Emi erhob sich und verschränkte die Arme vor der Brust, während ihr Blick langsam über die anderen Sklavinnen glitt. Sie konnte sich den Rücken ihrer Schwester einfach nicht mehr ansehen ohne in Tränen auszubrechen und innerlich malte sie sich die schlimmsten Bilder aus, was mit ihrer Schwester passiert sein konnte. Ihre Eltern hatten sie verheiratet, mit einem Händler, das war vor sieben Jahren gewesen und somit hatten sich die Schwestern trennen müssen. Wie es nun mal üblich war, wurde Berenike in die Familie ihres Ehemannes aufgenommen und lebte von da an mit ihm in Rhodos. Leider zu weit von ihrem Elternhaus entfernt, als dass man sich ohne weiteres besuchen konnte. Das letzte Mal, dass die beiden richtigen Kontakt hatten war, als Berenike von der Geburt ihrer Tochter berichtete, Arsinoë. Und dann irgendwann brach der Kontakt einfach ab und die Briefe, die ihre Familie ihr geschrieben hatten, verschwanden einfach, höchstwahrscheinlich ungelesen. Wie war sie in Gefangenschaft geraten, wie zur Sklavin geworden? Ob ein dummer Rhomäer sie einfach dazu gezwungen hatte? Und wo, bei allen Göttern, war Arsinoë?
Alles Fragen auf die sie nun noch keine Antwort kriegen würde und daher schaute sie nur mit möglichst ausdruckslosem Gesicht auf Menas, der sich gerade bei ihnen im Verschlag einfand. Er schaute noch immer sehr skeptisch und seine Laune verbesserte sich kein Stück, als Ánthimos ihn so anfuhr. Er schaute auf die Sklavin, natürlich keinerlei Ahnung habend, dass sie eine Bantotake war und ging näher an sie heran, um sie mit der Sandalenspitze in die Rippen zu treten. Nicht fest, um sie zu verletzen, aber fest genug um eine Reaktion zu bewirken. Anscheinend war das seine Art zu überprüfen, in welchem Zustand sie sich befand. Er seufzte einmal laut und theatralisch und für einen kurzen Augenblick dachte Emi daran ihn wie eine Furie anzuspringen und ihm die Augen auszukratzen. Doch der Gedanke verflog und sie beobachtete schweigend, wie Menas auf das Angebot ihres Cousins einging.
"Ánthimos, was du mir anbietest ist nichts weiter als ein schlechter Handel. Es ist mir völlig egal, Chancen interessieren mich nicht, aber ich hatte nicht vor noch fünf Tage hierzubleiben. 250 Drachmen kann ich so oder so für sie kriegen - auch mit gepeitschtem Rücken. Die Rhomäer mögen etwas Feuer bei ihren Sklavinnen, gerade bei den griechischen." Er lachte etwas dreckig und schaute nochmal zu Emi, was sie mit aggressivem Blick erwiderte. "350 und meine Männer tragen sie dir nach Hause." Bot er an und blickte den Agoranomos schief grinsend an. Es widerte Emi an, dass man hier um das Leben ihrer Schwester feilschte und sie war froh, dass sie beiden Männer sich dann bei 300 einigten. Es fiel ihr ebenso schwer, still zu sein und die Fassung zu bewahren. Ihr Blick schlich immer wieder zu Nike und sie konnte es nicht abwarten, bis die zwei Aufseher endlich mit einer Trage kamen. Jetzt brauchte man sie nur noch verladen und zu ihnen nach Hause tragen, ihr Haus war ja im selben Stadtviertel, was Emi erleichtert feststellte. Tyche würde ein großes Geschenk erwarten können, soviel war Emi klar -sie war so unheimlich dankbar. Und Nike würde es auch sein, wenn sie erst mal in Sicherheit war und Ánthi sie versorgt hatte und sie aus ihrem Delirium aufwachte und feststellen konnte, dass es kein Traum war. Dass Emi wirklich hier war und sich um sie kümmerte.
Die beiden großen, muskelbepackten Aufseher gingen nicht grade zimperlich vor, als sie Nike an Schultern und Fußgelenken packte und auf die Liege legten und Emi warf ihnen einen anschuldigenden Blick zu. Welcher natürlich ignoriert wurde, aber wenigstens waren sie jetzt alle aus dem Verschlag heraus und der Heimweg konnte angetreten werden.