herkunft solltest du nicht dein Herz an mich hängen."
'Du solltest es ohnehin nicht an mich hängen', fügte sie in Gedanken hinzu. Es konnte nicht gut sein, weder für sie und vor allem nicht für ihn.
"Obwohl wir im gleichen Land geboren wurden stammen wir aus zwei verschiedenen Welten, Silko. Selbst heute stehen wir auf zwei entgegen gesetzten Seiten. So etwas geht niemals gut."
Warum sie es ihm so beharrlich ausreden wollte, anstatt einfach kommentarlos zu gehen? Niemand verstand es wohl weniger als Amneris selbst. Und vielleicht wollte sie es auch nicht verstehen, würde es doch vielleicht bedeuten, sich mehr Gefühle einzugestehen, als sie hier und heute bereit war. -
Nachdem sie nun einen weiten Weg hinter sich gebracht hatte, kam Amneris schließlich wieder in ihrem Heim an.
Kaum fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, schien eine innere Anspannung von ihr abzufallen. Die Schultern sackten ein Stück nach unten, die Augen schlossen sich und unter einem wohligen Stöhnen streckte sie ihre langen Glieder. Home Sweet Home.
Ihrer Sandalen entledigte sie sich recht schnell und platzierte sie neben dem Eingang. Wasser. Ihre Kehle war ausgetrocknet und so ging sie in einen der Nebenräume, um sich einen Becher mit kühlem (mehr oder weniger kühl wenigstens) Nass zu füllen. So ausgestattet trottete sie zurück, keine Spur vom katzenhaften Gang, den sie in der Öffentlichkeit inne hatte, mehr eine Art schlurfen. Das Raubtier in seiner Höhle hatte es nicht nötig, sich zu präsentieren.
Zufrieden ließ sie sich auf eine von zwei Klinen fallen, den Blick Richtung Decke, die Beine gemütlich übereinander geschlagen. -
Es sollte eine ganze Weile dauern, bis Katz und Maus am Ziel angelangen würden, denn obwohl Amneris mehr oder weniger direkt zu ihrer Wohnung ging - nicht ohne sich ab und an umzusehen, um sicherzugehen, dass niemand ihr folgte - lag diese doch am anderen Ende der Stadt.
Die Nubierin schob sich scheinbar mühelos durch Mensch und Tier, machte nur ab und an Halt, um sich Auslagen von Händlern anzusehen... ganz, als wäre sie ein völlig normaler Bürger.
Es ging über Hügel und Täler, vorbei an patrouillierenden Wachen, vorbei an Tempeln und öffentlichen Gebäuden bis hin zum Aventin, wo die Bevölkerung vornehmlich aus den unteren Schichten der Gesellschaft bestand... -
In einer der unzähligen Gassen des Mons Aventinus findet sich eine vierstöckige Insula. Sie zeichnet sich weder durch besondere Baufälligkeit, noch besonderen Luxus aus, sie ist wie tausende andere auch.
In eben dieser Insula lebt Amneris. Da die Geschäfte zur Zeit recht gut gehen, hat sie die Wohnung im untersten Stock bezogen, die wie meist zwei Vorteile hat: Sie ist an das örtliche Aquädukt angeschlossen und man muss keine unzähligen Stufen hinter sich bringen, um die Wohnung betreten zu können. -
Also gab es wohl doch einen Prätorianer in der Familie. Ein Grund mehr, möglichst bald möglichst viel Abstand zu ihnen zu halten. Amneris schürzte die Lippen und legte den Kopf schräg, als wöge sie ab, wieviel Risiko ein Stück Heimat wert war.
"Liegen die Gründe dafür nicht auf der Hand? Eines Tages sind diese Informationen vielleicht viel wert und glaub nicht, dass ich dann zögern werde, meinen Profit daraus zu schlagen."
Sie lächelte ein kaltes Lächeln, das so gar nicht zum Rest ihrer Erscheinung passen wollte. Ein Teil von ihr schien ihn jedoch immer noch davon überzeugen zu wollen, dass sie durchaus dem typischen Klischee eines Gesetzlosen entsprach. Und wenn sie dies nicht durch Worte äußern konnte, musste dies wohl durch Körpersprache geschehen."Jemand wie du muss in Rom vermutlich gar keinen Ort meiden. Aber sollte deine Herrschaft einmal einen Ausflug in die Subura oder ins Transtiberim planen, würde ich eher abraten."
Traditionell waren dies die beiden Stadtteile, in denen sich jenes Gesindel herumtrieb, das weder Ehre noch Anstand - oder schlicht und einfach kein Geld - hatte. Nur mit einer ausgesprochenen Prise Tollkühnheit wagte man sich dorthin. Alternativ mit ausreichend Polsterung.
"Bis zum nächsten Feiertag habe ich allerdings keine Zeit, fürchte ich. Es gibt Menschen, die müssen arbeiten."
Wieder einmal grinste sie schief. -
Amneris war hier so gut wie zu Hause, so oft besuchte sie den hiesigen Markt. So fühlte sie sich relativ sicher und unbeobachtet, einfach, weil es bislang immer so gewesen war. Sie sah sich nicht misstrauisch um, sicherte sich nicht nach allen Seiten ab, im Gegenteil. Entspannt wechselte sie noch einige Worte mit Dartos, dem so warm zu sein schien, dass er bereits einen hochroten Kopf hatte.
Ihr selbst machte die Wärme weit weniger aus, war es doch in ihrer Heimat zu Spitzenzeiten viel heißer als in Rom, wenngleich die Absens jeglichen Windes die Luft nicht gerade angenehm machte.
Irgendwann stieß sie sich lachend vom Stand ab, an welchem sie sich bis eben angelehnt hatte, hob die Hand zum Abschied und wandte sich vom Händler ab, um gemütlich davonzuschlendern. Glücklicherweise war kein allzu großes Gedränge und so kam sie mit Leichtigkeit durch die Einkaufswilligen, bis sie schließlich den Marktplatz hinter sich gelassen hatte.Ihr Weg führte weiter die breite Straße entlang, folgte unbeirrt der größeren Masse der Fußgänger und bog erst nach geraumer Zeit in eine kleinere Gasse ab. Dadurch, dass sich nun weniger Menschen um sie drängten schien die Luft umgehend angenehmer zu werden, doch hatte sie noch ein ganzes Stück weg vor sich.
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Es war ein Tag wie jeder andere in Rom. Das Volk wuselte, die Händler auf den Märkten priesen ihre Waren an und die Touristen kauften das Zeug zu völlig überteuerten Preisen. Aber immerhin konnte man anschließend zu Hause in der Provinz stolz sagen 'Das kommt aus der urbs aeterna'.
Auch Amneris hatte sie an diesem Tag auf dem Weg zu einem von vielen Märkten der Stadt gemacht. Doch hatte sie nicht vor, etwas zu kaufen, nein, ein etwas länger zurückliegender Fischzug im Villenviertel, der mittlerweile vergessen worden sein sollte, hatte der Gruppe um die Nubierin ein paar ordentliche Wertsachen beschert, die nun veräußert werden wollten. Sicherheitshalber hatte sie jedoch nur eines dieser Teile in der Tasche, die sie sich um die Schultern gehängt hatte, gepackt. Vor Dieben war schließlich auch eine Einbrecherin nicht sicher.
"Dartos.", begrüßte sie mit breitem Lächeln einen ungleich breiteren Mann, der sich unter das kleine Dach seines Standes zurückgezogen hatte, um nicht von der Mittagssonne geröstet zu werden. Sein Stand lag etwas abseits des bunten Treibens, das sich um diese Zeit aufgrund der gnadenlosen Sonne ohnehin eher in Grenzen hielt. Es war zu warm, als dass jemand wirklich auf sie geachtet hätte.
"Ah, das Täubchen. Eine Freude, dich zu sehen."
Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen hegte Amneris eine tiefe Sympathie für den Mann, der nicht lange fragte, wo Waren herkamen und stets nett und freundlich zu sein schien. Und so war es ehrliche Freude, die ihm entgegen strahlte.
"Was bringst du mir denn heute?"
Ohne viele Worte zu machen, zog die Nubierin eine kleine goldene Statuette aus der Tasche. Sie schien nicht viel her zu machen, doch wer sie genauer betrachtete erkannte die filigranen Verzierungen, die einen Goldschmied etliche Stunden gekostet haben mussten.
"Schönes Stück.", kommentierte der Händler und bekam glänzende Augen.
"Es hat noch einige Freunde, wenn du Interesse hast."
Er hatte Interesse. Gewiss, zunächst wurde, wie es üblich war, eine Weile über den Preis gestritten. Doch früher oder später einigte man sich, unter der Voraussetzung, dass Amneris oder einer ihrer Kollegen, in den nächsten Tagen die dazugehörigen Stücke vorbeibringen würde. Allerdings nicht hierher, wäre dies wohl doch zu auffällig geworden.
Zufrieden nickend, deutete sie eine Verbeugung an.
"Wie stets ein besonderes Vergnügen mit dir Geschäfte zu machen."Sim-Off: Reserviert
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"Dann machst du etwas falsch, denn gerade mir solltest du keine Geheimnisse anvertrauen."
Doch sie war wieder hellhörig geworden. Er hatte ihr also schon einige Dinge erzählt, die sonst niemand wusste? Das konnte sie kaum glauben.
"Das heißt also, ich weiß mehr über dich, als dein Herr? Wissen die Duccier überhaupt, wer da auf sie aufpasst?"
Schließlich umfasste er ihre Hand, die verglichen mit seiner tatsächlich winzig schien. Als wäre sie wieder fünf Jahre alt und wurde von ihrem Vater bei der Hand genommen... Schnell wischte sie den Gedanken beiseite, solche Erinnerungen waren im Moment unwillkommen.
Ihre Augen folgten seinem Finger, der ihre Handfläche entlangfuhr. Es verursachte ein angenehmes Prickeln, ein Kitzeln, das sie die Finger einen Moment zusammenziehen ließ. Er hatte recht. Ein, zwei Stellen an der Haut waren heller als der Rest.
"Klingt logisch.", gab sie zu und nickte.
Natürlich entging ihr nicht, dass Silko ihre Hand etwas länger als nötig gewesen wäre festhielt. Aber sie sah davon ab, sie ihm mit Gewalt ruckartig zu entziehen. Wäre angesichts des doch recht ungleich verteilten Kräfteverhältnisses sowieso unmöglich gewesen. Sie sagte nichts hierzu, verbarg was sie dachte hinter einer ausdruckslosen Maske.
"Hm, was gibt es über Rom zu erzählen?", dachte sie laut und richtete den Blick zur Decke.
"Es ist ein Moloch, ein Fass ohne Boden, ein Dämon, der jeden verschlingt der zu lange in seiner Nähe bleibt. Und die großartigste Stadt der Welt."
Sie grinste frech. Und tatsächlich, so sehr ihr die Stadt manchmal Schwierigkeiten bereitete und wie oft sie sie auch verfluchte, an einem anderen Ort zu leben konnte sich die Nubierin kaum noch vorstellen.
"Rom ist ein sehr weitläufiges Thema. Vielleicht kannst du etwas einschränken, worüber ich erzählen soll, sonst werden wir wohl zum nächsten Feiertag noch hier sitzen." -
Seine Bemerkung entlockte ihr ungewollt ein Schmunzeln. Ja, sie kannte die Frage nur zu gut, wenngleich ihr nicht gestattet gewesen war, die Antwort zu verweigern.
„Ich bin sicher, jemand wie du hat noch einige andere Geheimnisse in der Hinterhand.“, konterte sie mit einer ähnlichen Aussage wie er selbst vor wenigen Tagen. Allerdings erwartete sie nicht wirklich, dass er nun mit der Sprache herausrückte. Sie wusste, sie selbst hätte es wohl nicht getan, so gestand sie ihm das gleiche Recht zu. Und solange es kein Fluch war, würde es wohl auch ihr weiteres Leben nicht sonderlich beeinträchtigen.
Erst Silkos Frage machte sie darauf aufmerksam, dass in der Tat der Becher bereits leer war. Ohne großartig darüber nachzudenken nickte sie, obwohl ihre innere Stimme beständig lauter zu rufen begann ‚Weg hier’. Aber sie blieb.
„Komisch, nicht?“
Sie hatte eine Hand gehoben und betrachtete eingehend ihre Hautfarbe.
„Dass wir so anders aussehen, als sie meine ich. Je weiter man nach Norden geht, desto heller werden die Menschen.“
Wieder einer ihrer nicht nachvollziehbaren Gedankensprünge. Wie sie nun auf diese Sache kam konnte sie wohl selbst nicht so recht erklären. -
Entweder, er tat ihr nun einen Gefallen, indem er das Thema ihrer Vergangenheit und Gegenwart ruhen ließ, oder diese Materie gefiel ihm mehr. Was auch immer es war, Amneris war dankbar dafür und hoffte, es möge anhalten. Nichtsdestotrotz war sie nun weitaus mehr auf der Hut als noch vor wenigen Minuten.
Vor ihrem inneren Auge entstand eine Landschaft. Eine blassgelbe Sonne, viele Hügel, bedeckt von Wäldern und Schnee. Germanien, so wie sie es sich vorstellte. Es wirkte kalt und abweisend auf sie, keineswegs wie ein Ort, an dem man unbedingt leben wollte, doch Silko schien das anders zu sehen. Vermutlich war es ohnehin nicht so, wie sie es sich nun ausmalte.
Was auch immer ihr Landsmann nun auf germanisch sagte, sie verstand es nicht. Nicht einmal ableiten konnte man etwas, war jene Sprache doch so völlig anders als Latein, Griechisch oder gar Nubisch. In ihren Ohren klang es fast wie das Bellen eines Hundes und weniger wie die Sprache von zivilisierten Menschen. Angesichts seiner Sympathie für dieses Volk behielt sie ihren Gedanken jedoch wohlweißlich für sich. Nur fragte sie sich, was auf einmal sein Grinsen auslöste. Wer wusste, was er ihr da an den Kopf geworfen hatte? Vorsorglich setzte sie einen missbilligenden Gesichtsausdruck auf.
Ein raues, ehrliches Land. Nein, das klang nicht nach einem Ort, an dem sie sich wohl fühlen würde. Zu viel Ehrlichkeit war dem Geschäft abträglich. Die ausführliche Erklärung seitens ihres Gegenübers stellte sie nun jedoch vor das nächste Problem. Sie wusste nicht, wie oder wo sie da noch weiter nachhaken konnte, um erst gar keine Stille aufkommen zu lassen.
Nachdenklich senkte sie den Blick, nur ein stummes Nicken signalisierte, dass sie zugehört und verstanden hatte.
„Diese Sprache… was hast du da gesagt?“, fragte sie schließlich unvermittelt und sah wieder auf. -
„Mag sein. Aber nicht jeder lässt seine Familie im Stich.“
Damit war jener Punkt für sie erledigt. Wie waren sie nur so tief in jenes Thema hineingeraten? Achja, sie hatte sich verzettelt, hatte bereitwillig jeden Köder geschluckt, den er ihr zuwarf und hatte weit mehr preisgegeben, als sie vorgehabt hatte. Ihr Blick wurde unergründlich. ‚So nicht, mein Lieber.’, schien sie sagen zu wollen. Das offene, oder wenigstens halboffene Buch der Amneris wurde zugeklappt, ihre Haltung änderte sich, wurde zurückgezogener. Eine Veränderung, die kaum auffallen mochte, dennoch signalisierte sie damit, dass sie vorerst nicht gedachte, noch weiter hierüber zu sprechen. Es ärgerte sie, dass sie sich so leicht hatte übertölpeln lassen. Sie war doch sonst kein red- und leutseliger Mensch, was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Gedankenversunken fuhr sie mit dem Zeigefinger am Rand ihres Bechers entlang. Es musste ein anderes Gesprächsthema her, denn er war ihr zu Nahe gekommen. Eine Tatsache, die Amneris nicht so einfach hinnehmen konnte.
„Du warst in Germanien, sagst du. Wie ist es dort oben? Stimmen die vielen Gerüchte, die man hört?“, fragte sie die gleiche Frage, die zuvor schon die Keltin Celeste hatte hören müssen. Diese hatte es nicht gewusst oder nicht verraten, in jedem Fall war Amneris’ Wissbegier nicht befriedigt worden. Vielleicht hatte sie beim Nubier mehr Glück.
„Ist es dort so kalt, dass immer Schnee liegt? Sind die Menschen wilde Barbaren mit weißen Haaren und bemalter Haut?“
Es traf vermutlich ebenso sehr zu, wie die Geschichten, die man über die dunklen Nubier hierzulande zu hören bekam. Aber es lenkte das Gespräch weg von ihr und hin zu etwas Unverfänglichem, so glaubte sie. -
Durch so viele positive Eigenschaften, die er ihr zuschrieb, nun ein wenig verlegen geworden, wendete Amneris letztendlich doch den Blick ab, sah sich wie beiläufig in der Taverne um, um nicht zu zeigen, wie unangenehm ihr dies im Grunde war. So war sie nicht. Sie war kein edles Wesen, das durch unglückliche Umstände gezwungen worden war, auf die schiefe Bahn zu geraten. Es war ihr freier Wille gewesen und wenngleich sie kein Mörder und mit Sicherheit auch nicht der verschlagenste aller Einbrecher war, so war sie auch keineswegs ein ehrlicher Mensch.
„Deine Worte beschämen mich.“, seufzte sie schließlich. „Denn augenscheinlich ist dein Wesen weitaus edler als das Meine. Deine Einschätzung von mir zeigt nur, wie sehr ich mich schon unbewusst verstellen kann. Du vergleichst mich mit einer Jägerin. Nun, eine Jägerin geht auf die Jagd, um zu leben. Genau das tue ich auch. Es geht mir ums Geld. Glaubst du, ich würde noch einbrechen, wenn ich reich wäre? Natürlich, es ist ein Nervenkitzel und mir macht meine… Arbeit Spaß, sonst würde ich nicht schon so lange das tun, was uns hier zusammengeführt hat. Aber erhebe mich nicht zu etwas, das ich nicht bin und niemals sein werde. Damit tust du weder dir, noch mir einen Gefallen.“
Warum sie ihn so beharrlich davon überzeugen wollte, dass sie ein schlechter Mensch war wusste sie wohl selbst nicht genau. Vielleicht war es einfach der Wunsch, ihm widersprechen zu wollen. Obwohl sie sich tatsächlich so sah, wie sie es hier schilderte. Wie er etwas anderes annehmen konnte verstand sie nicht.
Ihre Kehle war trocken geworden von all der Argumentation und so stillte sie mit einigen tiefen Zügen ihren Durst.
„Ich war“, setzte sie schließlich wieder an, als ihr Becher abgestellt war, „15 Sommer alt. In etwa.“ -
Seine Worte entlockten ihr erneut ein Schmunzeln. „Ich war schon immer sehr gnädig und gütig gestimmt.“, witzelte sie.
Ihre Familie hatte nie auch nur einen einzigen Sklaven besessen. Sie waren teuer, man musste sie versorgen und ihnen zumindest einen Schlafplatz geben. Das war ja schon für die eigenen Verwandten schwierig genug gewesen. In einer Gesellschaft, in der man den Wohlstand an der Anzahl der Sklaven ausmachen konnte, war sie wohl in der Tat nicht in die reichste aller Familien geboren worden. Doch zumindest auch nicht in die Ärmste, wie sie sich immer wieder vor Augen hielt.
Unverwandt blickte sie ihn an, verlegen die Augen senken oder gar albern kichern, wie es wohl einige nun getan hätte, war nicht das ihre. Allein auf einen solchen Gedanken würde sie gar nicht kommen, so abwegig war diese Vorstellung. Doch auch das mochte berufsbedingt sein. Flirten lag ihr nicht im Blut.
„Und? Was siehst du in meinen Augen?“, fragte sie geradeheraus.Die große Abrechnung am Schluss erwartete sie keineswegs so positiv gestimmt wie Silko. Sie hatte in ihrem Leben zu viel ‚Böses’ getan um hinterher besser da zu stehen als vorher. So machte sie eine wegwerfende Handbewegung und grinste schief.
„Du willst also hier bleiben, solltest du jemals deine Freiheit wieder erlangen? Ein Händler werden? Ein rechtschaffener Libertus, dessen Kinder das römische Bürgerrecht erlangen?“
Diesbezüglich war das römische Recht wirklich sehr großzügig. Nicht allein, dass ein Sklave – mit gewissen Einschränkungen – wie ein normaler Bürger unter jenen leben konnte, die ihm zuvor Befehle hatten erteilen können, nein, es gab ihm auch noch die Möglichkeit, seine Nachkommen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu sehen.
„Wie willst du wissen, was einfacher gewesen wäre? Du kennst weder mich, noch mein zu Hause. Aus purem Egoismus bin ich gegangen, ein Zurück gibt es für mich nicht, niemals. Hätte ich die Wahl würde ich vieles in meinem Leben anders machen, glaub mir. Nein, Silko, du machst dir da ein falsches Bild von mir.“ -
Es überraschte sie, dass er tatsächlich zu erzählen begann. Umso mehr überraschte sie jedoch, was er sagte. Ihre Augenbrauen wanderten immer weiter in die Höhe, bis sie schließlich ziemlich verdattert aussah.
„Du warst das also. Wusste ich es doch…“, murmelte sie halblaut. Natürlich hatte sie von all den Dingen gehört, von Schlachten, von Plünderungen und dergleichen. Zu dieser Zeit war sie schließlich noch in Nubien gewesen, wenn auch nicht mehr allzu lange. Und in der Tat, nun konnte sie den Namen mit einer Erinnerung verbinden.
„Das Schicksal beliebt bisweilen sonderbare Scherze zu treiben, nicht wahr? Einst warst du adlig, ich hätte vor dir knien müssen. Ich wäre nicht mehr gewesen als einer von vielen Bauerntrampeln, gerade gut genug, um die Erde zu verehren, auf der du wandelst. Und nun bin ich die Freie und du der Sklave.“
Es half nichts. So sympathisch er auch sein mochte, ein Gefühl der Genugtuung stieg in ihr auf. Wie die meisten Menschen einfacher Herkunft hatte auch Amneris nicht allzu viel für jene übrig, die mit einem goldenen Löffel geboren worden waren.
Dass ihre Getränke gekommen waren nahm die Nubierin nur am Rande wahr, so Vieles spielte sich in ihrem Kopf ab. Wäre es nicht ein so ernstes Thema, sie hätte wohl lauthals angefangen zu lachen.
Doch er wechselte das Thema, brachte die Sprache wieder auf sie und ihr Leben. Die Lippen zu einem schmalen Lächeln zusammengepresst, schüttelte sie den Kopf.
„Stark wäre ich gewesen, wäre ich in meinem Dorf geblieben. Ich bin davongelaufen, feige, wie der Dieb in der Nacht.“
Dass jener Vergleich mehr zutraf, als sie es im ersten Moment beabsichtigt hatte, fiel ihr erst im Nachhinein auf.
„Wie der Dieb, der ich nun mal bin. Man ist nur so stark, wie die Kontakte, die man knüpft. Und ich hatte diesbezüglich mal mehr, mal weniger Glück. Glaube nicht, dass ich nicht schon den ein oder anderen Kerker von innen gesehen hätte. Alleine wäre ich nach zwei Wochen im Nil oder hier im Tiber gelandet. Spätestens.“
Es war ein Thema, das ihr so gar nicht behagte, holte es doch Erinnerungen hervor, die sie wohlweißlich tief in sich vergraben hatte. Eine Zeit lang starrte sie still in ihren Becher, ehe auch sie endlich den ersten Schluck nahm. -
„So kann man es natürlich auch sehen.“, erwiderte sie schlicht. Sie wusste nicht, wie es ihr ergangen wäre, hätte man sie versklavt. Früher oder später hätte sie wohl ihr Schicksal akzeptiert, sie war ein pragmatischer Mensch. Doch im Moment war ihr dies unvorstellbar. Trotz seiner Unfreiheit sah sie denselben Stolz, den sie früher immer in den Augen ihres Vaters und ihrer Brüder gesehen hatte. Er war kein verschüchterter Sklave, doch wäre dies für einen Leibwächter auch alles andere als förderlich gewesen. Säße ein Schreibsklave vor ihr, dessen war sie sich sicher, sein Verhalten wäre ein anderes.
Obwohl sie sich vorgenommen hatte, jenes Thema nicht weiter anzusprechen, war die Neugierde größer, zumal da noch immer das Rätsel um seinen Namen war.
„Gestatte mir noch diese Frage… wie wurdest du zum Sklaven?“
Sie war sich nicht sicher, ob er überhaupt darauf antworten würde, war dies doch vermutlich nicht das angenehmste Erlebnis in seinem Leben gewesen. Doch fragen schadete wohl kaum.
Die Bitte, sie solle nun auch etwas über sich erzählen, kam mit der Unausweichlichkeit eines Steuerbescheids. Nicht, dass sie Steuern zahlen würde, aber man hörte ja so manches.
„Weißt du, das Problem mit Informationen über mich ist, dass sie sich nicht so leicht von meinem Beruf trennen lassen. Ich bin, was ich bin und das schon sehr lange. Aber ich werde versuchen, zu erzählen was ich kann.“
Ihre Lektion, nicht zu vertrauensselig zu sein hatte sie vor langer Zeit gelernt, auf die harte Tour. So schnell ließ sich ihre Vorsicht also nicht abschalten und so dauerte es einige Zeit, bis sie weitersprach, da sie sich in Gedanken erst zurechtlegen musste, was sie erzählen, was verschweigen und was sie umdichten sollte.
„Nubien war mir zu klein.“, begann sie schmunzelnd ihre Erzählung. „Ich hörte immer von großen Städten wie Rom und Alexandria. Verglichen mit dem kleinen Dorf, aus dem ich stamme, hörte es sich wundervoll, spannend und erkundenswert an. Naja, ich war kaum mehr als ein Kind, du wirst wissen, wie das ist. Doch ich hing fest. Kein Geld, keine Möglichkeit meine Heimat zu verlassen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ich riss aus, ließ alles hinter mir und kam nach Ägypten, nach Alexandria. Wie ich mich über Wasser gehalten habe, kannst du dir vermutlich denken. Doch Alexandria ist anders als Rom. Alles ist geordnet, die Straßen breit, die Wachen überall. Ich hörte, die urbs aeterna sei ein Paradies diesbezüglich, so brach ich erneut alle Zelte ab, nahm das erste Schiff Richtung Ostia und landete schließlich hier.“
Mit undeutbarem Gesichtsausdruck zuckte sie mit den Schultern.
„Eine Geschichte wie tausend andere auch.“