Beiträge von Marcus Achilleos

    Ich ging in Richtung Akademie. Mein Schwert hielt ich zur Sicherheit so in meiner rechten hand, dass ich mich im Notfall aufstützen konnte. Die Wunde blutete kaum noch und mir wurde klar, dass etwas ganz Außergewöhnliches passiert war. "So was ist mir noch nie passiert! Noch nie, wirklich nie, wurde mir eine solche Wunde zugefügt!" Ich fing an, mich über mich selbst zu ärgern, und sprach deshalb mehr zu mir selbst als zu den beiden Legionären, die mich begleiteten. "Wie konnte ich nur so aus dem Training kommen, dass ich von solchen Bastarden verletzt werden konnte! Blöder Mist verdammter!"

    Penelope war eine gute Rednerin. Ihre Worte waren klug und darüber hinaus auch noch gut vorgetragen. Sie hatte mich zumindest überzeugt, nichts weiter zu sagen. Außerdem kam mir noch Meister Kung in den Sinn: "Ein Edler, der beim Essen nicht nach Sättigung fragt, beim Wohnen nicht nach Bequemlichkeit fragt, eifrig im Tun und vorsichtig im Reden, sich denen, die Grundsätze haben, naht, um sich zu bessern: der kann ein das Lernen Liebender genannt werden." Ich war definitiv nicht vorsichtig im Reden gewesen. Ein Fehler, den ich nicht erneut machen würde. Ab sofort würde ich denen Antworten geben, die mich etwas fragten. Und wer mich nicht fragte, würde auch nichts von mir hören.


    Ich ging wieder die Stufen hoch, zurück zu dem Platz, den ich zu Anfang hatte. "Berichte mir, was hier noch besprochen wurde. Stimme so ab, wie es dir dein Gewissen befiehlt. Ich verzichte ab sofort auf mein Recht, vor der Ekklesia zu reden. Und auch auf mein Stimmrecht," flüsterte ich meinem Schüler Stratocles zu. Er sah mich ratlos und ein wenig entsetzt an, doch ich lächelte nur kurz, bevor ich das Theatron verließ.

    "Stelle ich die Autonomia in Frage? Nein, ganz sicher nicht! Aber stelle ich in Frage, dass die Legionen vor unseren Stadtmauern diese Polis jederzeit in Schutt und Asche legen könnten? Nein, ebenso sicher nicht! Der göttliche Basileus gewährt dieser Polis nicht nur die Freiheit, sondern auch Schutz! Sollten wir da nicht über Fehler seiner Soldaten wohlwollend hinwegsehen, anstatt ihn oder, in Vertretung seiner Person, dem Eparchos belehren zu wollen?"


    Erneut forderte jemand, mich aufzuknüpfen. "Wenn du mich aufknüpfen willst, dann komm her und hol' mich!" antwortete ich diesmal. Eigentlich würde ich ihn ja zum Duell fordern, aber da waren die Gesetze wohl dagegen.

    Ich deutete auf den Lanzenträger, der mich verletzt hatte. "Er gehört mir!"


    Dann wandte ich mich an Matrinius. "Danke, das wäre sehr hilfreich. Nicht, dass ich unterwegs noch umkippe."


    Bevor ich ging, wandte ich mich noch an Cleonymus. "Vergiß nicht, den Bastard in der Gasse aufzusammeln. Weglaufen wird der nicht."

    Jetzt musste ich doch etwas sagen. Schon allein, um Schlimmeres zu verhindern. Ich erhob mich von meinem Platz und ging ein paar Stufen herunter, während ich laut und deutlich sagte "Ich halte das für sehr unklug!" Natürlich in Attisch, da ich Koine zwar verstand und prinzipiell auch sprach, aber niemals selbst nutzte. Attisch war viel edler.


    Nachdem nun alle Blicke auf mich gerichtet waren, erklärte ich mit lauter, klarer Stimme, meine Bedenken. "Zunächst einmal, wenn meine Informationen richtig sind, wurde das Heiligtum der Tyche nicht betreten. Natürlich war unmittelbar vor dem Heiligtum, aber eben nicht in ihm. Es war also, streng genommen, kein Götterfrevel." Es folgte eine kurze Pause. "Gewiss, die Soldaten haben unbescholtene Bürger schikaniert. Doch bedenken wir, was es bedeuten würde, wenn wir das Vorgehen der Soldaten öffentlich verurteilen würden. Wenn es die Legion darauf anlegt, kann sie das nutzen, um Klage gegen die Polis in Rom einzureichen. Klage gemäß dem achtundsechzigsten Paragraphen des rhomäischen Codex Iuridicialis. Für diejenigen, die sich nicht so gut mit den Gesetzen der Rhomäer auskennen: Es geht dabei um staatsfeindliche Einwirkungen auf Sicherheitsorgane. Der Eparchos mag zwar auf unserer Seite sein, doch kann die Angelegenheit meiner Meinung nach auch an ihm vorbei nach Rom übermittelt werden. Und wie jemand, der die Situation nicht kennt, darüber urteilen würde, ist höchst unsicher."
    Einen kurzen Moment ließ ich meine Worte wirken. "Doch was bedeutet es, wenn man die Polis bezüglich dieses Vergehens verurteilt, oder zumindest wichtige Personen der Polis? Würde dann nicht die Ekklesia als staatsfeindliche Vereinigung gelten und somit verboten? Würden wir damit nicht die Freiheit der Polis Alexandreia riskieren? Ist es das wert? Unsere Bedenken werden bereits jetzt dem Eparchos bekannt sein. Denn er wird sich ganz sicher über den Verlauf der Ekklesia informieren lassen. Ein Beschluss dieser Ekklesia, wie er vorgeschlagen wurde, würde nur Öl ins Feuer gießen. Ganz gleich, wie maßvoll er formuliert würde. Es kann aber nur in unserem Interesse liegen, zur Deeskalation beizutragen. Nicht, weil wir feige wären. Sondern, weil wir realistisch sind."

    Ich hatte mich in den hinteren Rängen des Theaters eingefunden. Mein linker Arm war nach dem Vorfall in Rhakotis immer noch bandagiert und in einer Schlaufe. Über meiner üblichen Kleidung trug ich einen Umhang, um nicht allzu sehr aufzufallen.


    Eigentlich hatte ich kein allzu großes Interesse an der Politik dieser Polis, also würde ich das Ganze wohl einfach nur beobachten. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich abstimmen würde oder mich meiner Stimme enthalten. Eigentlich ging es mir nur darum, informiert zu sein. Einen Moment lang überlegte ich mir, ob ich nicht etwas zu Rhakotis sagen sollte, einen Appell an die Bürger, das Viertel der Ärmsten nicht ganz zu vergessen und sich um diejenigen zu kümmern, die es am dringendsten nötig haben. Ich war mir allerdings recht sicher, dass es sowieso zwecklos war, also sagte ich nichts.

    "Also, ich rede ja nicht nur von Alexandria, sondern vom ganzen Reich. Und da sollte man schon fähig sein, notfalls sofort loszuschlagen, wenn man von feindlichen Angriffsplänen erfährt. Um einen recht guten Strategen zu zitieren: "Greife an, wenn der Gegner unvorbereitet ist, mache einen Zug, wenn er es am wenigsten erwartet." Da darf man keine Zeit verlieren. Deshalb müssen die Generäle immer genug Freiheit besitzen, um sofort handeln zu können. Gleichzeitig muss man immer auf den Krieg vorbereitet sein. Truppen gehören an die Grenzen. Als ich Stadtpräfekt war, in der Ferne, da hatte ich durch meine Spione von einem geplanten Angriffsbündnis zweier Barbarenstämme gehört. Hätte ich erst eine Ekklesia einberufen müssen oder die Zustimmung anderer Würdenträger einholen müssen, wäre alles zu spät gewesen. So besprach ich mich kurz mit den Offizieren und griff sofort den schwächeren Barbarenstamm an. Sie hatten nicht damit gerechnet und wurden vernichtend geschlagen. Danach bat mich der stärkere Stamm sofort um Frieden. Mein Vorteil lag in der Zeit, nicht in der Stärke. Zahlenmäßig war ich ihnen nämlich weit unterlegen. Sie waren halt noch nicht darauf vorbereitet, weil sie erst noch ihre Götter befragten und Stammesrat hielten."


    Ich leerte meinen Becher mit Posca. "Alexandria ist natürlich gut gesichert, deshalb kann es sich durchaus den Luxus einer Demokratie leisten. Im Zweifelsfall halten sowieso die römischen Legionäre ihren Kopf hin, sollten die Wüstenvölker angreifen. Wofür ich Rom übrigens sehr dankbar bin. Wenn eine schnelle Entscheidung nötig ist, wird sie im Zweifelsfall auch vom Eparchos getroffen. Also kann die Demokratie Alexandrias gar nicht versagen, weil es eben eine Absicherung durch die römische Verwaltung gibt. Rom kümmert sich um die Sicherheit, die Ekklesia um die Verwaltung der Polis Alexandreia. Das ist ein durchaus sinnvolles Konstrukt. Vorausgesetzt, die römischen Soldaten behandeln die Bevölkerung gut."

    Sim-Off:

    Passt schon ;)


    Die Wunde schien tiefer zu sein, als ich erst angenommen hatte. Jedenfalls hörte sie nicht auf zu bluten. "Zieh mal eine Binde richtig fest um den Oberarm," sagte ich zu dem Legionär, während ich mich auf meinem Schwert aufstützte. Langsam wurde mir bewusst, was geschehen war. Ich war verletzt! Wirklich verletzt! Vermutlich sah ich auch recht bleich aus. Der Schock saß ganz schön. "Bringt mich zur Akademie. Da habe ich... ich... habe ich Verbands...dings... und Kräuter." Warum konnte ich meinen Blick eigentlich nicht von meiner Wunde abwenden? Ich fluchte kurz auf Chinesisch.

    "Ich hatte keineswegs vor, die hellenistische Kultur zu schmähen oder als unfähig darzustellen. Allerdings taugt Demokratie vor allem in Krisensituationen wenig bis gar nichts. Das ist sicher auch der Gund dafür, dass die römischen Gesetze das Amt des Dictators vorsehen," sagte ich ruhig. "Fakt ist, dass unter einem König Alexander die halbe Welt von Griechen erobert wurde. Fakt ist aber auch, dass anschließend das Königreich Alexanders in viele kleine Reiche und Poleis zerfiel, die sich in ihrer Uneinigkeit gegenseitig bekämpften. Ebenso Fakt ist, dass sie alle erobert wurden. Teils von Rom, teils von den Parthern. Hätte hier ein König eine Entscheidung getroffen, wäre es nicht dazu gekommen. Ohne hierbei die Freiheit der Polites unnötig einschränken zu wollen, aber besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. So sinnvoll die Demokratie im Alltag sein mag, so anfällig ist sie in der Krise. Denn wenn man keine Zeit hat, dann hat man auch keine Zeit zum diskutieren. In solchen Fällen braucht man einen König oder Kaiser oder Dictator oder wie-auch-immer-man-ihn-nennen-will, der eine Entscheidung fällt, wenn die Ekklesia dazu nicht fähig oder zumindest nicht in einer angemessenen Zeit fähig ist."

    "Nun, möglicherweise ist nicht ganz klar geworden, dass ich das Verbot von Philosophie für nicht besonders zielführend halte, ebenso wie außergewöhnlich harte Strafen. Beides wurde von Kaiser Gaodi von Han aufgehoben. Dennoch halte ich aber Gesetze für die Grundlage eines jeden Staates. Nun ist die Frage, wer die Gesetze macht. Prinzipiell der Kaiser, ja. Doch das, was die Harmonie mehrt, ist in den Lehren der Philosophen zu finden. Weil ein einzelner Mensch niemals objektive Entscheidungen treffen kann, ist es von besonderer Bedeutung, dass er einen guten Stab von Beratern hat. Wichtig ist bei Gesetzen vor allem, dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Mehr noch, dass die Geburt nicht über Chancen und gleiche Behandlung entscheidet. Das läuft meiner Meinung nach in Ch'in deutlich besser als im Imperium Romanum. Denn dort haben alle Volksgruppen die gleichen Rechte und Pflichten. Assimilation statt Subordination. Das Imperium Romanum hingegen ist, streng genommen, eine Adelsherrschaft. Hierbei sind alle Römer, selbst die niedersten Verbrecher in der Subura, der Adel, während die Peregrini insbesondere vor dem Gesetz keine Chance gegen einen Römer haben. In Ch'in hingegen ist es egal, ob man aus Han oder Wei oder sonstwoher kommt, die Gesetze werden immer gleich ausgelegt. Auch für die Ämter im Staat hat jeder die gleichen Chancen. Ausgenommen dem Kaiseramt, denn dazu benötigt man ein himmlisches Mandat. Gegenüber einer Demokratie hat eine solche Kaiserherrschaft den Vorteil, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden können, wenn es nötig ist. Eine Ekklesia hat ja durchaus häufiger die Eigenschaft, dass Entscheidungen in endlosen Debatten aufgeschoben werden. Das ist, denke ich, auch der Grund, warum die hellenistische Welt von Rom erobert wurde: Unfähigkeit zur Einigkeit."

    Auf den Befehl der Soldaten hin hielt ich erstmal inne, genauso wie meine Gegner. Als ich jedoch das Schwert senkte, um zu signalisieren, dass ich dem Befehl folgte, stieß sofort einer der beiden mit seiner Lanze zu. Ich konnte diesen Stich nicht mehr mit dem Schwert abwehren, also musste mein linker Arm dran glauben. Besser der Arm als der Bauch. Die Spitze der Lanze zog einen langen Schnitt durch meinen linken Unterarm. Mit einem Hieb meines Schwertes durchschlug ich daraufhin die Lanze von unten und machte einen Schritt zur Seite, um dem zweiten Lanzenträger das Schwert an die Kehle zu halten.


    "Fallen lassen!" sagte ich mit eisiger Stimme. Er dachte nicht lange nach und ließ die Lanze fallen. Der andere hatte unmittelbar, nachdem ich seine Lanze durchschlagen hatte, einen Schritt zurück gemacht und die Hände erhoben. Ich selbst machte nun auch zwei Schritte zurück und senkte mein Schwert. Erst jetzt bemerkte ich, wie das Blut aus der Wunde an meinem linken Unterarm über die Hand lief und auf den Boden tropfte. Ich betrachtete die Wunde. Das war das erste Mal, dass ich in einem Kampf ernsthaft verletzt wurde.


    Ich sah zu den Soldaten. "Danke. Wäre es möglich, die beiden zu verhaften? Sie hatten vor, mich zu töten. In der Gasse dort liegt noch jemand, der den gleichen Auftrag hatte."

    Ich war entlang einer Parallelstraße zur Patrouille unterwegs. Es war Zufall, dass ich wieder so nah an die römische Patrouille rangekommen war, nachdem ich das Mädchen gehen gelassen hatte. Ich hatte auch nichts von der erneuten Festnahme des Mädchen mitbekommen.


    Plötzlich stand ein Ägypter wenige Schritt vor mir. Er hatte eine Axt in seinen Händen und erst jetzt bemerkte ich, dass sich die Straße geleert hatte. "Du hast einen gewaltigen Fehler gemacht, Römerfreund!" Das Wort "Römerfreund" spuckte er förmlich aus. Er war groß und kräftig. Seine Muskeln waren deutlich zu erkennen, da er nur einen Lendenschurz und Sandalen trug.


    Ich blickte mich kurz um und erkannte, dass zwei weitere Personen in einigem Abstand hinter mir waren. Sie hatten Stäbe - oder waren es Lanzen? Mit einem schnellen Griff löste ich meinen Umhang, der zu Boden fiel. Jetzt trug ich nur noch meine typische, chinesische Kleidung. Mein Schwert hing an meinem Gürtel und ich umfasste seinen Griff mit meiner rechten Hand. Ich sagte dabei kein Wort, doch mein Blick sagte deutlich "Versuch' es besser nicht!".


    Der Ägypter versuchte es aber trotzdem. Breit grinsend hob er die Axt und rannte die wenigen Schritte auf mich zu. Ich selbst zog mein Schwert und wich in letzter Sekunde seitlich aus, wobei ich seinen rechten Arm mit einem Schwerthieb erwischte. Ich drehte mih sofort um und schlug mit dem Schwert von hinten durch seine Beine, bis auf die Knochen, so dass die Muskeln durchtrennt waren und er zwangsläufig umfiel.


    Dann waren auch schon die beiden Lanzenträger da. Sie hatten tatsächlich Lanzen. Und sie konnten damit umgehen. Ich wehrte ihre Stiche ab, wobei ich immer weiter rückärts ging. Schließlich war ich auf der Straße, auf der die Patrouille auch unterwegs war. Ich wusste nicht, wie lange ich die beiden noch abwehren konnte, aber ich hoffte, dass mir vielleicht jemand zu Hilfe kam.

    Ich hörte den Worten des Nikolaos aufmerksam zu. Dass Alexandria zumindest im Großen harmonisch aufgebaut war, war mir zwar nicht ganz entgangen, doch durch die Beschreibung meines Gastes wurde es mir erst vollkommen bewusst. Ich nickte also zustimmend.


    "In Ch'in, wo ich ja recht lange war, ist die Idee, dass nur die Fähigkeit über die Position entscheidet, die man im Staat einnimmt, schon etwas weiter fortgeschritten als hier. Das trifft vor allem für das Militär zu. Bei den zivilen Beamten ist es problematisch, weil der einfache Bauer oder Landarbeiter schlichtweg keine Zeit hat, sich die nötige Bildung anzueignen, die seine Fähigkeiten voll entfalten würde. Jedenfalls nicht, wenn er keinen Hunger leiden will," erwiderte ich auf seine Ausführungen zur Politik.


    Dann kam es zu den Büchern. "Meinst du dein Haus außerhalb der Stadtmauern, wo das Treffen war? Oder dein Haus im Königsviertel?"


    Wir gingen langsam die Stufen zur Meditationshalle, als ich ih die Frage nach dem Tempel beantwortete. "Der Begriff tempel ist vielleicht etwas irreführend. Ich habe ihn mir wohl in der Fremde so angewöhnt. Ein Altar, der Hauptaltar, ist Athene geweiht. Sie hat mich immer beschützt und sie soll auch die Akademie schützen und den Kindern Wissen und Weisheit bringen. Die Nebenaltäre sind zwei Kaisern aus Ch'in gewidmet, nämlich Shi Huangdi, der das Land einte, und Gaodi, der dem Land Wohlstand brachte. Beide sind Himmelssöhne und damit - wie die Kaiser dr Rhomäer - vergöttlicht. Dann abe ich noch einen Gelehrten-Altar, an dem die Meister Lao, Kong, Meng, Xun und Han Fei als Ahnen und Vertreter von Athenes Wirken in Ch'in verehrt werden und den Philosophen-Altar, an dem Sokrates, Platon, Aristoteles, Pythagoras und Euklid als Ahnen und Vertreter von Athenes Wirken in der Wiege der Kultur verehrt werden. Und dann ist da noch mein Ahnenaltar. Es ist also so eine Art Ahnentempel. Allerdings ist Athene nur vorübergehend dort untergebracht. Sobald ich den inneren Hof zu einem Garten ausgebaut habe, soll in dessen Mitte ein Athene-Schrein stehen."


    In der Meditationshalle angekommen, war die Schlichtheit des Ortes klar zu erkennen. Außer der chinesischen Kalligraphie an der gegenüberliegenden Wand und den Sitzkissen am Boden befand sich dort nichts.

    "Philosophie sollte eigentlich praktisch ausgelegt sein. Natürlich geht es zwar vor allem um ein höheres Ziel, in aller Regel die Harmonie zwischen Himmel und Erde, doch erreicht man es über den Umweg von Harmonie im Reich. Die kann man aber nur erreichen, wenn dieses gerecht regiert wird und gleichzeitig das Volk die Herrschaft unterstützt. An der Spitze steht der Kaiser als oberster Mittler zwischen Himmel und Erde. Ihn zu unterstützen ist die Pflicht aller Untertanen." Mir fiel ein, dass die Römer, ebenso wie Griechen, sich nicht gerne als Untertanen sahen. "Oder Bürger. Jedenfalls ist ist ihre Pflicht, den Kaiser zu unterstützen. Jeder, der die Grundzüge der Harmonie verstanden hat, wird die Harmonie unterstützen. Alle anderen müssen dazu gebracht werden, ohne sie zu unterrichten. Dazu gibt es Gesetze. Der Gelehrte Li Si war sogar der Meinung, dass man generell jede Philosophie verbieten müsse und nur Dinge erlauben sollte, die unmittelbaren Nutzen bringen. Er regelte den ganzen Staat nur durch Gesetze, wobei außergewöhnlich harte Strafen für jeden noch so kleinen Verstoß vorgesehen waren. Das war sicher übertrieben. Meiner Meinung nach müssen die Strafen dem Vergehen an der Harmonie angemessen sein. Dennoch sind Gesetze genau das, was die Ungebildeten oder auch die Unwilligen in die Harmonie zwingt. Denn manche müssen zu ihrem Glück gezwungen werden."


    Vermutlich würden die Römer mich eher verstehen als meine Landsleute.

    "Ich kann's ja mal versuchen. Vielleicht bin ich ja doch als Koch geeignet. Zur Not gibt es sicher ein paar Bücher im Museion, in denen man das eine oder andere Rezept findet."


    Ich legte meine Stäbchen auf die Schüssel.


    "Bist du satt geworden?" fragte ich fast schon fürsorglich.

    Das waren mal wieder Fragen, die man ebenso gut mit Gegenfragen beantworten konnte.
    "Wenn man die richtigen Fragen stellt, ist man zumindest eine Hilfe für den Gefragten. Also ein Lehrer. Wenn man eine Frage aus philosophischem Kalkül stellt, ist man zudem ein Philosoph. Wobei man das alles nicht unbedingt trennen kann. Wenn man Fragen stellt, die jemand anderen zu einer philosophischen Erkenntnis führen, ist man dann auch Philosoph? Das ist doch de facto deine Frage gewesen? Nun, nehmen wir dazu ein anderes Beispiel. Wenn ich im Gebirge unterwegs bin und ein Begleiter sagt mir, dass ich mir nicht nur die Berge ansehen soll, sondern meinen Blick auch auf den Boden richten sollte. Und ich befolge den Rat, betrachte den Boden so, wie die Berge, und entdecke dann eine Goldader, die an die Oberfläche kommt. Hat dann nicht auch der Begleiter seinen Anteil an der Entdeckung und es somit verdient, ebenfalls davon zu profitieren? Hat der Matrose, der auf den Befehl des Kapitäns den Horizont beobachtet, nicht genauso Anteil an der Entdeckung einer neuen Insel wie der Kapitän und ist deshalb auch ein Entdecker? Hat dann nicht auch derjenige, der Fragen stellt, die jemand anderen zu einer Erkenntnis führen, genauso Anteil an der Erkenntnis und ist ebenso ein Philosoph?"
    Ich trank einen Schluck meiner Posca.
    "Was deine zweite Frage betrifft: Führt nicht jede Frage zu einer Antwort oder einer weiteren Frage? Ist deshalb nicht auch jede Frage eine richtige Frage? Führen nicht alle Fragen zu einem Erkenntnisgewinn? Wenn man nun also eine Frage stellt, um seine eigene Erkenntnis zu mehren, dann ist man doch ein Philosoph? Und wenn man sie stellt, um damit die Erkenntnis von jemand anderem zu mehren, ist man dann nicht auch Philosoph? Und ein Lehrer noch dazu?"

    "Nein? Ist es nicht eine Begabung, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen?" fragte ich in typisch konfuzianischer Manier. "Ich habe mir selbst diese Fragen nie gestellt, deshalb habe ich auch die Lehren nicht vollständig verstanden. Vor allem einen sehr wichtigen Punkt hatte ich falsch gedeutet. Wenn man jemanden dazu bringt, etwas zu sehen, das er vorher übersehen hatte, ist man dann nicht auch ein Lehrer?"