Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    "Ich hatte niemals sehr viel für diesen Humbug übrig."
    , äußerte Cornutus positionierte sich mit verhaltenem Ächzen auf der freien Kline.
    "Holt also Diogenes zurück und lasst ihn auftragen. Und spart euch Appetit für heute Abend auf, da empfange ich Gäste."
    Die Miene des jungen Flavius entglitt gänzlich, als so schroff sein Ansinnen, ja sein überaus legitimer Wunsch nach einem Hauch von Heimat ward abgewiesen. Schließlich kam ihm als rettender Ast in der anwogenden Flut des Alltags zumindest die Pflicht eines jeden Römers zur Pietas in den Sinn, sodass er sich erkundigte:
    "Aber das Saturnalienopfer wird doch zweifelsohne zumindest vollzogen werden?"
    Sulpicius präsentierte hingegen lediglich eine achtlose Handbewegung.
    "Wenn es dir ein Bedürfnis ist, steht dir mein Hausaltar offen. Ich empfinde keine Verbindung zu Saturnus, die eines Opfers bedürfte."
    Einen Augenschlag betrachtete der Jüngling noch seinen Gastgeber in der Hoffnung, jener würde sein Verdikt nochmals revidieren, ja selbiges womöglich als Saturnalienstreich entlarven und sich der Festivität anschließen, doch ereignete sich nichts dergleichen, sodass der junge Flavius endlich desillusioniert seinen Pileus ergriff und selbigen vom Haupte zog.
    "Was ist nun mit dem Essen? Hole Diogenes zurück!"
    , befahl Cornutus schließlich mit einiger Unrast. Patrokolos, der ebenso wie sein Herr zur Einsicht war gelangt, erhob sich rasch und ssnkte das Haupt.
    "Ja, Domine."
    Mit dieyen Worten entschwand, den Pileus noch immer aufgezogen, der Sklave aus dem Triclinium und zugleich dem Blicke seines Herrn, dessen Appetenz weiter auf der Tür verharrte, bis Diogenes dortig mit einem weiteren Tableau voll kleiner Köstlichkeiten erschien. Patrokolos indessen zog es vor, bis zum Abschluss des Mahles nicht mehr in Erscheinung zu treten.

    Kaum waren Herr und Knecht vorangeschritten, sich an jenen bereits aufgetragenen Speisen gütlich zu tun, wobei Patrokolos genötigt war, bisweilen selbige in mundgerechte Happen zu teilen, nachdem der originär dafür prävisierte Diener ja hinauskomplementiert worden war, da trat der Hausherr in das Haus und blickte erstaunt in die Runde.
    "Wo ist Diogenes?"
    , fragte er und fixierte missbilligend den Leibsklaven seines Gastes, der, einem wahrhaften Kyrios gleich, sich auf den Klinen hatte niedergelegt.
    "Saturnus regiert!"
    , erwiderte der flavische Jüngling vergnügt, das Stirnrunzeln des nähertretenden Sulpicius nicht erfassend, welcher indessen sogleich zur Replik ansetzte:
    "Oh, tatsächlich. Hier in Alexandria begehen wir dieses Fest nicht."
    Nun erst, das acide Timbre in der Stimme seines Opponenten ponderierend, erkannte Manius Minor den Degout, den augenscheinlich sein Gastgeber gegen diese Feierlichkeiten hegte, was seinerseits die Unkenntnis des Gesinde bezüglich der Gepflogenheiten des närrischen Treibens plausibilisierte, hingegen ihn als einen die Bande hospitabler Zurückhaltung exzedierenden Invasoren in die Gepflogenheiten seiner Gaststätte entlarvte. Sichtlich konfundiert formulierte er so nach einigem betretenen Schweigen den Versuch einer Defension, um die cornutische Ungunst zu zerstreuen:
    "Mir schien, jedweder römischer Haushalt pflegt dieses Fest auch in der Fremde zu zelebrieren. Verzeih, Sulpicius."

    Selbstredend waren dem jungen Flavius basale Aspekte der Lehre des Epikur bekannt, dennoch evozierten die provokanten Worten des Gelehrten eine Neigung jene unerhörten Thesen umgehend zu refutieren, da doch seine sämtliche Edukation, das Beispiel seiner Anverwandten wie des gesamten Staatswesens geradezu auf Tugenden und den Göttern zu fundierte, deren Inexistenz somit die gesamte Welt des Jünglings zu disturbieren war geeignet. Konfirmation erheischend blickte er zu Patrokolos hinüber, der wie gewohnt ein wenig Abseits an einer Säule sich hatte postiert, um dortig eifrig zu notieren, was der Dozent lehrte, was wiederum die Basis für die alltäglichen Repetitorien mit seinem Herrn konstituierte. Augenscheinlich hatte dieser bereits die Insekurität antizipiert, denn er erwiderte den Blick sogleich und zuckte mit den Schultern, was dem Dafürhalten des jungen Flavius nach wohl zu kommunizieren avisierte, dass die gesprochenen Worte mitnichten Novitäten darstellten und somit keinerlei Anlass zu nunmehriger Empörung repräsentierten, was dem Jüngling durchaus einleuchtete und somit eine Flucht aus der Lektion vermied, sondern selbigem biographische Einsichten bezüglich des Lehrobjektes gestatteten.
    Die Nennung der drei Brüder nämlich erweckte Remineszenzen an die zurückgelassenen Anverwandten, insonderheit selbstredend Titus und seine Schwester Flamma, die, similär zu Epikurs Familie, zu Studienzwecken waren zurückgelassen worden, wenn auch zweifelsohne der hiesig traktierte Weise voluntierlich hierzu war geschritten, während der Flavius ohne Hoffnung auf Rückkehr zu den Schriften der Philosophen exiliert und vertrieben worden war.

    Das Jahr hatte sich geneigt. Nicht in Alexandria, wo man in antipodischer Manier zum quiritischen Kalender zur heiteren Sommerszeit das neue Jahr begrüßte, doch dort, wo noch immer das Herz des flavischen Jünglings schlug, Stadien entfernt in der Urbs, die dieser Tage trotz der winterlichen Witterung zweifelsohne nicht in einem derartigen Maße von Niederschlägen wurde heimgesucht wie das ägyptische Exil, waren dies die bunten Tage, in welchen Sklave und Herr die Rolle tauschten, wo jeder, ob Knabe oder Greis, Mann oder Frau, Herr oder Knecht gleichermaßen als schlichter Mensch in Äquität zum anderen der Ägide des Saturnus gedachte. Waren die Straßen in Rom somit erfüllt von trunkenen Männern, liberierten Dienern und jenen, welche schlichtweg in stiller Freude den Entsatz vom mühseligen Tagewerk genossen, so herrschte in Alexandreia ein similäres Treiben gleich zu jedem Tage, das Museion offerierte seine Lektionen und lediglich bei intensiver Observation der Straßen vermochte man hier und dort eine Gestalt mit dem römischen Pileus auf dem Haupte zu erblicken, die als unzweifelhafte Minorität in jener so farbenfrohen Metropole außerstande waren, jene Festivität der Bevölkerung zu approximieren, die ebenso erst in einem halben Jahr nicht inäqual den römischen Saturnalia das güldene Zeitalter des Kronos zu zelebrieren pflegten.


    Manius Minor hingegen verspürte eben in jenen Winterstagen eine schier unbändige Neigung, jenes frohe Fest aus Kindertagen in der Fremde zu begehen, als würde jenes demonstrative Festhalten an den Ritualen und Rhythmen seiner Heimat ihn davor bewahren, seiner Identität im Exil am anderen Ende der Oikumene und getrennt von den Bindungen, die einen Quiriten mehr definierten denn jedwede persönliche Eigenschaft, verlustig zu gehen. Deplorablerweise indessen boten die Umstände an jenem ersten Saturnalientage, an welchem im Templum Saturni die Bande des Gottes gelöst zu werden pflegten, ein weniges auf, um jenem Bedürfnis des Jünglings zu entsprechen, denn weder schien der Himmel geneigt, die güldenen Tage durch ebensolche Wetter zu zelebrieren, sondern verhüllte sich in graue Wolken, die beständig dünne Fäden von Nieselregen auf die Prachtboulevards der Alexanderstadt warfen und damit jedwedes Verlassen des Hauses in eine unerfreuliche Tortur wandelten, noch wies innerhalb der Domus Sulpicia irgendetwas auf jene uralte Tradition, welcher Cornutus augenscheinlich nicht im geringsten zugeneigt war, sodass das Erscheinen des jungen Flavius mit seinem Diener, beide angetan mit je einem roten Pileus und ebensolcher Tunica, die beide am Vortage auf den Märkten hatten erworben, zum Prandium lediglich ein pikiertes Naserümpfen des ausschließlich hellenisch sozialisierten Gesindes evozierte.
    "Io Saturnalia!"
    , jubilierte der Jüngling dessenungeachtet in den Raum, in welchem einer der Sklaven soeben noch eine Platte mit leichten Köstlichkeiten drapierten, ehe ihr Hausherr sich zum Speisen niederließ, und ihrem Usus gemäß nur ein leises,
    "Chaire, Kyrie."
    , intonierten.
    "Heute sind Saturnalia! Ihr seid dieser Tage eures Dienstes ledig!"
    Selbstredend war man in der eher konservativ gesinnten Villa Flavia Felix niemals derartig weit gegangen, dass Herr und Sklave zur Gänze ihre Rollen hatten invertiert, doch nun, da Manius Minor mitnichten unter die Knaben mehr war zu numerieren, ja in juvenilem Übermut gar sich kapabel erachtete, sich noch ein wenig mehr um die Gleichheit aller Menschen in jenen Tagen verdient zu machen, war er keineswegs geneigt die tollen Tage in diesem seiner Herberge unbeachtet verstreichen zu lassen, sodass er prompt hervortrat und dem Sklaven das Tablett aus der Hand nahm.
    "Nicht doch, Kyrie!"
    , wies hingegen der Sklave (sein Name mochte Diogenes sein, doch realisierte der junge Flavius just in diesem Augenschlage, dass ihn hinsichtlich dessen eine gewisse Insekurität plagte, was angesichts der Intention der Festivitäten doppelt skrupulös ihn stimmte) jene Offerte ein wenig genant und zugleich alarmiert von sich. Zuerst war Minor darauf geneigt, auf seinen Anspruch zu beharren, doch wurde ihm rasch bewusst, dass er ob seiner Fehlsicht keineswegs qualifiziert mochte sein, derartigen servierenden Tätigkeiten nachzugehen, ohne diese oder jene Glasschale oder Köstlichkeit einem Missgeschicke zu opfern, weshalb er endlich, selbst ein Knecht seiner Gewohnheit, das Tablett an Patrokolos weiterreichte, erst im Nachgang realisierend, dass dieser ebenso ein Anrecht darauf hatte seine Libertät zu genießen wie jener. Ein wenig derangiert zog er das Tablett somit aufs Neue an sich und stellte es auf den Tisch. Signifikant minder euphorisch ob der Selbsterkenntnis seiner Inkapabilität, seinem engsten Freund und zugleich am stärksten okkupierten Diener die Freiheit zu gestatten, ließ er sich endlich auf die Kline sinken und murmelte:
    "Nehmt Platz. Ich denke, dieses Angebot ist suffizient."
    Diogenes (welcher in der Tat diesen Namen trug) seinerseits war auf ein derartig inprävisibles Verhalten des Hausgastes mitnichten präpariert, weshalb noch immer in einiger Konfusion er das Schauspiel beobachtete, während der gutmütige Patrokolos bereits seinen Platz auf der Kline einnahm und jenem ermunternd riet:
    "Setz dich, Diogenes. Heute essen wir alle zusammen!"
    Hingegen exigierte eine derartige Offerte den Horizont eines griechischen Sklaven, der niemals in diesem Hause die Saturnalia auch nur in Approximationen an jene Gebräuche hatte verlebt, dem selbst die Kronia im Sommer lediglich als singulären Tag minderer Dienste waren bekannt, sodass er endlich, noch immer sichtlich konfundiert erklärte:
    "Ich... möchte lieber in der Küche essen, wenn es recht ist."
    Noch ehe der junge Flavius jenes Ansuchen abzuschlagen imstande war, schritt Patrokolos, wie gewöhnlich die Finessen serviler Befindlichkeiten besser ermessend, ein und gestattete dies in großmütigem Tone:
    "Natürlich. Nehmt euch etwas von den herrschaftlichen Speisen zur Feier des Tages!"
    Somit verblieben Manius Minor und sein Sklave, wie so oft allein im sprichwörtlichen Regen, der sehr real vernehmlich am heutigen Tage des Saturn auf die Ziegel des Hauses prasselte und gluckernd sich in der urbanen Kanalisation verlustierte.

    Effektuiert durch jene überaus ennuyante Immatrikulationsprozedur, infolgewelcher Manius Minor zum Ehrenbürger jener wohl größten Polis der Oikumene war erkoren worden, genoss dieser nunmehr das Privileg, sich den Studien am Museion zu widmen, wo das gesamte Wissen des Orbis Terrarum similär dem Schatze des König Midas wurde gehortet, ebenso indessen den eifrigen Akroaten, zu denen der junge Flavius nunmehr sich durfte zählen, in Lektionen und Disputationen gelehrt.


    Obschon somit einem schier inexhaustiblen Maß an Offerten und Alternativen, seine bisherig eher superfiziellen, wenn auch jenen Maßstäben der Enkyklia Paideia nicht unverwandten Studien zu intensivieren, konfrontiert, verspürte der Jüngling doch eine eher geringe Neigung, sich mit Verve in die Wissenschaften zu vertiefen, was indessen weniger juvenilem Desinteresse sämtlichen Gütern der Bildung, ebensowenig jenem pragmatischen Anspruch jedeweden Rhomäers an die Wissenschaften, der lediglich das Nützliche als erstrebenswert zu deklarieren pflegte, oder gar einer schlichtweg intellektuellen Inkapazität war geschuldet, sondern vielmehr ihren Ursprung in der tiefen Melancholie des jungen Flavius, der doch so fern von der Heimat weilte, amputiert von seinen Lieben und diesmalig auch nicht durch die Freundschaft eines paternellen Mentoren getröstet, der mit Anekdoten militärischer Husarenstücke oder altkluger Aphorismen ihn von seinem Leiden zu entfremden imstande war. Daher pflegte er, wie er auch seinem Vater recht baldig nach seiner Ankunft schrieb, einen überaus eklektischen Konsum des museialen Angebotes, was nicht zuletzt dem zu attribuieren war, dass er erst am späten Vormittag, wenn Morpheus ihn endgültig aus seinem Reiche exkludierte, den Campus aufsuchte, um sodann seinen Träumen nachhängend in der Schar der Studenten zu versinken, während lediglich Patrokolos eifrig die Worte der Philologen und Philosophen protokollierte, um zumindest in einer Art privatem Repetitorium in den grünen Höfen zur Mittagszeit seinem Herrn einige zentrale Aspekte zu aktivieren.
    Schließlich war jene Introversion in Konnektion mit der mehr denn augenscheinlichen Verträumtheit und einem gewissen Ungeschick, welches dessenungeachtet mehr seiner Hypermetropie denn Gedankenlosigkeit war geschuldet, kaum geeignet, das Interesse seiner Kommilitonen an dem untersetzten Rhomäer zu erwecken, sodass seine Tage auch durch Freunde oder selbst gemäßigte soziale Kontakte wurden erhellt.

    Die Offerte jener Lektionen hatte überaus rasch die Appetenz Manius Minors geweckt, welchem im elterlichen Hause wie während seiner bisherigen Studien zwar stets eher dem Erbe der dem Epikur opponenten Ideologie der Stoa war unterworfen gewesen, doch nicht zuletzt das doloröse Zerbersten seiner vermeintlichen Gewissheiten, begonnen beim Erleiden der Solitudität im mantuanischen, später cremonesischen Exil, über die Erkenntnis eines zaudernden, den Mären von Virtus und Patria Hohn singenden Vaters, der leise Tod seiner Mutter und endlich der Verlust seiner ererbten Position als Stammhalter der Familia Flavia Graccha durch das Hereindrängen jener aurelischen Natter, welcher zweifelsohne er sein hiesiges, auf Dauer angelegtes Exil hatte zu verdanken, war zur Initiation eines Ringens um Alternativen einer Pespektive auf das eigene Leben, insonderheit indessen eines Interesses an jener Seelenarznei, welche der heitere Philosoph von Samos expressis verbis offerierte, geworden.


    Und somit fand der junge, verschwiegene Flavius sich zu besagter Zeit an besagtem Orte ein, um den Worten des Philosophen zu lauschen und in römisch-pragmatischer Manier neben gelehrsamer, theoretischer Bildung vornehmlich jenen situativ-praktischen Nutzen aus seinen Studien zu ziehen, welcher dem Schaffen eines quiritischen Gelehrten entsprechen mochte.

    Dies also schien der wahre Mangel der Ochlokratie zu sein, nämlich das Recht jedes Narren, am politischen Diskurs zu partizipieren. Rede reihte sich an Rede, eine absurder und irrationaler denn der vorherige, das Ziel der Disputation schien mit jedem Wort stärker aus dem Fokus zu geraten, um lediglich die Kulisse zu bieten für eine neue Assekuration des Hasses aller Hellenen gegen die hebräischen Bewohner der Stadt.
    "Wozu bemüht man sich überhaupt, diesen Antrag hier zu platzieren? Die Probabilität ihres Erfolges ist derartig niedrig, dass man sich dieses Theatrum besser hätte ersparen können."
    Sulpicius schien unterdessen das Interesse an den Invektiven und Defensionen gänzlich verloren zu haben, sondern hatte sich auf irrekonstruable Weise eine Schale mit Rosinen organisiert, um nun den frequenten Konsum zu suspendieren und mit wissender, doch dem jungen Flavius inidentifikabler Miene, auf die Szenerie zu deuten und zu erklären:
    "Achte auf die Abstimmung, junger Flavius!"
    Jene mirakulöse Divulgation nunmehr befeuerte, abseits der Ennuyanz zahlloser Deklamationen mit identer Thematik und bar jedweder Novitäten, die Unrast, endlich zum Finale dieses Sujets zu gelangen, was indessen noch eine Weile der Geduld prädisponierte.


    Als dann der Eponminathographos endlich zur Abgabe der Voten bat, hatte der junge Flavius, welcher ja bereits diverse Debatten des römischen Senates hatte hospitiert (obschon selbstverständlich von den Schranken an der Porta der Curia Iulia aus), bereits den Beschluss gefasst, vorzeitig jene Kongregation hinter sich zu lassen, die seine pretiose Zeit in derartig ineffektiver Manier konsumierten.


    Stupenderweise indessen kehrte mit einem Male eine relative Ruhe ein, während augenscheinlich eine ganze Schar an Wahlberechtigten sich organisierte. Vorwitzig spähte Manius Minor um sich, registrierte ein Tuscheln und Um-sich-Blicken der Politen. Cornutus hingegen schien geradezu relaxiert in seinen Sitz zu sinken, um mit einem Male einen Hellenen zwei Reihen vor ihm zu fixieren und selbigem zuzunicken. Der flavische Blick folgte selbigem Signale, welches deutlich vernehmlich mit hektischer Betriebsamkeit in die Reihen diffundierte und mit nicht geringem Interesse wurde rezipiert. Als sodann der Archiprytanes das Votum erbat, geschah das Erstaunliche:


    Denn obschon soeben noch eine gänzlich konträre Stimmung hatte vorgeherrscht, war der affirmierende Jubel zur Reparatur des deltaischen Aquädukts derartig vernehmlich (neuerlich eine Partikularität der alexandrinischen Volksherrschaft, die nicht mit Stimmen oder Umfrage, sondern dem plumpen Jubilieren des Pöbels wurde gemessen), dass eine Refutation gänzlich inimaginabel erschien und in der Tat durch die Gegenprobe wurde konfirmiert. Fassungslos blickte der junge Flavius zu Sulpicius, dessen triumphierendes Lächeln derartig breit ausfiel, dass es selbst dem hypermetropischen Jüngling ersichtlich war:
    "Lektion Nummer eins in alexandrinischer Politik: Nichts ist, wie es scheint!"
    Jene Plattitüde indessen vermochte keineswegs, Manius Minor zu saturieren, sodass sogleich er zur Frage ansetze:
    "Aber sie hassen die Juden? Du vernahmst es doch mit eigenen Ohren?"
    "Sie mögen die Juden hassen. Aber die alexandrinischen Kaufleute unterhalten hervorragende Geschäftsbeziehungen zu ihren jüdischen Kollegen. Kurz gesagt: So schlecht sind die Beziehungen nicht, wie es aussieht."
    "Ist Alexandria nicht eine Demokratie? Stellen die Kaufleute etwa eine Majorität jener Versammlung?"
    "Nein, natürlich nicht. Aber sie bringen das Geld in die Stadt, von dem auch der Pöbel lebt. Keine Demokratie überlebt, ohne dass diejenigen mit Verstand sie lenken. Im Grunde unterscheidet sich dieses System nicht grundsätzlich von dem, was in Rom zu Zeiten Ciceros geschah. Alle stimmen ab, und am Ende gewinnt der Adel!"
    Ratlos blickte der junge Flavius in die Menge, die noch immer mit nahezu similärer Inbrunst wie bei den vorherig ablehnenden Äußerungen nunmehr ihrer Zustimmung Stimme verliehen. Mochte dies similär zu jenen Reflexionen sein, die sie im Kontext von Ciceros Schriften hatten disputiert, als der Kauf von Stimmen und das Kalkulieren mit aristokratischen Klientelen zur Tagesordnung waren zu zählen gewesen, auch das Substrat des äußerlichen Sprechen von Demokratie und Äqualität jeder Stimme sein?
    "Das heißt, die Stimmen werden gekauft?"
    Rhetorische Verwindungen schienen hiesig noch in weitaus geringerem Maße gebräuchlich zu sein als in den Schriften der Republikaner, denn die simple Replik des Suplicius war:
    "Das kann man so sagen, ja."
    Mit jener Explikation erschien die Ekklesia in einem gänzlich neuem Licht. Einem Licht, welches es dem Jüngling gestattete, die impliziten Dynamiken der Entscheidungsfindung mit neuen Augen zu rekonstruieren, die unmerklichen Blickwechsel seiner Sitznachbarn, deren Zentrum augenscheinlich gleich einer Spinne im Netz der selbstgefällig sich lagernde Cornutus bildete und welches mit einer Präzision funktionierte, die jede der folgenden Tagesordnungspunkte der Agende im Sinne der besitzenden Klassen beschied, zu studieren. Wahrhaftig ließ sich hier manches erkunden, was den Informationen Manius Maiors zufolge durchaus auch in den Hallen des Senates zugute kommen mochte!

    Ob der vollendeten Akustik jenes Monumentes, das das Geplauder des Publikums minimierte, die Lautstärke der auf der Skené befindlichen Akteure hingegen potenzierte, vernahm der junge Flavius in größter Klarität die getragene Stimme des obersten Verwalters jener Polis, welcher proklamierte, dass zum Entrée die Frage der Wasserversorgung des Delta-Quartiers zur Disputation stand.


    Und sogleich wurde der Jüngling eines Mangels der Ochlokratie ansichtig, welchen er bisherig niemals hatte bedacht, da er doch eine derartig umfangreiche Kongregation an stimmberechtigten Gleichen niemals hatte erblickt, welche nunmehr sich samt und sonders in ein hitziges Wortgefecht stürzte. So ergriff erstlich der Ethniarchos der Iudaeer das Wort und verkündete in herzzerreißender Manier die Missstände seines Volkes, was Manius Minor indessen kaum zu vernehmen imstande war, da sogleich ein abscheuliches Geschrei und wütendes Pfeifen sich erhob, welches trotz sämtlicher Akustik die Stimme des augenscheinlich in freier Rede nicht unexerzierten Greisen übertönte. Mit einiger Verwunderung registrierte der Jüngling die Qualität jenes Hasses, deren Grund ihm gänzlich uneinsichtig war, obschon ihm selbstredend bekannt war, dass seit dem Bellum Iudaicum vor einigen Jahren, an welchem seine göttlichen Ahnen, Divus Vespasianus und Divus Titus federführend involviert gewesen waren, Alexandria die heimliche Metropole des Hebräertums darstellte und jene Vernichtung ihres Tempels (soweit er sich erinnerte, lagerte in den Schatzkammern der Villa Flavia Felix noch immer eine güldener, siebenarmiger Leuchter, welcher zum privaten Erbstück der Gens Flavia war erkoren worden) nicht grundlos mochte geschehen sein. Doch waren die Juden in dieser Stadt ohnehin von sämtlichen Bürgerrechten exkludiert und innerhalb jenes Moloches an Völkern, Religionen und Sitten mochte ein dem jungen Flavius eher verschlossener, wenn auch humorvoller Volksstamm, doch keineswegs als Bedrohung interpretabel erscheinen.


    Nichtsdestotrotz folgten dem Ethniarchen zahllose Philippicae gegen die Bewohner des nördlichsten und zugleich periphärsten Viertels der Stadt, welche die Juden diverser, dem unbedarften Auditoren überaus absurd erscheinender Verbrechen bezichtigten, respektive ihre Gier und Illoyalität hervorhoben und gar die Weisheit des Divus Vespasianus bemühten, welcher ja nicht ohne Grund ihren Tempel hatte vernichtet, woraus der Redner deduzierte, dass die Polis gut daran täte, selbiges gegen die Große Synagoge der Stadt zu iterieren. Dessenungeachtet setzte auch eine Minorität von Antragstellern zur Defension der Hebräer an, worunter der junge Flavius mit einigem Erstaunen erkannte, dass es sich bei selbigen augenscheinlich um einige seiner Lehrer am Museion handelte, was er sogleich Sulpicius zu eröffnen hatte:
    "Sieh, ist das nicht Iulius Aristeas, der am Museion Philologie lehrt?"
    "In der Tat."
    , erwiderte Cornutus und nickte.
    "Er ist bekannt als großer Freund der Juden. Man munkelt, er hätte ihnen sogar bei der Übersetzung ihres heiligen Buches in Griechische geholfen."
    "Er beherrscht die Sprache der Juden?"
    "Er ist nicht der einzige am Museion. Sind dir die vielen Juden dort noch nicht aufgefallen?"
    Einen Augenblick musste der Jüngling seine Impressionen reflektieren, doch dann musste er in der Tat konzidieren, dass ihm jene Menge an Lehrern und Schülern mit hebräischem Einschlag in ihre Koiné durchaus bereits aufgefallen waren, ja er sogar einmal in eine Lektion war gestolpert, in welcher ein Greis mit bizarrer Frisur eine Schar, teils similär frisierter Jünglinge hatte belehrt, wobei er über den Gott der Juden, welcher augenscheinlich inäquabel mit anderen Gottheiten und Mächten war und wohl den Namen Adonai trug, doziert hatte. Für eine Weile hatte der junge Flavius in der Tat sich bemüht, jenen überaus infamiliaren Gedanken zu folgen, musste indessen schlussendlich in einiger Konfusion sich möglichst ungehört retirieren.
    Konträr zum andächtigen Lauschen der Akroaten des Museions hob hier jedoch neuerlich ein Brüllen und Schimpfen des gemeinen Pöbels an, um selbst jedes winzige Wort zugunsten des verhassten Volkes zu übertönen.

    Mitnichten hatte der junge Flavius es sich nehmen lassen, seine civilen Obliegenheiten, obschon sie ihm nicht originär, sondern gleichsam seiner naturalen Nationalität adjungiert worden waren, auch in jenem Exil, welches ja womöglich den Rest seines so jungen Lebens würde umfassen, zu erfüllen. Neben der Folgsamkeit gegen die Mahnungen des Gymnasiarchos war es indessen insonderheit seinem Vorwitz geschuldet, jene Persistenz aufzubringen, seinen Gastgeber Sulpicius zur Teilnahme an der Ekklesia zu persuadieren, obschon jener doch augenscheinlich ein nicht geringes Interesse an der alexandrinischen Politik bei diversen Gastmählern hatte offenbart.


    Dessenungeachtet hatte der Jüngling seinen Willen bekommen und somit saßen sie endlich in den Reihen des Theatrums inmitten einer bunten Schar an Politen, deren Treiben mehr an den originären Zweck jenes Bauwerks, die Lustbarkeiten der Musenwelt, gewahren ließen denn an die ernste Angelegenheit der Staatenlenkung, welche hier auf so kuriose Weise wurde praktiziert. Noch immer erschien es dem jungen Aristokraten nämlich gänzlich uneinsichtig, wie jene gewaltige Schar an Menschen, derer man im Rund des Theatrons umso bewusster wurde, in völliger Gleichheit der Stimme und des Wortes zu einer weisen Dezission mochte gelangen, zumal er nicht wenige unter den Alexandrinern erspähte, die augenscheinlich sich glücklich konnten schätzen, den Chiton auf ihrem Leibe ihr Eigen zu nennen. Jedem Narren auf den Straßen Roms indessen war wohlbewusst, dass die Menschen ungleich waren, sobald sie das Licht der Welt erblickten, und ungleich blieben, bis wiederum die Welt ihre höchst differenten Grabmäler an den Ausfallstraßen der Städte erblicken mochte. Jener Inäqualität hingegen war es gleichsam inhärent, dass auch die Weisheit und Eignung zur Beurteilung des Kosmos nicht jedem gleichermaßen war gegeben, weshalb es lediglich rational war, den besten, welche die Quiriten als Optimati, die Hellenen als Aristoi zu titulieren pflegten, die Bürde der Politik aufzulasten, während das Talent der Plebs weitaus gewinnbringender war zu gebrauchen, wenn diese unterdessen der Produktion von Gütern oder anderweitiger tumber Handarbeit sich zuwandten.


    Eine Novität erbot sich dem Jüngling jedoch recht baldig nach der Eröffnung der Sitzung, welche mit einem stupenden Maß an Lobpreisungen des Basileus initiiert wurden und somit einen amüsanten Kontrast zu den Bekräftigungen der Necessität schrankenlos Demokratie bildete, welchen zu thematisieren der junge Gracchus sich inmitten der lautstarken Hymnen und Applaudisements endlich doch geneigt fühlte:
    "Ich hörte, die Alexandriner seien ein überaus renitentes Völkchen, Sulpicius. Handelt es sich hier doch nur Lippenbekenntnisse?"
    "Keineswegs. Die Alexandriner lieben ihren Basileus heiß und innig. Nur das Steuernzahlen und die Ordnung lieben sie weniger."
    , replizierte Cornutus mit süffisantem Lächeln, was auch dem jungen Flavius einleuchtete, da selbst sein Vater bisweilen das Ende der Steuerbefreiungen des Patriziats hatte beklagt, obschon er seiner Natur entsprechend einem Revolutionär so ferne lag wie ein Kreis der Quadratur seiner selbst. Nur schemenhaft noch war Manius Minor jener paternale Dialog gewahr, in welchem Manius Maior sich selbst der Präparation einer Verschwörung hatte bezichtigt, was bisweilen den Jüngling bedächtig hinsichtlich seiner Sekuritäten gegen seinen Erzeuger stimmte, obschon letztlich stets die Einsicht obsiegte, dass jenes Geständnis lediglich Produkt seines Wahnes konnte gewesen sein, dem damalig der ältere Gracchus zweifelsohne war anheim gefallen. Insofern blieb auch dessen Antithese, nämlich das Zusammenfallens eines rebellischen Geistes mit geringer Neigung zum Beitrag für das Wohl des Imperiums, doch Treue zum Kaiserhause, pensabel.
    "Das heißt, sie rebellieren eher gegen den Praefectus und unsere Legionen?"
    , setzte Manius Minor somit nach einigem Spintisieren aufs Neue an, den Blick weiter auf die in der Tiefe liegende Skené gerichtet, wo sein Augenlicht ihm bessere Dienste erwies und ohnehin ein kurioses Prozedere sich entfaltete, welches die Ouverture jeder politischen Dezission in jenem Gemeinwesen darstellte.
    "Der Kaiser ist für die Alexandriner eine Gottheit. Es ist sinnlos, gegen die Götter zu rebellieren. Mit ihren Ratschlüssen zu hadern ist dagegen eine andere Geschichte. Kennst du die Geschichte von Claudius Pulcher und den capitolinischen Hühnern?"
    Den Historien seiner maternalen Ahnen hatte der claudisch-flavische Jüngling stets voller Inbrunst gelauscht, doch eine spezifische Relation jenes Consuln ohne Fortune aus den Zeiten der Punischen Kriege zu den augurischen Künsten war ihm unbekannt, sodass er letztlich vorwitzig das Haupt dem Sulpicius doch mehr zuwandte:
    "Nein, was meinst du?"
    "Man erzählt sich, er habe vor der Schlacht von Drepana die Heiligen Hühner von Bord geworfen, weil sie nicht fressen wollten. 'Wenn sie nicht fressen, sollen sie trinken!', soll er gesagt haben. Schlechte Nachricht ist eben ein schlechter Gast, wie der Volksmund sagt. Das gilt auch in Bezug auf den Kaiser.und seine Boten!"
    In der Tat war jene Anekdote dem flavischen Jüngling verschwiegen worden, womöglich um ihn nicht zu unklugen Despektierlichkeiten gegen die unsterblichen Götter zu motivieren, doch amüsierte jener krude Ratschluss des Claudius ihn in nicht geringem Maße, weshalb in juvenilem Übermut er gar sich mühte, jene Ironie durch eine Absurdität zu ergänzen:
    "Dann lasst uns hoffen, dass der Beschluss der Ekklesia heute nicht lautet, ihre rhomäischen Freunde der See zu übergeben!"
    "Da sei unbesorgt, junger Flavius. Die Alexandriner haben lange genug philosophiert, um so dumm nicht zu sein."
    , replizierte Cornutus somit und wandte seine Appetenz wieder dem Eponminatographos zu, welcher den ersten Tagesordnungspunkt verkündete.

    Seit geraumer Zeit nun bewohnte der junge Flavius die Domus Suplicia zu Alexandreia, visitierte tagtäglich einmal hie, einmal dort die Lektionen des Museion, füllte die Pausen mit gemeinsamen Reflexionen mit seinem Diener Patrokolos, welchem es stets auch oblag, die Worte der Philosophen zu protokollieren, über des Gehörte und kehrte am Abend in sein Gasthaus zurück, wo Sulpicius nicht selten Gäste empfing, um mit ihnen in hellenischer Manier Symposion zu halten und die Gänge der lokalen Politik, insonderheit jedoch den örtlichen Tratsch und Novitäten aus der Provinz zu disputieren. Dem jungen Flavius erschien dies für gewöhnlich überaus ennuyant, da die Granden der Stadt ihm ebenso unbekannt waren wie die Mechanismen demokratischer Verfasstheit, welche dem rhomäischen Aristokraten ohnehin überaus umständlich und kompliziert erschienen. Da indessen eine grundsätzliche Kritik der Umstände insonderheit den Einheimischen nicht zur Diskussion stand, zog der Jüngling sich für gewöhnlich recht bald in sein Cubiculum zurück, wo er sich allzu gern der wohltuenden Gnade des Hinabgleitens in das Reich des Morpheus überantwortete. Die surrealen Welten seiner Träume waren es, welche ihn zurückkehren ließen in angenehmere Tage, als seine geliebte Mutter ihn noch hatte behütet, sein Vater noch ein strahlender, Immitation gebietender Recke war gewesen, sein eigenes Leben hingegen einen beschaulichen Kosmos des Spieles, der Faszination täglicher Novitäten, vermittelt durch seinen Paedagogos Artaxias, und erhellt durch ein noch zur Gänze intakten Augenlichtes hatte repräsentiert. Hier allein fand er vertraute Angesichter, traf seinen geschätzten Vindex, der ihm Soldatenmären erzählte, scherzte mit Iullus und amüsierte sich über das possierliche Verhalten seines Bruders Titus, stritt leidenschaftlich mit seiner Schwester Flamma, um sogleich durch die mahnenden Worte der Amme oder das weise Urteil seiner Mutter versöhnt zu werden. In der Tat hatten die Gespinste. welche immer wieder sich des Nachts seiner bemächtigten, um Angst und Schrecken in ihm zu evozieren, ihn, seitdem er das italische Festland hinter sich gelassen hatte, nicht mehr bedrängt, womit es ihm nun endlich wieder ohne Furcht war verstattet, sein Bett zu ersteigen.


    Dennoch bot der Schlaf auch ihm nur eine vergiftete Heimat, einen Widerhauch des Vergangenen, das niemals würde mehr sein, nachdem die Götter ihm sein Flehen hatten abgeschlagen und die Eheschließung Manius Maiors mit jener grässlichen Aurelia ohne jede Hinderung war vollzogen worden. Manius Minor war genötigt, ein neues Refugium sich zu erschaffen, wozu Alexandreia, jene pulsierende Metropole, trotz sämtlichen Schmerzes der Trennung von seiner Vaterstadt, durchaus geeignet erschien. Insofern fühlte der junge Flavius sich auch genötigt, seinen Gastgeber genauer zu explorieren, welcher nunmehr bestimmt erschien, zu einem alter Vindex in seinem zur Infinität verdammten Exil zu mutieren.


    Als somit ein Tag sich ergab, da der Sulpicius keine Gäste empfing, der Flavius somit neben dem Gesinde als solitärer Hospitant verblieb, ergriff selbiger, nachdem die Speisen waren verräumt, das Wort, wobei er es schätzte, sich wieder einmal des Lateinischen zu befleißigen, welches ihm in dieser Stadt derartig selten zu gebrauchen verstattet war, dass bisweilen gar in seinen Träumen die Akteure das Hellenische gebrauchten:
    "Sulpicius, woher ist dir eigentlich Onkel Flavius bekannt? Vater hatte vergessen, dies zu erwähnen..."
    "Oh, ich diente vor vielen Jahren unter ihm in der Classis Misenensis. Der gemeinsame Militärdienst brachte uns zusammen."
    Der Sulpicius schenkte dem Jüngling ein reserviertes Lächeln, während die Stimme, welche die singuläre Quelle Manius Minors zur Dechiffrierung der Emotionen seines Gegenübers verblieb, jene vertraute Distanz kommunizierte, die zu überwinden jenem bisher niemals war vergönnt gewesen.
    "Habt ihr gemeinsam im Felde gestanden?"
    , mühte sich der junge Flavius dennoch ein Zwiegespräch zu entfalten, welches ihm erlaubte, dem geheimnisumwitterten Gastgeber weitere biographische Informationen zu entlocken. Jener indessen offerierte nunmehr ein betretenes Hüsteln, ehe er in beinahe torquiertem Tonfall anhob:
    "Nun, ich war eher ein Schreibtischtäter. Der Kriegsdienst war nie eine Herzensangelegenheit für mich. Aber mein Vater war der Meinung, dass ein bisschen Kriegsdienst jedem Römer gut ansteht. Außerdem gab es ja noch meinen berühmten Großonkel... Kurzum: Am Ende blieb ich dann doch eher in der Verwaltung."
    Der Sulpicius griff zu seinem Becher und nahm einen kurzen Schluck, während vor Manius Minors geistigem Antlitz das Bild Manius Maiors, jenes Feiglings erschien, der ebenso wie augenscheinlich dieser den Mut missen ließ, sein Vaterland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Zweifelsohne würde dieser kaum jene Admiration zu gewinnen imstande sein, die sein geschätzter Vindex im fernen Cremona durch den furchtlosen Dienst im Exercitus errungen hatte. Ein wenig desillusioniert ob jenes Umstandes führte der Jüngling die Fragen somit in die präsenten Zeiten, in welchen die häufige Absenz des Hausherrn, oftmals über den gesamten Tag, seinerseits Rätsel offerierte:
    "Aber derzeit bekleidest du kein Amt, nicht wahr? Welchen Geschäften gehst du hier in Alexandria nach?"
    "Hier?"
    , erwiderte Sulpicius hastig und für den Anschein eines Augenschlags glaubte Manius Minor einen Anflug von Insekurität aus der Stimme zu extrahieren. Es folgte eine irritierende Pause, dann aber hob sein Gegenüber neuerlich zu sprechen an:
    "Mein letztes Amt brachte mich hierher und ich habe ein lukratives Geschäft aufgebaut, dem ich mich widme. Es ist aber ein wenig komplex, weshalb ich dich nicht damit langweilen will."
    Augenscheinlich verspürte Cornutus keine Neigung, seine tagtäglichen Okkupationen genauer zu explizieren, dennoch packte der Vorwitz des Jünglings, verbunden mit seinem aufrichtigen Wunsch, ein größeres Maß an Verständnis seines zu prävisionablen Ersatz-Vaters zu gewinnen:
    "Es interessiert mich durchaus, Sulpicius. Worum handelt es sich? Ist es der Handel?"
    Sogleich verstieg er sich zu Spekulationen, was seinem Gastgeber zu berichten so inkonvient mochte erscheinen: Selbstredend existierten zahllose Okkupationen, die einem ehrenhaften Quiriten nicht wohl anstanden, begonnen beim Krämertum, über jedwede Form händischer Arbeit bis hin zu abhängiger Lohnarbeit, zu schweigen vom Schauspiel und sämtlichen damit verquickten Tätigkeiten, was somit die Majorität sämtlicher der Plebs obliegenden Arbeit inkludierte. Hingegen verfügte Sulpicius Cornutus augenscheinlich über einigen Reichtum, welchen er in seinem Haus, seiner erlesenen Kleidung wie auch den exklusiven Gäste, die bei ihm sich die Klinke in die Hand gaben, zur Schau stellte, womit er zu derartigen gemeinen Arbeiten niemals konnte genötigt sein. Es verblieben folglich im Grunde lediglich Professionen, die jenseits des Rahmens des Gesetzes ihren Erwerb suchten, was den Jüngling bereits eine Sensation in der nunmehr inevitablen Replik wittern ließ.
    Dessenungeachtet griff Cornutus stumm zur Serviette, tupfte sich achtsam den Mund und erklärte in dezidiertem, Widerworte im Vorhinein bereits unterbindendem Tonfalle:
    "Mir ist ein wenig unwohl. Ein ander Mal vielleicht."
    Damit erhob er sich und verließ erhobenen Hauptes das Triclinium. Zurück blieb ein überaus derangierter Flavius. Wer war Suplicius?

    Die offiziösen Worte des Gymnasiarchos rissen den Jüngling aus seinen Reflexionen, eröffneten zugleich indessen die Perspektive auf jenes phantastische Konstrukt der Demokratie, welchem die griechischen Städte bis in die heutigen Tage anhingen und dessen Funktionalität ihm, bedingt durch seine Edukation als stolzer Aristokrat, überaus dubitabel erschien. Dennoch packte ihn ob der finalen Mahnungen doch ein gewisser Vorwitz, eine derartige Ekklesia einmal zu hospitieren.
    "Ich danke dir, Gymnasiarchos."
    , erwiderte er endlich manierlich und wandte sich sodann Patrokolos zu.
    "Dann gehen wir, nicht wahr?"
    Der Sklave blickte zu dem obersten Beamten, welcher so umstandslos die Immatrikulation hatte vollzogen:
    "Wenn es weiter nichts gibt?"

    M' patri suo s.d.
    ich bin wohlbehalten in Alexandreia angekommen und wurde von Sulpicius Cornutus herzlich empfangen. Wir mir scheint, verfügt er über exzeptionelle Kontakte zu den hiesigen Behörden, was mir angesichts der erstlichen bürokratischen Unannehmlichkeiten, welche in dieser Metropole des Hellenentums gar die der Urbs beiweitem übertrumpfen, bereits famose Dienste erwies.


    Im übrigen erfreue ich mich bester Gesundheit, habe die Strapazen der Überfahrt glänzend bewältigt und mich gemäß der Planungen im Museion als Akroates immatrikuliert, wofür zugleich es erforderlich war mich als Proxenios jener Stadt zu registrieren, womit ich nunmehr ein zwiefaches Bürgerrecht mein eigen zu nennen die Ehre habe. Im übrigen habe ich beschlossen mich an hiesiger Bildungsstätte vorerst der Philosophie zuzuwenden, welche ja bereits Dexter so trefflich gerühmt hatte. Um einen spezifischen Kurs zu belegen entbehre ich jedoch derzeit noch der Orientierung, sodass ich mal hier, mal dort bei diversen Lektionen hospitiere und somit gewissermaßen von allem einen Gaumenschmeichler goutiere.


    Ich darf dir die besten Grüße seitens Sulpicius bestellen, insonderheit selbstredend auch an Onkel Felix, sofern du ihn kontaktieren solltest. Meinerseits grüße mir ebenso Scato (welchem ich zu seinen politischen Triumphen herzlichst gratuliere), Tante Domitilla, Dexter (welchem ich die Grüße eines gewissen Philostratos von Antiochia bestellen soll), speziell jedoch Titus und Flamma. Ich hoffe sie sind ebenso wohlauf.

    http://www.niome.de/netstuff/IR/SiegelCaduceus100.png


    Vide ut valeas
    M' Flavius Gracchus Minor


    Sim-Off:

    Bezahlt

    Erfüllten einerseits die Novitäten aus Rom den jungen Flavius mit einiger Elation, da doch die Tage der Trübsal und Isolation in der Domus Sulpicia, deren Hausherr oftmals den gesamten Tag andernorts seinen mysteriösen Geschäften nachging, und der Irritation im Museion, wo trotz der Massen gelehriger Eleven und gebildeter Philosophen kaum einer von jenem rundlich, untersetzten Jüngling Notiz nahm, dessen Xenophobie ihn von einer Kontaktaufnahme jenseits der basalen Necessitäten abhielt, dadurcb um ein gewisses Maß wurden erhellt, doch verpuffte jene wärmende Regung allzu rasch, als er von der Terminierung der Eheschließung hörte, welche indirekt die mangelhafte Wirkung seiner Defixio belegte. Neuerlich hatten seine Wünsche und Pläne sich annihiliert. Neuerlich spien die Parzen ihm ihr hönisches Lachen ins Antlitz, von welchem selbst die Große Mutter sich hatte distanziert. Nichts schien die Misere der altehrwürdigen Flavia aufhalten oder fürs mindeste prokrastinieren zu wollen, sondern gleich dem Sturze vom Tarpeischen Felsen, der so inimaginabel weit entfernt für Frevler und Verräter wie seinen hasenhaften und pflichtvergessenen Vater bereit stand, raste diese uralte Familie ihrem fatalen Schicksal entgegen, während Manius Minor als einer der wenigen, potentiell zum Handeln kapablen ihrer Sprosse gleich einem Marcus Antonius im dekadenten Osten das süße Leben genoss, respektive zur Untätigkeit verdammt war.


    Dennoch blieb der Jüngling ein Gefangener der guten Sitten seiner Edukation, sodass er mitnichten es über sein tristes Herz brachte, jene Zeilen unerwidert zu lassen, sondern vielmehr schlussendlich seinen geliebten Patrokolos zum Diktat bat:


    M' patri suo s.d.
    ich bin wohlbehalten in Alexandreia angekommen und wurde von Sulpicius Cornutus herzlich empfangen. Wir mir scheint, verfügt er über exzeptionelle Kontakte zu den hiesigen Behörden, was mir angesichts der erstlichen bürokratischen Unannehmlichkeiten, welche in dieser Metropole des Hellenentums gar die der Urbs beiweitem übertrumpfen, bereits famose Dienste erwies.


    Im übrigen erfreue ich mich bester Gesundheit, habe die Strapazen der Überfahrt glänzend bewältigt und mich gemäß der Planungen im Museion als Akroates immatrikuliert, wofür zugleich es erforderlich war mich als Proxenios jener Stadt zu registrieren, womit ich nunmehr ein zwiefaches Bürgerrecht mein eigen zu nennen die Ehre habe. Im übrigen habe ich beschlossen mich an hiesiger Bildungsstätte vorerst der Philosophie zuzuwenden, welche ja bereits Dexter so trefflich gerühmt hatte. Um einen spezifischen Kurs zu belegen entbehre ich jedoch derzeit noch der Orientierung, sodass ich mal hier, mal dort bei diversen Lektionen hospitiere und somit gewissermaßen von allem einen Gaumenschmeichler goutiere.


    Ich darf dir die besten Grüße seitens Sulpicius bestellen, insonderheit selbstredend auch an Onkel Felix, sofern du ihn kontaktieren solltest. Meinerseits grüße mir ebenso Scato (welchem ich zu seinen politischen Triumphen herzlichst gratuliere), Tante Domitilla, Dexter (welchem ich die Grüße eines gewissen Philostratos von Antiochia bestellen soll), speziell jedoch Titus und Flamma. Ich hoffe sie sind ebenso wohlauf.

    http://www.niome.de/netstuff/IR/SiegelCaduceus100.png


    Vide ut valeas
    M' Flavius Gracchus Minor


    Der Kommentierung weiterer Aspekte enthielt er sich, um wenigstens einen sublimen Protest hinsichtlich seiner politischen Kaltstellung angesichts der Konkurrenz der inkonzipierten Leibesfrucht jener natterhaften Stiefmutter zu artikulieren, weswegen selbstredend auch Annotationen oder gar Gratulationen zur nunmehr terminierten Eheschließung und somit präparierten Legitimierung der aurelischen Bastarde zur Gänze entfielen, was faktisch somit eher ein Ausdruck verbliebenen Respektes zu seinem Vater repräsentierte, da jedes Wort in dieser Hinsicht nur als Gift und Galle sich hätten erweisen mögen.


    Insofern verblieb zuletzt ein profundes Maß an Unwohlsein, nachdem der Brief aufgesetzt und endlich mit jenem Signet war versehen, das Manius Maior zu, retrospektive noch als gülden zu definierenden Zeiten (in Komparation mit den hiesigen) Manius Minor hatte vermacht. Der Gedanke jener verlustigen Zeiten indessen vergällte dem Jüngling eine holographische Signatur, welche Patrokolos nach der finalen Rezitation des Briefes durch ein Stummes Präsentieren von Feder und Papyrus erwartete. Schlichtweg wandte der auf einer Kline sich lagernde Manius Minor von jenem Konnex zu seiner verdammten Familia ab, was der Sklave mit einem schlichten Schulterzucken quittierte, um sodann per procurationem den Namen seines Herrn zu subskribieren.

    "Er lebt ihm Haus des Quintos Sulpicios Cornutos, unweit des Paneion."
    , replizierte Patrokolos in verbindlichem Tone, den Namen ihres Gastgebers sorgsam artikulierend, da eben jener Name bereits ihnen formidable Dienste hinschtlich der Komplexitätsreduktion bürokratischer Akte hatte geboten, obschon weder der Diener, noch sein Herr bisherig zu ergründen hatten vermocht, welcher Profession jener Sulpicius nachzugehen pflegte oder wo der Quell seiner Autorität über alexandrinische Beamte zu verorten war.
    Aufs Neue spintisierte der junge Flavius über jenes Mysterium, als er den Namen vernahm, fasste zugleich indessen den Beschluss, ihn bezüglich seiner konkreten Relation zu seinem Onkel Felix zu befragen.

    Der junge Flavius trat ein und mit ihm sein Diener, welcher ungeachtet der augenscheinlichen Disturbation jenes höchsten aller Funktionäre der Polis das Wort ergriff, um seinem Herrn die leichtlich antizipierbare Ennuyanz jener bürokratischen Akte zu ersparen:
    "Mein Herr, Manios Flavios Gracchos aus der Polis Roma, Polites Rhomaios, wünscht seine Anerkennung als Proxenios Alexandrinos, um sein Studium am Museion aufzunehmen."
    Besagter Manius Minor hatte indessen den Beschluss gefasst,jene finale Hürde in Gravität und Dignität zu nehmen und artig zu warten, welcher Stein des Anstoßes jene Initiative nun wieder würde hindern.

    "Wie famos."
    , kommentierte Manius Minor jene überaus erfreulicher Offerte in höchster Aridität. Indessen finalisierte der als Bediensteter mit ennuyante administrativen Prozeduren weitaus firmere und somit unbeirrt in Cordialität verharrende Patrokolos jene Obliegenheiten knapp:
    "Mein Herr lebt bei Quintos Sulpicios Cornutos unweit des Paneion. Vielen Dank. Chaire."
    Der junge Flavius enthielt sich einer Salutation und ließ endlich jenes Officium hinter sich, seinen Sklaven im Tross, um nunmehr die nächste Formalität hinsichtlich der Konfirmation seiner Proxenie in die Wege zu leiten. Erfreulicherweise war zumindest das Gymnasion lediglich einen Steinwurf weit entfernt (welchen der Jüngling derzeitig in der Tat in eine beider Institute erwog).

    Obschon Nudität ein quotidianer Anblick nicht nur in der hellenischen, sondern auch der römischen Welt war, ja auch der junge Flavius beinahe jeden Tag in dieser die heimischen Thermen der Villa Flavia Felix hatte aufgesucht und somit auch deren Anblick bei seinen Familiaren und Sklaven keine Exzeption darstellte, so erfüllte sie bei Fremden ihn doch mit einer gewissen Scham, insonderheit im Falle jener gestählten, wohlproportionierten Körper, welche in öffentlichen Gymnasien und Palästren ihre Exerzitien vollzogen und ihn dabei stets seiner eigenen leiblichen Insuffizienz erinnerten.


    Insofern verspürte Manius Minor nicht geringe Indisposition, als er auf dem Weg zum Officium des Gymnasiarchen einen Blick in das Stadion erhaschte, wo wie zu jeder Tageszeit adonengleiche Hellenen trainierten. Dankbarkeit erfüllte ihn aufs Neue, nicht zur Humiliation einer Partizipation an den hiesigen Programmen genötigt zu sein, sondern den Schutz der Prüderie des Musentempels genießen zu dürfen.


    "Domine, eine Hantel!"
    , riss Patrokolos, welcher stets in Schrittweite um seinen Herrn die Beschaffenheit des Bodens im Auge bewahrte, ihn aus jenen Gedanken und evozierte damit einen größeren Schritt, der das inidentifizierte Hindernis umschiffte und ihn somit ein vexierliches Stolpern verhinderte.
    "Warum nur muss jeder römische Bürger persönlich im Gymnasion vorstellig werden, um seine Proxenie zu erhalten? Hat Augustus sie nicht ohnehin jedem Römer verliehen?"
    , klagte er sodann neuerlich über jene bürokratische Schikane, die die römische Administration unkomplikabel und kundenfreundlich erscheinen ließ.
    "So sind die Hellenen offenbar."
    "Dies scheint der Grund zu sein, warum Rom ein Imperium errichten und halten konnte und nicht Athen."
    , löste der Jüngling endlich höchstselbst sein Klagen mit einem Scherz auf und präsentierte ein sublimes Lächeln, als sie endlich die Stege des Gymnasiarchen erreichten.


    Wie gewohnt oblag es Patrokolos, um Einlass zu ersuchen, was dieser mit beherztem Klopfen unverzüglich unternahm.

    Die Imagination, jedwedes Individuum ohne Ansehung des Standes, des Ordo oder der ökonomischen Potenz zu ästimieren, erschien dem jungen Flavius überaus abstrus, da doch seit jeher ihm war gelehrt worden, dass jeder Mensch mit spezifischen Eigenschaften geboren war, welche sein Potential, insonderheit aber seinen Platz in jenem überaus komplexen Mechanismus der Gesellschaft definierten, welchen einzunehmen sein Schicksal war und aus welchem seine spezifischen Obliegenheiten, seine Eignung diesen und auch sein Anspruch auf Respekt, Ehre wie Annehmlichkeiten des Lebens zu derivieren war. Indessen war auch die Fassade von Egalität und Fraternität ihm wohlbekannt, die auch in der Gemeinde freier Cives von den Klassikern war gepredigt worden, ohne den Alltag in allzu starkem Maße zu disturbieren, sofern man diverse Ständekämpfe außer Acht ließ.
    Im Übrigen erwartete er keinerlei drohende Divergenzen hinsichtlich der übrigen Regularien, da die Ausleihe von Literatur eher seinem Sklaven würde überlassen bleiben, da ihm die Kontrolle jener filigranen Buchetiketten, mit welchen Papyrusrollen beschriftet zu werden pflegten, gänzlich impossibel war, er ebenso einen Brand jener imposanten Bildungsstätte mitnichten erwartete und endlich er dem Trunke wie orgiastischen Abenteuern ohnehin abhold war, nachdem er Wein stets mit reichlich Wasser zu genießen pflegte und seine erste genitale Vereinigung es nicht hatte vermocht, ihn für jene Tätigkeit zu passionieren, obschon bisweilen das Präsent seiner Tante anlässlich seines sechzehnten Geburtstages nach erstlichen Irritationen ihre Dienste ihm hatte angedeihen lassen, ohne dass der knabenhafte Jüngling jedoch intensiven Anteil an jenen Aktivitäten hatte genommen.
    "Dies sollte sich als inkomplikabel erweisen."
    , vermerkte er somit ein wenig gepresst und wandte sich sogleich an Patrokolos.
    "Lass uns gehen."
    Der Sklave schenkte ihm ein encouragierendes Lächeln, welches zu identifizieren Manius Minor selbstredend außerstande war, wandte sich dann jedoch nochmalig in verbindlichem Tonfall an den Schreiber:
    "Bekommen wir noch eine Urkunde oder schriftliche Bestätigung? Oder benötigt das Museion zuerst den Nachweis der Proxenie?"

    Die abfällige Nennung seines Volkes entging dem jungen Flavius, welcher die missliche Leistung seiner Augen durch intensiven Gebrauch seiner Ohren zu kompensieren hatte, nicht, weshalb er, similär zum Usus seines Vaters, die rechte Augenbraue in höchst patrizischer Manier anhob.
    "Manius Flavius Manii Filius Gracchus Minor."
    , replizierte der Jüngling endlich, nunmehr augenscheinlich enerviert. Warum nur mochte man ihm dies nicht zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt haben?
    Patrokolos indessen war es, welcher ehern die Courteoisie zu wahren imstande war und überaus artig ergänzte:
    "Eine Kammer benötigt er nicht. Gibt es weitere Formalitäten zu klären? "

    Manius Minor hatte sich durchaus in ein hellenisches Ornat geworfen, welches er zum Einen als Gestus seiner Akkulturation betrachtete, zum Anderen indessen ob der horrenden Temperaturen in Kombination mit seiner Adipositas dem dicken Stoffen des römischen Staatskleides vorzog. Selbstredend hatte er sich hierfür jedoch ein Exemplar gewählt, welches in Rom á la mode war und somit einen rhomäischen Einschlag dem wohlexerzierten Betrachter nicht verbergen konnte.
    "Selbstredend."
    , replizierte der junge Flavius ein wenig enerviert, während Patrokolos sich doch genötigt fühlte, die Zusagen seines Herrn ein wenig zu konfinieren:
    "Nun, das alexandrinische Bürgerrecht besitzt er nicht. Er ist jedoch römischer Bürger und der Sohn des Senators Manius Flavius Gracchus, Praetorius und Pontifex pro Magistro."
    Während der Jüngling nunmehr die zweifelsohne sich evolvierende Ehrfurcht ob der Präsenz eines Senatorensohnes erwartete, nahm er beim Aufblicken Notiz von den absonderlich tiefen Augenhöhlen, welche er sogleich als Resultat jener unerquicklichen Arbeit mit den Akten zuschieb.