Beiträge von Germanica Laevina


    Das geöffnete Schreiben lag nach wie vor in Laevinas Schoß, doch deren Blick war längst zu einem unbestimmten Punkt an der Decke ihres Cubiculums gewandert, während sie, in ihrem bequemsten Sessel sitzend, über die soeben erhaltene Nachricht nachdachte. Er war also tot. Lucius Germanicus Verres, der Mann, der vor etlichen Monaten in der Casa Germanica aufgetaucht war und sich als ihr Enkel ausgegeben hatte. Ein paar Tage lang war er geblieben, hatte sich auf Kosten des Hauses satt gegessen und neu eingekleidet, und war dann ohne ein weiteres Wort auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Und das Schlimmste war: sie selbst hatte es zugelassen, dass dieser armselige Wicht von der Familie mit offenen Armen aufgenommen worden war! Sie selbst, weil sie schwach gewesen war. Weil er sie in einem unbedachten Moment an ihrem schwächsten Punkt erwischt hatte: ihrer Liebe zu ihrem ältesten Sohn Victorius, dem einzigen menschlichen Wesen, dem Laevina jemals uneingeschränkte und bedingungslose Zuneigung entgegen gebracht hatte und dessen früher Tod sie bis ins Mark getroffen hatte, mehr noch als der ihrer Tochter und weit mehr als der ihrer beiden Ehemänner. Laevina besaß nach wie vor ein hervorragendes Gedächtnis und hätte sich die Gesichtszüge des jungen Mannes problemlos vor Augen rufen können, aber sie machte sich nicht die Mühe. Warum auch? Sie würde wohl niemals erfahren, ob er wirklich ihr Enkel gewesen war, aber das war Laevina einerlei, denn ein echter Germanicus zeichnete sich in ihren Augen durch Loyalität und Verantwortung gegenüber der Familie aus, Eigenschaften, die der Verstorbene offenbar in keinster Weise besessen hatte. Laevina schnaubte verächtlich und warf das Schreiben achtlos beiseite,um sich nun ihrerseits nach Schreibzeug umzusehen und ein entsprechendes Antwortschreiben aufzusetzen.


    "Quadrata, bring den Brief hier sofort zum Büro dieses Vigintivirs. Ich wage zu bezweifeln, dass dieser undankbare Schmarotzer allzuviel hinterlassen hat, aber vielleicht reicht es wenigstens für die Unkosten, die er in diesem Haus verursacht hat." Die alte Germanica wartete, bis ihre ebenso betagte Leibsklavin sich mit ihrem Antwortschreiben auf den Weg gemacht hatte und wandte sich dann ihrer übrigen Korrespondenz zu. Es gab noch viel zu tun, und falls Germanicus Verres bei seiner angeblichen Großmutter überhaupt eine Spur hinterlassen würde, dann war es die Erkenntnis, dass erhöhte Wachsamkeit sogar innerhalb einer Gens unabdingbar und jegliche Form von Sentimentalität gefährlich und für künftige Zeiten strikt zu vermeiden war.

    Laevina nickte nachdenklich und fast ein wenig wehmütig. "Mistkübel der Geschichte? Ja, das könnte wohl passieren, wenn die Landsleute, denen wir notgedrungen das Wohl dieses Reiches anvertrauen müssen, sich nicht mit der gebührenden Sorgfalt und Demut an die Arbeit machen. Manch einer sieht in der heutigen Zeit nur noch den Luxus und den Reichtum und vergisst, dass diese Stadt einmal auf einem Sumpf gegründet worden ist. Und genau dazu kann sie auch wieder werden, wenn die nötige Wachsamkeit und Gründlichkeit, mit der unsere Vorfahren sie dem unwirtlichen Boden entrissen haben, nachlässt." In den Augen der alten Germanica gab es natürlich zur Zeit nicht einen einflussreichen Politiker in Rom, der auch nur ansatzweise so kompetent zur Staatsführung geeignet war wie sie selbst es wäre, wenn man sie nur ließe, aber bis diese, vielleicht doch ein wenig zu einschüchternde, Erkenntnis an den gegenüberstehenden Mann gebracht wurde, sollten dann doch lieber noch ein paar Liter Wasser den Tiber hinunterfließen.
    Und schon war wieder Laevinas ganze Konzentration gefragt: Babylon, Elam, Perser? Was war denn das jetzt wieder? Die Begriffe waren ihr zwar nicht gänzlich unbekannt, fielen aber samt und sonders unter die Kategorie " für den Lauf der Welt unerhebliche Kameltreiber" und bedurften daher keiner weiteren Beachtung. Ein weiteres mildes Lächeln, das hoffentlich sowohl mangelnde Kenntnisse als auch Interesse erfolgreich kaschierte, dann wurde das Strahlen wieder aufrichtig. Effizient... noch so ein wunderschönes Wort! Und in Verbindung mit "traditionell" ein wahrer Ohrenschmeichler!


    "Da hast du selbstverständlich Recht. Und wir können aufrichtig stolz darauf sein, dass wir einem Volk enstammen, das Vernunft von jeher so sehr geschätzt hat, dass diese zum Grundpfeiler seiner Traditionen werden konnte." Mit einiger Spannung wartete Laevina auf die Auflösung der Identität ihres Gegenübers und verspürte durchaus eine deutliche Erleichterung und auch ein wenig Genugtuung, als es sich als durchaus standesgemäß entpuppte. Ein Prudentier, sieh einer an, gab es unter denen nicht ein hohes Tier bei den Praetorianern?


    "Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Prudentius Spurinna. Mein Name ist Germanica Laevina."

    Diese Medizin schmeckte der Kleinen nun ganz offensichtlich gar nicht, aber sie war schlau genug, sich das nicht über Gebühr anmerken zu lassen oder gar zu protestieren, was sich nur im höchsten Maße nachteilig für sie auswirkten würde.


    "Hervorragend." Laevina war jetzt bestens gelaunt und voller Tatendrang, ihr so erfolgreich gestartetes Erziehungsprogramm gleich richtig einzustielen. "Nun, da du schon mal da bist, würde ich vorschlagen, dass wir direkt loslegen. Es ist zwar eigentlich schon Nachmittag, aber diesen halben Käfer werde ich dir großzügigerweise schenken. Der Einfachheit halber fangen wir einfach in deinem Zimmer an, das hat es nämlich besonders nötig, meinst du nicht?"

    Natürlich war es nur die Wahrheit, aber von Zeit zu Zeit konnte man ja mal ein wenig bescheiden und höflich auftreten, ohne dass das germanicische Ego allzu schweren oder gar bleibenden Schaden nahm. Und da Laevina in diesem Moment entspannt und weitgehend frei von inter- und extrafamiliären Ärgernissen war, würde sie diesen Zustand der Höflichkeit vielleicht sogar noch einige weitere Minuten aufrecht halten können. Erneut umspielte ein ungewohnt mildes Lächeln ihre Lippen und glitt ihr unaufälliger aber nichtsdestotrotz gründlich prüfender Blick über ihr Gegenüber. Ein für sein Alter durchaus stattlicher Mann, die Kleidung kostspielig, aber nicht zu prunkvoll, ein durchaus angenehmer Anblick. Nur die Ausdrucksweise des Unbekannten nötigte Laevina nach wie vor einiges an Konzentration ab, aber das buchte sie unter besonderen Herausforderungen des Alltags ab. Verständnisvoll nickend folgte sie seinen Ausführungen, und dann geschah es erneut: er benutzte eins von Laevinas absoluten Lieblingswörtern, die ihr immer und an jedem Ort das Herz erwärmen konnten!


    "Welch wahres Wort." stimmte sie mit aufrichtig leuchtenden Augen zu und fand es nicht einmal seltsam, dass sie auf einem Sklavenmarkt mit einem vollkommen Fremden über derartige Dinge sprach. "Was wäre Rom ohne Dispziplin? Nichts! Ein Reich wie jedes andere, das mit Müh und Not seinen Platz in der heutigen Welt behauptet. Viele Menschen können mit den alten Werten nichts mehr anfangen oder halten sie gar für langweilig wenn nicht sogar überflüssig. Aber meiner Meinung nach liegt in Disziplin, Mut und Durchhaltevermögen mehr Poesie als es irgendein Gedicht jemals besitzen könnte, fußt darauf und nur darauf doch wahre und dauerhafte Größe." Ja, Germanica Laevina konnte wahrlich und wahrhaftig pathetisch werden, auch wenn es bislang nur wenigen Menschen gelungen war, die entsprechenden Knöpfchen zu drücken. "Es freut mich aufrichtig, in dieser doch mittlerweile arg verlotterten Stadt einen Menschen zu treffen, der dem traditionellen Gedankengut so positiv gegenüber steht. Mit wem hab ich eigentlich das Vergnügen?" Geschmackvolle Kleidung und hochgestochene Sprache hin und her, bestand durchaus die Möglichkeit, dass es sich bei ihrem Gegenüber um einen zu Geld gekommenen Peregrinus oder gar Libertinus handelte. Und eine derartige Erkenntnis würde selbstverständlich das sofortige Ende von Laevinas aktueller Milde einläuten.

    Laevina war immer noch in nicht geringem Masse irritiert durch dieses eher untypische Zusammentreffen und spuerte erneut den schon instinktiven Drang zu einer unfreundlichen Erwiderung, als der Fremde, ohne es vermutlich zu ahnen, das Geschickteste tat, was in dem nicht unerheblichen Pool an Moeglichkeiten zur Verfuegung gestanden hatte: er lobte ihren Verstand! Nicht, dass die alte Germanica auch nur den geringsten Zweifel an dessen Brillianz hegte, aber es aus anderem und noch dazu fremden Munde zu hoeren, war doch ungleich angenehmer.


    "Nun, das ist sehr liebenswuerdig, ich danke dir." nickte sie deutlich freundlicher als noch vor einigen Minuten und schaffte es sogar, ihrem Gesicht einen leicht verlegenen und demuetigen Ausdruck zu verpassen, als er ihr anschliessend ohne mit der Wimper zu zucken, auch noch die von ihr beanspruchte Genuegsamkeit zugestand. Laevina war Zeit ihres Lebens in etwa so genuegsam gewesen wie ein zu kurz gehaltener Wachhund in einer Verbrecherkneipe, aber aus irgendeinem Grund freute es sie, zumindest fuer diesen Moment eine entsprechende Illusion aufrecht halten zu koennen.
    Und dann..., dann sprach er auch noch ein Thema an, fuer das sie sich wirklich erwaermen konnte.


    "Luxus? Pah! Luxus macht schwach, das weiss doch jedes Kind. Wenn unsere Soldaten dereinst keine Erfolge mehr auf dem Schlachtfeld erzielen, dann nur, weil man ihnen das Leben in ihren Zelten zu angenehm macht. Nur der Kampf macht stark, alles andere ist dekadent und fuehrt frueher oder spaeter in den unausweichlichen Untergang." Als ihr bewusst wurde, wie sehr sie sich mal wieder in Rage geredet hatte, verstummte Laevina aprupt und spuerte zu ihrem eigenen Entsetzen tatsaechlich so etwas wie Verlegenheit. Ob sie etwa krank wurde? "Verzeih mir meinen Ausbruch, aber die Ansprueche der Jugend, die mich Tag fuer Tag umgeben, loesen in mir nicht nur Unverstaendnis sondern auch ein nicht geringes Mass an Aerger aus, wenn sie zu unverhaeltnismaessig werden." Neugierig musterte sie ihr Gegenueber erneut. Aufgewachsen unter Nero...er musste also wirklich zumindest ansatzweise in ihrem Alter sein. Nun ja, streng genommen, war Laevina waehrend der Regierungszeit von Neros Vorgaenger, Claudius, geboren worden, aber wer wollte bei ein zwei Jahren schon so pingelig sein?

    Verzeih? Laevinas Augen verengten sich fast unmerklich, während sie das Gesicht und die Mimik des Unbekannten genauestens abtasteten, auf der Suche nach irgendeiner Art von Zeichen, dass er sich über sie lustig machte. Aber nein, nichts dergleichen, und ihre Menschenkenntnis hatte sie in den vergangenen über fünfzig Jahren so gut wie noch nie im Stich gelassen. Trotzdem hatte dieser Mann etwas an sich, das Laevina nicht wie gewohnt nach kurzer Musterung einordnen und katalogisieren konnte, und das irritierte sie in nicht unerheblichen Maße. Sie musterte ihn erneut, diesmal mit stark erhöhter Aufmerksamkeit und Konzentration, da er offensichtlich bereits nach Worten suchte, um ihr etwas begreiflich zu machen. Etwas begreiflich zu machen! IHR! Laevinas überaus gesundes Selbstbewusstsein fußte nicht zu letzt in der unerschütterlichen Gewissheit, dass SIE diejenige war, die aufgrund ihrer Verstandesleistung allzeit den Durchblick behielt und allen anderen, selbstredend deutlich minderbemitteltereren, Mitmenschen den wahren Weg zur Weisheit weisen konnte und musste. Dass die Dinge im aktuellen Fall zur Abwechslung einmal anders herum liefen, war eine Erfahrung, an die sich die Germanica erst noch gewöhnen musste, was sie direkt durch eine noch strammere Haltung und betont unbeeindruckte Stimmlage zu kompensieren suchte.


    "Ja, da kann ich dir nicht widersprechen. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was ehrlichen Bürgern hier und heute als gutes Arbeitsmaterial untergeschoben werden soll. Das ist doch eine Beleidigung unser aller Intelligenz und Augenmaß, möchte ich meinen. Und die Götter können bezeugen, dass es in Rom kaum eine genügsamere Matrone gibt als mich."

    Nachdem sie in aller Seelenruhe das kaum wahrnehmbare Nicken des Kindes abgewartet hatte, nickte die alte Germanica nun ihrerseits und erneut drückten ihre Finger Sabinas Kinn nach oben.


    "Fein, ich freue mich, dass wir zwei uns so gut verstehen. Du magst zwar unglaublich verroht und schlecht erzogen sein, aber du bist nicht dumm, und das gibt Anlass zur Hoffnung." Laevinas Blick schweifte kurz hinüber zum Bett und den Käferleichen, dann glitt ein feines Lächeln über ihre Züge. "Nun denn, ich würde sagen, jeder dieser Käfer kostet dich einen Tag. Bis alle aufgebraucht sind, wirst du dich jeden Morgen nach dem Aufstehen unaufgefordert hier einfinden, damit ich dir deine Arbeit für den Tag zuteilen kann. In diesem Haus gibt es wahrlich genug zu tun, allein der Garten ist derzeit ein Tummelplatz für Unkraut, seit dein Onkel Avarus in Germanien weilt. Und ganz offensichtlich bist du ja nicht ausgelastet, sonst hättest du keine Zeit für derart respekt- und geschmacklose Scherze." Ohne dass man es von aussen sah, wurde Laevinas Griff noch ein wenig fester und hielt Sabinas Kopf wie in einem Schraubstock. "Und lass dir bloß nicht einfallen, dich in irgendeiner Weise zu drücken, sonst wirst du mich von meiner wirklich unangenehmen Seite kennenlernen. Hast du das soweit verstanden?"

    Heute war ein Tag für Schnäppchen. Bereits beim Aufstehen hatte Laevina gespürt, dass etwas Besonderes in der Luft lag, das sie ungewohnt gutgelaunt aus dem Haus und in Begleitung ihres treuen Schattens Quadrata in Richtung der großen Märkte getrieben hatte. Laevina liebte es auf den Markt zu gehen und ihre Überzeugungskünste an Menschen auszutesten, die tatsächlich die Möglichkeit hatten ihr etwas auszuschlagen oder ihr gar zu widersprechen. Feilschen weckte ihren Jagdinstinkt, wie es nur wenige andere Dinge vermochten und war um vieles aufregender als die stumpfsinnigen, aber natürlich unverzichtbaren Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen mit denen sie sich im selbstlosen Dienst der Familie tagtäglich daheim aufrieb.
    Ihre erste Anlaufstation war heute der Sklavenmarkt. Das Hauspersonal der Germanici konnte durchaus eine Auffrischung gebrauchen, aber der erwachsene Rest der Familie schien das entweder nicht zu bemerken (wie so viele andere Dinge auch nicht), oder es kümmerte ihn schlichtweg nicht. Laevina stieß angesichts dieser Dickfelligkeit einen kleinen Seufzer aus und suchte sich dann einen geeignete Position vor der Verkaufsbühne: nah genug, um alle wichtigen Details der Ware genau in Augenschein nehmen zu könnnen, aber so weit entfernt, dass deren Ausdünstungen das germanicische Riechorgan nicht erreichen konnten. Als sie endlich einen strategisch nicht mehr optimierbaren Platz gefunden hatte, blieb sie wie immer kerzengerade stehen und schüttelte ärgerlich den Kopf, kaum dass sich ihre Augen auf die zum Verkauf stehenden Sklaven geheftet hatten. Ja, was war denn das? Der erste war so hässlich, dass ihn vermutlich die Schweine bissen, und der nächste ein stumpfsinniger Hühne, dem die Dummheit aus den glasigen Augen sprang und der vermutlich aus der selben Familie stammte, wie Adula, die Leibsklavin ihrer Enkelin. Das waren keine Schnäppchen, das war Ramsch der ersten Garnitur! Laevina schnaubte leise vor sich hin und überlegte bereits, ob sie sich vielleicht doch lieber den Tuchhändlern auf den Trajansmärkten widmen sollte, als sie plötzlich von einer Stimme an ihrer Seite aus ihren Überlegungen gerissen wurde. Eine angenehm sonore und männliche Stimme, wie Laevina sofort registrierte, nur um ein paar Sekunden später ihre Augenbraue in die Höhe schiessen zu lassen. Germanica Laevina besaß durchaus die eine oder andere Gabe, aber die der schöngeistigen Rede hatte noch nie ansatzweise dazu gehört. Worüber, bei der Götter Fußpilz, redete dieser Kerl da eigentlich? Einen x-beliebigen Marktbesucher hätte Laevina nun in ihrer gewohnt und vielfach bewährten freundlichen Art angeblafft und stehengelassen, aber der Umstand, dass dieser Herr gepflegte und offensichtlich kostspielige Kleidung trug und sich trotz seines dem ihren offenbar ähnlichen Alters noch selbst auf den Beinen halten konnte, führte dazu, dass die alte Germanica lediglich ein leicht unwirsches "Wie bitte?" herauskrächzte, das für ihre Verhältnisse schon fast liebenswürdig zu nennen war.

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    Quadrata



    Quadrata warf einen kurzen Blick auf den Sklaven und einen deutlich aufmerksameren auf dessen Herrn und nickte dann.


    "Soweit ich informiert bin, ist Senator Germanicus Sedulus daheim. Ich werde mich erkundigen, ob er im Augenblick Zeit hat. Warte bitte einen Moment." Ein erneutes höfliches Kopfnicken, dann machte sich die alte Sklavin auf den Weg zum Officium des Hausherrn.


    Einige Minuten später war sie zurück und öffnete die Tür erneut, um den Gast einzulassen.


    "Senator Sedulus wird deinen Herrn jetzt empfangen. Wenn er mir bitte zum Officium folgen möchte."

    Die Kleine hatte länger durchgehalten, als sie, Laevina, es im Vorfeld vermutet hätte, und jetzt schwankte die alte Germanica zwischen einem gewissen Maß an Genugtuung, weil sie das Kind zu einem Geständnis gebracht und einem leichten Anflug von Enttäuschung, weil Sabina letztendlich doch Skrupel gezeigt hatte. Sie selbst hätte die Sklavin ohne mit der Wimper zu zucken ans Messer geliefert, aber nun ja, das Kind war ja noch ein Kind und damit im Sinne der lieben Urgroßtante ausbaufähig.


    "Also gut, verschwinde. Und lass dich so schnell nicht wieder in meinem Zimmer sehen!" blaffte sie die junge Sklavin an, die ihr Glück zunächst kaum glauben konnte und dann mit einem hysterischen Schluchzen und unter zahlreichen Dankbezeugungen aus dem Zimmer stürzte. Dann packte Laevina ihre kleine Verwandte erneut bei den Schultern und drehte sie zu sich um, bevor sie dem Mädchen mit dem Finger das Kinn nach oben drückte und sie dadurch zwang, ihr ins Gesicht zu sehen.


    "Nun denn, Germanica Sabina, jetzt sind nur noch wir beide hier." sagte sie in nach wie vor ruhigen aber ungemein kaltem Tonfall. "Und es ist dir sicher bewusst, dass dieser ungeheure Vorfall nicht ohne Folgen für dich bleiben wird, nicht wahr?"

    Die Unruhe ihrer Ugroßnichte entging Laevina in keinster Weise und sie tätschelte Sabina fast freundschaftlich die Schulter, selbstverständlich ohne sie dabei aus ihrem Griff zu entlassen. Bislang hielt sich die Kleine wirklich tapfer, aber noch war Laevina mit ihrem erzieherischen Grundkurs auch noch nicht am Ende angekommen.


    "Meine liebe Trygo, ich fürchte, das kann nicht stimmen. Ausser dir hat niemand vom Personal diesen Raum betreten, und du wirst doch nicht wirklich ernsthaft ein Mitglied deiner Herrschaftsfamilie beschuldigen wollen, oder?" Die junge Sklavin zitterte mittlerweile wie Espenlaub, trotzdem schaffte sie es noch, mit dem Kopf zu schütteln. "Siehst du, das hab ich mir doch gedacht." Die Stimme der alten Germanica nahm einen ausgesprochen zufriedenen Unterton an. "Dann sollten wir jetzt wohl zur Bestrafung schreiten, schließlich wollen wir nicht mehr Zeit mit diesem unerfreulichen Thema vergeuden als unbedingt nötig. Quadrata, lass den Sklaven herkommen, der für das Auspeitschen zuständig ist. Ein Schlag pro Käfer erscheint mir fair, was meinst du, Sabina?" Laevina betrachtete ihre kleine Verwandte mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, während Trygo anfing zu wimmern. "Oh nein, bitte nicht....bitte nicht...Herrin...ich hab doch nichts getan...das schwöre ich...."

    Da Laevina noch die Nase von ihrer Entschuldigungs-Premiere gestrichen voll hatte, riss sie sich diesmal am Riemen, um bei den Bemerkungen der anderen Damen und vor allem ihrer Enkelin nicht entnervt mit den Augen zu rollen. Ja, was ließen die sich denn alle so bange machen von ein paar verlausten Sklaven?


    "Spartacus? Ha! Dieser verdreckte Thraker hat doch nur Glück gehabt und am Schluss hat er das gekriegt, was er verdient hat." posaunte sie mit Todesverachtung in der Stimme heraus. "Und wenn du Recht hast, verehrte Claudia, dann wäre es vielleicht das Beste, diese Christianer und alle, die mit ihnen sympathisieren, vorsorglich entlang der Via Appia ans Kreuz zu nageln, dann werden wir ja sehen, wie lange die allgemeine Begeisterung für diesen, was war es noch gleich...., achja, Zimmermann, anhält." Ja, Germanica Laevinas pädagogische Erwägungen waren weniger von besonderem Feingefühl als dem Wunsch nach schneller und gründlicher Effizienz in ihrem eigenen Sinne geprägt, und zumindest bei ihrem eigenen Hauspersonal hatte sie auf diese Weise schon ungeahnte und vor allem nachhaltige Erfolge erzielt. Sie ließ sich Romanas abschließende Worte durch den Kopf gehen und schüttelte diesen dann ungläubig. "Und Kannibalen sind sie auch noch? Ja, wer ist denn so dumm, sich von einem Haufen Sklaven verspeisen zu lassen? Soll doch mal einer von denen versuchen, mein Blut zu trinken. Den habe ich alte und gebrechliche Frau in zwanzig kleine Teile zerlegt, bevor der bis drei zählen kann." Ach, es gab doch kaum etwas entspannenderes für den eigenen Seelenfrieden, als wenn ein überaus gesundes Selbstbewusstsein und das damit perfekt harmonierende Halbwissen eine Allianz eingingen!

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    Quadrata


    Wie? Was? Wo? Quadrata verstand nur Pferdewechselstelle, aber da sie aus dem verzweifelten und beinahe unverständlichen Wortschwall der Vestalin die Wörtchen "Haruspizin" und "Leber" aufschnappen konnte, schloss sie messerscharf, dass die Priesterin ganz sicher nicht zu ihrer Herrin Laevina wollte. Die hatte mit all diesen religiösen Dingen nämlich herzlich wenig an der Palla. Und da es eindeutig um eine Frau ging, kam wohl nur noch die Gattin des Senators Sedulus in Frage, die im Gegensatz zu ihrer Großmutter nahezu ein Ausbund an Frömmigkeit war.


    "Oh..ja..ähm..folge mir doch bitte ins Atrium. Soweit ich informiert bin, ist die domina vor kurzem aus der Stadt zurückgekommen."

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    Quadrata


    "Setz dich doch bitte und mach es dir bequem." sagte Quadrata mit einer einladenden Geste in Richtung der nächstgelegenen Sitzgruppe. "Ich werde domina Iunia Serrana sofort Bescheid geben, dass du da bist." Ohne sich noch länger aufzuhalten, machte sich die alte Sklavin auf den Weg zum Cubiculum, das Senator Sedulus mit seiner Gattin teilte und warf beim Hinausgehen noch einen kurzen irritierten Blick auf die reichlich aufgelöst wirkende Vestalin. Hoffentlich ergab sich die Möglichkeit, von diesem Gespräch ein wenig aufzuschnappen...

    "Ja, da gebe ich dir recht." Laevina nickte bedächtig, den Blick immer noch auf das Bett gerichtet, und ebenso bedächtig legte sich jetzt ihre rechte Hand auf die Schulter des Mädchens und hielt sie so an Ort und Stelle. "Käfer sind ausgesprochen eklig, vor allem, wenn man sie in seinem Bett findet. Ich freue mich sehr, dass wir in dieser Hinsicht einer Meinung sind, Sabina." Die alte Germanica stieß ein leises Seufzen aus und drehte sich dann halb zu der wie immer Pilum bei Fuß stehenden Quadrata hinüber.


    "Nun, da mein Urgroßnichte nichts über die Herkunft dieser Tiere weiß, kommt wohl nur noch die Sklavin in Frage, die heute meine Räumlichkeiten gereinigt hat. Bring sie her, ich will mit ihr reden." Während die alte Leibsklavin schnell aus dem Zimmer huschte, verstärkte Laevina fast unmerklich den Griff ihrer Hand, sprach jedoch in einem fröhlichen Plauderton weiter. "Weßt du, Sabina, im Grunde ist diese Situation aller Unerfreulichkeit zum Trotz doch ganz nützlich. Auf diese Weise kannst du nämlich direkt etwas über den richtigen Umgang mit dem Dienstpersonal lernen. Alt genug dafür bist du mittlerweile."Nur wenig später waren sich schnell nähernde Schritte hörbar, dann betrat Quadrata in Begleitung einer vollkommen verängstigten jungen Sklavin das Cubiculum und schob diese ein Stück näher an ihre Herrin heran.


    "Ach, sie an. Da ist sie schon. Ausgezeichnet. Trygo, nicht wahr?" fragte Laevina, und der Blick, mit dem sie die Sklavin fixierte, strafte ihren fröhlichen Plauderton Lügen. "Nun, Trygo, wir haben dich kommen lassen, damit du uns erklärst, warum du dieses Getier in mein Bett gelegt hast. Du bist nämlich die einizige, die dafür in Frage kommt."


    Die junge Haussklavin, selbst kaum den Kindesbeinen entwachsen, schien bei Laevinas Worten erst zusammen zu schrumpfen, starrte nun ebenfalls auf die Käfer und wurde dann schneeweiß im Gesicht.


    "Bei allen Göttern, das war ich nicht! Wirklich nicht, domina, das schwöre ich! Ich habe nur das Zimmer geputzt und bin dann sofort wieder gegangen. Und ich habe auch nichts angefasst, das würde ich niemals wagen!" Ihr entsetzter Blick glitt immer wieder zwischen Laevina, Sabina und dem Bett hin und her, auf dem die toten Käfer immer noch friedlich und mausetot in einer Reihe lagen.

    Warum starrte die Claudia sie denn nur so an, als wollte sie ihr irgendetwas mitteilen? Ob sie was an der Nase hatte? Laevina, deren Fähigkeit zur Selbstkritik noch weniger ausgeprägt war als ihr allgemeines Mitgefühl anderen Menschen gegenüber, erwiderte Romanas Blick leicht konsterniert bis ihr endlich aufging, um was es der Vestalin augenscheinlich ging. Sie erwartete offenbar nicht nur von ihrer Enkelin, dieser undankbaren kleinen Kröte ein Zeichen des Bedauerns für diesen, zumindest in Laevinas Augen vollkommen unerheblichen Zwischenfall, sondern auch von ihr. Von IHR! Falls Germanica Laevina sich in den fast sechzig Jahren ihres bisherigen Lebens schon einmal für irgend etwas entschuldigt hatte, dann konnte sie sich zumindest nicht mehr daran erinnern. Und jetzt sollte sie auf ihre letzten Tage noch mit so etwas anfangen? Wie überaus demütigend...Laevinas Verstand ratterte und ging auf die Suche nach irgendeinem Schlupfloch, aber es schien keins zu geben. Romana war schließlich nicht nur eine Claudia und einer der wenigen Menschen, die ihr wirklich sympathisch waren, sondern vor allem auch Vestalin, und einen solchen Kontakt durfte man sich keinesfalls durch die Lappen gehen lassen, schließlich wusste man nie, wozu der einmal nützlich sein konnte.
    Laevina brauchte ganze drei Anläufe, in denen ihr Gesicht nahezu blau anzulaufen schien, bis es ihr gelang, die entscheidenden Worte schließlich mit krächzender Stimme herauszuwürgen.


    "Nun...ein derartiger Austausch von familiären Vertraulichkeiten war an einem so erhabenen Ort wie diesem sicherlich unangebracht." So, das musste es aber wirklich gewesen sein, mehr würde sie sicher nicht über sich bringen können, ohne bleibende Schäden an ihrem Gemüt zu riskieren. Wie günstig, dass ihr direkt ein passendes Ausweichthema präsentiert wurde!


    "Die Christen und eine Gefahr? Ha, lächerlich! Das sind doch die, die sich in irgendwelchen Kloaken treffen und einen syrischen Teppichklopfer anbeten. Oder war es ein Assyrer? Egal, irgendeiner von dem unzivilisierten Gesocks dort drüben. Sowas kann doch keine ernsthafte Gefahr für unsere römische Kultur sein!" Laevina schnaubte verächtlich und begann sich allmählich wieder wohler in ihrer Haut zu fühlen.