Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Eine sonderbare Regung in den Pupillen der angesprochenen jungen Frau, gleichsam einem dunklen Schatten für kurze Zeit das satte Grün verdunkelnd, glaubte Flavius Flaccus wahrgenommen zu haben, als er seine Worte an die Iunia richtete, war sich jedoch im nächsten Moment schon selbst gänzlich unsicher, nicht vielleicht einer, in Anbetracht der Filigranität jenes Details durchaus in Erwägung zu ziehenden, trügerischen Sinnestäuschung erlegen zu sein. Schnell jedoch schlug der vermeintliche erste Schreck der jungen Frau zunächst in ein schüchternes Lächeln um, nur um schon einen Augenblick später sich in einen fast schon als neckisch zu bezeichnenden Blick zu verwandeln, als Anzeichen, dass sie zumindest soweit über den Dingen zu stehen schien, um mit der Situation zu spielen. Ein Phänomen, das dem jungen Mann durchaus angenehm war, schätzte er doch das geistreiche Wort, die blitzschnell agierende Unterhaltung, ganz in Tradition der witzreichen Carmina eines Horatius etwa. Dennoch registrierte der umsichtige Flaccus durchaus auch die kleinen Anzeichen leichter Unsicherheit, welche, sich gleichsam in marginalen Gesten manifestierend, den Anschein erweckten, als wäre das neckische Gebaren mehr der Schauspielkunst denn tatsächlicher Überlegenheit jener Frau zuzuschreiben. Dennoch versuchte der junge Mann durch ein offenes und freundliches Lächeln seinerseits, der evidenten Unsicherheit der jungen Frau - ob jene der Überraschung durch des Flaviers Worte, oder einer grundsätzlichen persönlichen Insekurität entsprungen war, mochte er nicht einzuschätzen - jede Grundlage zu entziehen. Nichtsdestotrotz konnte er nicht verhindern, dass die erste Worte Axillas eine seiner Augenbrauen unwillkürlich nach oben wandern und ein Schmunzeln auf seinem Gesicht sich breitmachen ließen. Vordergründig also auf das mythologische Spiel eingehend nahmen ihre Worte ironischen Bezug auf Flaccus‘ eigene Andeutung ihrer Wesensähnlichkeit mit einer Angehörigen eben jener Gruppe von Naturgottheiten, die gemeinhin als Nymphen bezeichnet zu werden pflegten. Dennoch, und durch einen kurzen Blick vergewisserte sich Flaccus noch einmal, kam er nicht umhin Axilla die Ähnlichkeit mit einer ganz speziellen Art der Nymphen zuzugestehen: der Dryaden.


    "Du wärst zumindest die erste, deiner Art, die ich kennen lerne, die es zuwege bringt, ohne Baum auszukommen ... ", erwiderte er also mit einem belustigten Lächeln ihre zugegeben freche Frage. "Eigentlich bist du ja die einzige, die ich kenne ...", fügte er noch hinzu, während das Lächeln auf seinem Gesicht immer breiter wurde. Zweifellos war sie sich nicht nur ihres Erscheinungsbildes, und der Assoziationen, die sie damit bei jedem, in irgendeiner Weise von den Musen berührten, Mann auslösen musste, bewusst sondern auch der mythologischen Tatsache, dass Dryaden eben an einen Baum gebunden waren, und unter der Trennung von eben jenem furchtbar zu leiden hatten. Umso amüsanter allerdings schien es, in welcher Weise sie den Mythos gleichsam variierte, sozusagen eine was-wäre-wenn-Version desselben schaffend. Und so hatte sie es geschafft, die Faszination und das Interesse des Flaviers auch über das bloße exotische Erscheinungsbild hinaus auf ihre Person selbst zu lenken und ihn dadurch, eher unbewusst, denn absichtlich oder gar berechnend, zumindest für weitere Worte und vielleicht sogar ein kurzes Gespräch an sich zu binden. Was an sich wohl durchaus als Kunstgriff zu bezeichnen war, vermochte doch sonst nichts so schnell das Interesse des jungen Flaviers erst zu wecken, und dann darüber hinaus auch nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern gar zu intensivieren.

    Iunia Axilla..., murmelte der junge Flavier jenen Namen, den ihm der Nomenclator zuvor genannt hatte, im Geiste vor sich her, seine Aufmerksamkeit alternierend auf die Geschehnisse der fortschreitenden Verlobung und eben jene faszinierende junge Dame richtend. Eine Iunia also … Moment! … Dann musste sie doch mit Iunia Serrana, der ebenso jungen wie geduldigen Magistra des Flaviers verwandt sein. Immerhin …. So musste er sich nicht damit abfinden, dass jene so zauberhaft anmutende Schönheit völlig fremd und ohne jedwede Bezugspunkte für ihn bleiben würde. Durch die Verbindung der unbekannten Dryade, denn was anderes als die Anspielung auf eben jene mythischen Wesen sollte ihre Aufmachung wohl bezwecken, und ihrer Verwandten, der Aeditua Iunia Serrana, verlor die fremde Frau schon ein wenig jener zauberhaften Distanz, die sie durch ihr Aussehen und Auftreten im Empfinden des Flaviers geschaffen hatte, ohne dadurch jedoch Flaccus‘ Faszination für ihr Wesen auch nur im Geringsten zu schmälern. Etwas gelassener also, als noch kurz zuvor, beobachtete er die Iunia weiter, als sie auf jenen geschundenen Mann zutrat, dessen Anwesenheit an dieser Feier dem Flavier zwar etwas sonderbar anmutete, sollte er doch seinem miserablen Zustand nach eher in einem Lazarett denn bei einer Sponsalia sich aufhalten, jedoch kein Gespräch mit ihm begann.


    Zügig schritt die Feier unterdessen voran, schon waren die Verträge unterzeichnet, der Ring ausgetauscht, als der junge Mann sich – endlich! – ein Herz fasste und, wohl auch im Bewusstsein der Tatsache, dass eine Bekanntschaft nicht von selbst sich schließen würde, auf die Iunia zutrat. „Verrate mir doch eines …“, begann er, alle üblichen gesellschaftlichen Konventionen und Formalitäten beiseite lassend – konnte doch auch das Auftreten der jungen Frau nicht gerade als gewöhnlich bezeichnet werden – mit einer Anspielung auf ihren nymphenhaften Anblick. „Wie, bei den Göttern, konntest du deinen Baum dazu bewegen, dich ziehen zu lassen?“


    Ein freundliches Lächeln umspielte die wohlgeformten Lippen des jungen Mannes, während er sprach, anzeigend, dass seine Worte wohl durchaus als humorvoll inspiriert, aber in nahezu eben so bedeutendem Maße als, wenn auch latentes, so dennoch ernst zu nehmendes Kompliment an ihre außergewöhnliche Schönheit aufzufassen waren. Abwartend, welche Reaktion seine, durchaus poetisch gewagten, wenn auch durch das so gar nicht alltägliche Erscheinungsbild der Iunia förmlich provozierten, Worte bei eben jener dryadomorphen jungen Frau bewirken würden, blickte er, seine Faszination nur oberflächlich verbergend, tief in ihre smaragdgleichen Augen.

    Eben noch tapfer das dichte Laub durchkämpfend, mit der Intention, die versenkte Pila wieder ans Tageslicht zu befördern, kehrte der junge Manius schon wenige Augenblicke später erfolgreich zum Spielfeld zurück, um mit einem, zumindest für Flavius Flaccus überraschenden Schrei das Spiel zu eröffnen. Einem Kometen gleich sauste der kleine Ball empor und durschnitt mit einem schneidenden Geräusch die Luft. In Erwägung des sprechenden Namens jenes Spieles und seiner eigenen lokalen Position im Zentrum des Feldes, musste Flaccus nicht lange überlegen, was wohl seine Aufgabe in diesem Moment sein mochte. Unter Anspannung nahezu aller Sehnen seines drahtigen Körpers, präpariertre er sich für das Unvermeidliche, ging leicht in die Knie, intensivierte die Spannung bis ins schier Unerträgliche und löste im letzten Moment seine Füße vom Boden. Die langen Arme zielgerichtet ausgestreckt segelte er durch die Luft, ein Gefühl höchster Vitalität seinen jungen Körper durchströmen fühlend ... um einen Augenblick später reichlich unsanft seinen Weg zurück zum Erdboden zu finden. Einen Moment japste er lediglich nach Luft und versuchte sich zu orientieren. Weshalb war er eigentlich losgesprungen? Unendlich langsam öffnete Flaccus seine Hände, doch beim Anblick des Inhalts breitete sich ein triumphierendes Lächeln auf seinen Lippen aus. Stolz reckte er seinen Arm empor und präsentierte, immer noch am Erdboden liegend, die erhaschte Pila.


    "Cepi!", keuchte er und blieb noch einige Augenblicke still liegen, dem wonnigen Glücksgefühl nachspürend, dessen Empfindung seit seiner Kindheit nur mehr sehr selten ihm zuteil geworden war.


    Sim-Off:

    "Ich hab' sie gefangen!"

    Das Regularium des von dem jungen Manius mehr bestimmten denn vorgeschlagenen Spieles war Flaccus selbst zwar nicht im Detail bekannt, vermutete er jedoch aus dem Namen des Spieles das Ziel ohne größere Mühen extrahieren zu können. Welche Bewandtnis es allerdings mit der ebenfalls angeorneten lokalen Position des Flaviers zwischen Manius Minor und dem bisher noch namenlosen Sklaven auf sich hatte, vermochte Flaccus zwar noch nicht vollständig zu begreifen, schob jedoch die rationelle Erfassung des Phänomens auf einen späteren Zeitpunkt hinaus - der wohl ohnehin schon in wenigen Momenten, nämlich mit Spielbeginn, sich einstellen würde. Den Aufforderungen des Knaben kam er also nach, die Verwunderung über dessen plötzlichen Sinneswandel, von xenophobisch anmutender Schüchternheit zu extrovertierter Leitung der Situation, erfolgreich verbergend.


    "Ineamus!", meinte er also mit einem Grinsen auf den Lippen, als er die angeordnete Position eingenommen hatte, leicht in die Knie ging und sich in Vorfreude auf das, was nun wohl kommen würde, die Hände rieb.


    Sim-Off:

    "Beginnen wir!"

    Die offensichtliche Insekurität des kleinen Manius beim Auftreten seines, wohl um ein paar Jahre älteren Verwandten, manifestierte sich in einer temporären Ablenkung vom Spiel, sodass die geworfene Pila ihren Weg in eine accurat gepflegte Hecke anstelle der Hände des Knaben fand. Immer noch entgeistert blickte Manius Minor den freundlich lächelnden Flaccus an, den er ob der Worte des Sklaven wohl seiner eigenen Familie zuornden, wenngleich auch nicht direkt in jene integrieren konnte, was Flaccus selbst dem Knaben auch nicht weiter verübeln wollte, eingedenk der selbst für ihn schier unüberblickbaren Komplexität der interfamiliären Bande. Einen gedehnten Augenblick später schien sich der Knabe jedoch, seine anfängliche Aufwallung überwindend, die ihm zweifellos zuteil gewordene gute Erziehung ins Gedächtnis zu rufen und rang sich, sichtlich unter enormer Überwindung des ihm eigenen Wesens, zu einigen einladenden Worten durch, Flaccus eine Partizipation am Spiel anbietend.
    "Ave! Ja, warum eigentlich nicht ... man kann ohnehin nicht den ganzen Tag nur lesen!"
    Wenngleich das, genau genommen, tatsächlich die einzig nennenswerte Tätigkeit war, der der junge Flavier in den letzten Tagen intensiv nachgegangen war. Aber war da nicht so etwas in Richtung: Mirum est ut animus agitatione motuque corporis excitetur...? Wie auch immer, ein bisschen Bewegung hatte noch keinem geschadet, außerdem schien der klaren Herbstluft ohnehin eine erfrischende Wirkung auf Körper und Geist zu eigen zu sein.

    Das anerkenndende Nicken der Iunia ließ ein Lächeln sich auf dem markanten Antlitz des Flaviers breit machen. Waren die bisherigen Fragen doch so allgemein und oberflächlich gewesen, dass wohl jedes römische Kind sie beantworten hätte können... Sah sich doch ein jeder frommer Römer ununterbrochen mit den eben besprochenen Themen konfrontiert. Sein bisheriges Leben in Paestum und Athen mochte nicht unbedingt am Nabel der römischen Religion stattgefunden haben, doch auch überall dort hatte man den Göttern geopfert und die religiösen Pflichten, denn letztendlich handelte es sich um eben solche, erfüllt.


    "Mögliche Fehlerquellen ...", murmelte er mehr zu sich selbst als zu Serrana. Keine Frage, die Möglichkeiten, bei einem Opfer etwas falsch zu machen waren schier zahllos, jedes Detail folgte einem geregelten Ablauf und musste vorschriftsgemäß erfüllt werden, doch die Aeditua schien konkrete Antworten zu erwarten.


    "Am Beginn steht wohl die Wahl des richtigen Opfers. Grundsätzlich unterscheidet man blutige und unblutige Opfer, wobei manchen Gottheiten, wie zum Beispiel der Dea Flora grunsätzlich unblutige Opfer dargebracht werden. Bei blutigen Opfern sollte jedenfalls darauf geachtet werden, dass ein der Gottheit angemessenes Opfertier gewählt wird. Für jedes Opfer ist die rituelle Reinheit der Teilnehmer nötig, ein Verstoß gegen dieses Gebot kann eine Ablehnung des Opfers provozieren. Alle Gebete müssen richtig gesprochen und von den korrekten Bewegungen begleitet werden. Scheitert die Litatio jedoch aus irgendeinem Grund, muss der Opfernde entscheiden, ob das Opfer abgebrochen werden soll, weil es nicht der richtige Zeitpunkt oder Anlass für die Annahme des Opfers durch die Gottheit war, oder ob ein Ersatzopfer durchgeführt werden soll und die Hoffung auf eine Litatio noch besteht."


    Zweifellos war es lediglich ein grober Überblick, den Flaccus bereitete, doch im Grunde war der Opferablauf an sich so komplex dass tatsächlich unglaublich viele Fehler auftreten konnten. Dennoch war es natürlich mit genügend Konzentration kein Problem ein erfolgreiches Opfer durchzuführen.

    Es mochte wohl einer gewissen Geistesabwesenheit des jungen Mannes zuzuschreiben sein, dass er, in Gedanken eher in Athen denn in Rom verweilend, sich plötzlich im, trotz der herbstlichen Frische munter grünenden Garten der flavischen Villa wiederfand, nicht so recht wissend, wie oder vielmehr warum seine Schritte ihn eigentlich hierher geführt hatten. Etwas entfernt sah er den jungen Manius Minor, eines jener Mitglieder der Familie, das er – zu seinem eigenen Leidwesen - in der kurzen Anwesenheit in Rom noch nicht genau kennen gelernt hatte, wohl einfach deshalb, da sich noch keine passende Gelegenheit dafür ergeben hatte, mit einem Jüngling, bei dem es sich zweifellos um einen der zahllosen Sklaven handeln musste, einer seltsamen Tätigkeit nachgehen, die Flaccus selbst schlichtweg unbekannt war. Der Sinn des Spieles, denn um ein solches musste es sich offensichtlich handeln, war es anscheinend, den Partner durch möglichst schwierige Würfe jenes kleinen Balles aus der Fassung zu bringen. Selbst wenn man dem jungen Flavier den Namen dieses Spieles in jenem Moment zugeflüstert hätte, es hätte ihm wohl Mühe bereitet, den Konnex zwischen der Tätigkeit an sich und den exotischen Tieren auf der anderen Seite herzustellen. Wie dem auch sei, Manius Minor schlug sich gut, wenngleich ihm die, ihrem Wesen nach wohl als monoton zu bezeichnende Tätigkeit, allmählich etwas witzlos zu werden schien. Zum Einen, um dem Jungen eine etwas anregendere Beschäftigung zu bieten, zum anderen wohl auch, um endlich selbst Bekanntschaft mit Manius Minor schließen zu können, trat Flaccus auf die beiden Spielenden zu.

    Versteinert die Miene des jungen Mannes, der sich, gleich den anderen Familienmitgliedern, in der aurelischen Villa eingefunden hatte, und bereits zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit dem Tod konfrontiert wurde. Noch weniger berührend erschien ihm der Anblick der toten Flavia, als der seines eigenen Vaters, vermutlich da er sie nie kennen gelernt hatte. An ihrer Seite der Aurelier, jener Pontifex, mit dem der junge Flavier noch vor kurzer Zeit über seine Ausbildung im Cultus Deorum gesprochen hatte. So mysteriös die Umstände um das Ableben der beiden sein mochten, ihr Anblick ließ Flaccus unweigerlich an die im Tode vereinten Paare der alten Mythen denken. Sollte es tatsächlich die Liebe zu seiner Ehefrau gewesen sein, die den Aurelier in den Tod getrieben hatte, so war die Tat zweifelsfrei als eine höchst ehrenhafte anzusehen. Epikur mochte den Suizid als nicht löblich ansehen, Platon ihn gar grundsätzlich verurteilen, doch aus Liebe zu einem anderen Menschen aus dem Leben zu scheiden, schien Flaccus bewundernswert. In Gedanken versunken strich der Flavier die Falten seiner toga pulla entlang, während er über die Verurteilung oder Rechtfertigung des Freitods nachsann.

    Um es mit den Worten eines Zeitgenossen zu sagen:


    Iacturam gravissimam fecimus, si iactura dicenda est tanti viri amissio. Decessit Aurelius Corvinus et quidem sponte, quod dolorem nostrum exulcerat. Est enim luctuosissimum genus mortis, quae non ex natura nec fatilis videtur. Nam utcumque in illis qui morbo finiuntur, magnum ex ipsa necessitate solacium est; in iis vero quos accersita mors aufert, hic insanabilis dolor est, quod creduntur potuisse diu vivere.


    Vale, Marce Aureli Corvine.

    Mit einem Moment war die Stimmung im officium etwas angespannt, zunächst weil die Sprache auf Flaccus' Vater kam, und er sich über sein Verhältnis zu dem Verstorbenen selbst noch klar werden musste, dann allerdings ob der grauenhaften Zukunftsaussichten, die der discipulus als mögliche Folgen der Beinträchtigung der Pax deorum erläuterte. Ein Räuspern der Aeditua entspannte die Atmosphäre ein wenig, wohl, weil auch das nun zu besprechende Thema ebenfalls versöhnlichen Charakter trug.


    "Im Grunde, gilt es, lediglich die vorgeschriebenen Kulthandlungen korrekt auszuführen, um somit den althergebrachten Dienst Roms an den Göttern wieder zu restituieren. Vorraussetzung dafür ist allerdings, die Pax Deorum wiederherzustellen und die Götter zu versöhnen."


    Im Grunde war es kein nun wirklich kein Problem, gut mit den Göttern auszukommen - wenn man die überlieferten Riten und Kulthandlungen eben pflegte und nach bestem Wissen auszuführen versuchte.

    Sich noch immer im Hintergrund haltend und am verdünnten Wein nippend, ließ Flaccus den neugierigen Blick seiner braunen Augen über das bunte Geschehen schweifen. Wenngleich bereits einige Gäste sich eingefunden hatten, war doch noch niemand da, der die Aufmerksamkeit des jungen Mannes wirklich auf sich gezogen hätte. Allerlei Sklaven standen herum und reichten Getränke und kleine Häppchen, während die wenigen bereits Anwesenden in gedämpfte Gespräche verwickelt waren. Gerade ließ er seinen Blick erneut zum Eingang wandern, als eine junge Frau eintrat, gekleidet in einen griechischen Chiton, in ihrem Aussehen und Auftreten so einzigartig, dass nicht nur sie selbst, sondern auch Flaccus die Luft anhielt. Das dunkle Grün ihrer Augen harmonierte mit dem Grün der, durch eine filigrane goldene Kette verbundenen Steine an ihrem Hals und dem sanften Grün ihres, für römische Verhältnisse etwas freizügigen, Chiton. Die gleichsam zierlich ihr glattes Bein emporrankenden Efeublätter vervollkommneten den exotischen Anblick der dryadenhaften jungen Frau, der den jungen Flavier nicht nur fesselte, sondern vielmehr verzauberte. Er kannte diese Frau nicht, und doch - oder gerade deshalb - übte ihr bloßer Anblick eine gewaltige Faszination auf das poetische Gemüt des jungen Mann aus. Weiterhin hielt er sich distanziert, erkundigte sich jedoch bei einem der herumstehenden Sklaven nach dem Namen der Schönheit.

    Einige Wochen waren nun verstrichen, seit Cnaeus Flavius Flaccus' Tod, der damit verbunden Rückkehr des Sohnes nach Italien und seiner späteren Ankunft in Rom sowie der freundlichen Aufnahme in die flavische Villa. Wenngleich der junge Flaccus sich inzwischen einigermaßen eingelebt hatte, so waren Begegnungen mit den restlichen Familienmitgliedern doch bisher äußerst spärlich ausgefallen. Und so war es gekommen, dass er den Großteil seiner Zeit in seinem Cubiculum verbracht hatte, vertieft in die Lektüre seiner gliebten griechischer Lyrik, aber in in zunehmendem Maße auch römischer theoretisch-religiöser Schriften, um seine Studien als Discipulus des Cultus voranzutreiben und im Unterricht vor den ehrwürdigen Aedituae Iunia Serrana und Pedania Iunor glänzen zu können. Vor allem die kürzlich erfolgte Auszeichnung seiner Studien der Rerum Vulgarium an der Schola Atheniensis mit einer Diploma hatte ihn mit Stolz erfüllt und in seinem Bestreben, weitaus Größeres anzustreben, bestärkt. Eingedenk der bisher eben nicht allzu ausgeprägten Möglichkeiten für Flaccus, die übrigen Mitglieder der flavischen Dynastie kennen zu lernen, mag es nicht verwundern, dass die bevorstehende Verlobungsfeier Nigrinas mit jenem Aurelier dem jungen Mann gerade recht kam, um endlich stärkere Bande zu knüpfen, zu jener Familie, deren Ruhm zu mehren sein Vater ihm, im Angesicht des Todes, auf so verstörende Weise befohlen hatte.


    Und so zierte ein freundlicher Gesichtsausdruck das sonst so ernste Antlitz des jungen Flaviers, als er, in eine feine Toga, dem feierlichen Anlass entsprechend, gekleidet, das Tablinum betrat. Nur mühsam konnte er sein Erstaunen über den überschwänglichen Luxus, der ihm gleichsam einer gewaltigen Welle entgegenschwappte, als er den festlich dekorierten Raum betrat, verbergen, war er solchen Überfluss doch weder von Festen seiner Familie am Landgut bei Paestum, noch von der schlichten Lebensweise seines Freundes Polykarpos in Athen gewohnt und widersprach dieser scheinbar nutzlose Luxus um des Luxus Willen seinem eher nüchternen Gemüt etwas ... wenngleich er sich in seiner bisherigen Zeit in der Villa schon etwas daran gewöhnen hatte müssen. Nichtsdestotrotz übte die Perfektion mit der alles abzulaufen schien, doch eine unbeschreibliche Faszination auf den jungen Mann aus. Überall wuselten die flavischen Sklaven herum und doch schien jeder Handgriff einem höheren Ziele folgend und einen gründlich durchdachten Plan verwirklichend. Da Cnaeus Flavius Aetius, Nigrinas Vater und überdies hinaus auch Bruder von Flaccus' Großvater Flavius Bellienus, dessen Bekanntschaft zu schließen dem jungen Flavier bisher leider verwehrt geblieben war, im Moment scheinbar in ein lockeres Gespräch mit einem Senator verwickelt war, hielt sich der junge Mann noch im Hintergrund, wenngleich er den von einer hübschen Sklavin angebotenen Wein wortlos annahm.

    Leichenstarr und fahl kehrte das Gesicht des mit dem Tod ringenden Vaters aus der Dunkelheit der Vergangenheit zurück ans grelle Licht der Erinnerung. Als ob er dem Wahnsinn verfallen wäre schien er dem heimkehrenden Sohn, Schweißperlen auf der Stirn, die ebenmäßigen Züge vom Todeskampf entstellt. Mehre den Ruhm deiner Familie ... das ungefähr mochten die letzten Worte des Alten gewesen sein, bevor sich seine Augen für immer schlossen und der Sohn allein zurückblieb, verwirrt, verstört. Mit erdrückender Kraft drängten die Bilder auf den jungen Flavier ein, als er nun in jenem Officium der Regia saß, doch seltsamerweise berührten sie ihn nicht wirklich, schienen ihm wie die Erinnerungen eines anderen, weit weg, war doch auch unmittelbar nach des Vaters Tod die zu erwartende Trauer ausgeblieben.


    Mors ultima linea rerum est.


    "So könnte man es sagen...", erwiderte er also nur kühl, lächelte aber schon einen Augenblick später wieder, ob der ermunternden Worte der Aeditua. Das nun angesprochene Thema als brisant zu bezeichnen würde jedoch nahezu an Untertreibung grenzen, war die Pax Deorum durch jenen Frevel sondergleichen, der sich im Hain der Diana zugetragen hatte, doch massiv gestört.


    "Wenn es nicht bald gelingt die Götter durch eine procuratio, eine Sühnung, zu versöhnen, stehen uns wahrlich schlimme Zeiten bevor. An allen Grenzen des Reiches blicken neidische Nachbarn auf den Ruhm und Wohlstand des römischen Imperiums und können nur mühsam in Zaum gehalten werden ... würde Rom den Zorn der Götter auf sich ziehen, die Folgen wären undenkbar." Der junge Flavier dämpfte seine Stimme etwas. "Schreckliche Katastrophen stünden uns bevor! Ein Sühneopfer muss unverzüglich durchgeführt werden, eingedenk der Gravität des gegebenen Anlasses hielte ich persönlich selbst eine Befragung der Sibyllinischen Bücher durch die Quindecimviri für gerechtfertigt. Die Pontifices und Haruspices müssten den Magistraten in der Durchführung des Piaculums natürlich beistehen."

    Erleichtert nahm Flaccus wahr, dass die Aeditua sich mit seiner kanppen Antwort zufrieden zu geben schien. Bei der nächsten Frage musste er nicht lange überlegen.


    "Mein Ziel ist es, einmal dem Collegium Pontificium anzugehören. Ich weiß, dieses Ziel mag am heutigen Tage noch in weiter Ferne zu liegen, doch die letzten Worte meines Vaters und die flavische Ehre gebieten es mir, nichts Geringeres anzustreben."


    So erfüllt war die Stimme des jungen Mannes von Entschlossenheit, dass tatsächlich kein Zweifel bestehen konnte, dass er dieses Ziel einst auch erreichen würde. Während seiner Worte hatte er sich etwas aufgerichtet, wodurch auch seine Körpersprache signalisierte, dass er den festen Glauben besaß, dass für einen Flavier nahzu nichts unerreichbar war.

    Pedania Iunor machte einen sehr ruhigen und angenehmen Eindruck auf den jungen Flavier - es würde wohl ein positives Erlebnis werden, mit ihr zu arbeiten. Nach dem kurzen Intermezzo verließ die Aeditua den Raum auch schon wieder, jedoch nicht, ohne sich freundlich von Serrana und Flaccus zu verabschieden. Dieser ließ sich daraufhin auf dem angebotenen Stuhl nieder und hörte der Iunia aufmerksam zu. Zum Glück hatte Nikodemos dem aufgeweckten Jungen einiges über die Struktur des römischen Cultus Deorum beigebracht, wenngleich dies auch schon einige Jahre her war, und die letzten drei Jahre, die der junge Mann bei Polykarpos in Athen verbracht hatte, seine Kenntnis der römischen Kultpraxis nicht ungbedingt aufgebessert hatte. Er holte also tief Luft, um sein bestes zu geben.


    "Das wichtigste Collegium ist sicherlich das der Pontifices, das, geführt durch den Pontifex Maximus, das religiöse Leben des Imperiums beaufsichtigt und den Senat sowie die Beamten in kultischen Belangen und in allen Handlungen, die den Pax Deorum beinträchtigen könnten, berät.", in einer kurzen Pause schien der Flavier nachzudenken, wie er seine Antwort weiter strukturieren könnte. "Die Haruspices sind der Weissagung und der Eingeweideschau fähig und vermögen Wunderzeichen zu deuten, während die Augures bei Städtegründungen und der Einsetzung von Priesteren und Magistraten die Götter um ihre Zustimmung fragen. Als Interpretes Iovis Optimi Maximi führen sie auch die Auspicia durch, um den Willen Iuppiters zu erkunden. Den Quindecimviri hingegen ist der Zugang zu den Sibyllinischen Büchern vorbehalten, außerdem vollziehen sie Opfer für nichtrömische Gottheiten. Das Collegium Septemvirorum schließlich ist für die Ausrichtung des Iovis epulum zuständig, und entlastet die Pontifices in ihren Aufgaben."


    Sicherlich hatte Flaccus einiges vergessen, doch im Großen und Ganzen war das auch alles gewesen, was er über die Struktur des Cultus Deorum wusste. Er blickte die Aeditua also etwas verlegen an, um an ihrer Reaktion zu erkennen, wie zufrieden sie mit seiner Antwort war.

    Mit wenigen Schritten trat der junge Flavier in den Raum und blickte sich in dem "Reich" um, das ihm und der Aeditua in der nächsten Zeit als Unterrichtsraum dienen würde. Es war ein sehr schlichter Raum, einige hölzerne Schreibpulte standen herum, ein Regal diente als Aufbewahrungsort für allerlei Schriftrollen. Alles in allem also ein durchaus angemessener Raum für den Unterricht des jungen Discipulus. Ein Räuspern an der Tür ließ Serrana stoppen, und als Flaccus sich zur Tür umwandte sah er eine ältere, keine Frau, die den Raum lautlos betreten hatte und nun auf sich aufmerksam machte. Serrana stellte sie als die Aeditua Pedania Iunor vor, die den praktischen Teil von Flaccus' Ausbildung übernehmen würde.


    "Salve, ehrwürdige Aeditua., begann der Discipulus höflich, "Ich danke dir schon jetzt für deine Bereitschaft, mich im Dienst an den Göttern zu unterweisen."

    Bereits früh am Morgen, getrieben von ungeduldigem Verlangen, endlich in die Geheimnisse des Dienstes an den Göttern eingeführt zu werden, hatte sich Flaccus in der Regia eingefunden, doch es hatte eine ganze Weile des Herumsuchens und -fragens gebraucht, bis er schließlich vor dem richtigen Officium stand, hinter dessen Tür er hoffentlich Iunia Serrana, seine junge Ausbildnerin im Cultus, finden würde. Noch einmal atmete er tief durch, nicht etwa, weil er nervös war - er dachte, durch sein eifriges Studium und seinen Aufenthalt in Griechenland bereits bestens für den Unterricht gerüstet zu sein, sondern vielmehr um sich etwas zu beruhigen, war er doch voll von freudiger Erwartung all der Dinge die jetzt wohl kommen würden.


    Er öffnete die Tür und entdeckte Serrana, wie sie gerade eine Schriftrolle aus einem Regal zog, und offenbar in persönlichen Erinnerungen zu schwelgen schien. Mit einem kurzen Räuspern machte er sich bemerkbar. "Salve, Aeditua. Ich hoffe, ich bin nicht zu spät..." Schließlich konnte es gut sein, dass die Iunia bereits eine ganze Weile auf ihn gewartet hatte.

    "Ich danke dir für deine Bereitschaft mich zu unterrichten!", meinte Flaccus freundlich, "Ich werde mich also PRIDIE KAL SEP DCCCLX A. U. C. in den Ausbildungsräumen der Regia einfinden." Serrana hatte zwar keine Uhrzeit genannt, doch die Ungeduld würde den Jungen ohnehin schon frühmorgends zur Regia treiben.


    Somit waren eigentlich alle notwendigen Dinge für den Unterricht geklärt und Flaccus machte Anstalten sich zu erheben. "Vale!", verabschiedete sich der Flavier höflich und verließ dann die Casa um zur flavischen Villa zurückzukehren.