Beiträge von Charis

    Die Sklavin wäre nun am liebsten in einem Mäuseloch verschwunden. Zusammengekauert saß sie da, als ihr bewußt wurde, wie eng es für sie wurde, mit jedem Wort, das sie von nun an sagte. Charis hatte es sich wesentlich leichter vorgestellt. Doch nun im Angesicht mit Corvinus war alles anders.
    Als er wieder das Wort an sie richtete, fuhr sie zusammen.
    "Ja, das tut sie, Herr. Sie sagte, es seien die glücklichsten Tage in ihrer Ehe gewesen," antwortete sie zögerlich. Sie hatte große Schwierigkeiten, seinem Blick standzuhalten. Charis wußte eine Menge, wie es um die Ehefrau des Herrn stand. Sie wußte mehr, als ihr gut tat. Tagtäglich vertraute sie ihr ihre Geheimnisse, Gedanken und Sorgen an. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüßte, was sie hier gerade tat?
    Über Celerinas erste Ehe allerdings wußte die Makedonierin nur bruchstückhaft zu erzählen. Die Herrin redete nicht oft davon. Zu bitter mochten ihre Erinnerungen daran sein.
    "Sie erzählte einmal von einer Fehlgeburt, Herr. Aber die Umstände kenne ich nicht genau. Ich weiß nur, daß es keine glückliche Ehe gewesen ist. Sie deutete an, ihr erster Ehemann habe sie betrogen und mißhandelt." Charis sprach ausgesprochen entspannt, denn damit glaubte sie, hatte sie noch lange nicht die schlimmsten Geheimnisse preisgegeben. Hätte der Aurelius auch nur die kleinste Ahnung davon, was Charis noch alles wußte. Zum Beispiel die große Ungerechtigkeit, die Phraates widerfahren war, oder was ganz zu Anfang geschehen war, nachdem die Makedonierin der Flavia zum Geschenk gemacht worden war. Es juckte ihr in den Fingern, endlich mit der Wahrheit herauszurücken und damit dem Parther zu helfen. Aber die Furcht war stärker. Sie beherrschte Charis´Handeln.

    Charis hatte wohl mit vielem gerechnet, nur nicht damit, daß die Herrin herausgefunden hatte, wozu der Herr sie gezwungen hatte. Und zu ihrem erstaunen wußte auch die Herrin davon. Seit damals, als Corvinus sie beauftragt hatte, sie solle seine Frau im Auge behalten und ihm regelmäßig Bericht erstatten, hatte sie sich vor diesem Tag gefürchtet. Nun war er gekommen. Und auch wenn die Herrin noch ruhig geblieben war, fürchtete die Makedonierin dennoch ihren Zorn. Spätestens am Abend, wenn sie nach Rom zurückkehren würden, hätte sie wohl mit Repressalien zu rechnen. Dabei fürchtete sie weniger den körperlichen Schmerz. Viel schlimmer waren Celerinas unberechenbaren Eingebungen, die je nach Laune an Grausamkeit variieren konnten. Celerina wußte genau, womit sie ihre Sklavin strafen konnte. Genau wie sie es damals gewußt hatte, als sie Phraates ans Messer geliefert hatte.
    Die angedrohte Strafe, sie solle ich in Zukunft aus ihrer Gegenwart entfernen, klang im ersten Moment recht unspektakulär. Fragte sich nur, wo sie sich in Zukunft aufhalten sollte. Würde man sie ebenso nach Sardinien schicken? Oder an einen ganz anderen Ort? Würde sie sie am Ende sogar verkaufen?
    Charis war Augenblick zu bestürzt, um darüber näher nachzudenken. Ihr noch einmal in dieser Sache zu widersprechen, entsprach nicht Charis´ Charakter. So sah sie demütig zu Boden und antwortete lediglich mit einem traurigen: "Ja, Herrin." Von nun an hoffte sie inständig, dieser Tag am Meer würde schnell vorbei gehen.

    "Stinken nicht alle Städte? Man merkt, daß du noch nicht lange hier in der Stadt bist. Denn an manchen Sommertagen ist der Gestank, der über der Stadt liegt, kaum auszuhalten. Der macht dann auch nicht vor edlen Patriziervillen halt", meinte sie grinsend.
    Als Okhaton von spannenden Menschen zu erzählen begann, errang er damit wieder ihre Aufmerksamkeit.
    "Ja, das glaube ich dir! Je exotischer eine Stadt ist, desto interessanter sind die Menschen, die darin wohnen." Natürlich hätte sie gerne etwas über die interessanten Menschen erfahren, von denen er gesprochen hatte, doch sie traute sich nicht, ihn näher danach zu fragen, weil sie einfach dachte, ihn damit auszufragen.
    Nachdem sie alles in der Waschküche erledigt hat, konnte sie ihm nur noch zustimmend zunicken.
    "Im Grunde ja. Normalerweise schläft sie bis zur hora decima und danach nimmt sie meistens noch ein Bad, um sich anschließend für die cena herrichten zu lassen. Du solltest aber nicht zu ihr gehen, wenn sie gerade erwacht ist. Dann ist sie meistens sehr übelgelaunt. Am besten du paßt sie ab, bevor sie sich ins Bad begibt."

    Die Makedonierin versuchte, wenigstens für die Zeit der Unterrichtsstunde, Phraates aus ihren Gedanken fernzuhalten. Das war einfacher gesagt, als getan. Angesträngt versteifte sie sich nun auf die weiteren Schreibkünste ihres Schülers, der sich nun mit dem B versuchte.
    Anerkennend nickte sie, bis Áedan sie wegen des Briefeschreibens fragte. Intuitiv sah sie wieder zu ihrem Brief, den sie zu Anfang zur Seite gelegt hatte.
    "Einen Brief? Du meinst, so einer, wie der hier?" Sie sah ihn etwas verwundert an. Dann versuchte sie sich etwas zusammenzureimen, an wen wohl dieser Brief gehen sollte. Vielleicht wollte er einfach seiner Familie ein Lebenszeichen senden. Aber Moment! Wenn er nicht lesen und schreiben konnte, dann konnten es seine Leute zu Hause wahrscheinlich auch nicht.
    "Äh, ja natürlich," antwortete sie schließlich mit einem verkrampften Lächeln. "An wen willst du denn schreiben?" Die Frage kam eher beiläufig, doch diente sie einzig alleine nur, um ihre Neugier zu stillen.

    "Gut!", befand Charis lächelnd. Für Okhaton mußte alles sehr ungewohnt sein. Jedoch kannte man eine römische Stadtvilla, kannte man fast alle, da sie sich auf verblüffende Weise doch irgendwie alle ähnelten. Als ihr auch der Ägypter ein Lächeln entgegenbrachte, empfand sie dies als echt entspannend. Er machte schon so einen sehr schüchternen Eindruck, was man ihm nicht verdenken konnte. Wie sie mitangehört hatte, war er noch nicht sehr lange Sklave. Für jemanden, der es gewohnt war, in Freiheit zu leben, mußte dieses Leben doppelt so schwer sein. Genauso wie es damals für Phraates schwer gewesen war.
    "Ich stamme aus Makedonien, genauer gesagt aus Thessalien. Ich wurde auf einem Landgut geboren. Meine Eltern waren dort Sklaven. Du siehst, ich kenne nichts anderes, als in Unfreiheit zu leben." Für die Sklavin war dies Normalität. Es gab ihrer Ansicht nach keinen Grund, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie als Freie geboren worden wäre.
    "Und du stammst aus Aegyptus? Aus Alexandria? Mein Herr bei dem ich geboren wurde, hatte mich einmal mit auf Reisen genommen. Für einige Tage hatte er auch in Alexandria zu tun. Ich war damals noch sehr jung, fast noch ein Kind."

    "Ich bin sehr froh, daß du so denkst! Wenigstens wir selbst können uns untereinander wie Menschen behandeln." Charis hatte ein gequältes Lächeln auf ihren Lippen. Wehmütig mußte sie wieder an Phraates denken, der sich auch einfach über die Flavierin hinweggesetzt und Charis seine wahren Gefühle für sie offenbart hatte. Für einen Moment war sie der Überlegung nahe, dem Gallier von Phraates zu erzählen. Schließlich hatte er ihn nie kennengelernt. Ob die beiden sich vielleicht gemocht hätten? Bevor sie jedoch länger darüber nachdenken konnte, erinnerte Sie Áedán daran, weshalb sie hier zusammen saßen.
    "Oh, ja natürlich! Der nächste Buchstabe ist das B. Schau, so schreibt man das B!" Charis schrieb unter das A ein B und gab die Tabula dem Gallier zurück, damit er versuchte, das B zu schreiben.

    A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A A
    B

    Charis fühlte sich nicht sonderlich wohl in ihrer Haut. Aber was hätte sie denn tun sollen? Ihr Leben war eh schon ein Drahtseilakt. Es war schlichtweg unmöglich, es beiden recht zu machen, Corvinus und Celerina. Und Tag für Tag verschärfte sich die Situation zwischen den Beiden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Charis offen zwischen die Fronten geriet und einem von beiden zum Opfer fiel.
    "Nein, sie hat uns nur schweigend beobachtet, wir alles wieder ausgepackt haben, Herr." Gerade in den Situationen, in denen ihr Celerina schweigend gegenüberstand, glaubte sie zu wissen, die Flavia hätte sie bereits genauestens durchschaut. Sie wartete nur noch auf den richtigen Moment, um aus dem Verborgenen heraus zuzuschlagen.
    Corvinus Stimme hatte sich etwas gemildert, so daß es die Makedonierin wieder wagen konnte, ihr Antlitz zu heben. Die Frage, die er ihr stellte, war knifflig. Womit konnte man einer Frau, die alles hatte, was man sich nur wünschen konnte, eine Freude machen. Charis dachte angestrengt nach, schließlich ließ sie sich zu einer Vermutung hinreißen.
    "Das einzige, woran sie in letzter Zeit sehr intensiv denkt, ist endlich wieder schwanger zu werden." Die Sklavin stockte plötzlich, als sie bemerkte, daß sie beinahe zu viel gesagt hatte. Sie hoffte inständig, Corvinus hätte es überhört. Endlich wieder schwanger… Corvinus wußte von keiner Schwangerschaft!
    "Sie schwärmt immer noch von der Reise nach Puteoli, Herr," fügte sie übereilt an, um ihren Fauxpas damit zu überspielen. War nur zu hoffen, daß sie keine schlafenden Hunde geweckt hatte!

    Noch drei Tage Zeit! Sie konnte es nicht fassen, in drei Tagen würde jemand nach Sardinien reisen, in dessen Gepäck sich ihr Brief an Phraates befinden würde. Unfassbar, einfach umwerfend!
    Bei Brix ´beschwichtigenden Worten errötete sie etwas. Wieder einmal war bei ihr die pflichtbewußte Sklavin durchgedrungen, die alles sofort erledigen mußte und die einen Luxis,m wie Zeit zu haben gar nicht kannte.
    "Ja, natürlich. Drei Tage. Dann werde ich ihn dir in den nächsten Tagen geben. Und ja, ich habe genug Schreibmaterial. Die Herrin möchte, daß ich ihren neuen Sklaven unterrichte. Er soll Lesen und Schreiben lernen." Ihre letzten Worte kamen ihr nur zögerlich über die Lippen, denn ihr war noch der Abend allgegenwärtig, an dem der Gallier angekommen war und Celerina ihm auf seine Frage hin geantwortet hatte, er könne sich bei Charis stets nehmen, wonach er verlangte. Doch sie würde sich schon gegenüber dem Gallier behaupten, das hoffte sie zumindest.
    "Ja, schon besser," meinte sie etwas gelöster. Manchmal half es eben doch, wenn man sein Herz ausschüttete, besonders dann, wenn danach immer noch riesige Felsblöcke auf einem lasteten.

    Besonders gesprächig war der Neue nun nicht gerade, dachte sie sich. Aber gut, vielleicht hatte er ja seine Gründe. Wer wußte schon, was er schon alles erlebt hatte! Manchmal waren es die schrecklichen Ereignisse, die ein Mensch miterleben mußte, die ihn dann regelrecht zum Schweigen brachten.
    Aber wissbegierig war er, das mußte man ihm lassen. Sie nickte ihm zu, als er ihr erzählte, was er alles noch lernen wollte. Die Herrin hatte ja bereits angekündigt, daß sie ihm alles beibringen sollte.
    Schließlich deutete er auf den Beutel.
    "Oh, der Beutel! Komm ich zeig es dir? Hast du dich denn schon richtig umgesehen im Sklaventrakt?" Da Charis dem Neuen nicht eingewiesen hatte, konnte sie nicht genau wissen, wie gut sich Okhaton in der Villa bereits zurecht fand.

    Es würde noch einige Zeit dauern, doch schon bald würde auch der Neue über Gewohnheiten der Herrin im Bilde sein, dessen war sich Charis gewiß. Schließlich machte er nicht den Eindruck, als sei er auf den Kopf gefallen.
    "Was? Ach das!" Charis hatte den Ägypter erst betwas befremdlich angesehen, bis sie endlich begriff. Er deutete auf den Beutel, den sie um ihre Schulter umhängen hatte und in dem sich Schmutzwäsche befand.
    "Das kommt in die Wäsche. Na, wenn du möchtest. Es ist aber nicht schwer," meinte sie und übergab ihn den Beutel. Endlich lächelte sie auch einmal. Im Nachhinein fand sie es vielleicht etwas überzogen, wie sie ihn angesprochen hatte. Der Neue konnte ja nichts dafür, daß er neu war.
    "Tragen heißt gerere. Wenn du willst, kann ich dir noch mehr beibringen. Auch das Schreiben und Lesen. Du sagtest doch, das könntest du noch nicht, oder irre ich mich da? Ich heiße übrigens Charis."

    Charis lag es fern, eifersüchtig auf den Neuen zu sein. Eher war sie in Sorge um ihn, denn hatte wahrscheinlich keinen blassen Schimmer davon, in welcher Schlangengrube er gelandet war. Sie war beinahe schon fest davon überzeugt, aus ihm könne ein neuer Chimerion werden. Den Thraker hatte sie noch nie austehen können, vom ersten Tag an hatte sie nur Verachtung für ihn übrig. Und als er dann schließlich geflohen war, sah sie sich darin bestätigt. Nur Celerina war so einfältig gewesen und hatte ihm vergeben, nachdem man ihn wieder eingefangen hatte. Wenigstens hatte er eine ordentliche Strafe erhalten. Ihm hatte sie die Peitsche gegönnt, nicht aber ihrem geliebten Phraates, den sie so schrecklich vermisste.
    "Sie hält gerade ihren Mittagsschlaf. Du kannst sie jetzt nicht stören, es sei denn, du legst es darauf an, bestraft zu werden." Insgeheim hätte es Charis schon interessiert, ob die Herrin ihn für dieses Vergehen bestraft hätte oder nicht. Doch so gehässig war sie nun nicht. Eigentlich konnte sie ja ganz nett sein, nur im Augenblick fiel ihr das schwer, weil sie eine schwere Last zu tragen hatte.
    "Aber wenn du gerade nichts anderes zu tun hast, dann kannst du vielleicht mir helfen." Vielleicht gelang es ihr dann auch, den Neuen etwas besser kennenzulernen.

    "Ach die Herrin suchst du! Aha?" Charis riß übertrieben die Augenbrauen hoch. Alles was er sagte, hielt sie nur für eine jämmerliche Ausrede, denn noch immer war sie davon überzeugt, daß er sich nur vor der Arbeit drücken wollte.
    "Hat sie denn nach dir geschickt? Und was willst du von ihr, he?", wollte sie schließlich wissen. Ob sie ihm mitteilen sollte, daß es durchaus schmerzliche Folgen haben konnte, wenn man die Flavia störte? Doch natürlich würde es bei dem Ägypter anders aussehen! Die Flavia schien regelrecht in Zuneigung zu dem neuen Sklaven entbrannt zu sein. Von nichts anderem sprach sie mehr. Gib einer gelangweilten und unbefriedigten Patrizierin ein neues Spielzeug und sie überwindet all ihren Gram, wenigstens eine Zeitlang, dachte Charis spöttisch.

    Dem Neuen stand Charis zwiespältig gegenüber. Zum einen konnte er einem richtig leidtun, weil er bei Celerina gelandet war, aber auch weil seine Geschichte richtig rührend war, die Charis ja mit angehört hatte, nachdem er ihrer Herrin geschenkt worden war. Allerdings auf der anderen Seite, hatte jeder sein Päckchen zu tragen. Jeder der Sklave war, konnte Geschichten zum besten geben, die einem die Tränen in die Augen trieben. Von daher schenkte sich es Charis, Mitleid für den Ägypter zu empfinden. Solange sie ihn nicht näher kannte, empfand sie eigentlich gar nichts für ihn. Und solange er seine Finger von ihr ließ, würde sie ihm auch nicht den Tod wünschen.
    Ihrer Meinung nach hatte er sowieso das große Los gezogen. Er durfte hier in Saus und Braus leben und mußte dafür nur gelegentlich auf seiner Kithara zupfen und der Herrin schöne Augen machen. Das war es dann auch schon!
    Nein, Okhaton war ihr gänzlich egal. Damit sie ihn positiv wahrzunehmen begann, mußte er sich ihr erst einmal von seiner guten Seite zeigen. Er mußte ihr imponieren. Nicht so, wie er es bei Celerina erreicht hatte, die bereits hin und weg gewesen war, als sie gehört hatte, daß er aus Ägypten kam.
    Eine Sache, die Charis überhaupt nicht mochte, waren Sklaven, die nutzlos herumlungerten. Und genau das tat der Neue gerade! Sie hatte ihn durch Zufall flüchtig im atrium gesehen, war so auf ihn aufmerksam geworden und war ihm, mit einem gewissen Abstand gefolgt. Als er zum stehen kam, blieb auch sie stehen und verbarg sie vorerst hinter einer Säule, um ihn zu beobachten. Aber als er seinen Weg nicht fortsetzte, wurde es ihr zu dumm.
    "He du! Was machst du da? Hast du nichts zu tun?", fauchte sie ihn auf Griechisch an, denn das war ja offensichtlich das Einzige, was er richtig verstand.

    Charis hatte bereits eine Vorahnung, warum Corvinus sie hatte rufen lassen, als sie zu ihm ging. Es gab nur eines, weshalb er mit ihr sprechen wollte. Und das er mehr als unzufrieden mit ihr sein würde, konnte sie sich lebhaft vorstellen. So vieles war geschehen in den letzten Wochen.
    Als sie nun vor ihm stand, überschlug sich fast ihr Herz. Nervös hielt sie ihre Finger ineinander verkrampft. Sie wagte es kaum, ihn dabei anzusehen, denn sie wußte, es war gerechtfertigt, wenn er nun unzufrieden mit ihr war. Dies wurde nur noch durch die Art, wie er sie musterte, genährt.
    Charis nahm auf dem Sessel Platz. Daß ihr nicht ganz wohl dabei war, konnte sie nicht verstecken. Gleichmäßig hob und senkte sich ihr Brustkorb. Voller Bestürzung war ihr Blick, als er begann, sie zu attackieren. Mit jedem weiteren Wort begann sie hastiger nach passenden Worten zu suchen, um sich zu rechtfertigen.
    "Es… es tut mir leid, Herr. Aber…aber es war in letzter Zeit nicht einfach, Herr! Die Herrin, sie ist so unberechenbar geworden! Sie weiht mich kaum mehr ein, was sie vor hat." Die Makedonierin hatte fast schon mit den Tränen zu kämpfen, denn sie empfand sich selbst als Opfer, das zwischen die Fronten geraten war. Und nicht nur sie, auch Phraates, der völlig zu Unrecht bestraft und in die Verbannung geschickt worden war.
    "Manchmal glaube ich, sie ahnt etwas," mutmaßte sie. Dennoch erwartete sie nun kein Verständnis.

    Charis spürte bereits die Müdigkeit. Der Tag war lang genug gewesen auch ohne die Sorgen, die ihre Herrin plagte. Eigentlich hätte sie nun noch in die Küche gehen können, um einen Happen zu essen und anschließend in ihrer Kammer zu verschwinden. Aber bevor sie das tun konnte, hatte sie sich noch etwas unangenehmen zu stellen. Dominus Corvinus hatte ihr vorhin unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß er sie zu sprechen wünschte. Insgeheim erinnerte sie sich an das Gespräch mit Brix vor einigen Abenden und auch an das, was sie sich vorgenommen, aber bisher noch nicht umgesetzt hatte.
    Einer der Sklaven, den sie unterwegs traf, gab ihr Auskunft, wo sie Corvinus finden konnte. Innerlich aufgewühlt machte sie sich auf den Weg zum Garten um auf dem beschriebenen, von Säulen gesäumten Weg, um schließlich auf Corvinus zu treffen, der mit einem Becher in der Hand auf der Terrasse saß und auf etwas zu warten schien. Zweifellos war sie es, auf die er wartete. Er wirkte versonnen und Charis wagte es kaum, ihn aus seinen Gedanken heraus reißen zu müssen.
    "Du wolltest mich sprechen, Herr!", sagte sie, nachdem sie sich geräuspert hatte.

    Aufmerksam beobachtete Charis den Gallier, wie er sich den Griffel nahm und versuchte, den Buchstaben zu schreiben. Dabei gab er sich richtig Mühe. Auch wenn er noch nicht perfekt war, denn einige seiner Buchstaben waren größer geraten als der Rest. Anerkennend nickte die Makedonierin ihm zu. "Nicht schlecht! Du solltest nur versuchen, gleichmäßiger zu schreiben. Aber das wirst du schon noch lernen." Gerade noch wollte sie ihn fragen, ob er auch einmal mit dem zweiten Buchstaben des Alphabetes versuchen wollte, da stellte er ihr eine ganz andere Frage.
    Zunächst wirkte Charis etwas bestürzt über Aedans Frage. Ähnlich bestürzt war sie auch gewesen, als Celerina sie ihm im vorangegangenen Gespräch einfach angeboten hatte. Doch schließlich fing sie sich wieder und antwortete sachlich.
    "Für sie ist es sicher norma, auch wenn du es unwürdig findest. Wir sind ihre Sklaven und theoretisch hat sie sogar das Recht uns zu befehlen, das wir das tun sollen. Allerdings ob du es letztlich tust, ist deine Sache." Wie Charis über diese Sache dachte, behielt sie für sich. Sie wollte nicht ihre Gefühle für Phraates vor dem neuen Sklaven ausbreiten, Schließlich kannte sie ihn ja kaum.

    Für kurze Zeit hatte Charis ihre Kümmernis verdrängt, weil sie glaubte, einen Weg gefunden zu haben, wie sie ihrem Geliebten nahe sein konnte. Ja, sie würde einen Brief schreiben. Einen Brief, in dem sie Phraates alles mitteilte, was sie ihm nicht hatte sagen können, wie schlecht es ihr ohne ihn ging und daß sie alles unternehmen wollte, damit er rehabilitiert wurde und wieder zurückkehren konnte, zu ihr.
    "Ich werde ihn dir morgen geben. Noch heute Abend werde ich mich daran machen und ihn schreiben. Was glaubst du, wie lange wird es dauern, bis Phraates ihn bekommt?", wollte sie wissen. Charis hatte zwar schon oft Briefe zur Postannahme gebracht, doch hatte sie keinerlei Erfahrung darin, wie lange ein solcher Brief unterwegs war. Außerdem würde ihr Brief kaum über den normalen Postweg versendet werden.
    "Danke Brix. Das ist sehr freundlich von dir!" Über Brix´ Angebot, ihn aufsuchen zu dürfen, falls sie etwas auf dem Herzen hatte, schien sie erfreut zu sein. Jedoch wußte sie genau, sie würde dies wohl kaum in Anspruch nehmen, insbesondere in der Sache, die sie in der Zeit, seitdem sie zusammen saßen, geplant hatte.

    Der Blick der Makedonierin lag für einen Augenblick auf dem Gallier, als sie darüber nachsann, was er gerade gesagt hatte. "Marei? Die Kleine kann doch, soviel ich weiß, noch gar nicht lesen und schreiben. Aber mit dem, was sie über den Anfangsbuchstaben gesagt hat, hat sie recht. Das A sieht tatsächlich einem Tor ähnlich, dem man einen Riegel vorgeschoben hat. Sieh her!"Charis nahm die Wachstafel und den Stilus. Dabei schob sie ihren Brief etwas unachtsam beiseite. Sie ging davon aus, Aedan könne ihn sowieso nicht lesen und fall er danach fragte, was sie nicht glaubte, würde sie ihn mit einer Ausrede abspeisen. Schließlich ritzte sie mit dem Stilus ganz langsam, damit der Gallier ihrer Handbewegung auch folgen konnte, den ersten Buchstaben den Alphabetes in das Wachs hinein.



    A


    "Siehst du, es ist ganz einfach! Magst du es auch einmal versuchen?" Auffordernd und mit einem zuversichtlichen Zwinkern, hielt sie ihm den Griffel entgegen. Sie war sich ganz sicher, daß er das konnte.