Beiträge von Iunia Diademata

    Als Seneca nach dem Gespräch mit Axilla das Atrium verlassen hatte folgte ihm ein Sklave und holte ihn kurz vor seinem Cubiculum ein. "Herr?"
    Der Sklave hielt eine Tabula in der Hand und reichte sie Seneca. "Von der Herrin Diademata."


    Salve Seneca!


    Wenn du diese Zeilen liest, dann bist du hoffentlich heil wieder nach Hause zurück gekommen. Seit du und Avianus Rom verlassen habt wurde es immer schlimmer hier. Das Leben ist zum Stillstand gekommen, man konnte sich kaum noch aus dem Haus trauen und am Ende wurde die ganze Stadt belagert und gestürmt! Vor der Casa Iunia ist der plündernde Pöbel auch aufmarschiert aber zum Glück gab es noch treue römische Soldaten, die für den Schutz redlicher Bürger gesorgt haben.


    Am Ende war mir das alles aber zu viel. Ich wollte doch nach Rom um die Hauptstadtluft zu genießen und einen Ehemann zu finden! Es hatte alles so gut angefangen. Aber dieses Durcheinander, diese Ungewissheit und die viele Verantwortung auf einmal, das ist nichts für mich.


    Nachdem die Stadt und das Umland wieder halbwegs sicher sind habe ich meine Sachen gepackt und werde erst einmal zurück nach Baiae zu meiner Mutter reisen.


    Bitte richte auch Avianus und Axilla meine Grüße aus wenn du sie siehst!


    Auf bald,
    Diademata

    Auch Diademata nickte begeistert. "Oh ja, Wagenrennen wären wundervoll! Und als Factio kommt natürlich nur die Purpurea in Frage, denn es gibt keine bessere! Sie haben die schnellsten und stärksten Pferde, die geschicktesten und bestaussehenden Wagenlenker und die schönsten Wägen!" Zumindest in Baiae war das so und manchmal kamen dorthin schließlich auch die berühmten Aurigae aus Rom.


    Irgendwie fühlte sich die Iunia durch das Gespräch an etwas erinnert. Fast wie ein Déjà-vu. Und dann fiel es ihr wieder ein: Aulus Avianus! Mit ihm hatte sie doch zu den nächsten Rennen gehen wollen! Ihn hatte sie doch von der Purpurea überzeugen wollen! Der Gedanke daran ließ alle gute Laune verfliegen. Sie hasste diesen blöden Vescularius! Sie hasste diesen blöden Krieg auch wenn er jetzt vorbei war (oder weil er jetzt vorbei und endgültig geschehen war). Wie sollte sie denn jemals wieder unbeschwert zu Wagenrennen gehen wenn sie dann jedes Mal an Avianus denken musste?


    "Ich glaube, ich muss jetzt wieder nach Hause. Von diesem Fettsack ist vermutlich bald sowieso nichts mehr übrig." Und was würde es nützen? Nichts. Der Fettsack wäre weg, aber Avianus deswegen auch nicht wieder da. Und Seneca auch nicht.


    "Es hat mich gefreut, dich wiederzusehen, Tiberius, und dich kennen zu lernen, Tiberia. Und ich bin sicher, irgendwo treffen wir uns bald wieder."
    Jetzt nur nicht anfangen zu heulen!
    "Jetzt, wo das Leben in Rom wieder richtig losgeht!" Sie versuchte es unbeschwert klingen zu lassen, aber irgendwie wollte es nicht klappen.
    "Valete!"


    Jetzt nur schnell durch die Menge. Nicht, dass noch irgendwer dachte sie würde um den Dicken weinen!

    Diademata widersprach dem Tiberier natürlich nicht. Der richtige Kaiser und eine Ära des Friedens hörte sich einfach zu gut an. Die Iunia glaubte gerne Dinge die sich gut anhörten. Ganz so naiv war sie zwar nicht (nur ein bisschen), aber bei Dingen von denen sie keine Ahnung hatte musste sie schließlich irgendetwas glauben, das irgendwer sagte. Warum also nicht auch das?


    Dann holte ihr Bekannter (der ihr bisher ja tatsächlich gar nicht so bekannt war) seine Vorstellung nach.
    Tiberius? Wow, ob der mit Tiberius Durus verwandt ist? Das ist ja ein starkes Stück!
    Denn wenn er sich damals bei der Volksversammlung vorgestellt hätte, dann hätte Diademata vermutlich die Nase gerümpft. Aber heute war alles anders. Auch wenn sie keine Ahnung hatte was Cornelius Palma von den Tiberiern hielt, heute zählte: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Der Feind war ganz eindeutig Vescularius Salinator und dessen Feind der Tiberius. Eine ganz simple Rechnung. Wenn Tiberius Lepidus also mit Tiberius Durus verwandt war, dann wäre seine Bekanntschaft vielleicht sogar ein echter Glücksgriff. Wenn nicht, dann war er immer noch irgendein Tiberius und ein paar Kontakte zum alten Adel konnten ja nicht schaden. Es war doch wirklich fantastisch wie das Schicksal manchmal dem eigenen Glück nach half.


    Ob er wohl verheiratet ist? Hat nicht Purgitius Macer eine Tiberia geheiratet? Dann kommen Verbindungen außerhalb der Patrizierfamilien für die Tiberier anscheinend in Frage. Schlecht sieht er ja nicht aus.
    Eigentlich sah er sogar recht gut aus. Vielleicht sogar wirklich wie ein junger, aufstrebender Politiker. Diadematas Lächeln wuchs in die Breite. Ja, die Krise war vorbei und die wirklich wichtigen Dinge des Lebens rückten wieder in den Fokus.
    Ich muss unbedingt herausfinden, ob er verheiratet ist!


    "Ich bin Iunia Diademata," stellte sie sich also ebenfalls vor und lächelte dann auch seiner Schwester zu.
    "Es freut mich ebenfalls deine Bekanntschaft zu machen. Es wird wirklich Zeit, dass Rom wieder in Frieden versinkt. Frauen wie wir sollten eigentlich andere Veranstaltungen besuchen als die Zurschaustellung eines Staatsfeindes."
    Hochzeitsfeste! Am besten unsere eigenen!
    Ob sie wohl verheiratet war? Diademata musste neidlos zugeben, dass die Tiberia eine sehr elegante Person war. Dann keimte doch etwas Neid in ihr auf, denn der Tiberius hatte bestimmt längst für eine passende Verbindung für seine Schwester gesorgt. Wahrscheinlich war sie einem Senator versprochen. Oder zumindest einem hohen Beamten. Oder etwas ähnliches.


    Kurz wurde die Iunia abgelenkt von dem lauten Gebrüll eines Soldaten. Ein Wort war dabei wie ein Stichwort für Diademata: Tribunus! Ihr Blick folgte dem Wort und suchte nach dem Angesprochenen. Ein Tribun, das wäre auch etwas! Natürlich, der Reiter war es. Und Diadematas Freude nahm ein bisschen ab. Wie ein Tribun sah der nicht gerade aus (bis auf das Pferd). Aber? Hatte er ihr etwa zugezwinkert? Letzten Endes war es ja gar nicht so wichtig, ob er wie ein Tribun aussah. Wenn er einer war dann war er einer und das würde Diademata reichen (natürlich mit der Aussicht, dass er irgendwann Legatus Legionis werden würde).


    Sie löste ihre Aufmerksamkeit von dem Reiter (Reiter, Ritter, Retter...) und führte das Gespräch mit den tiberischen Geschwistern fort.
    "Ich hoffe sehr, dass das gesellschaftliche Leben bald wieder richtig in Gang kommt. Auch wenn noch einige Trümmer beseitigt werden müssen ist es doch wichtig, dass wir nicht vergessen wer wir sind und was unsere Kultur ausmacht!"
    Nämlich Verlobungen, Hochzeiten, Wagenrennen, Gastmähler, Gladiatorenspiele, Gartenfeiern, Theaterstücke, und natürlich noch mehr Verlobungen und Hochzeiten (ganz besonders die eigene)!

    Zitat

    Original von Lucius Tiberius Lepidus
    ... Er wandte sich zu ihr und spielte auf die frühere Unterhaltung an: "Wie du siehst: Sein Ende nahte und es kam." Währenddessen wandte Lepidus seinen Blick erneut auf Salinator. Hoffentlich wird man ihn bald vergessen - dieses unrühmliche Kapitel in der römischen Geschichte.


    Diademata blickte in das Gesicht des Tiberiers und ein Lächeln erschien auf ihrem. Es war das erste erfreute Lächeln seit langer Zeit (abgesehen von einigen eher verzweifelten kleinen Lächel-Versuchen während der Belagerung). Sie hatte keine Ahnung wer er war, aber ihn nach dem Einmarsch der Befreier lebend wiederzusehen gab ihr irgendwie das Gefühl, dass jetzt vielleicht doch alles gut war. Und dass nicht zwangsläufig alle Menschen die sie in Rom bisher getroffen hatte tot waren.


    "Ja, die Wette hättest du gewonnen," musste die Iunia zugeben ohne dass es ihr Leid getan hätte. "Ich hoffe nur die Götter schicken uns dann jetzt auch den richtigen Kaiser. Und falls nicht, dann hoffe ich, dass der Senat es das nächste Mal merkt wenn der falsche Kaiser auf dem Thron sitzt."
    Doch, ein bisschen Unzufriedenheit war da schon heraus zu hören.


    Dann musste sie schmunzeln. "Männer wie dich bräuchte es im Senat. Vielleicht denkst du mal darüber nach, es müssten ja jetzt einige Plätze frei sein."


    Auf einmal flogen Dinge über sie auf den Salinator zu. Die Iunia bedauerte, dass sie nichts dabei hatte. Aber eigentlich wäre es sowieso nur verschwendet. Dieser Kerl war nicht einmal mehr einen faulen Apfel wert. (Trotzdem hätte sie ihm gerne etwas an den Kopf geworfen. Mit aller Kraft. Und mit der ganzen Wut über Senecas und Avianus Schicksal).

    Endlich konnte man (und insbesondere Frau) in Rom sein Haus wieder verlassen! Und nicht nur das. Nein, es wurde auch gleich noch etwas geboten! Die Zurschaustellung des Usurpators hatte sich ziemlich schnell in der Stadt herumgesprochen. Deswegen hatte sich natürlich auch Diademata herausgeputzt und stand nun in der Reihe der schaulustigen Bürger. Und wartete darauf, dass sich die Schlange langsam vorwärts bewegte. Sie hatte ihren Sklaven Tarik dabei, denn alleine traute sie sich trotz allem noch nicht aus dem Haus. Auch wenn es überall hieß jetzt wäre wieder alles gut (das sagten Eltern auch immer kurz bevor es schlimm wurde).


    Nach dem langen Darben und der scheinbar endlosen Zeit ohne gesellschaftliche Anlässe genoss es die Iunia sogar in der Schlange zu stehen. In der es nicht allzu schnell voran ging. Jeder wollte den Salinator natürlich ganz genau betrachten und seinen Kommentar abgeben. Und schließlich hatte ja auch jeder ein Recht drauf. Staatsfeinde waren schon immer Volkseigentum (oder so ähnlich).


    Und dann stand sie endlich vor ihm.
    Wahnsinn!
    Eklig war der Anblick irgendwie. Aber wie die Motte vom Licht und die Made vom Speck wurde Diademata von der Sensation angezogen. So rümpfte sie nur die Nase, starrte aber mit großen Augen weiter auf den Leichnam.
    Fett war er ja schon. Ziemlich fett sogar. So fett hatte er von weitem gar nicht ausgeschaut. Aber Diademata war ja auch nie so nah an ihn herangekommen. Daran musste sie noch etwas ändern. An den nächsten Kaiser würde sie so nahe herankommen wollen solange er noch lebte. Und noch wichtig war.


    "Wahnsinn!" entfuhr es ihr leise auf die Erklärung zur Todesursache. Sie hatte noch nie jemanden getroffen, dem die Götter persönlich das Leben genommen hatten.
    "Kein Wunder, so wie der aussieht stellen sich die Götter bestimmt keinen römischen Kaiser vor!"
    Und das war schließlich ein Ausschlusskriterium für eine Karriere als Kaiser. Denn bisher hatten schließlich alle Kaiser wie Kaiser ausgesehen (zumindest den Statuen nach zu schließen). Außerdem musste man auch im Hinterkopf behalten, dass ein Kaiser nach dem Tod zum Gott wurde. Also noch mehr Grund für die Götter genauer hinzuschauen.

    Jetzt wurde es wirklich laut. Da brüllte einer wie ein Löwe. Titus Iunius Priscus, Soldat der ruhmreichen Legio Prima im Heer des siegreichen Gaius Flaminius Cilo.
    Hä?
    Jetzt wurde es unübersichtlich. Diademata schaute die Tür ein bisschen entgeistert an. Die Tür schaute völlig unbeeindruckt zurück.
    So war das also. Auf allen Seiten standen Iunier. Eigentlich ganz praktisch. Diademata würde sich dann einfach zu denen stellen, die am Ende noch lebten. Sanitaor, Palma oder Cilo, das war ihr doch völlig egal, wenn dafür Rom endlich normal wäre und sie sich endlich auf die Suche nach einem geeigneten Ehemann machen könnte! Männer!


    Leider war es dem Mob gar nicht egal. Der pöbelte weiter. Wie sie diesen einfältigen Pöbel hasste!
    Vielleicht ist der hier einer von denen? Pff! Vielleicht hat einer von euch selbst dem 'Fetten' den Hintern geleckt und ihr solltet euch gegenseitig aufschlitzen! Vielleicht seid ihr alle nur Idioten!


    In ihren Gedanken konnte Diademata natürlich so vorlaut sein. Tatsächlich hielt sie aber lieber weiter den Mund und lauschte.

    Hallo! Geht's noch? Hier bin doch nur ich! Und ich habe jeden Schutz verdient, jawohl!
    Laut sagte Diademata nichts. Sie zitterte am ganzen Leib. Ihre Augen blickten groß auf die Tür als könnte sie da durchschauen. Außerdem kniff sie die Lippen zusammen um ja nichts zu sagen.
    Geht doch einfach weiter, geht einfach weiter...

    Draußen wurden militärische Befehle gebrüllt. Drinnen schob Diademata einen Sklaven von der Tür weg und legte ihr Ohr an das Holz.


    "Jawohl, geht weg! Hier gibt es nichts," murmelte sie dem Optio beipflichtend vor sich hin.


    Bah, was für ein widerliches Pack von Wendehälsen! Von denen hängt doch jeder sein Fähnchen in den Wind! Gestern haben sie ihrem Kaiser noch zugejubelt und ihm die Füße für ein paar Krumen Brot geleckt. Heute ist er das fette Untier, sie lecken das Hinterteil des nächsten Brotgebers und versuchen sich an allem zu bereichern, was ihnen vor die Nase kommt!


    Natürlich würde es Diademata mit dem Jubeln genauso halten. Wenn nun der Cornelius Palma der Kaiser war dann würde sie halt auch diesem zujubeln. Kaiser war Kaiser. Aber deswegen kam sie noch lange nicht auf die Idee durch Rom zu marodieren! (Was natürlich auch daran lag, dass so etwas nur der Pöbel machte und sich die Iunia einfach für etwas besseres hielt als Pöbel. Denn ihren Vorteil aus allem zu ziehen, das mochte sie schon. Vielleicht schwang also in ihrer Abneigung auch ein bisschen Neid mit.)


    Gespannt lauschte sie weiter an der Tür. Die Gefahr, in der sie trotz der Soldaten vor dem Haus schwebte, war Diademata nicht wirklich bewusst.

    Die trügerische Ruhe die sich durch die Anwesenheit der Soldaten über das Haus gelegt hatte hielt leider nicht lange an. Bald konnte Diademata durch das Compluvium den Mob hören der durch Rom zog. Mal leiser. Mal lauter rund anscheinend schon ganz nah. Das trieb sie wieder rastlos an die Tür.


    "Stehen sie noch vor der Tür?"
    "Ich glaube schon."
    "Bei Fides und Fortuna, ich hoffe sie haben die Wahrheit gesagt und nicht nur auf diese Randalierer gewartet! Ganz Rom weiß doch, dass die Iunier treu zum Kaiser stehen!"


    "HÄNGT SIE AUF! HÄNGT SIE AUF!!" dröhnte es nun vor der Straße.


    Vielleicht hätte sie die Männer doch besser ins Haus gelassen. Was wenn die nun einfach von dem Mob vertrieben werden würden? Wer würde sie dann noch schützen? Diademata schaute auf die Sklaven. Wohlstandssklaven waren das. Nicht gerade fett, aber auch nicht gerade in sportlicher Höchstform. Wer hielt sich mitten in Rom schon einen Kampfsklaven?
    Ich! Wenn das alles vorbei ist dann werde ich mir einen Gladiator kaufen! (Oder schenken lassen)


    "Oh Iuno, steh uns bei!"

    Diademata öffnete ihren Mund aber es kam nichts raus. Sie war sprachlos (was wirklich nicht oft vorkommt). So einfach war das also? Sie sagte, was ihr lieb war, und dann machten die das?
    Wahnsinn!


    Sie schaute Tarik an, ob sie das nicht nur träumte. Aber der zuckte nur mit den Schultern.


    Wortlos verließ die Iunia die Porta und kehrte in den folgenden Stunden immer wieder ungläubig zurück, um nachzusehen (oder besser zu hören), ob die Soldaten immer noch da waren. Nach einiger Zeit hatte sie ein schlechtes Gewissen weil die Männer anscheinend tatsächlich die Casa bewachten. Aber da Diademata weiterhin viel zu große Angst hatte blieb die Tür auch weiterhin zu.


    Das glaubt mir keiner, wenn ich das später mal erzähle.
    Hoffentlich würde es überhaupt noch ein 'später' geben. Denn anscheinend hatte das große Wüten in Rom noch gar nicht angefangen.

    Erschrocken schlug sich Diademata eine Hand vor den Mund um zu verhindern, dass ihr erschreckter Ausruf allzu laut wurde. FÜNF! FÜNF LEGIONEN! FÜNF LEGIONEN DES KAISERS APPIUS CORNELIUS PALMA!
    In einem klassichen Drama würde sie nun in Ohnmacht fallen und dann würde ihr Held (vielleicht Seneca oder der Decimus-Praefectus Praetorio) von irgend woher kommen und sie aus diesem Alptraum retten. Leider war das kein klassisches Drama. Natürlich könnte Diademata auch so in Ohnmacht fallen und dann würden sich die Sklaven um alles kümmern müssen (und wenn sie Mist bauten, dann würde sie sie hinterher einfach auspeitschen lassen). Leider wusste Diadematas Körper nur anscheinend nicht wann der richtige Zeitpunkt für eine Ohnmacht gekommen war.


    So stand sie also hellwach da, die Augen weit aufgerissen und kämpfte gegen die Tränen, die zu allem Überfluss nun auch noch in ihre Augen stiegen. Denn wenn die Männer Palmas nun tatsächlich in Rom waren, dann mussten Seneca und Avianus längst tot sein (denn ansonsten würden sie doch Rom immer noch mit ihrem Leben verteidigen). Anders konnte es nicht sein.


    Sticken. Weben. Geld verwalten. Singen. Ein bisschen Kochen. Einem Mann die Füße massieren. Diadematas Mutter hatte sie mit ihrer Erziehung auf alles mögliche vorbereitet, was wichtig für eine ordentliche Römerin war. Nur anscheinend hatte sie die wirklich wichtigen Dinge des Lebens völlig vergessen. Zum Beispiel was die Römerin im Fall eines Bürgerkrieges machen sollte. Was die Römerin tun sollte, wenn Rom belagert wurde. Oder was sie tun sollte, wenn vor der Casa auf einmal 'der Feind' stand und höflich anklopfte.


    Darüber hinaus fehlte Diademata jegliche Lebenserfahrung um so eine Situation selbst zu beurteilen. Wenn sie den Männern sagen würde, dass die Iunier auf der anderen Seite des Krieges standen, dann würde sie das vermutlich nur wütend machen. Andererseits konnte sie ihnen unmöglich die Tür öffnen und sich ihnen damit auf dem Präsentierteller servieren. ('Nimm keine Honigplätzchen von von fremden Männern an, steige nicht zu ihnen in die Sänfte und öffne niemandem die Tür, den du nicht kennst.' Das war immerhin auch etwas, das ihre Mutter ihr eingebläut hatte.)


    "Könnt ihr die Casa nicht viel besser von außen beschützen?" rief sie laut durch die Tür und vergaß dabei ganz, dass sie ihre Anwesenheit damit Preis gegeben hatte (die sie doch eigentlich lieber verbergen wollte, um die Männer nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Schließlich wusste jede Frau, sogar Diademata, was Männer nach Belagerungen mit Frauen machten).

    "Gnihihihi!" kicherte Diademata wie ein kleines Kind. "Ich habe doch gewusst, dass sie mich nicht alleine lassen! Los, öffnet die Tür!"
    "Warte," mischte sich aber jetzt Tarik ein, der seiner Herrin nicht von der Seite gewichen war. "Der Kaiser hat keine Legion in der Stadt."
    Die Iunia brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, was das bedeutete. "Du meinst ... ? Aber woher kennen sie Axilla?"
    "Jedes Kind draußen auf der Straße weiß welche Familie hier wohnt. Außerdem wohnt Axilla nicht hier. Deine Cousins wüssten das."


    Diademata war hin und hergerissen von dem Wunsch, die Verantwortung für die Sicherheit der Casa und ihre eigene Sicherheit in die Hände eines starken Soldaten zu legen, und der Furcht was passieren würde, wenn die Verräter in die Casa eindrangen.
    "Du hast Recht," stimmte sie Tarik leise zu.


    Dann trat sie zu dem Tür-Sklaven und flüsterte: "Sag ihm, dass der Kaiser in Rom keine Legion hat! Dann frag, wer ihr Feldherr ist und weshalb der wohl wollen sollte, dass dieses Haus geschützt wird."


    Also tat der Sklave das laut durch die Tür hindurch.
    "Der Kaiser hat keine Legion in Rom! Wer ist euer Feldherr und weshalb sollte er ein Interesse daran haben, diese Casa zu schützen? Wer garantiert uns, dass ihr nicht selbst plündern wollt und auf offene Türen hofft?"

    Eine Weile blieb es ruhig. Dann erschien wieder der Sklave.
    "Soldaten! Soldaten stehen vor der Tür und klopfen an!"


    "Sie klopfen an?" Erleichterung durchflutete Diademata. "Das ist unsere Rettung!"
    Bestimmt waren es Urbaner oder Prätorianer die in Rom verblieben waren. Bestimmt hatte Seneca das organisiert, dass im Notfall ein Trupp Soldaten die Casa schützen würde. Bestimmt war es so. (Ganz sicher!)


    "Ich komme!" Die Iunia sprang auf und eilte zur Porta.

    Die Porta war gesichert und fest verriegelt. Trotzdem hörten die Sklaven, dass sich draußen etwas tat. Als dann jemand klopfte rannte einer von ihnen schnell ins Atrium.


    "Wer fordert Einlass und aus welchem Grund?" fragte ein anderer so laut dass man es durch das Holz hindurch hören würde.


    Und noch bevor eine Antwort möglich war kam auch schon Diademata an die Tür. Gespannt wartete sie mit den Sklaven auf die nächsten Worte.

    Ein ganz normaler Tag. Fast.


    "SIE SIND DRIN! SIE SIND DRIN!" brüllte der Sklave durch das halbe Haus.


    Wie von einer Biene gestochen sprang Diademata von ihrem Stuhl auf. "Drin? Obwohl es eigentlich nichts anders gab, auf das sie wartete, wusste sie jetzt nicht genau, was der Sklave meinte.
    "Die Verräter sind in Rom!" plärrte der Sklave jetzt ins Atrium. "Sie haben die Stadtmauer eingerissen, die Senatskurie zerstört und schon den halben Palast verwüstet!"
    Das hatte zumindest die Frau geschrien, die wie ein aufgescheuchtes Huhn an der Casa Iunia vorbei geeilt war und zwischen ihren Hiobsbotschaften immer wieder die Götter um Hilfe angefleht hatte.


    "Iuno steh uns bei!" Auch Diadematas erste Hoffnung galt den Göttern. Die ganzen langweiligen Tage hatte sie gehofft, dass endlich etwas passieren würde. Jetzt wünschte sie sich die Langweile zurück.


    "Alle auf ihre Posten! Kontrolliert die Sicherung der Eingänge! Hat jeder seine Waffe bei sich?" Natürlich hatten sie. Seit Tagen schon trug jeder Sklave im Haus mindestens einen Knüppel. Diademata selbst hatte sich für ein Küchenmesser entschieden. Gift wäre natürlich jeder Römerin erste Wahl. Aber wo hätte sie so schnell Gift her bekommen sollen? Denn die Iunia hatte nicht vor mit ihrem Küchenmesser groß zu kämpfen. Vermutlich würde sie sich dabei nur selbst schmerzhaft verletzten. Nein, im schlimmsten Fall würde sie sich das Leben nehmen (wahrscheinlich würde sie sich auch dabei nur selbst schmerzhaft verletzen, aber daran wollte sie jetzt nicht denken).


    Die Stille im Atrium machte Diademata ganz nervös. Warum hörte man keine Schreie von draußen? Warum hörte man nicht das Einbrechen von Mauern, das Knacken von Gebälk oder das Knistern von Feuer?
    "Oh Iuppiter und Iuno, steht uns bei!" flüsterte die Iunia und setzte sich wieder hin. Obwohl sie sich seit Tagen auf diesen Tag vorbereitet hatte, war sie völlig überfordert mit der neuen Situation.

    "Und?"
    Diademata schaute die Sklavin, die gerade vom Eingang kam, mit großen Augen an.
    "Nichts neues." schüttelte diese den Kopf und sah dann zu, dass sie schnell hinter einer Säule in Deckung ging.


    "NICHTS!" Diadematas Stimme überschlug sich. "Nichts! Es tut sich hier überhaupt nichts! W A R U M? Was zum Geier machen die da draußen eigentlich? Herumhocken und Würfel spielen? Warum nimmt der Kaiser nicht endlich seine Männer und fegt diese Verräter von den Feldern Roms! W A R U M? Kann mir das irgendjemand erklären?"
    Kein Sklave wagte auch nur seinen Blick zu heben.


    Seit Tagen war die Iunia launisch. Eigentlich seit sie hier eingesperrt war.
    Blöde Belagerung!
    Ständig pendelte sie zwischen Langeweile, Lagerkoller und der Angst davor was passierte, was schon passiert war und was noch passieren würde. Sie wollte doch einfach nur ein ganz normales Leben führen. Sie wollte mit Seneca auf Volksfeste gehen, mit Avianus Wagenrennen anschauen und Axilla besuchen und staunen wie groß Titus geworden war.
    Ist das denn zuviel verlangt?


    Und vor allem wollte sie heiraten, damit sich ihr Ehemann mit allen Widrigkeiten des Lebens herumschlagen konnte. Nur wie sollte sie einen Ehemann finden, wenn sie hier regelrecht eingesperrt war? (Wieso gab es eigentlich keine Göttin, die Frauen im Falle einer Belagerung anrufen konnten, damit sie ihnen einen passenden Ehemann vor die Tür schickte?) Am Ende dauerte diese Belagerung noch Jahre! J A H R E! (Diademata hatte davon gehört, dass es solche Belagerungen gab).


    "MÄNNER!" schimpfte sie das Atrium an und stampfte dabei undamenhaft mit dem Fuß auf. Der Kaiser war auf jeden Fall als Ehekandidat unten durch. Sie wollte einen Mann der sich durchsetzen konnte und nicht einen, der sich in seinem Palast verkriecht wenn es hart auf hart kommt.


    "Du!" pickte sie sich einen Sklaven heraus, der nicht rechtzeitig genug in Deckung ging. "Ich will jetzt wissen, was die da treiben! Du wirst nach draußen gehen und dich umhören. Ich will wissen, warum der Kaiser nicht endlich etwas tut und wann unsere Soldaten endlich angreifen!"

    Wie die Kaiserin höchstpersönlich stolzierte Diademata durch die Casa Iunia und begutachtete die Situation. Und genau das war war ihre Arbeitshypothese nach den Ereignissen auf dem Marsfeld. Sie, Iunia Diademata, war die Regentin des Imperium Iunianum, eines kleinen aber feinen Kaiserreiches inmitten verfeindeter Schlachtfelder.


    Ihr Imperium hatte nichts mit den Kämpfen um sie herum zu tun. Nicht das geringste (jetzt nur nicht wieder an Seneca und Avianus denken)! Alles was zählte war ihr Reich aus allem herauszuhalten und dafür zu sorgen, dass das Haus nicht zusammen krachte. Außerdem musste sie ihr Volk (die Sklaven) bei Laune halten. Oder besser gesagt mit strengen Zügeln im Zaum halten. Ihr Onkel Optatus hatte oft erwähnt, dass Sklaven schnell aufmüpfig wurden wenn sie Schwäche an ihren Herrn erkannten. Doch Diademata war nicht schwach. Die erste Sklavin hatte sie schon eigenhändig ausgepeitscht weil sie eine ganze Amphore mit Wein verschüttet hatte (so eine Verschwendung konnten sie sich nicht leisten! Wer wusste schon wann man wieder unbehelligt auf den Märkten einkaufen konnte)!


    Es herrschte also ein strenges Regiment in der Casa Iunia, insbesondere seit die Rebellen direkt vor den Toren Roms standen. An beiden Hauseingängen waren rund um die Uhr drei Männer postiert, von denen jeweils nur einer schlafen und einer sich ausruhen durfte. Aus diesem Grund waren extra Strohsäcke aus den Sklavenquartieren an die Porta verlegt worden. Jedem Trupp waren außerdem zwei Sklavinnen zugeteilt, die im Notfall den Alarm durch das Haus tragen konnten. Diademata selbst hatte sich im Atrium einquartiert, der große, starke Tarik immer in ihrer Nähe. Das Haus war ihr schon immer zu groß erschienen, doch nun hatte sie Angst allein in ihrem Cubiculum (würde sie natürlich nie zugeben!).


    Während sie so die Stellung hielt dachte sie auch viel über den Kaiser nach. Der Kaiser war der Kaiser war der Kaiser. Wenn allerdings die Rebellen Salinator stürzen würden, dann wäre Cornelius der Kaiser. Und der Kaiser war der Kaiser war der Kaiser. Eigentlich war es Diademata also egal wie dieser Krieg ausgehen würde. Hauptsache Seneca und Avianus würden wieder zurückkommen. Sie dienten schließlich auch nur dem Kaiser. Auch wenn Diademata nicht so genau wusste, ob den beiden die Person des Kaisers ebenso egal war wie ihr selbst. Außerdem wäre es um den Praefectus Praetorio schade. Nach den Fors Fortuna und der Eröffnung, dass dieser Mann noch nicht vergeben war hatte sich Diademata in den Kopf gesetzt, ihn zu heiraten. Nun würde daraus wohl nichts mehr werden. Entweder stand er auf der Seite der Verlierer. Oder er stand auf der Seite der Versager. Was bedeutete, dass sie mit ihrer Suche nach einem geeigneten Ehemann wieder von vorne anfangen musste.


    "Das Leben ist einfach unfair!" blaffte sie den Stein-Kopf des Iunius Brutus (des berühmten, nicht des berüchtigten) bei ihrer Rückkehr ins Atrium an und setzte sich unzufrieden auf eine Kline.
    "Und langweilig noch dazu! Blöder Krieg, sowas können sich auch nur Männer ausdenken!"

    Zitat

    Original von Lucius Tiberius Lepidus und Marcus Helvetius Commodus
    LTL: "Wenn die Truppen in Rom einfallen sollten, dann harre zuhause aus, bis alles vorbei ist. Wage dich nicht hinaus, hab Acht und sei geduldig. Wenn dieser Krieg vorbei ist, wird Rom ehrenhafte Bürgerinnen brauchen."
    ...
    MHC: "Dürfte ich auch deinen Namen erfahren und fragen ob du bisher persönliche Verluste in diesem Krieg hattest?"


    Die Worte von Tiberius Lepidus waren so eindringlich und klangen deswegen so real, dass Diademata ganz flau wurde im Magen. Im Gegenteil zu ihr schien dieser Mann die Sitution einschätzen zu können (um sie herum schien außerdem irgendwie niemand so richtig zuversichtlich). Und wenn er sich irrte dann konnte die Iunia zumindest nichts falsch machen wenn sie zu Hause blieb (außerdem hatte der Kaiser ja auch gesagt, dass sie nur ausharren müssten). Sie nickte stumm, dann drehte sich der Tiberier auch schon um und verschwand in der Menge.


    Helvetius Commodus sprach sie wieder an. Was in diesem Augenblick keine gute Idee war, insbesondere nicht mit den Fragen, die er stellte. Woher sollte sie wissen, wen sie verloren hatte wenn doch alle fort waren!
    "Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für ein Schwätzchen!" pampte sie ihn deswegen an.
    "Ich werde nach Hause gehen und zu den Göttern beten, dass ich mich nicht verbarrikadieren muss! Und du solltest entweder das gleiche tun oder dich bei den Urbanern melden, um zu verhindern, dass es so weit kommt!"
    Zum Glück war Diademata kein Mann und musste sich darüber Gedanken machen. Der Kaiser und die tapferen Soldaten Roms würden schon wieder alles richten.


    "Wenn das alles vorbei ist, dann kannst du auch meinen Namen erfahren." Falls sie dann noch lebten. "Bis dahin mögen die Götter dich und ganz Rom schützen!"


    Sie drehte sich um und gab Tarik einen Wink, dass er ihr einen Weg durch die Menge bahnen sollte. Im Rücken des Sklaven verspürte sie einen Hauch von Sicherheit, aber auch einen Hauch von Heimweh. Sie wünschte sich in Baiae geblieben zu sein bei ihrer Mutter und Onkel Optatus. Das wäre alles so viel einfacher. Sie würde in aller Ruhe abwarten (ohne sich zu verbarrikadieren) und wenn diese Unruhen vorbei wären nach Rom reisen und sich aus den Überlebenden einen wichtigen Ehemann aussuchen ohne Gefahr zu laufen, dass er in den Wirren des Bürgerkrieges seine Wichtigkeit verlor.


    Trotz allem fand Diademata auch noch etwas gutes an der Situation.
    Wenigstens hat das mit dem Ehemann noch nicht geklappt. So bleibt mir immerhin ein Trauerjahr nach seinem Verlust oder die Scheidung von einem Verräter erspart, dachte sie auf dem Weg nach Hause.