Bitte was? Ich glaubte wohl, ich hörte nicht richtig! Einer meiner Sklaven sollte sich an diesem Aufstand beteiligt haben? Der Sklaven, die sich nicht mal trauten, mir ein Widerwort zu geben? Die sollten mich hintergangen haben, um sich an einem Aufstand gegen Rom (und also auch gegen mich als Prokuratorin!) zu beteiligen? Das war ja wohl lächerlich! Und absolut unglaubwürdig. Hatte mich der Tiberier denn gar nicht kennengelernt? Eine Frau, die am Kaiserhof eine wichtige Prokuratorin gewesen war. Die sollte plötzlich von ein paar eigenen Sklaven überfordert gewesen sein? (Wollte er, dass diese Lüge aufflog?) Noch dazu, dass er den fiktiven Sklaven auch noch zum Ianitor machte! Wo hatte ich denn bitte einen Ianitor?! Der Ianitor der Casa Sergia gehörte der Besitzerin der Casa Sergia: Meiner lieben Base Severa. Und der Ianitor der Domus Iulia gehörte dem Hausherrn der Domus Iulia. Und wer war dort der Hausherr..? (Den einzigen Ianitor, den ich hatte, war der in meiner Villa bei Misenum. Der aber garantiert keinen Wirkradius bis Rom hatte. Das war absurd. Völlig unrealistisch.) Ich konnte es kaum fassen! Man brauchte nur einen Blick in meine Buchhaltung werfen. Dann konnte man ganz leicht sehen, dass ich keinen einzigen Sklaven (nicht einen!) im Zeitraum des Aufstands verloren hatte. Keiner war abhanden gekommen. Weil sich keiner daran beteiligt hatte. Warum sich niemand darum kümmerte, wessen Sklaven wirklich revoltiert hatten. (Brandzeichen und Co. Da gabs ja Möglichkeiten.) Das leuchtete mir nicht ein. Stattdessen dichtete man mir diese durchschaubare Lüge an. Die wirklich jeder nach kurzem Überlegen enttarnen konnte. (Man musste sich ja nur fragen: Wozu hatte ich hier in Rom einen Ianitor? Dann kam man nahezu sofort drauf, dass da was nicht ganz richtig war!) Eine absolut durchschaubare Lüge. Die ich jetzt trotzdem irgendwie so hinbiegen sollte, dass man sie am Ende halbwegs glauben konnte. Männer! Bis zur nächsten Bettkante konnten sie gerade so denken. Viel weiter aber anscheinend nicht.
Was natürlich auf der andren Seite auch eine Chance war. Denn die Kommission bestand ja durchweg aus Männern.. nicht wahr? Ich bemühte mich. Mir nicht gleich anmerken zu lassen, wie absurd ich die Aussage vom Tiberius fand. Auch dass der fiktive Sklave angeblich immer noch in Gewahrsam saß, widerstrebte mir völlig. Und zeigte mir, dass der Tiberius zwar körperlich irgendwie anwesend gewesen war bei meinem Verhör. Aber ansonsten anscheinend nicht viel mitbekommen hatte. Was jetzt wirklich noch zum Problem werden konnte. Denn ein bisschen lügen und mich verstellen. Das konnte ich. Aber mal eben so zu tun, als hätte ich eine komplett andere Persönlichkeit. Sowas konnte ich ganz sicher nicht glaubhaft rüberbringen. Was er eigentlich wissen sollte, so schnell wie ich ihm nach meinem Verhör wieder Kontra gegeben hatte. Denn ich war nunmal keine liebe, brave Ehefrau. Die heute mal ein bisschen mit einem Sklaven überfordert war. Und so einen törichten Sklaven dann auch noch lieb und nett mit dem Weiterleben belohnte. Wer sollte das glauben? Dass ausgerechnet ich so herzensgut war? Meine Sklaven wurden bestraft, wenn sie nicht spurten. Das war ich. Und je größer der Fehler, umso größer die Strafe. Auch das war ich. Gewahrsam.. pff. Die Freiheit konnte man einem Sklaven nicht mehr nehmen. Erst kam die Züchtigung. Und danach dann irgendwann der Tod. Das war ich. Hart. Und konsequent. Anders wäre ich in meiner Laufbahn nie so weit gekommen. Nicht als Frau. Da kam man mit "lieb und nett" nämlich nicht sehr weit.
Am Ende fehlten mir einfach komplett die Worte. Die Antwort des Tiberiers war so.. so.. so! Einfach unbeschreiblich. Mir fiel nichts ein, was ich zu seiner Antwort noch sagen konnte. Denn das war eine völlig andere Frau, die der Prätorianer da zeichnete. Eine Unbekannte. Eine Fremde, die ich sein sollte. Und das war mein ganzes Dilemma. Denn eine gute Lüge schmiegte sich so eng an die Wahrheit, dass man sie nicht mehr von der Wahrheit unterscheiden konnte. Das war eine gute Lüge. Wer eine komplett neue Realität schuf, die mit der Wahrheit mal gerade noch gemeinsam hatte, dass ich ne Frau war. Pff. Da konnte ich am Ende wirklich nur noch angespannt lächeln und stumm nicken. Und selbst damit standen die Chancen immer noch gut, dass mit einer richtigen Frage das komplette Kartenhaus in sich zusammenfiel. Hätte der Mann bloß mich diese Frage des Konsuls beantworten lassen. Das Bild der überforderten Hausfrau hätte ich schon irgendwie wieder relativiert. Und zu dem fiktiven Christianer-Sklaven hätte ich auch schon irgendwas zusammengeschustert. Ihn zum Beispiel zum Cursor gemacht. (Boten brauchte man ja immer. Und die waren dazu ja auch noch viel unterwegs. Kamen viel rum. Konnten viele Kontakte knüpfen.) Da wär mir schon was zu eingefallen, was nah genug an der Wirklichkeit war, dass man es mir auch abnehmen konnte. Aber das? Ein Ianitor in Gewahrsam. Da hatte ich keinen Schimmer, wie ich das noch glaubhaft verkaufen sollte. (Immerhin wusste ich jetzt, warum der Prätorianer Tiberius hieß. Ein Name, der ja normalerweise für "Patrizier" stand. Und also für "Senatorenlaufbahn".. Trecenarius. Der Mann war wahrscheinlich nicht mal Ritter.)
Die Frage des Konsuls hakte ich also innerlich ab. Der Tiberius hatte sie für mich beantwortet. Und dieser Antwort konnte ich nicht mehr viel hinzufügen. (Ich hätte nicht gewusst was.) Die nächste Frage stellte der Flavius. Eine schöne Frage. Ich nickte unbewusst. Aber bevor ich etwas sagen konnte, redete der Tiberius wieder. Und verhielt sich mir gegenüber wie der letzte Idiot. (Registrierte er überhaupt, dass ich im Raum war, während er SO über mich herzog?!) Mein Kopf bewegte sich ganz leicht von links nach rechts und wieder zurück. Denn mit jedem weiteren Wort des Prätorianers sank mein Wille zum Mitspielen gewaltig. Erst diese absurd schlechte Lüge, die er mir in den Mund gelegt hatte. Die hinten und vorne keiner Nachfrage standhalten würde. Dann diese offene Beleidigung im Beisein anderer. Er führte mich hier gerade vor! Dieser schwarze Depp. "Fausta bleib ruhig!" So mahnte ich mich selbst. Und sagte nichts. Nicht zur Königin. (Was so abstrus war, dass es dem ersten sofort so lächerlich erschien, dass er lachen musste.) Nicht zur "römischen Zurückhaltung". (Seit wann bitte waren denn Zurückhaltung und Demut römische Tugenden?! Wer sowas behauptete, während er von den Mos Maiorum redete, der hatte keine Ahnung. Von nichts.) Nicht zu den frevelhaften Worten des Prätorianers über den Augustus. (Ich hoffte, der angegriffene Petronius erzählte das rum.)
Und dann fühlte sich auch der Konsul stark genug, um nochmal verbal auf mich einzuschlagen. Ausgerechnet der! "Ich muss mich entschuldigen. Mir wurde mitgeteilt, dass ich heute als Zeugin hier stehen soll, um dieser Kommission ihre Fragen zu beantworten. Aus dem Grund bin ich herkommen. Aus freien Stücken. Um zu helfen." Ich lächelte abschätzig. "Aber es scheint mir, als will man meine Hilfe hier gar nicht. Ich bin zu impulsiv, zu narzisstisch und zu emotional, um ein öffentliches Amt auszuüben? Dann bin ich auch zu impulsiv, zu narzisstisch und zu emotional, um hier als Zeugin vor dieser Kommission auszusagen." Kühl gesprochen. "Alle hier haben ihre vorgefertigte Meinung über mich. Der Decimus." Ich zeigte auf ihn. "Er hat mich vor wenigen Tagen aus seinem Patronat entlassen. Nicht in einem persönlichen Gespräch. In einem unpersönlichen Brief. Ohne jede Begründung. Heute ist mir nun klar: Als Eques und Prokuratorin, die nichts brauchte, war ich eine tolle Klientin, mit der man gut angeben konnte. Jetzt, wo ich zum ersten Mal wirklich den Schutz meines Patrons gebraucht hätte, da war es angenehmer, wenn er mich plötzlich nicht mehr kannte." Soviel zu den Mos Maiorum, von denen hier plötzlich alle redeten. "Der Claudius." Zeigte ich dann auch auf den. "Kennt mich noch nicht mal eine Stunde und meint bereits mein ganzes Wesen zu kennen. Wie? Weil ich es gewagt habe, mich unwohl zu fühlen vor einer Gruppe namenloser Gesichter?" Seine drollige Belehrung legte das nah. Aber ich war ja diejenige, die hier übertrieben impulsiv und emotional reagierte. Nicht wahr? (Und ja: Jetzt tat ich es. Nachdem man mich schon soo darum bat.)
Ich zuckte mit den Schultern. "Es mir also Leid. Dass ich mich unwohl fühle, wenn ich vor lauter namenlosen Gesichtern etwas aussagen soll. Dass ich mich unwohl fühle, wenn man mich als Zeugin lädt und dann wie eine Verdächtige verhört. Dass ich mich unwohl fühle, wenn ich in diesem Haus vom Senator Claudius mehreren Soldaten gegenüberstehe. Obwohl der Kaiser Claudius es als unsittsam allen Soldaten verboten hat, das Haus eines Senators zu betreten." Ich schüttelte den Kopf. "Und dass ich mich unwohl fühle, wenn trotzdem ich es bin, die keine hingebungsvolle Römerin nach den Sitten ist. Obwohl es auch nicht mein Haushalt ist, der neuerdings Asyl bietet für gescheiterte Aufständische." Denn von der öffentlichen Versklavung durch die Prätorianer hatte ich mittlerweile auch gehört. "Es tut mir Leid, dass ich eine emotionale Frau bin." Der letzte Satz war der einzige, den ich halbwegs ernst meinte. Denn ich war nun mal keine schweigsame Raute in der politischen Landschaft, die sich offen demütigen ließ, um damit mittelfristig ihre Macht zu erhalten. Das war ich nicht. Ich war emotional. Und wenn dieser Männerzirkus hier meinte, dass man mich so offen provozieren musste (ich hatte ja extra angeboten, den Raum zu verlassen!), dann verlor ich irgendwann halt meine Coolness. "Was ich den Prätorianerkohorten über die Verstrickung meines Ianitors berichten konnte, das weiß bestimmt auch der Prätorianer hier im Raum. Und kann es euch gerne berichten. Ich fühle mich leider nicht mehr dazu in der Lage, hier noch irgendwas beizutragen." Nicht nach dieser Behandlung. Dieser Demütigung. Der zweiten schon durch den Tiberius. (Das würde noch Konsequenzen haben. Wahrscheinlich auch für mich. Ganz sicher aber für ihn.)
Aber auch ohne den Eklat hätte ich jetzt nichts groß auf die Frage vom Flavius antworten können. Weil mich die erste Antwort vom Tiberius einfach völlig, völlig aus der Bahn geworfen hatte. (Was hatte er auch eine Frage vom Konsul beantworten müssen, die der an mich gerichtet hatte?) Entweder er ließ mich eine Geschichte erfinden, um die Christianer zu belasten. Oder er hätte seine Geschichte vielleicht vorher ein bisschen mit mir abstimmen sollen. (Dann hätte ich ihn auch auf die Schwachstellen aufmerksam gemacht.) Aber so? So hätte ich meine volle Konzentration jetzt darauf verwenden müssen, dass ich mich in einer Geschichte, die ich nicht kannte, wenigstens nicht noch in irgendwelche Widersprüche verstrickte. Was bedeutete: Eigentlich musste mir der Tiberius seine Geschichte sowieso komplett vorkauen. Denn die Frau, die er beschrieben hatte, die gab es nicht. Eine Prokuratorin, die von ein paar eigenen Sklaven überfordert wurde. Oder die unlogische Sache mit dem Ianitor in Gewahrsam. Selbst die Christianer-Sache: Ich war in Alexandria groß geworden. Wo wahrscheinlich noch mehr Christianer lebten als hier in Rom. Wo die zum Alltag gehörten. Sogar politisch in der Stadtversammlung vertreten waren. So alltäglich waren die da.. So richtig viel hatte ich damals zwar nicht über diese Sekte gelernt. (Einfach weil ich mich für diesen unrömischen Unsinn nie interessiert hatte.) Aber gereicht, um von einem Christianer-Sklaven nicht gleich völlig überfordert zu sein, hatte es allemal. Eigentlich. Aber auch das war ja wieder ich. Nicht die Frau, die der Prätorianer als "ich" gezeichnet hatte. (Inzwischen fragte ich mich wirklich, ob der vor seinem Verhör eigentlich überhaupt irgendwas über mich recherchiert hatte. Oder ob in seinem ominösen Bericht, von dem der Konsul eingangs geredet hatte, am Ende nicht mal was über die Verwandtschaft zu meinen helvetischen Vettern stand.)
Ich wartete noch einen Moment. Wollte noch irgendwer was zu mir sagen? Mich am Gehen hindern? Falls nicht, hatte ich auf diese Posse nämlich wirklich keine große Lust mehr. Ein Konsul, der sich von meinem Unwohlsein zu Anfang schneller angegriffen fühlte als meine Freundin Sabinilla. Damals in Alexandria. Als wir noch zwei kleine Mädchen waren. (Und trotzdem war ich hier die Emotionale.) Ein Prätorianer, der über die Mos Maiorum schwadronierte. (Ich war erst meinem Vater gefolgt: Cursus Publicus. Dann meinem Großvater in den Ritterstand. Wem war der Tiberius.. als Patrizier.. ausgerechnet in den Stiefel eines einfachen Soldaten gefolgt?) Nicht zu vergessen, dass ich ja nicht rational denken konnte. Weil ich eine Frau war. (Aber auf wessen Mist war die abstruse, unlogische, irrationale Ianitor-Geschichte gewachsen? Hm?) Ich kochte innerlich vor Wut. Dieses selbstgerechte Männerpack!