Beiträge von Flavia Nigrina

    Nigrina tat in dieser Nacht kein Auge zu. Sie lag wach bis zum Morgengrauen, und als ihr Mann aufwachte und sie noch mal nahm, lag sie dieses Mal wie üblich einfach nur da und ließ es geschehen, anders als noch am Abend zuvor. Dass sich etwas geändert hatte, merkte er nicht – nicht während er sich noch mit ihr beschäftigte, nicht als er danach noch bei ihr lag für einige Zeit, nicht als er schließlich ging und sie allein ließ. Für ihn war alles wie immer. Für sie hatte sich alles geändert. Worüber sie schon seit Wochen nachdachte, im Ansatz sogar schon plante, jetzt war der Moment, in dem sie beschlossen hatte, dass sie es umsetzen würde: sie würde verschwinden. Wenn sie es jetzt nicht tat, würde sie kaum noch eine Chance dazu haben, mit dem Krieg vor der Haustür. Jetzt gab es noch Möglichkeiten, verhältnismäßig gute sogar: die Garde würde bald ausrücken, die Urbaner wären alleine in Rom. Ausgangssperre gab es ohnehin nicht mehr. Sicher bestand die Möglichkeit, dass Vescularius verlor, und Nigrina hoffte und betete inbrünstig, dass genau das passierte. Aber wenn Vescularius gewinnen sollte, dann war damit vielleicht ihre einzige Chance dahin, aus dieser elenden Ehe zu fliehen. Nein, falls der Kerl gewann, wollte sie weg sein aus Rom, und irgendwo, in irgendeinem angenehmen Exil ihr Leben verbringen, mit ihrem Vater, ihrer Familie, und es würde umso schwerer zu erreichen sein, wenn der Krieg erst mal für Vescularius gewonnen war. Es würde jetzt schon schwer genug sein, wobei es immer noch Orte gab, wo Verwandte waren... Baiae, beispielsweise. Sie wusste, dass in Baiae immer noch jemand war, vielleicht nicht unbedingt auf den flavischen Gütern, aber in dort irgendwo, bei Menschen, die ihnen treu ergeben waren. Tante Agrippina war sicher noch dort, Nigrina konnte sich nicht vorstellen, dass sie Baiae verlassen hatte. Vielleicht sogar ihr Vater, wer wusste das schon. Und falls Vescularius doch verlor... würde sie immer noch zurück kehren können. Wenn Gras über die Sache gewachsen war, diese unangenehme Sache, die sich da ihre aktuelle Ehe nannte. Sie würde das nicht ungeschehen machen können, das wusste sie, dieser Makel würde immer irgendwie an ihr haften. Verheiratet mit einem Plebejer. Einem Barbaren. In einem Rom unter Cornelius würde ihr Status zumindest zunächst mal nicht wesentlich höher sein als jetzt... es konnte also vielleicht nicht schaden, wenn dann etwas Zeit verging. Aber das war eine Entscheidung, die sie ihrem Vater überlassen würde, vorausgesetzt sie schaffte es, ihn zu finden.


    Es war gar nicht mal so schwer, das, was sie ohnehin schon geplant hatte, nun auch in die Tat umzusetzen. Es dauerte ein paar Tage, bis alles vorbereitet war... Tage, in denen sie versuchte sich zu geben wie immer, damit ihr Mann keinen Verdacht schöpfte, was ihr allem Anschein nach auch gelang. Es war auch nicht allzu schwer – unter einer gewissen Anspannung stand sie in seiner Gegenwart ja ohnehin. Sie weihte nur wenige ein, wenige, von deren Loyalität sie absolut überzeugt war. Sie beauftragte einen von ihnen, das Land zu verkaufen, das auf ihren Namen eingetragen war, um an Geld zu kommen, das sie so dringend brauchte, und das sie momentan in so – für das, was sie gewohnt war – geringem Maß nur zur Verfügung hatte. Der flavische Klient erzählte ihr etwas davon, dass er es über einen Mittelsmann an die Auctrix verkauft hätte, aber das interessierte sie schon gar nicht mehr. Wichtig war nur: sie hatte Geld. Geld, mit dem sie nun weiteres organisieren konnte: einen Transport aus der Stadt. Einen Schutztrupp, der sie begleiten würde. Sie verdrängte jeden Gedanken daran, was beim letzten Mal passiert war, entschied sich aber zähneknirschend dazu, dass sie dieses Mal reiten würde. Nicht selbst, das konnte sie gar nicht, sie hatte noch nie auf einem Gaul gesessen, aber gemeinsam mit ihrem Leibwächter. Sie wollte schnell fortkommen, und es gab dieses Mal keine Schwangerschaft, die ein unbestreitbarer Hinderungsgrund war – aber selbst wenn es eine gegeben hätte, wäre es kein wirklicher Grund gewesen, legte sie doch ganz sicher keinen Wert darauf, ein Balg von ihrem jetzigen Mann lebend zur Welt zu bringen. Und nachdem das alles organisiert war, blieb noch eines zu tun. Eine Sache, bevor sie gehen konnte. Scordiscus. Auch darüber hatte sie sich Gedanken gemacht, mehr und ausgiebiger sogar als für alles andere. Nicht, weil sie nachdenken musste, was sie tun wollte – sondern weil sie sich überlegen musste, wie sie es tun wollte. Und weil sie es sich gern ausmalte. Am Abend ihrer Flucht brachte sie ins Rollen, was als einzig logische Variante schien. Sie hatte Gift besorgt. Eisenhut, hatte ihr der Sklave gesagt, aber auch das war ihr egal. Wichtig war nur: es war ein starkes Gift. Ein schnelles. Und mehr als alles andere: ein schmerzhaftes. Sie hatte ja durchaus mit dem Gedanken gespielt, ihn eigenhändig zu töten, aber sie wollte auch, dass er litt, und sie wusste, dass sie nicht stark genug war, um ohne Hilfsmittel dafür zu sorgen. Sie war ihm körperlich unterlegen, daran führte nichts vorbei. Und da sie niemanden sonst dabei haben wollte, wenn ihr Mann in die Unterwelt wechselte, blieb wohl nur Gift übrig... was auch noch den weiteren Vorteil hatte, dass am nächsten Morgen kaum noch sichtbare Spuren da sein würden, die darauf hinwiesen, woran er gestorben war. Er konnte auch krank gewesen sein, oder plötzliche Schwierigkeiten bekommen mit irgendwelchen Innereien. So was passierte, Menschen starben die ganze Zeit, und nur für den Fall, dass sie irgendwann nach Rom zurückkehren konnte und ihr das irgendjemand ankreiden wollte: dann war es schlicht und ergreifend besser, wenn er nicht eines offensichtlich unnatürlichen Todes gestorben war. Kein Messer durch die Kehle, so gern sie das auch getan hätte, oder es sich zumindest vorstellte.
    Gift also war es, das Scordiscus' Ende brachte. Sie zogen sich zurück, an jenem Abend, er begleitete sie, wie so häufig... aber der schwere, süße Wein, den er in ihrem Cubiculum trank, überdeckte den zuerst ebenfalls süßlichen Geschmack des Gifts. Er kam zu ihr, nachdem er seinen Kelch zur Hälfte geleert hatte, und küsste sie, wollte sie küssen, aber sie konnte gerade noch den Kopf zur Seite drehen, und seine Lippen trafen ihren Hals. Irrte sie sich, oder spürte sie ein merkwürdiges Kribbeln auf ihrer Haut, dort, wo seine Lippen, noch feucht vom Wein, sie berührten? Sie war sich nicht sicher. Trotzdem löste sie sich von ihm, verzog nur ihre Mundwinkel zu einem belanglosen Lächeln und griff nach ihrem eigenen Weinbecher, den sie wohlweislich aus dem Triclinium mitgebracht hatte. Stellte ihm ein paar Fragen, so belanglos wie ihr Lächeln, aber er ließ sich darauf ein, antwortete... und trank ebenfalls erneut. Sie unterhielten sich weiter, nicht sonderlich lang, weil er nicht auf ein Gespräch aus war... aber das Gift brauchte auch nicht lang, um zu wirken. Noch während er erneut zu ihr kam, hielt er plötzlich inne, reagierte nicht auf eine unschuldige Nachfrage von ihr, was denn los sei, sondern befühlte nur seine Lippen. Besah sich seine Finger. Runzelte die Stirn, und sagte dann nur, dass er sich plötzlich nicht gut fühlte. Nigrina bot ihm an, sich auf ihr Bett zu setzen, was er auch tat, vielleicht noch einen Schluck Wein zu trinken – was er ebenso tat. Allerdings nur einen. Während seine Haut vor Schweiß zu glänzen begann und er sich mit einer Hand an den Bauch fasste, sah er auf, und in diesem Moment konnte Nigrina das Erkennen in seinen Augen aufblitzen. Aber da war es schon zu spät. Fassungslos starrte er sie an, dann wurde er schon vom ersten Krampf geschüttelt, der seinen Magen erfasste. Er sank zurück auf das Bett, rief nach jemandem, aber dafür hatte Nigrina gesorgt, dass kein Sklave in der Nähe war, der nicht loyal zu ihr war. Sie schenkte ihm ein Lächeln, ein letztes, und ignorierte die Tiraden, die er nun gegen sie losließ. Er schimpfte, er fluchte, er bettelte, aber sie reagierte gar nicht, sagte nichts darauf, sondern betrachtete ihn nur schweigend. Sie hatte sich in einen Sessel sinken lassen, nippte an ihrem Wein und beobachtete mit einer Mischung aus Genugtuung und Faszination, wie es mit ihm zu Ende ging. Wie er von Krämpfen geschüttelt wurde. Wie er sein Abendessen los wurde, sowohl oben als auch unten – an dieser Stelle spürte sie auch Ekel, aber die Genugtuung war eindeutig stärker. Zu betrachten, wie er sich wand vor Schmerzen, das war es, was sie sehen wollte, und sie sah es... sah alles, bis er schließlich still war. Es vergingen noch einige weitere Momente, in denen sie einfach da saß und ihren nun toten Mann musterte. Dann erhob sie sich mit einem Ruck, und ohne einen Blick zurückzuwerfen, verschwand sie – aus dem Raum, aus dem Haus, und schließlich aus der Stadt.

    Es war spät. Sehr spät. Mitten in der Nacht, irgendwann – vielleicht sogar schon so spät, dass es bald schon wieder als sehr früh bezeichnet werden könnte, in jedem Fall aber jene Phase der Nacht, in der es am dunkelsten, am kältesten, am stillsten war. Trotzdem lag Nigrina wach, unfähig zu schlafen. Und genauso unfähig, aufzustehen und sich anderweitig zu beschäftigen. Weil sie nicht alleine war, weil heute eine dieser Nächte war, in denen ihr Mann geblieben, einfach neben ihr eingeschlafen war, und sie vermeiden wollte, dass er aufwachte. Sie wusste, wie er dann reagieren würde, es gab nur zwei Arten, die da möglich waren.
    Wäre er nicht da, könnte sie also wenigstens aufstehen und etwas tun, anstatt einfach nur dazuliegen, in die Dunkelheit zu starren und darauf zu warten, dass sie endlich einschlief – andererseits: wäre er nicht da, hätte sie von vornherein keine Schwierigkeiten damit zu schlafen. Er war das Problem. Sie hasste es, wenn er blieb. Sie hasste ihn. Seine Art, seine Berührungen, seine Stimme, wie er sich bewegte und redete und verhielt, kurz, sie hasste einfach alles an ihm. Vor allem aber hasste sie, wie er sie behandelte. Sie war sich ziemlich sicher, dass die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte – aber er war derjenige, der die Macht ausübte. Sie hatte keinen Verhandlungsspielraum, keine Position, in der sie irgendetwas für sich in die Waagschale hätte werfen können: keine Familie, deren Einfluss und Ruf sie schützte, keine sonstigen Fürsprecher, die mächtig genug waren, dass man es sich besser nicht mit ihnen verscherzte, indem man sich ihr gegenüber falsch verhielt. Sie hatte nicht einmal genug Vermögen, was ihr die ein oder andere Annehmlichkeit hätte erkaufen können. Zeit ihres Lebens war ihr Vater für sie aufgekommen, auch dann noch als sie schon verheiratet gewesen war, das erste Mal, hatte er sie weiter finanziell unterstützt, hatte dafür gesorgt, dass es ihr an nichts mangelte, an keinem Luxus, nach dem ihr gerade der Sinn stand. Jetzt besaß sie nicht einmal genug, um sich wenigstens ab und zu etwas Extravagantes leisten zu können, geschweige denn ihren Mann halbwegs im Zaum halten zu können. Oder besser: sie konnte nicht darauf zugreifen. Das Vermögen ihrer Familie war entweder beschlagnahmt oder ihrem Zugriff entzogen, und das, was auf ihren Namen lief, die Einnahmen aus der Pferdezucht beispielsweise, kontrollierte ihr Mann – und es spielte keine Rolle, ob das nun rechtens war oder nicht. Es gab niemanden, bei dem sie sich hätte beschweren können. Bei wem auch? Dem Vescularius oder einem seiner Lakaien? Sicher nicht. So tief würde sie nicht sinken, dass sie das tun würde, dass sie sich anmerken ließ, wie sehr sie das störte, wie sehr sie eingeschränkt war... selbst wenn dieser Emporkömmling, der sich nun Kaiser schimpfen durfte, seine Töle zurückgepfiffen hätte. Was sie aber ohnehin nicht glaubte.
    Sie hasste dieses Leben, in das sie gezwungen worden war. Nicht nur, dass sie kaum Freiheiten hatte und weniger Luxus als früher, nicht nur, dass er alles kontrollierte, auch, dass sie schlicht und einfach an Einfluss verloren hatte hasste sie. Ihre Bekannten, Freundinnen... die, die noch da waren, die nicht geflohen waren oder selbst unter dem Regiment des neuen Kaisers litten, hatten sich von ihr abgewandt. Natürlich. Hätte sie auch nicht anders gemacht. Trotzdem hasste sie sie dafür. Erst recht, weil nichts, was sie versucht hatte in den letzten Wochen, um sich wieder ein wenig empor zu arbeiten in den weiblichen Gesellschaftskreisen, etwas gebracht hatte. Sie war verfemt, ausgestoßen, zwar geduldet in den Kreisen, wenn sie kam – aber Außenseiterin. Wäre ihr Mann wenigstens schon Senator, wäre es vielleicht ein bisschen besser... auch wenn es ein offenes Geheimnis war, wie mies diese erzwungene Ehe war, war sie doch mit ihm verheiratet, und ein höherer Status für ihn resultierte zwangsläufig auch in einem besseren für sie. Aber er war noch kein Senator. Und Nigrina fragte nicht, wann es so weit sein würde. Oder wie seine Planungen überhaupt aussahen.
    Am meisten von allem hasste sie aber wahrscheinlich, was aus ihrem Leben geworden war, abseits von dem Mangel an Luxus, an Geld, an Einfluss und Macht. Sie empfand nur dann wirklich Ruhe, wenn er nicht im Haus war. War er da, reagierte sie unweigerlich darauf. Er musste nur nach Hause kommen, und sie spürte schon, wie ihr Puls anstieg, ihr Magen flatterte, ihre Beine weich wurden, ihre Ohren und Wangen leicht zu brennen anfingen, weil sich eine nervöse Anspannung in ihr breit machte. Er musste gar nichts tun. Er musste noch nicht einmal im selben Raum sein. Er musste nur im Haus sein, das genügte völlig, und sie stand unter Spannung. Anfangs hatte sie sich noch über sich selbst geärgert, wenn sie sich dabei ertappt hatte, wie sie vorsichtig geworden war, bemüht, leise zu sein, in der Hoffnung seine Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen. Mittlerweile war das so sehr zur Gewohnheit geworden, dass sie nur noch selten darüber nachdachte, geschweige denn sich ärgerte über sich. Es gab durchaus Tage, an denen alles wie normal schien, ihre Gespräche, ihrer beider Verhalten. Aber es gab eben auch die Tage, an denen sie ihm nichts recht machen konnte. An denen er nur Dinge auszusetzen hatte an ihr, was er ihr dann auch regelmäßig kundtat, mal scharf, mal laut, aber immer irgendwie unangenehm – vor allem, weil sie nichts kontern konnte. Auch das hatte sie anfangs noch getan, schon allein aus Prinzip, sie konterte immer irgendwie. Aber Widerspruch machte es nur schlimmer, und auch hier war sie irgendwann an den Punkt gekommen, an dem sie... aufgab. Sie zog einfach immer den Kürzeren. Er ließ sie nicht gehen, hörte nicht auf, bis er den Eindruck hatte, dass sie eingesehen hatte, dass sie unterlegen war, und er wurde auch gerne mal handgreiflich dabei, gerade wenn sie widersprach und sich weigerte, sich demütigen zu lassen. Er wusste genauso gut wie sie, dass sie keine andere Wahl hatte als zu bleiben. Er wusste genauso gut wie sie, dass es keine Familie, keine Freunde gab, in deren Arme sie flüchten könnte... und dass der Kaiser auf seiner Seite war. Immerhin hatte der sie ja verschachert. Und er nutzte das aus.


    Sie lag da und starrte in die Dunkelheit, während sie den Atemzügen neben sich lauschte. Die Nächte waren noch mal eine Sache für sich. Unterschiedlich, je nach seiner Stimmung. Es war nicht immer schlecht, nur... sie wollte gar keinen Spaß mit ihm haben. Sie verabscheute ihn zu sehr, um das zu wollen. Und in den Nächten, in denen es irgendwie doch dazu kam, weil er gut gelaunt war und auf sie einging, weil sie sich nach Berührung und Lust sehnte und sich nicht gut genug unter Kontrolle hatte, ekelte sie sich danach vor sich selbst. Und dann gab es freilich noch die Nächte, in denen er schlecht gelaunt war – auch da fiel es ihr schwer, beherrscht zu bleiben, keine Reaktion zu zeigen, weil es zu unangenehm war. Meistens allerdings gelang es ihr ganz gut, ihn einfach machen zu lassen, ohne dass sie sonderlich beteiligt war. Sie kapselte sich ab und ließ ihre Gedanken schweifen, bis er fertig war, das war der Usus, betrachtete man ihre Bettaktivitäten. Heute aber war so eine Nacht, in der er gut gelaunt gewesen war – die Garde war dabei auszurücken, um den Truppen im Norden gegen die Rebellen zu helfen, und er war felsenfest überzeugt, dass sie bald siegreich nach Hause kommen würden. Gut gelaunt war er also gewesen, und überraschend aufmerksam ihr gegenüber, und sie, sie hatte nicht anders gekonnt als darauf zu reagieren, hatte sich zu sehr geöffnet, hatte es genossen... Vielleicht war das der Grund, warum sie es nicht ertrug, nun einzuschlafen, mit ihm an ihrer Seite. Sie hasste sich selbst, sie hasste seine Nähe, und sie ekelte sich vor dem Gedanken, am nächsten Morgen womöglich an ihn geschmiegt aufzuwachen. Sie wollte nicht mehr. Sie hatte schon öfter den Gedanken gehabt, dass sie das nicht mehr lange ertragen würde, dass sie nicht mehr wollte, nicht mehr konnte, aber noch nie war er so drängend gewesen wie in diesem Moment: sie wollte einfach nicht mehr. Das war nicht sie. Dieses Leben, die Demütigungen, die Unterdrückung, und sich das alles einfach gefallen lassen zu müssen, keine Möglichkeit, keine Handhabe sich wirklich dagegen zu wehren, das alles war einfach nicht sie.

    Ein grandioses Fest. Oder das, was ihr herzallerliebster Gatte vielleicht dafür halten mochte. Und der Kaiser. Und alle anderen, die weder Geschmack noch Stil aufzuweisen hatten. An Geld konnte man irgendwie kommen, aber Geschmack hatte man – oder man hatte ihn nicht. Pompös war es gewesen, das schon, aber es war nicht das, was Nigrina sich unter einem wirklich grandiosen Fest vorstellte, dafür war es... zu... zu pompös. Zu protzig. Zu sehr zur Schau gestellt, ach wie toll Vescularius und seine Spezln alle waren und wie viel sie hatten und konnten und erreichten. Wie schon erwähnt: Geld konnte man irgendwie bekommen. Geschmack hatte man. Oder eben nicht.
    Gut, in Nigrinas Welt war auch Geld etwas, was man einfach hatte.... aber es ließ sich natürlich vermehren, und sie hatte mit einiger Überraschung festgestellt, dass der Domitius gar nicht mal so arm war. Als sie dann gehört hatte, dass der Kerl von seinem Gönner als Quaestor in einer der reichsten Provinzen eingesetzt gewesen war, hatte sie das weniger gewundert, und zähneknirschend hatte sie sich zudem zumindest selbst eingestehen müssen, dass ihr zweiter Ehemann nicht ganz so stockdumm sein konnte, wie man es von einem Barbaren wie ihm eigentlich hätte erwarten müssen, wenn er es schaffte sich doch ein recht ansehnliches Vermögen anzuhäufen. Und, ja, gut, vielleicht hatte auch seine Familie ein bisschen was beigesteuert, die immerhin irgendwelche Fürsten in irgendeinem Barbarenkaff waren, wie sie gelernt hatte. Wie ihr Mann ihr recht eindrücklich klar gemacht hatte. Sie hatte ihn vor der Hochzeit nicht wirklich oft gesehen, nur die paar Mal, die nötig waren, um die Verlobung zu schließen und die Hochzeit zu besprechen, aber die paar Mal hatten gereicht, um ihr das ein oder andere klar werden zu lassen: er war nicht so schüchtern, wie ihr erstes Treffen sie hatte annehmen lassen. Er hatte wenig Skrupel. Und er konnte es nicht ausstehen, wenn sie über ihn oder seine Familie herzog.
    Er mochte in der großen Runde, in Gegenwart des Kaisers zurückhaltend, fast schüchtern gewesen sein... aber das war er nicht. Oder vielleicht war auch nur ihre Gegenwart weit weniger einschüchternd als die des Vescularius. Oder er war einfach kein Großmaul. Alles drin. In jedem Fall war er lange nicht so zurückhaltend wie sie gedacht hatte, sondern im Gegenteil ziemlich... bestimmt. Und er hatte ihr sehr bestimmt klar gemacht, was er davon hielt, wenn sie abfällig wurde, ihm gegenüber oder sonst wem, der in etwa auf seiner Stufe stand – nämlich gar nichts. Genauso wie er klar gemacht hatte, was er von ihr erwartete, nämlich die brave Ehefrau zu spielen und sich mit allem zurückzuhalten, was ihm missfallen könnte... Das Problem war: sie wussten beide, dass sie keine Wahl hatte. Sie hatte niemanden, der sie schützen konnte, der eingreifen konnte. Ihre Familie war in alle Himmelsrichtungen verstreut, es war einfach niemand da. Nicht einmal jemand, der überhaupt etwas tun könnte, geschweige denn jemand, dessen Existenz allein schon genug Gewicht besaß, um die Sicherheit seiner Verwandten zu garantieren. Sonst wäre Nigrina ja gar nicht erst in diese missliche Lage gekommen, erneut heiraten zu müssen, und dann noch diesen Barbaren.


    Die Hochzeitsfeierlichkeiten waren entsprechend größtenteils seinen Vorstellungen gemäß organisiert worden – und Nigrina hatte sich darüber hinaus wenig Mühe gegeben, der Veranstaltung wenigstens ein bisschen ihr Siegel aufzudrücken. Wozu auch? Sie wollte diese Hochzeit ja gar nicht. Selbst wenn sie diesmal alles wesentlich freier hätte organisieren können – warum sollte sie sich anstrengen? Also hatte sie nicht einmal wirklich eigene Vorschläge gemacht, hatte nur aufgenommen, was er wollte... und danach alles an Sklaven weiter geschoben. Stattgefunden hatte die Hochzeit also in der Casa Domitia, schon allein deshalb, weil Nigrina ganz sicher nicht zugelassen hätte, dass die Villa Flavia durch so etwas beschmutzt wurde... Und jetzt, nach einer zumindest für sie eher durchwachsenen Hochzeitsnacht – wobei sie kaum Zweifel hatte, dass zumindest er auf seine Kosten gekommen war –, stand der Empfang am nächsten Tag an, zu dem sie noch einmal größer eingeladen hatten als zur Hochzeit selbst, wenn möglich. Und auf den sie auch keine Lust hatte... das einzige, womit sie zufrieden war, war ihr Aussehen, bei dem sich ihre Sklaven selbst übertroffen hatten: ihr Kleid ein Traum aus verschiedenen Schichten dünner Seide, die in den Blau- und Grüntönen des Meeres gehalten war; ihre Haare zuvor kunstvoll in eine Lockenpracht verwandelt, die sich nun wie ein Wasserfall über ihren Rücken ergoss, der jedoch sorgsam eingefasst war an ihrem Kopf, so dass keine Strähne nach vorne entweichen konnte außer jenen, die ihr Gesicht auch umrahmen sollten, und verziert war mit winzigen Nadeln, deren Köpfe mit kleinen Saphiren besetzt waren, die blau zwischen ihren Strähnen hervorblinkten; dazu ihr fein geschminktes Gesicht und zwei schmale, ebenfalls blaue Tropfen an ihren Ohren. Doch, mit ihrem Aussehen war sie zufrieden. Aber das war auch alles. Trotzdem würde sie für diesen Empfang ebenso wie für die Hochzeit die Zähne zusammenbeißen und gute Miene zum bösen Spiel machen. Was blieb ihr auch anderes übrig.


    Sim-Off:

    Ich hoffe man verzeiht mir, dass ich diesmal darauf verzichtet habe, jedem eine gesonderte Einladung zu schicken. Allerdings gilt: jeder in Rom, der zur höheren Gesellschaftsschicht gehört, ist herzlich eingeladen – das gilt insbesondere für jene, die zu Salinators engerem Dunstkreis zählen, aber selbstverständlich auch für alle anderen :)

    Nigrina tat, was sie konnte, was sie wusste, und sie wusste einiges. Aber viel half es nicht, um den Akt für sie angenehm zu machen – richtig angenehm, so, dass sie vom Stadium der Wut in den der Leidenschaft kommen konnte, der Hingabe, des Genusses. Es forderte sie, es war anstrengend, und daher wenigstens bis zu einem gewissen Grad dazu geeignet, Anspannung abzubauen... aber viel mehr auch nicht.
    Als er dann – plötzlich – fertig war und sich von ihr löste, fühlte sie sich nicht angenehm erschöpft. Nur ausgelaugt und fertig. Sie sank zunächst ebenfalls nach vorne, auf das Bett, spürte aber sofort die Bewegung neben sich, spürte ihn neben sich, und noch bevor er den Mund aufgemacht hatte, befand sie sich schon im Ansatz der Bewegung aufzustehen. Sie verspürte nicht die geringste Lust dazu, jetzt noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Als seine Stimme erklang, hielt sie kurz inne, sagte aber nichts, sondern schnitt nur eine Grimasse dazu und stemmte sich endgültig hoch. Ein flüchtiger Blick streifte die Überreste des Fetzens, den sie zuvor angehabt hatte, aber der taugte jetzt noch nicht mal mehr zum Boden wischen, fand sie. Und so verließ sie nackt, wie sie war, das Gemach des Vescularius.

    „Oh, nicht doch. Du hast nur eine Flavia in deiner Bekanntschaft, die einen deiner... Freunde heiratet“, konterte Nigrina, zuckte aber gleich darauf die Achseln. Sie wusste, dass das nur zu einer weiteren Ablehnung führen würde, und obwohl es sie freute zu sehen, dass der Barbar enttäuscht war, und das Messer gern noch ein wenig in der Wunde umgedreht hätte – das war es nicht wert. Die eigentliche Zielscheibe von Vescularius war ja sie... und das würde sie auch bleiben, auch wenn es ihr hin und wieder gelang, Nadelstiche in eine andere Richtung abzulenken. „Aber du hast wohl recht. Die Casa Domitia eignet sich mit Sicherheit vorzüglich für ein pompöses Fest dieser Größenordnung.“ Diesmal bedachte sie mit ihrem Lächeln tatsächlich ihren Zukünftigen – freilich in der Hoffnung irgendein Anzeichen davon zu sehen, dass dem nicht der Fall war. Dass die Hütte eines Barbaren, selbst wenn er mittlerweile in Rom eine hatte, eben nicht den Anforderungen einer Eheschließung standhalten würden, bei der der Kaiser auf der Gästeliste stand mit einem Häkchen bei kommt, und bei der eine Flavia die Braut war.

    Keine Wünsche also, diesmal nicht. Das hieß, nicht vom Vescularius. Diesmal warf Nigrina einen flüchtigen Seitenblick zu ihrem Zukünftigen, einen der wenigen bislang, und betrachtete ihn kurz mit ausdrucksloser Miene. Dann setzte sie wieder ein Lächeln auf und flötete zum Kaiser: „Wie wäre es denn, wenn wir die Hochzeit hier feiern, Imperator? Einer deiner Vertrauten ehelicht eine Flavia, wäre es nicht passend, das hier auf dem Palatin zu feiern?“

    Was dann kam, war nicht wirklich überraschend für Nigrina. Nicht nachdem sie schon den ganzen Abend versucht hatte, ihn zu provozieren. Nicht nach der letzten Beleidigung. Und sie hatte das gewollt – nicht unbedingt dass er sie auf diese Art nahm, aber dass er sich endlich provozieren ließ von ihr, so sehr, dass auch er seine Beherrschung fahren ließ. In diesem konkreten Moment vögelte er sie nicht, weil er entschieden hatte dass es so weit war, sondern weil sie ihn provoziert hatte. Das war ihr Triumph, und mochte der auch noch so klein sein.
    Und teuer erkauft. Denn obwohl sie gewusst hatte, worauf ihre Provokationen hinauslaufen würden, obwohl sie es darauf angelegt hatte, und obwohl sie die raue Art mochte, änderte es freilich nichts daran, dass Vescularius selbst für ihren Geschmack zu wenig Rücksicht nahm. Nigrina fluchte und beschimpfte ihn zwischen unartikulierten Lauten äußerst undamenhaft, während sie gleichzeitig tat, was sie konnte, damit sie auch auf ihre Kosten kam, bewegte sich in ihrem Rhythmus, so gut es ging, bog und wand sich, setzte ihre Finger ein, und versuchte sich einfach darauf einzulassen, auf ihn, und auf seine Grobheit, die ihre Erregung beständig auf Messers Schneide balancieren ließ.

    Wie genau schaffte sie das noch mal immer, dass Männer so sie reagierten? Mit Sextus war es genauso gewesen, selbst in ihrer Hochzeitsnacht, als sie zumindest mit Männern noch keinerlei Erfahrungen gehabt hatte. Nicht dass sie so etwas störte, ganz im Gegenteil, sie mochte die raue Tour lieber... aber sie schien es zu schaffen sie auch dann zu bekommen, wenn das eigentlich gar nicht ihre Absicht gewesen war.
    Vescularius in jedem Fall hatte sich ihr mit einer Schnelligkeit genähert, die sie ganz sicher nicht erwartet hätte, und so stand sie ziemlich perplex da, als er ihr den Kelch aus der Hand schlug, so grob, dass er einen Bogen in der Luft beschrieb und der Wein sich in die Luft erhob, bevor er größtenteils einen Platz auf einem Vorhang fand. Und bevor sie es sich versah, hatte er sie auch schon gepackt, zum Bett geschleift und darauf geworfen. Labersäcke... er hatte keine Ahnung von Sextus, nicht die geringste, ging es ihr durch den Kopf, und für einen winzigen Moment sehnte sie sich nach ihrem Mann, der das wohl nicht mehr lange sein würde, und wünschte sich, er wäre hier.
    Der Moment dauerte genau so lange, wie Vescularius brauchte, um über ihr zu sein und ihr das bisschen Stück Stoff vom Leib zu reißen, das sie an hatte, und alle Gedanken, die über das Jetzt hinausgingen, waren fort. Einen Augenblick lang blieb sie liegen, rührte sich nicht, starrte ihn nur an, mit einer Mischung aus Wut, Trotz – und einem Aufflackern von Erregung. Ob sie es wollte oder nicht, es war da, und die ohnmächtige Wut, die sie die ganze Zeit schon hatte unterdrücken, die sie hatte beherrschen müssen, was ihr selbst zu besten Zeiten nicht wirklich lag, forderte seinen Tribut und fachte das tobende Chaos in ihr nur an. Sie brauchte ein Ventil, sie wollte eines, und Sex eignete sich hervorragend dafür, wenn man sich nur darauf einließ. Dass sie den Vescularius hasste, war da kein Hinderungsgrund, ganz im Gegenteil... und der Wein, den sie bisher getrunken hatte, trug seinen Teil dazu bei, auch die letzten Hemmungen wegzuschwemmen, von denen Nigrina ohnehin weniger hatte als andere. Sie richtete ihren Oberkörper leicht auf und stützte sich mit einem Ellbogen hinten ab, so dass ihr Kopf dem seinen näher kam. „Da wird Varena gar nicht begeistert sein. Der Fetzen gehört ihr“, fauchte sie in einer Mischung aus Spott und vorgeschütztem Tadel, bevor sie mit ihrer freien Hand zwischen seine Beine griff. Sie wusste selbst nicht, was sie ritt. Sie wusste nur dass sie keine Lust darauf hatte die brave Gespielin zu geben, die tat was er erwartete, keine Lust, irgendetwas vorzuspielen, und wenn es nur war so zu tun, als wollte sie ihn... obwohl sie jetzt Sex wollte, um endlich den Druck abzubauen, der sich die ganzen letzten Tage angestaut hatte. Vielleicht war es letztlich einfacher, angenehmer, in gewisser Hinsicht erleichternd, sich nicht mehr beherrschen zu müssen, loszulassen, sich endlich mal wieder geben zu können wie sie war, wie sie sich gerade fühlte, weil es jetzt, in dieser Situation, einfach egal war. „Wenn du meinst dass ich einen richtigen Mann brauche, solltest du einen reinholen!“

    Wieder verzogen sich Nigrinas Lippen zu einem Lächeln, zwangsläufig, weil freilich so einige in das Gelächter einstimmten. Und natürlich wurde auch nichts aus ihrem Versuch, noch etwas Zeit herauszuschlagen. Sie rang sich ein „Hervorragend!“ ab, in einem Tonfall, in dem mehr beißender Spott lag als gespielte Euphorie, bevor sie fortfuhr: „Ich gehe mal davon aus, dass ich eine Liste mit den gewünschten Gästen bekomme... sowie mit weiteren Details, die bei der Zeremonie gewünscht werden.“ Eigentlich war das an ihren Zukünftigen gerichtet, aber sie sah den Kaiser dabei an. Warum sollte sie auch die einzige sein, die hier gedemütigt wurde? Auch wenn es wohl nur ein kleiner Stich war, wenn überhaupt, und kein sehr besonders kluger. „Wo soll denn übrigens der erste Teil der Zeremonie stattfinden?“ Eigentlich ja in der Villa Flavia... aber Nigrina war sich nicht so sicher, ob sich der Vescularius an diese Konvention halten würde.

    Nigrina folgte ihm, und ihr innerer Widerstreit nahm noch zu. Sie wollte nicht. Wenn er wenigstens Patrizier wäre. Oder wenigstens einem alten Geschlecht entstammen würde. Oder besser aussehen würde! Sie hatte ja nicht einmal unbedingt was gegen Männer, die sich so aufführten wie er, und wenn sie ehrlich war, musste sie zugestehen, dass sie ihn in gewisser Hinsicht bewunderte, dafür, wie er auftrat, wie er erreichte was er wollte... aber er war eben auch wer er war, er war nicht anziehend, er benahm sich daneben und er hatte noch nicht einmal den Anstand, sie mit dem Respekt zu behandeln, der ihr zustand! Und trotzdem war sie hier, an seiner Seite, und ging freiwillig mit ihm mit. Mehr oder minder. Sie kratzte sich am Oberarm und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Ich teile nicht gern“, gab sie spitz zurück. Jetzt, wo sie die Gäste zurück gelassen hatten, wo sie um ihren Ruf hätte fürchten müssen – wenn es da überhaupt noch was zu fürchten gab, wo sie doch nun hier lebte, aber wenigstens der Schein wollte ja gewahrt bleiben – und mit dem, was sie vor sich hatte, bröckelte ihre Beherrschung mehr als zuvor. Sie sah einfach wenig Sinn darin, ihre Zunge jetzt noch zu zügeln, und so fügte sie mit einem etwas sarkastischen Lächeln an, ihr Tonfall jedoch so spitz wie zuvor: „Sie kann uns gern Gesellschaft leisten... aber dann sieht entweder sie zu oder du.“ Was ein wenig übertrieben war. So lange sie selbst im Mittelpunkt stand, würde sie es wohl auch nicht stören, wenn sie alle drei aktiv waren, mutmaßte Nigrina, auch wenn sie das jetzt noch nicht ausprobiert hatte. Aber sie wusste die Vorzüge von Frauen – Sklavinnen, vornehmlich – durchaus zu schätzen, und sie hatte ebenso schon die Erfahrung gemacht, dass sie es erregend fand, wenn jemand zusah.


    Was allerdings dann geschah, hätte Nigrina nicht erwartet. Fangen wir gleich an? Was war das denn bitte? Sollte sie jetzt etwa ihn verführen? Wer war denn hier die Geißel, konnte sie da nicht wenigstens ein bisschen mehr erwarten? Oder glaubte er leichtes Spiel zu haben, weil sie mitgekommen war? Ihre Zähne knirschten ganz leicht, als sie ein Lächeln aufsetzte. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, strich nach oben bis zur Schulter... setzte sich dann in Bewegung, ging hinter ihn, langsam, und noch langsamer zog sie ihre Hand mit, die über seinen massigen Rücken glitt. Kurz bevor sie wieder auf seiner anderen Seite nach vorne hätte kommen können, stoppte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um näher an sein Ohr heran zu kommen. „Oh. Du magst keine langen Vorreden? Kein Wunder, dass dir der Senat so ein Dorn im Auge ist.“ Abrupt löste sie sich von ihm und ging hinüber zu einem Tisch, wo Getränke aufgestellt waren. Ohne zu fragen, schenkte sie sich einen der Becher voll mit dunkelrotem Wein, der allein dem Geruch nach zu schließen schwer war – und der Geschmack bestätigte das gleich darauf, als sie trank. Sehr gut. Das konnte sie gebrauchen, jetzt. Davon würde sie wohl noch mehr gebrauchen können.

    Nigrina bekämpfte den Impuls, die Augen zu schließen. Oder zu verdrehen. Oder einfach herum zu schnauzen, dass ihr der Termin herzlich egal war. „Wie wär's mit vier Tage später“, murmelte sie. Dann konnte ihr dann wohl frisch Angetrauter gleich in die Unterwelt fahren... Nigrina setzte ein Lächeln auf und fügte in normaler Lautstärke hinzu: „Ein wunderbarer Termin, Imperator. Sicher hervorragend geeignet. Meinst du aber nicht auch, dass es da noch ein wenig zu... nun ja, zu heiß, zu ungemütlich in Rom ist? Vielleicht sollten wir warten bis der Herbst Einzug gehalten hat...“ Und mit dem Herbst der Bürgerkrieg, und währenddessen würde sich keiner daran denken, dass sie heiraten sollte, und wenn sie Glück hatte... verlor der Vescularier. Oder er ging dabei drauf. Oder irgendetwas sonst passierte, dass sie aus ihrer misslichen Lage befreite. Und selbst wenn nichts von alledem eintrat, dann hätte sie doch wenigstens ein bisschen Zeit gewonnen, in der sie nicht mit einem Plebejer verheiratet war.

    Irgendwie war das demütigend. Die ganze Situation. Erst recht und noch viel mehr, als der Vescularier auch noch überrascht wirkte. Hätte sie doch einfach nein sagen können? Hätte er sie einfach so davon kommen lassen? Oder nicht? Oder doch? Oder wäre später zu ihr gekommen? Nigrina presste kurz die Lippen aufeinander, verscheuchte dann die Gedanken und stellte ihren Weinbecher ab, bevor sie sich erhob. Brachte ja doch nichts, darüber nachzudenken. Und es blieb ja immer noch die Tatsache, dass er... dass sie... dass das vielleicht vorteilhaft für sie sein könnte. Wenn sie es nur schaffte, sich zusammenzureißen, was ihr bisher allerdings nur mäßig gelungen war, das war ihr selbst bewusst.
    Sie erhob sich also ebenfalls und betrachtete für einen kurzen Augenblick den Arm, den er ihr anbot, als zöge sie ernsthaft in Erwägung, die Geste rundheraus abzulehnen. Und sie zog es auch tatsächlich in Erwägung. Sie zog zudem in Erwägung, endlich Krawall zu machen. Aber dann sah sie hoch, und ihr Blick streifte zunächst den seinen und dann kurz die übrigen Gäste – und schon war dieser Zwiespalt wieder da, dieser innere Widerstreit... der Wunsch ihrem ganzen Ärger und ihrer Frust und Verzweiflung über ihre Lage einfach Luft zu machen war noch da, aber da war auch das Wissen, dass sie das nicht konnte, nicht durfte – nicht wenn sie wollte, dass ihr Leben so bald wie möglich wieder normal wurde. Wenigstens einigermaßen.
    Also setzte sie erneut ein Lächeln auf und legte ihre Fingerspitzen schließlich sacht auf seinen Arm.

    Festtag der Venus. Na das war ja passend. Weil die so viel mit Ehe zu tun hatte. Sollte sie da echt glauben, dass Vescularius da keine Hintergedanken hatte? „Welchen von beiden meinst du?“ Sie warf ihrem... ihrem... dem Barbar erneut einen Blick von der Seite zu, aber der schien es nicht für nötig zu halten, sich da einzumischen. Klar. An seiner Stelle hätte sie sich wohl auch einfach zurück gelehnt – warum auch nicht? Er bekam eine Flavia, ohne auch nur einen Finger rühren zu müssen! Einfach so! Nur weil der Kaiser meinte über sie bestimmen zu können! … Was er faktisch leider auch konnte, jedenfalls im Moment.

    Was um alles in der Welt musste sie eigentlich tun, damit der Mann mal auch ausflippte? War ja fast so schlimm wie Sextus... Trotz des Alkohols allerdings war Nigrina durchaus bewusst, dass es besser war, besser für sie, dass der Kaiser ihre mehr oder weniger offenen Provokationen eher amüsant fand als ärgerlich. Ein Seitenblick zu ihrem Zukünftigen sagte ihr, dass der das nicht ganz so lustig zu finden schien wie Vescularius, und für einen winzigen Moment nagte das an ihr... bis sie die Frage, wie sich ihre Ehe wohl gestalten würde, einfach rigoros verdrängte. „Großartig! Dann können wir ja schon bald wieder feiern!“ bemerkte sie einem Tonfall, dessen gespielt-euphorische Fassade kaum das ätzende Mauerwerk darunter überspielen konnte – und auch gar nicht sollte, wenn es nach Nigrina ging. Sie leerte den Rest ihres Bechers und hob ihn leicht an, um ein Nachfüllen anzufordern – was auch prompt von einem Sklaven erfüllt wurde.

    Nigrina ahnte schon, was kommen würde, kaum dass Vescularius den ersten Satz gesprochen hatte. Und als er fertig war, stimmten die anderen Gäste in sein Lachen mit ein – und sie zwang sich ebenfalls dazu. Und war zumindest in einer Hinsicht froh darum: es ließ ihr noch ein wenig Zeit, Zeit, sich eine Antwort zu überlegen. Die Frage war doch, ob sie wirklich die Wahl hatte, ob es nicht im Grunde völlig egal war, was sie sagte. Es war kein Geheimnis, dass der Vescularius sich gerne mit Frauen vergnügte. Und sie bezweifelte irgendwie, dass er sich die Gelegenheit entgehen lassen würde, ausgerechnet eine Flavia in sein Bett zu holen, eine aus jenen alten Adelsgeschlechtern, denen er so spinnefeind war – und die ihm gegenüber nicht minder herablassend waren. „Nun...“, antwortete sie, als das Gelächter etwas abgeebbt war, und ignorierte die Aufmerksamkeit der anderen, die auf ihr zu liegen schien. Stattdessen trank sie noch einen Schluck Wein, um sich noch einen Augenblick zu verschaffen. Sie schwankte. Natürlich wollte sie nicht. Plebejer. Emporkömmling. Feind der Patrizier. Und schlicht und ergreifend körperlich nicht im Mindesten anziehend. Das einzige, was er hatte, war – Macht. Und genau das war der Knackpunkt, wenn sie mal davon absah, dass sie ohnehin nicht glaubte hier wirklich selbst entscheiden zu können, und sie sich ganz sicher nicht die Blöße geben wollte, jetzt nein zu sagen und dann einfach übergangen zu werden. Der Mann hatte Macht. Und auch wenn Nigrina nicht so naiv sich auch nur auszumalen, dass sie ihn sich wirklich gewogen machen könnte, bestand doch zumindest die Möglichkeit, dass er... nun ja. In mancher Hinsicht vielleicht nachgiebiger wurde. Und wenn es nur dazu führte, dass er das ein oder andere Detail verriet, das ihr irgendwann nützlich sein könnte. Und sie war in keiner Lage, in der sie es sich leisten konnte, auf einen möglichen Vorteil einfach so zu verzichten.
    Als sie ihren Weinbecher absetzte, lächelte sie also erneut. Und ignorierte das Pochen ihres Herzschlags, den sie plötzlich zu spüren begann. „Eine Privataudienz bei dir? Wer würde da wohl ablehnen?“

    Einen Mann. Ja, ganz sicher. Die Betonung lag dabei auf Mann, und da stellte Nigrina sich dann doch etwas anderes vor als irgendeinen Emporkömmling. Plebejer. Barbar. Und natürlich hatte Vescularius nichts besseres zu tun, als erneut auf ihrer Familie herum zu hacken, was ihr Blut schon wieder in Wallung brachte und diesmal ihre Wangen zornig glühen ließ, weil der Wein mittlerweile seine Wirkung tat. „Das hast du dir hervorragend gemerkt, Imperator“, lieblich und spöttisch zugleich kam der beißende Kommentar über ihre Lippen, „und genau deshalb wird wohl zu dieser Hochzeit von mir kaum einer meiner Verwandten kommen wollen.“ Es wusste doch ohnehin jeder Bescheid, was hier Sache war, warum sollte sie da noch groß um den heißen Brei herumreden? Noch dazu wo sie sowieso bei jeder Gelegenheit bloß gestellt wurde? Irgendwie sah Nigrina unter wachsendem Alkoholeinfluss wenig Sinn darin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Das hieß nun nicht, dass sie plump mit ihrer Meinung herausplatzte... aber es hieß, dass sie ihre scharfe Zunge nicht mehr ganz so sehr im Zaum zu halten versuchte. „Um ganz ehrlich zu sein: das möchte ich meiner Familie auch gar nicht zumuten. Aber ich bin mir sicher, dass die Feier trotzdem... von besonderer Natur sein wird.“

    Einen Verwalter. Einen Verwalter?!? Einen Vertrauten des Vescularius in der flavischen Villa? Aber ganz sicher nicht! „Meine Sklaven wissen sich zu benehmen, keine Sorge“, beinahe meinte Nigrina, ihre Zähne knirschen zu hören. Aber es half nichts. Wenn er jemanden mitschicken wollte, würde er das tun, so oder so.


    Sie widmete sich wieder dem Essen, ohne rechte Lust inzwischen, und war dann doch ein wenig erleichtert, als endlich der Nachtisch kam. Ihr Blick schweifte über die Tänzerinnen hinweg, dann wieder zum Vescularius zurück. Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen als zu fragen, ob sie sich zurückziehen dürfe. Allein schon dass sie die Frage stellen müsste... als ob sie noch ein Kind wäre. Oder eben eine Gefangene, und genau das war sie ja irgendwie auch. „Du musst sicher müde sein nach einem so langen Tag wie heute“, versuchte sie daher auf andere Art, das Essen zu einem Ende zu bringen.

    Zitat

    Original von POTITUS VESCULARIUS SALINATOR
    Potitus ließ sich das Ergebnis zeigen. Nicht schlecht, nicht schlecht! Einen Fehler hatte das Bild allerdings! Er zeigte das Bild seinen Gästen und wandte sich dann an seinen "Ehrengast". "Flavia, was meinst du? So gut sah ich nicht mehr aus, seit ich mein Tribunat geleistet hab'! Wenn ich so rank und schlank dargestellt werde, erkennt mich das Volk am Ende gar nicht!" Er gab die Tafel wieder an Sabinus zurück. "Kannst du meinen Prachtkörper noch ein wenig umfangreicher gestalten? Ich habe ihn mir schließlich nicht umsonst unter größten Mühen angefressen!" Wie zur Bestätigung griff er nach einer Hühnerkeule und biss herzhaft hinein.


    Nigrina versuchte im Grunde einfach nur, irgendwie dieses Fest zu überstehen. Wenn sie wenigstens selbst hätte aussuchen können, wo sie saß, dann wäre da vielleicht irgendjemand gewesen, mit dem sie ein halbwegs vernünftiges Gespräch hätte führen können... aber nein: sie musste ja hier bei den Dumpfbacken sitzen. Ihr Zukünftiger versuchte zwar, sich mit ihr zu unterhalten, aber Nigrina schenkte ihm nicht einmal genug Aufmerksamkeit, um festzustellen wie der Mann überhaupt wirklich war. Sie hatte keine Lust, ihn näher kennen zu lernen, und sie wollte ihn schon gar nicht heiraten. Beides würde sie nicht vermeiden können, das war ihr klar, aber es lag immerhin in ihrer Hand, das hinaus zu zögern, und so war alles, was der Domitius von ihr zu hören bekam, nur zickige Antworten.


    Und dann kam es noch schlimmer... ein Künstler sollte sich zu ihr setzen. Ein Künstler. Nigrina verdrehte nur die Augen und rückte zur Seite, gerade so viel wie nötig war, um nicht in Kontakt mit dem Iulius zu kommen... und bemühte sich äußerst gelangweilt zu wirken. Die Unterhaltung rauschte an ihr vorbei, und auch ihr Zukünftiger hatte es schon längst aufgegeben, sie in ein Gespräch verwickeln zu wollen – war ihm wahrscheinlich einfach zu blöd, sich so sehr um sie zu bemühen, zumal er sie ja eigentlich schon sicher hatte. Sie hatte also ihre Ruhe – bs der Vescularius sich auf einmal wieder ihr zuwandte. Nigrina warf einen kurzen Blick auf das Bild, und eine flavische Augenbraue wölbte sich in einem feinen Bogen nach oben. Gut liegt im Auge des Betrachters, nicht wahr?“ flötete sie dann. „Deine Gesichtszüge sind unverkannbar“, so plump und grobschlächtig, wie sie waren, „da würde das Volk dich auch so erkennen. Aber du hast sicher Recht, Imperator. Dein... Prachtkörper darf nicht vernachlässigt werden.“ Ein süßes Lächeln schloss sich diesen Worten, das sich beim nächsten Entwurf noch vertiefte. Auf dem sah der Vescularius nicht nur dicker, sondern vor allem auch kleiner aus... fast wie ein Zwerg. Ja, das gefiel ihr schon eher. Sie trank einen weiteren Schluck Wein, und begann langsam die Wirkung zu spüren, nicht nur wie sich die Wärme wohlig in ihren Gliedern ausbreitete, sondern auch, wie der Alkohol ihr ein wenig zu Kopf stieg. „Viel besser“, kommentierte sie dann den zweiten Entwurf, und fragte sich zugleich, wie lange der Künstler wohl noch neben ihr blieb. Oder der Kerl, der ihr Mann werden würde. Oder... ach, einfach alle. Da war sie schon auf einem Fest im Kaiserpalast, und dann so was... „Nachdem du so großzügig bist, für meine Mitgift aufzukommen“, oh ja, das hatte Nigrina sich gemerkt, „ist es nur recht und billig, Imperator, wenn du auch den Termin für die Hochzeit bestimmst. Welcher würde dir denn vorschweben?“ Der Phallus, am Schluss, auf den die Braut sich immer draufsetzen musste. Vielleicht sollte sie dafür sorgen, dass der die Form des Imperators hatte, gerne angefertigt von dem Iulius hier. Vescularius würde das wohl wahrscheinlich eher gefallen, aber es konnte eine ganz nette Demütigung für ihren Zukünftigen dann sein. Durfte der freilich vorher nicht wissen dann... warum kamen ihr gerade eigentlich so idiotische Ideen? Nigrina wusste, dass es idiotisch war, aber sie fand es gerade trotzdem lustig. Und sie würde zu gerne die Gesichter der Hochzeitsgäste dann sehen in so einem Fall.