Beiträge von Decima Flava

    Bitte Decima Flava ins Exil schicken.


    Ich hoffe, ich hab niemanden, der in direktem Kontakt mit ihr war, vergessen, über meine Beweggründe aufzuklären. Wenn doch: "Tut mir leid!"
    Meine Motivation für diese ID ist sehr im Keller und ich habe den Char zu starr gebaut (mein eigener Fehler), um was anderes zu machen, was mir mehr Spaß machen könnte. Aber vielleicht überleg ich es mir ja noch mal, deshalb möchte ich sie nicht ganz sterben lassen.


    SimOn ist sie dann wieder bei den Großeltern in Britannia. Oma und Opa können halt nicht ohne sie sein ;)

    Die Berührung tat gut, und Flava griff leicht an ihre Schulter zu den Fingern ihres Cousins und atmete dabei einmal tief durch. Sie hatte nicht oft Angst, weil Flavus sie meistens auch gleich beschützte. Aber auch Serapios kleine Geste war sehr tröstlich in diesem Moment, und sie nahm sie dankbar an.
    “Ja, sie ist wirklich wunderschön. Kaum zu glauben, dass Vater dies nur für Mutter hat errichten lassen. Zuhause hatten wir nichts vergleichbares. Allein schon die Statue der Göttin sieht so wunderschön aus. Ich hoffe, ihr bald als Priesterin dann auch richtig dienen zu können, wie Mutter es getan hat. Ich hoffe, Vater ist auch damit einverstanden, ich hätte gerne sein richtiges Einverständnis dazu gehabt.“
    Auch wenn ihr alle immer sagten, dass er sich da bestimmt ebenfalls freuen würde, war es doch irgendwie nicht ganz korrekt. Und Flava lag viel daran, alles richtig zu machen, wie es sich gehörte. Und sie wollte natürlich den Vater nicht enttäuschen.
    Doch dann fiel ihr noch etwas anderes ein. Wie unhöflich von ihr, sie hatte sich ja noch gar nicht nach ihrem Vetter erkundigt, sondern nur geredet und geredet und erzählt und ihm ihre Sorgen mitgeteilt. Wirklich unaufmerksam von ihr, und dabei war er doch sicher ebenso es wert, dass sie ihn kennen lernte, wie den Vater. Hoffentlich nahm er ihr das nicht übel.
    “Aber da rede ich die ganze Zeit von mir und weiß doch noch gar nichts von dir. Sag an, was machst du? Du bist Soldat, hab ich das richtig verstanden?“

    Andächtig lauschte Flava den Ausführungen ihres Cousins. Er sprach so ehrfürchtig von ihrem Vater. Als er sich an diesen Tag vor dem Feldzug erinnerte, leuchteten seine Augen, als könne er es in diesem Moment wirklich vor sich sehen.
    Bei seiner Beschreibung aber fühlte sich Flava stark an jemand anderen erinnert. Es klang fast so, wie wenn sie von ihrem Bruder erzählte. Auch er hatte diese Charaktereigenschaften, auch wenn er es häufig im Negativen zeigte. Aber auch er war durchaus nobel und beschützend, gegenüber seiner Familie war er das immer gewesen. Ganz besonders Flava gegenüber. Wenn ihr Vater Ähnlichkeit mit ihrem Bruder hatte, würde sie ihn sicher lieben können, wie es einer Tochter geziemte.
    Als er ihre Ähnlichkeit mit ihr bemerkte, griff sich Flava ganz kurz leicht an die besagte Stirn und lächelte schüchtern. “Meinst du wirklich? Mir sagten immer alle, ich sei meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich hatte schon Befürchtung, dass mich gar nichts mit ihm verbindet.“
    Sie sah wieder lächelnd auf. Ihr wurde klar, wie sehr Serapio ihren Vater verehrte. “Du liebst ihn.“ Das war eine Feststellung und keine Frage. Flava sah ihren Vetter freundlich an. Es war schön, zu wissen, wie sehr ihr Vater von allen hier im Hause geliebt wurde. Auch ihr Onkel Mattiacus sprach voller Zuneigung von ihm, und auch Meridius hatte nur Gutes zu erzählen gehabt. Sie neidete Serapio seine Liebe nicht, im Gegenteil, sie freute sich, so etwas gefunden zu haben, was sie verbinden würde.
    “Ich hoffe auch, dass er bald zurückkehren wird. Nein, ich weiß, dass er bald gefunden wird. Ganz bestimmt.“
    Flava wusste einfach, dass er noch lebte. Und Meridius und Mattiacus würden bestimmt erfolg haben. Sie musste einfach daran glauben, sie konnte daran nicht zweifeln. Auch wenn es ihrem Bruder gefallen würde, wenn er nicht zurückkäme. Aber Flava wartete schon so lange darauf, ihn kennen zu lernen. Er musste einfach noch am Leben sein und bald zurückkehren.
    “Aber ich fürchte mich ein wenig davor. Ich meine, versteh es bitte nicht falsch. Es ist nur so, dass ich unsicher bin, ob er mich und Flavus denn als Kinder haben will. Er weiß ja gar nichts von uns beiden. Und wenn er…“
    Ja, wenn er sie nicht als Kinder annahm, dann wäre die Reise umsonst gewesen. Dann hätte Flava keinen richtigen Vater, und ihre Träume würden wie eine Seifenblase zerplatzen. Sie hätten nicht einmal genügend Geld, zu den Großeltern zurückzukehren, wenn Livianus ihnen nichts geben würde. Aber das war eigentlich nichts, was sie mit Serapio besprechen sollte. Sie wusste auch nicht, was sie sich dabei gedacht hatte, ihm ihre Ängste so offen mitzuteilen. Vielleicht war sie nur ein wenig aufgewühlt von dem streit zuvor. Verlegen schaute sie zu Boden.
    “Verzeih. Ich will dich damit nicht belästigen.“

    Ein wenig unsicher musste Flava blinzeln. Seine Worte klangen so wohl gewählt und hochgestochen, als hätte er wie ein Redner lange geübt, sie zu sagen. Die Wortwahl war zum einen sachlich, und dann doch wieder gefühlsbetont, so dass sie ein wenig verschüchtert war. Es war ein klein bisschen, als würde er ein Liebesgedicht für sie rezitieren. Flava fragte sich, ob er damit nur seine eigene Unsicherheit überspielen wollte, denn seine Körperhaltung und die kleinen Gesten sprachen eine ganz andere Sprache. Wenn er sich so durchs Haar fuhr oder sie schüchtern ansah, sich nicht traute, ihre Hand zu nehmen auf dem Aventin und ihr heimlich immer mal wieder einen Blick zuwarf, das fand sie so liebenswert an ihm. Seine Worte hingegen verunsicherten sie doch zusehends. Aber bestimmt war es nur, weil er sich ebenso unsicher fühlte, wie sie selbst.
    Und dann fuhr er mit seinen Fingerspitzen ganz sanft von ihrer Schulter hinab zu ihrer Hand und hinterließ so eine kitzelige, kribbelnde Spur der Glücks auf ihrer Haut. Ganz vorsichtig berührte sie mit ihren Fingern seine, ließ sie sich leicht verschlingen, mit ihnen spielen. Wirklich greifen durfte sie seine Hand nicht, aber seine Finger so sacht zu berühren, nur anzudeuten, sie könnten einander halten, war ihr ein Herzenswunsch. Das konnte sie nicht unterdrücken.
    “Ich werde zu Merkur beten, dass er unsere Wege bald wieder zusammenführt. Und dass er dich sicher bis nach Mogontiacum bringt, damit du mir bald schreiben kannst. Aber… mein Bruder liest manchmal meine Briefe, also… sei vorsichtig, ja? Pass auf dich auf, und schreib mir bald. Und…“
    Flava war schlecht im Abschied nehmen, vor allem, wenn sie es nicht wollte. Sie wollte ihn gerne einmal umarmen, ihn drücken, ihm einen Kuss auf die Wange geben und ihm alles Gute wünschen. Oder besser, ihn bitten, achwas, anflehen, er möge hier bleiben. Aber das durfte sie alles nicht, und so stapselte sie ihre Abschiedsworte so zusammen.
    “…auf bald, Verus. Phelan.“

    Erleichtert nahm Flava zur Kenntnis, dass der Reif nicht so albern als Geschenk war, wie sie gedacht hatte, und auch, dass er versprach, ihr zu schreiben. Zwar sagte er, über den Tempeldienst, der sie in Bezug auf ihre Frage eher peripher interessierte. Aber schon im nächsten Satz redete er wieder von seinen Gefühlen, und Flava musste wieder den Kopf senken und betrachtete intensiv ihre Fußspitzen, während ihre Wangen anfingen, zu glühen. So etwas durfte er eigentlich gar nicht sagen, und sie sollte sich auch eigentlich so etwas gar nicht anhören. Aber dennoch war es wie Balsam für ihre Seele.
    “Ja, vielleicht, wenn ich auch Sacerdos bin, und mein Vater gerettet. Vielleicht gibt es ja einen Tempel der Diana, oder einen Schrein, der eine Priesterin für eine Weile braucht.“
    Sie durfte nicht sagen, dass sie ihn selbst besuchen und mit ihm Zeit verbringen wollte. So etwas durfte sie nicht entscheiden, es war ungebührlich. Auch wenn sie so fühlte. Sie hoffte, Verus würde es auch wissen, wenn sie es nicht sagte, und blickte nur einmal in seine tiefblauen Augen. Aus ihren Augen konnte sie die Wahrheit nicht verbannen, und sie hoffte, er würde auch all das aus ihnen lesen, was sie nicht sagen konnte.
    “Ich hoffe auch, wir sehen uns bald wieder… Phelan.“
    Der Name klang seltsam und fremd, und Flava musste leicht Lächeln dabei. Dann senkte sie wieder den Blick, aus Angst, sie könnte sich sonst noch der Peinlichkeit hingeben, und in der Öffentlichkeit beim Abschied weinen.

    Flava fühlte die ganz sanfte Umarmung und seine Wange an ihrer, als sie die Augen aufschlug. Ihr war, als würde sie träumen, als sie Verus so nah bei sich sah, wie er sie im Arm hatte. Sein blondes Haar fiel ihm über die Stirn, und noch völlig durcheinander fuhr Flava mit ihrer Hand einmal dort hindurch und spielte kurz leicht mit einer einzelnen, widerspenstigen, blonden Strähne.
    “Dein Haar ist so lustig“, meinte sie noch völlig verträumt und mit eindeutig verliebt klingender Stimme, als sie von dem verschreckten „Domina?“ ihrer beiden Sklaven aufgeweckt wurde. Erschreckt ließ sie sein Haar los und schaute zu den beiden, die näher gekommen waren und sorgenvoll zu ihr hinab blickten. Immerhin konnten sie ja nicht zulassen, dass sich ein Mann an ihrer wehrlosen Herrin zu schaffen machte. Aber sie hob die Hand, um zu zeigen, dass sie stehen bleiben sollten und schickte sie mit einer kurzen, winkenden Bewegung auch wieder auf Abstand.
    Sie drehte sich danach wieder schnell zu Verus um, kalkulierte allerdings den Abstand zwischen ihnen beiden etwas knapp, so dass sie mit den Nasen kurz zusammenstießen. Verschämt schaute sie runter, unfähig, ihm in die Augen zu blicken, und räusperte sich einmal.
    “Verzeih, ich muss wohl ohnmächtig geworden sein.“
    Bevor sie noch jemand so sah, wie sie so dicht beieinander waren, strich Flava einmal das Kleid über ihren Knien glatt und stand dann schnell auf. Sie wollte nicht, dass es deswegen noch Gerede gab. Sie hoffte inständig, dass dieser kleine grüne Fleck keine Augen und Ohren hatte, und dass vor allem ihr Bruder davon keine Kenntnis erhielt.
    “Ich…. Ich danke dir, für dein Geschenk. Ich finde es wirklich… wunderschön. Und ich möchte dir sagen…“
    Flava war ein wenig durcheinander und fand nicht die richtigen Worte. Sie wollte doch so gerne sagen, was sie fühlte, aber das durfte sie auf gar keinen Fall. Sie hatte kein recht, so etwas zu sagen, und schon gar nicht, darüber zu entscheiden. Das durfte nur ihr Vater, oder vielleicht allenfalls noch ihr Bruder. Aber sie gewiss nicht.
    Aber doch konnte und wollte sie ihn nicht einfach so ziehen lassen. Sie sah an sich herunter, und ihr Blick fiel auf den kleinen, goldenen Armreif, den sie trug. Sie hatte sonst nichts, was sie ihm geben konnte, also zog sie ihn schnell aus. Er war ihm wahrscheinlich zu klein, aber sie hatte sonst nichts, was sie ihm mitgeben konnte. Schüchtern hielt sie ihm den Reif hin.
    “Ich möchte ihn dir schenken. Damit du etwas dabei hast, von mir. Ich weiß, es ist nicht so schön wie dein Geschenk, aber…ich… schreibst du mir, wenn du in Germanien bist?“
    Den letzten Satz hatte sie eigentlich gar nicht sagen wollen, aber es lag ihr so auf dem Herzen. Flava war nicht gut im Abschied nehmen, und sie wollte Verus am liebsten gar nicht gehen lassen. Aber wenn sie so gar nichts mehr von ihm hören würde, das wäre noch viel schlimmer als all das, was jetzt schon so furchtbar für sie war.

    Er nahm ihre Hand in die Seine, und Flava hörte ihr eigenes Herz fast lauter als seine Worte. Ihr Atem beschleunigte sich, und sie fühlte sich so schwindelig. Er hatte sie einfach so berührt und hielt ihre Hand in der seinen. Und seine Worte erst! Oh, seine Worte, die er so eigentlich doch gar nicht sagen dürfte, die aber so süß klangen, dass ihr ganzer Bauch voller Schmetterlinge zu sein schien. Und dann drückte er ihr einen kleinen, bronzenen Gegenstand in die Hand. Es war ein kleines Medallion, auf dem ein Wolf abgebildet war. Flava sah sprachlos darauf, als er sie wieder losließ und sie ansah. Sie zitterte, so sehr, dass man es ihr ansehen konnte. Sie war vollkommen überwältigt von all dem gesagten, von dem, was er getan hatte, und von dem Geschenk. Das verstieß eindeutig gegen Sitte und Moral, ganz eindeutig, und doch merkte Flava, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte.
    “Verus… Phelan… ich… ich möchte dir sagen, dass ich… auch… ich…“
    Flava sah einfach nur in seine Augen, und dann drehte sich plötzlich alles um sie herum. Er würde gleich gehen, sie würde ihn so lange nicht wieder sehen, und dabei hatte er ihr eben DAS gesagt und ihr sogar etwas persönliches geschenkt! Das war zuviel für die anständige, kleine, behütete Flava. Sie wollte ihm noch sagen, dass sie ebenso für ihn empfand, aber da wurde sie auch schon ohnmächtig.

    Es ist auch sehr schön, dich zu sehen, Verus.“
    Gerne hätte Flava ihn kurz in einer vertraulichen Geste berührt, einmal noch kurz seine Hand gehalten, sich bei ihm Kraft geholt. Aber das ging nicht. Hier waren sie zwar unter sich, aber jede Wand hatte Ohren und jeder noch so versteckte Platz Augen.
    “Ja, ich habe deinen Brief gelesen. Ich wollte mich auch noch von dir verabschieden, bevor du gehst, und dir danken. …. Für den Besuch im Tempel, meine ich natürlich.“
    Eigentlich meinte sie etwas vollkommen anderes. Durch ihn und seine Gesten und Worte fühlte sie sich zum ersten Mal so leicht und begehrt und glücklich, wie sie es höchstens einmal gelesen hatte. Weil sie in seinen Augen versinken könnte wie in einem See, und glücklich darüber wäre. Weil sie sich bei ihm so wohl fühlte. Aber all das konnte sie nicht sagen.
    “Ich glaube nicht, dass ihn jemand gelesen hat. Er war noch versiegelt.“ Sicherheitshalber sah sich Flava aber trotzdem einmal um, aber da war immer noch niemand. Sie hoffte wirklich, das würde so bleiben. Sie wollte diese letzten Momente mit ihm noch einmal auskosten, denn es würde wohl das letzte Mal sein, dass sie ihn sah. Und schon jetzt machte ihr diese Tatsache das Herz unendlich schwer. Bei seinen Worten aber horchte sie auf und sah ihn wieder unumwunden an. Ein wenig ängstlich war sie, da sie nicht wusste, was er sagen wollte. Bislang hatten sie ja eigentlich doch so wenig miteinander gesprochen, und auf der anderen Seite doch so viel. Aber nichts, was anrüchig gewesen wäre oder Ärger heraufbeschwören konnte. Daher war sie über die aufrechte Heftigkeit seiner Worte sowohl erstaunt als auch erschreckt.
    “Was möchtest du mir denn sagen?“, fragte sie also etwas unsicher und sah sich noch einmal unauffällig um, ob auch wirklich niemand lauschte. Sie würde Verus auch gerne noch einige Dinge sagen, vor allem würde sie gerne seine Hand ergreifen, aber sie hatte Angst vor den möglichen Folgen.

    Nervös spielte Flava mit ihren Händen, während sie zu dem Baum ging. Sie hoffte, dass keiner ihrer Verwandten den Brief vor ihr gelesen hatte und ihr folgte, und immer wieder sah sie sich nervös über die Schulter. Aber sie konnte niemanden entdecken, nur die beiden Sklaven, die Meridius ihr damals freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. In Rom war das tragen von Waffen verboten, aber die beiden waren groß und kräftig und würden sie notfalls auch so beschützen können.
    Flava näherte sich dem kleinen, öffentlichen Garten mit dem Baum. Ihre Palla war so großzügig über ihren Kopf und die Schultern geworfen, dass sie damit wohl beinahe verschleiert aussah. Aber auch das war ihr egal, ja, sogar ganz recht. So würde sie hoffentlich niemand erkennen.
    Verus würde abreisen, und das machte ihr das Herz so schwer. Sie hätte sich niemals verziehen, wäre sie nicht zu ihm gegangen. Die Worte, die er in dem Brief geschrieben hatte, sie waren so lieblich und sanft gewesen. Leider hatte sie den Brief verbrennen müssen, ehe Flavus ihn noch in die Finger bekam. Hoffentlich hatte er das nicht schon längst, sonst wäre das ganze hier eine schlimme Falle, und sie unwissentlich der Köder.


    Sie sah Verus, als sie auf das Grün trat, und winkte ihren beiden Sklaven zu, sie sollten zurück bleiben. Sie wollte nicht, dass jemand hörte, was vielleicht gleich besprochen wurde. Sie wusste dabei noch nicht einmal, was sie sagen wollte, alle Worte waren wie aus ihrem Gedächtnis getilgt. Sie ging noch ein paar Schritte auf Verus zu und blieb dann stehen, damit er sie bemerkte und begrüßen konnte. Ihr selbst fehlten die Worte und vielleicht auch ein wenig der Mut dazu.

    Er drückte sich so gewählt und vornehm aus, dass Flava ein wenig verschüchtert war. Hatte sie ihn so erschreckt? Hatte er sich mehr erhofft? Hätte sie doch vielleicht eine Andeutung machen sollen? Hätte sie das machen dürfen? Flava wusste es nicht. Ihr fiel nur jeder Schritt weiter zu ihr nach Hause schwer.
    “Ja, wir müssen hier entlang.“ Zumindest glaubte Flava das, ab und zu verlief sie sich noch, aber das hier war noch eine größere Straße. Wenn sie der folgten, sollten sie in der richtigen Richtung unterwegs sein. Rom war aber auch einfach gewaltig groß!
    Sie überlegte, ob sie Verus noch etwas sagen konnte. Sie würde ihm so gerne noch das eine oder andere liebe Wort entlocken, ihm noch einmal so tief in die Augen schauen oder auch eine kurze Berührung von ihm spüren. Aber das ging nicht, Sitte und Anstand verlangten auch, dass sie wieder einen Schritt weiter entfernt von ihm daherlief. Nur ab und an hob sie den Kopf, um zu ihm herüber zu sehen, und dabei versuchte sie, ihren Blick möglichst neutral wirken zu lassen, was aber wohl nicht ganz gelang.
    “Vielleicht finden wir ja die Zeit, noch einmal der Göttin zu opfern, gemeinsam. Also, wenn deine Prüfungsvorbereitungen, die Renovierung deines Hauses und deine Vorbereitungen für die Heimreise das erlauben.“
    Es wäre schön, noch einen weiteren Nachmittag mit ihm zu verbringen. Auch wenn Flava sich schon darauf einstellte, dass dies wohl nicht möglich sein würde. Aber sie wollte ihn einfach wissen lassen, dass sie das sehr schön finden würde, und verpackte es in Worten, die der Öffentlichkeit angemessen waren.

    Einen Moment lang sah Flava ihrem Bruder noch betrübt hinterher. Warum nur musste er immer so heftig reagieren und konnte nicht einfach ruhig und sachlich mit seinem gegenüber reden? Flava war noch nie laut geworden, in ihrem ganzen Leben wohl noch nicht. Warum nur schaffte ihr Bruder das nicht auch?
    Mit entschuldigendem Blick drehte sie sich dann Serapio zu, als ihr Bruder die Laube verlassen hatte. Hoffentlich hatte er sich mit seiner Wut nicht alles hier verbaut, oder dass Flava noch etwas retten konnte.
    “Du musst ihm bitte verzeihen, Faustus. Er ist nur manchmal ein wenig aufbrausend, und dann sagt er Dinge, die er so nicht meint. Er kann es nur nicht verstehen, was einen Mann veranlassen kann, nicht bei seiner Familie zu sein. Er hat nur in seinem Zorn gesprochen, er meint es nicht so. Ich bin sicher, er versteht die noblen Beweggründe eines Soldaten, er kann es nur nicht zeigen.“
    Flava hoffte, sie redete nicht zu viel oder machte es nur noch schlimmer. Aber sie wollte nicht, dass Serapio den falschen Eindruck von ihrem Bruder hatte. Er war ein liebevoller Mensch, nur konnte er das nicht so wirklich zeigen. Aber Flava wusste es genau, daher hatte sie auch das Bedürfnis, ihn zu verteidigen.
    Sie ging zu ihrem Cousin und ergriff seine Hand. Vielleicht war diese Geste zu vertraulich, aber er war ja mit ihr verwandt, also ging das wohl in Ordnung. Sie hoffte nur, er empfand es nicht als zu aufdringlich. Schüchtern lächelte sie ihn an.
    “Aber lass uns nicht darüber streiten. Wollen wir uns nicht wieder setzen? Ich würde dich wirklich gerne bitten, mir ein wenig mehr von meinem Vater zu erzählen. Ich weiß noch so wenig, und ich wüsste gerne so vieles von ihm. Was ist er für ein Mensch? Wie sieht er aus? Was macht er so? Ich wünschte, ich würde ihn besser kennen.“

    Seine Stimme an ihrem Ohr, so leise und sanft, seine Schulter an ihrer, so dass sie sich anlehnen könnte, wenn sie nur stehen bliebe und es wollte, seine Worte, so vielversprechend… Flava fühlte sich wie im Traum und einer Ohnmacht nahe. Ihr Herz schlug hoch bis zum Hals, so dass sie sicher war, dass Verus es hören musste. Sie versuchte, vernünftige Worte zu finden, anständige Worte, aber sie konnte keinen Ton sagen. Ihr fehlte der Atem, und ihre Gedanken waren ein reines Chaos. Sie fühlte sich so schwindelig.
    Sie blieb stehen und wendete leicht den Kopf, um Verus in die Augen zu sehen. Ihr Blick glitt über sein Gesicht, seine Lippen, die blonden Stoppeln am Kinn, und wieder hinauf zu seinen blauen Augen. Vielleicht einen Augenblick zu lang schaute sie hinein, ehe sie schüchtern den Blick senkte und nach Worten rang. Noch nie hatte jemand so etwas zu ihr gesagt, noch nie hätte sich irgendjemand so etwas getraut, zu sagen. Ihr Bruder war ja immer wie ein großer, treuer Wachhund in ihrer Nähe und hätte so etwas nie geduldet.
    “Verus, wir sollten nicht…“
    Kurz schüttelte sie den Kopf, so wollte sie es gar nicht sagen. Eigentlich hatte er ja auch gar nichts gesagt, nichts wirklich schlimmes. Nur das, was in ihr vorging, machte es zu etwas unrechtem, aber dafür konnte er ja nichts. Und vielleicht unterstellte sie ihm etwas, das so gar nicht da war, nur weil sie es gerne wollte.
    Sie ging wieder langsam los, sah im Gehen einmal verstohlen und schüchtern zu Silko zurück. Er war Verus’ Diener, aber dennoch versuchte sie so kurz zu ergründen, ob er ihren Fehler auch gesehen hatte. Da war er zwar wahrscheinlich der Falsche, aber er war der einzige, der hier war. Aber sie sah nur kurz und richtete ihren Blick dann wieder leicht gesenkt auf die Straße.
    “Ich fand den Tag mit dir heute auch sehr schön, Duccius. Ich möchte dir danken, dass du mich hierher begleitet hast. Alleine hätte ich es wohl nicht gewagt, den Tempel der Göttin zu besuchen.“
    Ihre Worte klangen zwar wieder sittsam und ordentlich, so wie es sich gehörte. Aber wenn Verus vorhin in ihre Augen gesehen hatte und nicht völlig blind war, musste er wissen, dass das nur der klägliche Versuch war, zu verdecken, was sie fühlte.

    Er sprach von Tausend Straßen und er lächelte. Flava fühlte sich schon wieder ganz schwindelig dabei, und ihr Herz klopfte so wild. Sie hoffte, man konnte es ihr nicht ansehen, hoffte, sie konnte es gut genug verbergen. So viele Jahre hatte sie darauf verwendet, zu lernen, wie man sich perfekt benahm und wie man perfekt all das tat, was von einem erwartet wurde. Und jetzt schien es fast wie vergessen, wenn er so mit ihr redete. Sie wollte ihn anlächeln, wollte seine Hand ergreifen, wollte ihm zeigen, was sie fühlte. Wollte ihm sagen, dass ihr Herz pochte und ihr schwindelig war, dass sie ihn gerne lächeln sah, dass sie gerne in seiner Nähe war. Es war verrückt.
    Aber sie lächelte nur leicht. Eben soviel, wie sich beim besten Willen nicht zurückhalten ließ, und lief in seiner Nähe. Nahe genug um ihn fast zu berühren, und doch soweit weg, dass es nicht passierte. Sie wollte ihm so nahe sein, wie der Anstand es erlaubte, solange sie konnte. Wenn er erst in Mogontiacum wäre, würde sie das nämlich nicht mehr können.
    “Ich hoffe, ich habe euren Tagesablauf dann nicht zu sehr durcheinandergebracht. Dein Heim sollte ja sicher sein und wohnlich.“
    Flava war niemand, der sich selbst einlud, auch wenn es ihr gefallen würde, ihn da einmal zu besuchen. Aber nicht ohne Einladung, und wohl leider auch nicht völlig ohne Begleitung, das könnte unangebracht sein. Aber sie würde gerne sehen, wie er wohnte. Sie wusste bisher noch sehr wenig von ihm. Aber sie wüsste gerne noch viel mehr.
    “Entschuldige, wenn ich allzu neugierig erscheine, aber warum wohnt ihr in der Casa, wenn diese so dringend ausgebessert werden muss?“
    Immerhin gab es in Rom genug Möglichkeiten, sich irgendwo einzumieten. Und so, wie er erzählt hatte, war sein Aufenthalt hier in Rom nie dafür geplant gewesen, lange anzudauern, sondern von vornherein nur für die Zeit der Ausbildung.

    Als sie aus dem Tempel hinaus und ins Sonnenlicht traten, atmete Flava einmal tief durch. Sie liebte zwar den Tempel und opferte auch gerne, aber manchmal überkam sie dabei so ein unheimliches Gefühl. Und eben hatte sie es wieder gehabt, als würde ihr die Göttin bis in ihr Herz blicken, und nun war sie auch froh, wieder die freie, kalte Luft zu atmen.
    Als Verus aber ansprach, sie nach Hause zu bringen, verflog das freie Gefühl und machte drei anderen dafür Platz. Zum einen war sie verunsichert. Wenn sie zuhause ankämen, bestand die Gefahr, auf einen ihrer Verwandten zu treffen. Und sie hatte nicht wirklich gesagt, dass sie in Begleitung eines Mannes zum Diana-Tempel gehen würde. Eigentlich wussten ihre verwandten nicht so genau, was sie heute machte, sie hatte nur gesagt, sie würde die Tempel besuchen. Und ihr Bruder fände es wohl alles andere als berauschend, sie in Begleitung des Ducciers zu sehen, und sie konnte für sein Temperament nicht garantieren.
    Das zweite Gefühl war Verlegenheit, ausgelöst durch seine Worte. Er könnte dann kein Auge zumachen? Sorgte er sich denn um sie? Und er sprach es hier so offen an, schaute sie dabei wieder mit seinen blauen Augen an. Flava wurde ganz leicht rot davon, sie fühlte es auf ihren Wangen. Und so senkte sie schüchtern den Blick, damit er es nicht bemerken würde.
    Aber das dritte Gefühl, das alles überstrahlte, war Glück. Sie war so glücklich, dass er Interesse an ihr zu haben schien. Er fand sogar ein paar tröstende Worte bezüglich ihres Vaters. Sie traute sich gar nicht, zuzugeben, was sie dabei empfand, denn es gab da einige Unsicherheiten, die sie nicht abwägen konnte. Aber dennoch machte ihr Herz kleine Sprünge, als wolle es tanzen und feiern. Flava mühte sich, ihn nicht anzulächeln, denn sicher war das nicht schicklich.
    “Ich hoffe es, und bete, dass er bald zurückkehrt.“
    Sie wagte nicht, daran zu denken, dass es einen Grund mehr geben könnte, der eine baldige Rückkehr wünschenswert machen könnte. Aber nein, schalt sie sich in Gedanken, Verus würde bald schon abreisen nach Mogontiacum, und sie würden sich nicht mehr sehen. Vielleicht konnte sie ihn wirklich doch einmal besuchen, aber das waren Träume, die sie eigentlich nicht wagen durfte, zu haben. Ihr Blick wurde etwas trauriger, als sie ihm in die Augen sah, aber sie versuchte, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen, was sie betrübte. Denn auch das wäre wohl nicht schicklich gewesen.


    Langsam machten sie sich wieder auf den Weg, denn zur Casa Decima Mercator war es ein ganzes Stück. Üblicherweise spazierte Flava nicht so weit, aber heute konnte der Weg für sie am liebsten gar nicht lang genug sein. So konnte sie mehr Zeit mit Verus verbringen, wenn sie auch nur sittsam nebeneinander spazieren gingen.
    “Wo wohnt deine gens hier in Rom eigentlich? Nicht, dass du erst zum einen Ende der Stadt gehen musst, um mich heimzubringen, und dann wieder zum anderen, um selbst heimzukommen.“

    Ein wenig nervös war Flava, als Silko meinte, er würde draußen warten. Sie hätte ihn gerne noch ein wenig in der Nähe gehabt, denn sie war fest überzeugt, dass die Göttin jede Unaufmerksamkeit während des Opferns bemerken würde. Und der Nubier war ja doch eine kleine Aufsicht und erinnerte Flava so stets an ihre Manieren und die Sitten.
    Nachdem Verus also noch seine Anweisung an den Wächter gegeben hatte und sie den Tempel betreten hatten, holte Flava schon einmal alles aus dem Beutel heraus. Sie hatte noch nie jemanden, der ihr ministriert hatte. Bislang hatte sie das alles selbst gemacht, daher war sie nun auch zusätzlich noch ein wenig unsicher, ob alles so funktionieren würde, wie es sollte.
    Aus den verschiedensten Gründen also nervös betrat Flava mit Verus, der sich extra ein weißes Gewand übergeworfen hatte, den aedes. Diana hatte hier wirklich einen wunderschönen Tempel, fand sie. Besser als der kleine in ihrer Heimat allemal, viel prächtiger. Und das Bild der Göttin, stolz mit dem Spieß für die Jagd auf wilde Schweine, die Stephane auf dem Haupt, war atemberaubend schön. Zunächst wusch sich Flava die Hände bis hinauf zum Ellbogen, und zwar gründlicher als sonst. Sie wollte lieber kein Risiko wegen der Berührung eingehen, denn sie wusste nicht, wie genau Diana ihre Gefühle prüfen würde. Verzaubert näherte sich Flava der Statue und trat dann an den Altar für die unblutigen Opfer.
    Sie suchte kurz nach den passenden Worten. Wie konnte sie die Göttin, der sie dienen wollte, am würdigsten begrüßen? In diesem so schönen Tempel kam sich Flava so klein und unwürdig vor. Also stand sie einen Moment einfach nur da und schaute, ehe sich ihre Stimme klar erhob.
    “Oh, große Diana, Göttin der Frauen und des Mondes! Oh Herrin der Jagd und der Geburt! So viele Jahre hast du schon mein Leben behütet und mich geführt. Nun stehe ich in Rom und bin discipula. Dafür möchte ich dir danken. Nimm diesen Weihrauch als Geschenk!“
    Sie ließ sich den Weihrauch von Verus angeben und legte ihn bedächtig in die brennende Opferschale. Sofort entfaltete er seinen süßlichschweren Duft im Raum, der Flava ein leichtes Gefühl schenkte. Sie wartete einen Moment und hoffte, die Aufmerksamkeit der Göttin nun zu haben. Dann ließ sie sich von Verus den Pelz angeben. Es war das Fell eines Fuchses, wundervoll und mit höchster Handwerkskunst bearbeitet. Die Haare waren ganz weich. Flava hoffte, der Göttin gefiel es.
    “Diana, nimm auch diesen Pelz als Opfer an! Ich hoffe, er erfreut dich als Herrin der Jagd. Ich bete, mögest du das Wild mehren in den Wäldern und den Jägern deine Kraft zuteil werden lassen, auf dass dir noch viele schöne Pelze geopfert werden können.
    Aber ich möchte dir nur danken, dass du mich bis hierhin geführt hast.“

    Sie war sich unschlüssig, ob sie Diana auch um etwas Persönliches bitten sollte, denn die Dinge, die sie wünschte, lagen eigentlich nicht in der Domäne der Gottheit. Aber sie versuchte es, es war zwar eine große Bitte, aber dennoch.
    “Und ich möchte dich bitten, schenke meinem Vater Trost in der Nacht, wo immer er sein möge. Decimus Livianus, der dir zu Ehren in seinem Garten eine Laube errichten hat lassen. Hülle ihn in das Licht deines Mondes, sende ihm einen Falken, der ihm neue Hoffnung bringt, damit er weiß, dass er nicht vergessen ist.“
    Sie hoffte, die Göttin würde ihrer Bitte nachkommen, und sie hoffte, sie würde das Opfer annehmen. Flava beendete ihr Gebet mit der Drehung nach rechts, wie sie es einst beigebracht bekommen hatte von ihrem Großvater. Sie blieb noch ein wenig stehen und wartete, ob Verus noch etwas anzumerken oder zu sagen hatte. Außerdem gefiel es ihr im Tempel hier, sie fühlte sich hier der Göttin und ihrer Mutter so nahe.

    Gequält ließ Flava den Kopf sinken, als Serapio sich gegen ihre friedliche Lösung entschied. Natürlich hatte er mit seinen Worten auch recht, von seinem Standpunkt aus, aber Flavus hatte auch nicht gänzlich unrecht. Nur warum mussten die beiden nun darüber so streiten?
    Flava sah schon an den Augen ihres Bruders, dass es gleich ein gewaltiges Donnerwetter geben würde. Serapio hatte die dunkle Seite geweckt, die gleich nach Vergeltung lechzend alles zerstören würde, was sie gerade so zaghaft aufzubauen versuchten. Flava hasste es, wenn sie sich einmischen musste, vor allem, weil dies ein schlechtes Licht auf ihren Bruder werfen konnte. Wäre Serapio ein Fremder gewesen, hätte sie nun auch nichts mehr gesagt. Aber er war ihr Cousin, einer ihrer engsten Verwandten überhaupt, und Flava wünschte sich so sehr, Teil dieser neuen Familie zu werden. Mit ihrem Bruder.
    Sie ging also rasch den einen Schritt auf Flavus zu, der zwischen ihnen war, und berührte ihn so ganz leicht mit ihrem Körper. Ihre Hand legte sich dabei nur ganz leicht auf seinen Arm, sie hielt ihn nicht fest und umarmte ihn auch nicht. Diese kleine Berührung musste reichen, denn sie wollte ihn nicht gänzlich bloßstellen oder den Eindruck erwecken, sie müsse Flavus ernsthaft zurückhalten. Ganz leise flüsterte sie ihm zu, so dass Serapio es vermutlich nicht hören konnte.
    “Bitte, Marcus, bitte. Er ist unser Cousin. Bitte, lass es, dieser Streit bringt doch nichts. Bitte, für mich.“
    Ihr Bruder konnte ihr keinen Wunsch abschlagen. Er würde ihr hoffentlich auch diesen nicht abschlagen, und hoffentlich reichten die kleine Berührung und der Blick aus ihren Augen, um ihn aufzuhalten. Denn sonst hatte Flava nichts, was sie noch tun konnte.

    Offenbar interessierte er sich wirklich für sie, denn er fragte nach Flavas Großeltern. Einerseits freute es sie ja, denn wenn er sie so private Dinge fragte, ließ das hoffen, dass er wirkliches Interesse an ihr hatte. Aber andererseits war das Thema Flava auch ein klein wenig peinlich, denn zugeben zu müssen, vom eigenen Vater bis vor kurzem den Namen noch nicht einmal gekannt zu haben, war sicher nichts, was man mit Stolz verkündete. Daher sah sie Verus nicht an, als sie anfing, zu erzählen.
    “Nun, das ist ein wenig komplizierter. Mein Vater, Decimus Livianus, wurde vor meiner Geburt einberufen, zum Krieg. Meine Mutter war krank und ist daher zu ihren Eltern, also meinen Großeltern nach Britannia gereist. Dass sie damals schwanger war, war soweit ich es erzählt bekommen habe, nicht bekannt.
    Meine Mutter verstarb bei der Geburt, und meine Großeltern zogen meinen Bruder und mich groß. Sie haben… versäumt, es Vater mitzuteilen, und mein Bruder und ich haben es ebenfalls erst dieses Frühjahr erfahren. Daher sind wir hierher gereist, um ihn kennen zu lernen.
    Allerdings ist sein Verbleib ungeklärt. Er kehrte aus Parthia nicht wieder, aber es wird vermutet, er könne in Gefangenschaft sein. Daher sind auch Decimus Meridius und Decimus Mattiacus gerade absent, da sie sich vorbereiten, im Namen des Senats Verhandlungen aufzunehmen.“

    Ja, soweit war Flavas Stand der Dinge. Je länger sie gesprochen hatte, umso öfter hatte sie doch zu Verus hinüber geschaut. Sie hoffte, er dachte nun nichts Schlechtes von ihr, denn sie konnte für all das auch nichts. Dennoch fühlte sie sich ein wenig schuldig wegen dem ganzen. Vor allem, da ihr Vater sie nicht anerkannt hatte, ja noch nicht einmal etwas von ihrer Existenz wusste. Das lastete wie ein dunkler Makel auf ihrer sonst so strahlenden Erscheinung, und sie war sich dessen bewusst.
    Da war sie froh, dass sie am Tempel ankamen und Verus gleich fragte, ob er ihr ministrieren sollte. Natürlich war sie da einverstanden, er kannte sich bestimmt auch um einiges besser aus als sie und konnte ihr notfalls noch helfen. Obwohl sie das unblutige Opfern ja durchaus schon kannte und nicht glaubte, größere Fehler zu begehen.
    “Ja, dann gebe ich dir den Weihrauch. Will Silko mitkommen?“
    Die Frage war ganz unschuldig und ohne irgendeine Wertung gestellt. Diana unterschied schließlich nicht zwischen Freien und Unfreien, und es gab auch viele Sklaven, die zu ihr beteten. Flava war nur neugierig, wie der schwarze Riese es sah, traute sich aber nicht, ihn direkt danach zu fragen.

    Ach, wie hatte sie das nur übersehen können? Und dabei hatte sie doch erst die Stammbäume der Familie auswendig gelernt, um zu wissen, wer nun was war. Bei der ganzen, neuen Verwandtschaft kam sie sonst durcheinander, immerhin waren das alles noch Fremde für sie. Aber dass sie darauf nicht eher gekommen war, war schon ein wenig ärgerlich. Den eigenen Onkel vergessen, beziehungsweise seine werte Gemahlin, das war schon ein größerer Fauxpas. Verlegen blickte Flava weiterhin auf den Boden.
    “Achja, Decimus Magnus ist mein Onkel. Allerdings habe ich ihn bislang noch nicht getroffen.“
    Flava überlegte einen Moment, ob sie ihm gleich von ihrer Geschichte erzählen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie wollte schließlich nicht aufdringlich wirken, und wenn es Verus interessieren würde, würde er schon fragen. Und es war vielleicht auch ein wenig kompliziert, um es ihm einfach so zu erzählen, da wollte sie ihn nicht damit überfallen.
    “Dann ist deine Familie sehr groß? Das ist schön, ich wollte auch immer eine große Familie haben. In Britannia waren mein Bruder und ich mit unseren Großeltern allein, da hab ich es vermisst, dass wir keine Cousinen und Cousins als Kinder hatten. Aber hier in Rom konnte ich nun ja einige von ihnen kennen lernen.“
    Jetzt hatte sie ihm doch etwas erzählt. Flava, Flava, deine Selbstbeherrschung war auch schon einmal besser, dachte sie sich. Nunja, vielleicht war das ja auch nicht weiter schlimm, und vielleicht interessierte es ihn ja? Flava hoffte ja, dass er sich für sie interessierte, und auch für ihre Familie. Sie jedenfalls könnte ihm sicher Stunden zuhören, wenn er erzählte.
    Aber dass er schon so bald wieder abreisen würde, stimmte sie irgendwie traurig. Sie hätte ihn gerne noch viel besser kennen gelernt, aber mit der knappen Zeit war das wohl ein unerfüllbarer Wunsch. Und sie konnte ja auch nicht mit ihm mit, also würden sich ihre Wege doch wohl bald schon wieder trennen. Und das stimmte Flava unendlich traurig. Aber vielleicht konnte sie ihm ja schreiben? Wobei, wenn er das auch als zu aufdringlich empfand? Sie konnte ihn wohl schlecht danach einfach fragen.

    Seine Hand an ihrem Ellbogen war ein so sanftes und schönes Gefühl, dass Flava erst einmal nur sprachlos in Verus’ Augen schauen konnte. Es war eine unschuldige Geste an sich, aber doch war es für Flava so ungewohnt und neu und einfach unbeschreiblich. Ihr Bruder hätte nie zugelassen, dass so etwas geschah, und so war es für die junge Decima auch die erste Berührung dieser Art, die länger als eine Zehntel Sekunde andauerte. Flava war einen Moment vollkommen wie im Traum, als sie den großen Nubier wieder wahrnahm, der näher kam. Den Blick peinlich berührt zu Boden gesenkt trat sie einen Schritt von Verus weg und beendete auch langsam die Berührung, ebenso wie er die seine beendete.
    Flava war es ein wenig peinlich, dass sie sich so in aller Öffentlichkeit hatte gehen lassen. Nein, schlimmer noch, sogar unter Aufsicht, denn der Nubier war ganz eindeutig eine Person, die Flava widerspruchslos respektierte. Daher wusste sie nicht so recht, was sie sagen sollte, oder ob sie überhaupt etwas sagen durfte. Aber schließlich fand sie ihre Worte doch wieder, schließlich konnten sie ja nicht ewig hier so beieinander stehen.
    “Mein Schuh hatte sich nur am Pflaster hier festgehangen. Ich muss wohl ein wenig mehr noch auf die Straße achten. Entschuldige nochmals.“
    Verlegen wandte sich Flava auch wieder der Straße zu, damit sie Verus nicht aus Versehen noch mal in die Augen schaute. Sonst könnte er womöglich noch sehen, dass es ihr beileibe nicht so leid tat, wie sie selbst sagte. Sie fand die Berührung nämlich ausgesprochen schön und hätte es, wären sie allein gewesen, vielleicht sogar wiederholt. Aber das wäre leichtsinnig gewesen, wie Flava sehr wohl wusste.
    Unsicher setzte sie also den kleinen Spaziergang fort und wusste nicht so recht, was sie jetzt sagen sollte. Sonst fiel ihr Konversation eher weniger schwer, aber in diesem speziellen Fall war es, als hätte ihre Zunge einen Knoten. Sie wollte ihm gerne so vieles erzählen und ihn auch so vieles fragen, aber aus einem seltsamen Grund traute sie sich nicht so recht. Aber schließlich fand sie doch etwas.
    “In Mogontiacum, wohnt da deine gesamte gens? Ich muss gestehen, in Britannia lebte ich doch sehr abgeschieden, was die Informationen über verschiedene gentes angeht.“

    “Es könnte mich auch nichts davon abhalten, dir dabei zu helfen, Marcus. Und du darfst ruhig wie ein Triumphator aussehen, ich möchte doch, dass der Senat von dir genauso begeistert ist, wie ich.“
    Liebevoll lächelte Flava ihren Bruder an. Es war ein schönes Gefühl, dass sie ihm auch einmal bei etwas helfen konnte, und nicht immer nur umgekehrt. Sie fühlte sich im Allgemeinen ihm unterlegen und bedurfte seiner mehr, als er ihrer. Aber in solch seltenen Situationen konnte sie ihm helfen, und das genoss sie sichtlich. Dann fühlte sie sich gleich viel wertvoller als noch zuvor, und es tat ihr gut, ihm etwas Gutes zu tun.
    “Ich überlege, ob ich mir auch vielleicht ein oder zwei neue Tunicae schneidern lassen sollte, für meine Zeit als discipulus. Aber eigentlich habe ich noch so viele mitgenommen, und nicht, dass es zuviel wird. Ich bin mir noch ein wenig unschlüssig.“