Beiträge von Nero Germanicus Ferox

    "Antias, der Maultierkaiser! Wenn du es wirklich irgendwann zu deinem Wappentier machst, schenke ich dir zu Feier ein leibhaftiges und es wird einen Lorbeerkranz auf dem Kopf tragen. Das schwöre ich, so wahr ich hier im Maultiermist stehe!"


    Er zeigte auf seinen rechten Schuh, mit dem er versehentlich in einen Maultierapfel getreten war. Er hob den Fuß und rieb den Dreck mit einer Handvoll Stroh ab, während sein Bruder von der Eignungsprüfung erzählte.


    "Zwanzig Jahre Dienstzeit sind schon eine ganze Menge, das stimmt. Aber weniger als fünfundzwanzig. Und die Wahrscheinlichkeit, nach Ablauf der Zeit noch zu leben, ist sicher höher als an der Front. Ich weiß ja nicht, was du heut noch so vor hast, vielleicht kannst du mir den Weg zur Castra zeigen? Aber fühl dich nicht gezwungen, falls du schon was anderes geplant hast. Die Casa Germanica habe ich nach einigem Suchen schließlich auch gefunden."

    „Ja, sehr nette und hilfsbereite Menschen. Das hätte ich nicht erwartet, besonders nicht nach der Aktion mit dem Muli und dem anfänglichen Gebrüll von Sedulus. Der Sklave, der mich ins Atrium geführt hat, war gerade dabei, die Erde aufzukehren, du hättest seinen hasserfüllten Blick sehen sollen!“


    Er lachte und klopfte dem Tier den Hals. Das Fell stiebte nur so. Er löste die Gurte und wuchtete die Packtaschen herunter. Lieblos warf er sie in eine Ecke. Es war ohnehin nichts Wertvolles darin.


    „Ich glaub, wenn du das Maultier wirklich zu deinem Wappentier machst und es in deinem Leben zu was bringst, hassen dich alle. Die anderen mit ihren edlen Löwen, Pferden, Falken... und mittendrin ein Muli, das mit ihnen auf einer Stufe steht und sie mit seinem Anblick verhöhnt.“


    In seinem Kopf entstand das Bild eines Signifers, der statt eines Wolfsschädels die Ohren eines Maultieres auf dem Helm trug und mit grimmigem Blick das Feldzeichen empor hielt, auf dem der graue Vierbeiner prangte. Es wurde abgelöst von einem ergrauten Antias im Atrium seiner eigenen Casa, deren Bodenkacheln ein Muli zierte, das jedem Besuch spöttisch entgegen grinste. Dazu der verbiesterte Blick eines Senators, der gerade zu Gast war und sich veralbert fühlte.


    Er musste schmunzeln. „Ein solcher Scherz würde zu dir passen!“


    Es tat gut, hier draußen so ungezwungen mit seinem Bruder herumzublödeln. Die Vorstellung, mit ihm zusammen bei den Cohortes Urbanae zu dienen, schien ihm reizvoller denn je. „Angenommen ich würde mich dazu entschließen, bei den Urbanern anzufangen … was müsste ich da als erstes tun? Einfach hingehen und sagen, hier bin ich?“

    Ferox blieb allein mit den beiden Senatoren zurück. 'Links und rechts ein Rosenstöckchen, in der Mitte ein Mistböckchen', ging es ihm durch den Kopf. Trotz des sehr freundlichen Gesprächs fühlte er sich in dem sauberen, hellen Haus in Anwesenheit der beiden älteren Männer fehl am Platze. Sie hatten es im Leben zu etwas gebracht, waren Senatoren und Familienväter, denen diese prachtvolle Casa gehörte und denen ein Heer von Sklaven unterstand. Ferox wusste noch nicht einmal, wie man 'Senator' schrieb.


    Er erhob sich, während er überlegte, was wohl eine angemessene Verabschiedung sein mochte. Er konnte ja schlecht wie bei einem Kumpel mit Handschlag und einem 'Mach`s gut' aus dem Hause gehen. Und so eine wohl durchdachte Rede wie Antias bekam er nicht auf die Reihe.


    „Danke für alles“, sagte er. Damit konnte man wohl nichts falsch machen. „Und... äh... ich lasse mein Gepäck im Stall liegen, das stinkt ziemlich. Vielleicht kann sich später ein Sklave darum kümmern, wenn einer Zeit findet, sonst bringe ich es einfach selber auf mein Zimmer, wenn ich wieder komme.“


    Er neigte den Kopf, wie er es sich von Antias abgeschaut hatte. Wenn sein Bruder das so machte, dann war das sicher richtig, zumindest hatte keiner der Hausherren schief geschaut. „Bis später“, sagte er und kam sich unsäglich dumm vor bei diesem Satz, aber ihm fiel kein besserer ein. „Und noch mal danke!“


    Eilig flüchtete er nach draußen.

    Ferox war sprachlos. So viel Gastlichkeit hatte er nicht zu erträumen gehofft! Immerhin sah der Senator ihn heute das erste mal. Ihn rührte so viel Vertrauen, immerhin könnte er auch zu der Sorte gehören, die nicht davor Halt machen ihre eigenen Verwandten zu bestehlen. Dass er eine ehrliche Haut war und nie jemandem etwas Schlechtes tun würde, der gut zu ihm war, konnte ja niemand wissen.


    "Das wäre ... das wäre zu gütig", antwortete er und hoffte, dass es niemandem auffiel, dass seine Augen feucht glänzten. Er tat so, als würde er sich mit den Fingern die Stirn reiben, während er mit der Handfläche rasch die Feuchtigkeit aus seinen Wimpern wischte.

    Ferox war dankbar für die vielen Informationen. Es war schon klasse, so hilfsbereite Menschen um sich zu haben! Besonders für jemanden, der noch nicht viel Ahnung vom Leben als mehr oder weniger zivilisierter Mensch hatte.


    Draußen wieherte es.


    Ferox lächelte und wies mit dem Daumen nach draußen.


    „Ich müsste mich langsam um meine haarige Dame kümmern, sonst frisst sie euch die Rosenknospen weg. Danke euch für eure Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft! Und für das Wasser. “


    Er bemerkte, dass Antias immer wieder in Richtung Ausgang schielte.


    „Vielleicht können wir zwei uns noch mal kurz unterhalten? Vielleicht kannst du mir auch einen Tipp geben, wo man hier preiswert die Nacht verbringen kann.“


    Und nebenbei hoffte er auf diese Weise noch ein paar Augenblicke länger mit seinem Bruder verbringen zu können.

    "Wer hier wen verprügeln würde, sei mal dahingestellt", erwiderte Ferox mit einem Schmunzeln. "Ich muss aber zugeben, dass sich das alles schon verlockend anhört, was du über die CU erzählst. Ist natürlich auch praktisch, wenn man dort gleich jemanden hätte, der einem zeigt, wo es langgeht."


    Fast schon gerürt nahm er die Worte auf, dass Antias ihn unter seine Fittiche nehmen wollte - die Rolle als großer Bruder schien ihm zu gefallen, und Ferox war alles andere als böse darüber. Auch, wenn es nur die Körpergröße war. :D


    "Ich muss euch zustimmen ... eigentlich habe ich keine Lust, schon wieder abzureisen. Es ist doch ein schönes Gefühl hier bei euch zu sein! Und ihr meint, die Cohortes Urbanae könnten was mit mir anfangen?


    Die Praetorianer, tja ... denen bin ich noch nie persönlich begegnet. Ich kann mir aber vorstellen, dass man ziemlich ranklotzen muss, damit sie sich für einen interessieren. Für`s Erste würde mir eine stinknormale Truppe reichen mit ein paar zuverlässigen Kameraden, wenn es geht, auch ein paar nette dabei, und Anführern, die ihre Arbeit ordentlich machen."

    Dankbar nahm Ferox das Wasser entgegen, um mit einem Schluck seinen Husten zu lindern. Zum Glück war Senator Avarus entweder sehr nachsichtig oder wirklich schwerhörig. ^^


    Dann begann Ferox zu erzählen. Da er kein guter Redner war, bemühte er sich darum, alles kurz zu fassen. Wenn irgendjemandem etwas von dem, was er berichtete, wichtig erschien, konnte er ja nachfragen.


    „Meine Kindheit habe ich in einem Haus im Wald bei Mogontiacum verbracht. Bis zur nächsten Siedlung ist es von dort aus ein längerer Fußmarsch und bis zum Castellum ein Tagesritt. Meine Familie lebt hauptsächlich vom Verkauf von Pelzen. Die Winter dort oben sind lang und kalt und die Soldaten froh über Handschuhe, Pelzmützen und so weiter. Mein Großvater hat mich die Fallenjagd gelehrt und so half ich ihm von klein auf. An sich hatte ich kein schlechtes Leben, wenn es nur nicht so furchtbar langweilig und einsam gewesen wäre da draußen. Darum wollte ich eigentlich mit meinem Vater Germanicus Varus darüber reden, ob ich Soldat werden sollte, so wie er, wenn er mich das nächste mal besuchte. Jedoch kam er nicht, wie lange ich auch wartete. Und so zog ich los, um ihn zu suchen. Er hatte mir von der Gens Germanica erzählt und von ihrer schönen Casa in Rom. Ich dachte, er wäre vielleicht hier oder dass mir einer hier sagen kann, warum er nicht mehr zu Besuch kommt. Das war auch der Fall …“


    Er nahm noch einen Schluck Wasser, um die aufkommenden Gefühle herunter zu spülen.


    „Mein Vater ist tot. Aber dafür habe ich meinen Bruder kennen gelernt. Was vielleicht noch wichtiger ist.“


    Er sah hinüber zu Antias. Dann blickte er wieder zu Avarus.


    „Wir hatten bis gerade eben über die Cohortes Urbanae gesprochen.“

    Ferox musste grinsen, als Antias den Hinzugekommenen als einen weiteren Germanicus vorstellte. Der ältere Herr hörte wahrscheinlich nicht mehr sehr gut. „Das Mürrische scheint in der Familie zu liegen“, tuschelte Ferox leise. Nach einer kurzen Pause korrigierte er sich: „In der Gens.“


    Er bedankte sich für das Wasser und nahm einen Schluck.


    Als der ältere Herr ihn begrüßte und ihn in 'seinem' Haus willkommen hieß, verschluckte Ferox sich an seinem Wasser und hustete. Verdammt, das war der zweite Hausherr! Hoffentlich hatte er die Lästerei nicht gehört!


    „Es ist mir eine Ehre“, krächzte Ferox.

    „Wasser wäre nett“, antwortete Ferox. Vom Wein ließ er in einem derart mit Fettnäpfchen gepflasterten Ort lieber die Finger.


    Interessiert lauschte er den Worten seines Bruders, der sich zu Ferox` Freude gerade die Kette umlegte.


    Er kam nicht mehr dazu Antias zu bitten, mal aus dem Nähkästchen zu plaudern, weil ein vierter Mann den Raum betrat und um Senkung des Lärmpegels bat. Immerhin brüllte er dabei nicht so herum wie Senator Sedulus. :D

    Ferox hörte auf sich zu kratzen. Er war etwas überrascht, dass der Senator ihm seine Hilfe anbot. Zumal er fast ein Fremder war! Umso mehr freute er sich darüber.


    „Nun ja, hauptsächlich bin ich wegen meinem Vaters gekommen, aber auch, um einmal den Rest der...“, er überlegte kurz, „...Gens zu sehen.“ Hoffentlich war der Begriff richtig an der Stelle. „Ich wollte mit meinem Vater darüber zu reden, ob ich vielleicht zum Militär gehen sollte. Meine Mutter ist nicht glücklich darüber. Aber ich habe es satt, den ganzen Tag nichts weiter als Bäume um mich herum zu sehen, wenn wir nicht gerade einmal in hundert Jahren auf einen Markt gehen. Als Soldat könnte ich etwas bewirken, meinen Fußabdruck in der Geschichte Roms hinterlassen – und der Sold ist wohl auch nicht so schlecht.“


    Er betrachtete nachdenklich die Schuhe seines Bruders. Antias hatte diesen Weg für sich selbst offenbar als richtig befunden. Stimmt, er hatte ja vorhin erwähnt, dass er bei den Cohortes Urbanae war. Von denen hatte Ferox zumindest schon mal etwas gehört. Er sah wieder auf.


    „Da Varus nicht mehr ist, kann mir einer von euch vielleicht einen Rat geben? Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob dies das Richtige für mich ist. Andererseits – es gibt nicht vieles, was ich kann. So viele andere Möglichkeiten, dem Jägerdasein zu entkommen, bleiben da wohl nicht.“


    Bei den Göttern, der Senator musste einen grauenhaften Eindruck von ihm haben!

    Klienten? Patronat?


    Ferox merkte einmal mehr, dass das Leben in der Großstadt um einiges komplizierter war als das, welches er bislang geführt hatte. Und dann gab es auch noch einen Unterschied zwischen Gens und Familie, wie Antias ihm gerade erzählte? Er verstand es nicht.


    Ferox kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Ihm war es zu peinlich nach all den Erklärungen zu fragen und so lauschte er der Unterhaltung, die sich zwischen Antias und dem Senator, der gar nichts mit ihm war, anbahnte. Vielleicht konnte er die Bedeutung der mysteriösen Begriffe aus dem Gesprächszusammenhang erschließen.


    Er fragte sich, um welches Thema es in der Bibliothek wohl gegangen sein mochte. Aber wenn Antias es bei Andeutungen bewenden ließ, hatte das sicher seinen guten Grund. Dafür klang die Aussicht auf ein möglicher Weise bald stattfindendes Fest mit den Verwandten verlockend.


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    Sim-Off:

    Ich habe Tante Google befragt. Wenn ich die kryptischen Tabellen zur Ahnenkunde richtig gedeutet habe, ist Sedulus der Onkel 4. Grades gegenüber Antias und Ferox. Aber das würde Ferox sowieso nicht verstehen *g*

    Jetzt musste Ferox grinsen. Er hatte ja schon viele Ausreden gehört, warum sich jemand angeblich ganz schnell verdrücken musste, von einer vergessenen Verabredung bis hin zu einem sehr dringenden menschlichen Bedürfnis, aber das Interesse an kahlen Gehölzen war bisher noch nicht dabei gewesen. Antias war nicht nur ein netter Kerl, er hatte offenbar auch Humor.


    Ferox hatte keine Ahnung, wie Antias das aufnehmen würde, aber er war gerade so froh, dass er hier bei seiner Familie war und sich mit seinem Bruder ausgesöhnt hatte, dass er ihn fest umarmte. Einen Moment genoss er die Nähe. Dann klopfte er ihm auf den Rücken und gab ihn wieder frei.


    „Jetzt müsste nur noch geklärt werden, wer von uns der kleine Bruder ist und wer der große“, sagte er schmunzelnd. Er sah Antias an, der bestimmt einen halben Kopf größer war.
    „... oder auch nicht.“


    Er musste lachen. Es war ein herrliches, befreiendes Gefühl. Er war froh, dass er sich auf die lange Reise gemacht hatte!


    „Und klar will ich auch mit Senator Sedulus reden! Ich weiß ja noch nicht einmal, wer er ist. Mein Onkel? Mein Großvater? Ach, am liebsten würde ich die ganze Familie zusammenrufen und ein Fest veranstalten und mich mit jedem einzelnen stundenlang unterhalten! Im Wald ist es schön, aber einsam. Wieder einmal unter Menschen zu sein ist für mich nicht ganz einfach, aber trotzdem großartig!“


    Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl.


    „Ich denke, dass man sich auch zu dritt gut unterhalten kann und hätte noch viele Fragen an dich, Antias. Aber wenn du ein bisschen Ruhe brauchst, nur zu. Einen Wandersmann soll man nicht aufhalten. Aber rechne damit, dass ich dir recht bald wieder über den Weg laufe … Brüderchen.“

    Ferox öffnete den Mund, um etwas zu sagen und machte ihn wieder zu, ohne dass auch nur ein Wort über seine Lippen gekommen war. All der Neid, der sich manchmal bis zum Hass gesteigert hatte, war völlig umsonst gewesen. Antias war nicht verwöhnt worden. Kein bisschen. Obwohl er mehr von ihrem Vater gehabt hatte, hatte er weniger vom Leben selbst gehabt.


    Ferox fühlte sich unsagbar schäbig für seine früheren Gefühle, am meisten aber für seine Rachefantasien.


    Er griff nach einem Säckchen an seinem Gürtel. Er erhob sich und reichte es Antias.


    „Das war eigentlich für Vater gedacht, jetzt sollst du es haben. Ich hatte dieses Jahr das erste Mal einen Bären in der Falle. Das ist einer seiner Eckzähne, ich habe eine Kette daraus gemacht. Sie soll dir Kraft bringen. Ich habe die Gleiche.“


    Vielleicht sprach die Geste aus, wofür er keine Worte fand.

    Ferox atmete erleichtert aus. Aber er war auch verunsichert. Während Antias` erste Worte all seine Vorurteile ihm gegenüber untermauert hatten, geriet dieses Konstrukt nun ins wanken. Er schien nicht der verwöhnte Bengel zu sein, als den er sich ihn immer vorgestellt hatte.


    Und zum ersten Mal kam Ferox auf den Gedanken, dass er sich das Leben seines Bruders vielleicht anders vorstellte, als es wirklich gewesen war.


    Wann immer er früher in finsteren Gedanken gebrütet hatte, war sein Vater mit dem kleinen Antias auf den Schultern durch das Lager marschiert, in dem er stationiert war, und hatte allen stolz seinen Nachwuchs gezeigt – während er Ferox und seine Mutter möglichst unerwähnt ließ. Ferox hatte sich vorgestellt, wie Varus, Antias und Gisali gemeinsam Frühstück aßen, wie Vater sich danach liebevoll von seiner Familie verabschiedete und versprach, auf sich aufzupassen, ehe er den Dienst antrat.


    Aber war das denn die Wirklichkeit? Antias` letzter Satz ließ Ferox nachdenklich werden. Und er musste sich eingestehen, dass er verdammt wenig über das Leben der Soldaten und ihrer Familien wusste. Sein Vater war diesbezüglich sehr schweigsam gewesen.


    „Magst du vielleicht erzählen, wie es dir in all der Zeit ergangen ist?“, fragte Ferox. „Und bitte die lange Version“, ergänzte er mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln in Richtung des Hausherren.

    Das Verhalten von Antias hatte sich verändert – hatte er ihn eben noch gedanklich als vorlauten Knilch bezeichnet, war es nun einfach ein Mann, den Ferox` harte Worte tief getroffen hatten.


    „Warte! Es … es tut mir Leid“, sprach Ferox, als Antias sich zum Gehen wandte. „Ich … es war nicht immer einfach. Ich hatte nicht viel von meinem Vater. Manchmal – meistens – hatte ich das Gefühl, dass du und deine Mutter ihn mir weggenommen habt, weil er bei euch lebte und nicht bei uns.“


    Er rieb sich das Gesicht um sich wieder zu beruhigen.


    „Und nun sitzt du plötzlich hier vor mir. Und Vater ist tot. Es war alles ein wenig viel heute. Du kannst ja auch nichts für dieses … sein Verhalten.“


    Plötzlich war Ferox ganz elend zumute. Da traf er nun endlich auf den unbekannten Teil seiner Familie und das Erste, was er tat, war seinen Bruder gleich wieder zu vergraulen. Den Wink mit dem Zaunspfahl, dass er ihn draußen erwartete, verstand Ferox sehr wohl. Verständlich, die Worte mussten weh getan haben, er hatte zu ihrem Vater vermutlich ein sehr viel engeres Verhältnis gehabt als Ferox. Er hatte ihn ja auch öfters gesehen...


    Die Worte, welche Dinge Varus seinem Bruder alles beigebracht hatte, waren wie Nadelstiche.
    Alles, was man sich als Sohn nur wünschen konnte.


    Neid, Eifersucht?


    Ja. Und wie!


    Aber wollte er sich wirklich mit ihm schlagen?


    Früher hatte er es sich manchmal gewünscht. Hatte sich ausgemalt, Antias und seine Mutter in die Wildnis zu jagen, damit sein Vater mehr Zeit bei ihm verbrachte. Und nun? Ein Teil in ihm wollte es noch immer. Ein anderer wollte seine Familie kennenlernen.


    Ferox beschloss Antias die Entscheidung zu überlassen.

    Sim-Off:

    Neue Schriftfarbe für wörtliche Rede^^


    Ferox überlegte kurz, wie er das ganze beginnen sollte. Er war kein guter Redner und dass ihn gerade zwei Augenpaare bis auf die Knochen durchbohrten machte es auch nicht besser. Das war einer der Nachteile, wenn man am letzten Ende der Welt aufgewachsen war.


    „Also Antias: Unser Vater war eine Schlampe.“


    Da er nicht wusste, wie er den Sachverhalt schonend verpacken sollte, nannte er ihn einfach beim Namen. Er hätte auch Weiberheld dazu sagen können, aber das klang zu positiv. Nein, Varus war sicher kein Held gewesen, mehrere Frauen gleichzeitig zu schwängern! Das war nun einmal schlampig. Und verantwortungslos den Frauen und Kindern gegenüber - nichts, womit man sich als 'Weiberheld' beweihräuchern lassen sollte.


    „Vater hat doch alles bestiegen, was nicht bei drei auf den Bäumen war - oder was ihm eins mit der Bratpfanne verpasste. Keine Ahnung, ob deine Mutter davon wusste, aber er hat vor seinem Verschwinden nicht nur sie geschwängert, sondern auch meine Mutter, Antonia Tertullina. Gut möglich, dass noch mehr von unserer Sorte herumlaufen.“


    Und, um den Rundumschlag komplett zu machen:


    „Varus hat uns auch all die Jahre besucht, während er mit deiner Mutter so gut wie verheiratet war. Nicht sehr oft, aber regelmäßig. Was glaubst du, woher er die schönen Pelzhandschuhe aus Silberfuchsfell hatte, die er deiner Mutter mal schenkte? Glaubst du, die hätte er sich von seinem Sold leisten können? Wir haben sie ihm für umsonst gegeben, weil er uns den Winter davor Medizin für meinen kranken Großvater aus dem Castellum mitgebracht hatte.“


    Wenn Antias vorhin nicht so vorlaut gewesen wäre, hätte er Ferox jetzt Leid getan. So aber verspürte dieser eine gewisse Genugtuung, während er ihm die Informationen servierte.


    „Ich war es übrigens, der die Handschuhe genäht hat. Ich hoffe, sie passen.“

    'Ich schon', dachte Ferox, aber das wäre eine schnippische Antwort gewesen, die dem Versuch des Hausherren, Ordnung zu stiften, nicht sehr zuträglich wäre. Also schwieg er und setzte sich auf den Stuhl, der am weitesten von Antias entfernt war. Eine bedeutungsschwere Pause hing in der Luft. Er war nicht sicher, ob der Hausherr noch etwas zu den Worten des anderen sagen wollte.


    Ferox` Gedanken jedoch überschlugen sich. Ausgerechnet dieser vorlaute Knilch da sollte sein Bruder sein? Er erwiderte dessen abschätzenden Blick und musterte ihn von oben bis unten auf der Suche nach irgendwelchen Ähnlichkeiten. Antias war ziemlich groß und obendrein blond. Kam wohl mehr nach der Mutter. Oder sonstwem. Aber Varus?

    Eine autoritäre Stimme hallte durch den Raum wie ein Peitschenknall. Ferox, der gerade geistesabwesend die Fugen der Bodenkacheln betrachtet hatte, fuhr senkrecht von seinem Stuhl hoch. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann, der wohl dreißig bis vierzig Sommer gesehen haben mochte. Zwischen seinen Augenbrauen grub sich eine Zornesfalte senkrecht die Stirn hinauf. Ferox kam unter dem wütenden Wortschwall nicht einmal dazu, dem Sklaven die Schuld zuzuschieben. Eilends band er sein Muli los und führte es nach draußen.


    Vor dem Eingang des Hauses angekommen überlegte er, ob er besser das Weite suchen sollte, immerhin wusste er nun schon, dass sein Vater ihn nie wieder würde besuchen kommen. Und dann? Dann konnte er bis in alle Ewigkeit Jäger bleiben, der im hintersten Winkel der Welt tagein tagaus durch den Wald streift und seine Fallen kontrolliert bis er irgendwann starb. Oder er stellte sich der peinlichen Situation und kehrte zu dem verärgerten Mann zurück. Vielleicht konnte das seinem öden Leben die erhoffte Wendung bringen, die sein Vater ihm nicht mehr geben konnte.


    Was hatte er schon zu verlieren? Auffressen würde er ihn sicher nicht. Und immerhin hatte er ihn nicht hinausgeworfen, als er das Maultier entdeckte, was, wie Ferox nun wusste, keineswegs zum üblichen Inventar einer Casa gehörte, sondern ihm bloß befohlen, es hinauszuschaffen und sich dann vorzustellen. Also war er genau genommen schon fast nett. Zumindest redete Ferox sich das ein, um sich zu ermutigen.


    Er führte das Maultier in einen weniger gepflegten Teil des Gartens. Da niemand da war, um es in einen Stall oder an eine Anbindevorrichtung zu bringen, band Ferox es an einen Baum und hängte ihm den Futtersack um, damit es den Baum und die Wiese nicht anknabberte. Er hoffte innig, dass niemand das Tier oder die darauf befindlichen Reisesäcke entwendete, denn dies war fast alles, was er besaß.


    Er kehrte den Weg zurück ins Atrium. Bis auf ein paar Erdklumpen von den Hufen hatte das Muli zum Glück nichts fallen gelassen. Ferox hätte vor Aufregung fast seine Maultierfinger an der neuen Tunika abgewischt, konnte sich aber im letzten Moment davon abhalten und verschränkte sie hinter dem Rücken, damit sein Gegenüber den Schmutz daran nicht sehen musste.


    Dessen Blick schien ihn förmlich zu durchbohren, als er wieder eintrat. Ferox fiel auf, dass er nicht einmal wusste, wie man höher gestellte Personen angemessen begrüßte.


    „Salve“, sagte er schlicht und beobachtete genau das Gesicht des anderen, um rechtzeitig zu erkennen, wenn er wieder mit dem Fuß über einem Fettnäpfchen schwebte. „Ich heiße Nero Germanicus Ferox. Ich bin eigentlich gekommen, weil die Besuche meines Vaters Germanicus Varus seit längerem ausgeblieben sind und ich dachte, dass er sich vielleicht hier aufhält. Er hat ab und zu von der Casa erzählt. Doch der Mann an der Tür sagte mir, dass er wohl verstorben sei.“


    Ferox stand verloren mitten im Raum. Er traute sich nicht mehr auf den Stuhl, obwohl er gern Platz genommen hätte, weil ihm von der Reise die Beine weh taten.

    Ferox wurden kurzzeitig die Knie weich. Er hatte es geahnt! Er hatte die ganze Zeit schon ein ungutes Gefühl gehabt, was das Verschwinden seines Vaters anbelangte. Doch er fing sich rasch wieder und folgte dem Mann, der seltsam steifbeinig vorneweg schritt. Der Tod von Varus war eine schlimme Nachricht, doch er hatte kaum eine Beziehung zu ihm gehabt. Dafür war dieser einfach zu selten bei ihm gewesen.


    Ferox wunderte sich, dass der Sklave ihn mitsamt seines voll bepackten Maultieres ins Innere des Gebäudes führte, aber vielleicht war das hier ja so Sitte. Das dumpfe Klopfen der unbeschlagenen Hufe hallte von den Wänden wieder. Er hoffte nur, dass sein Muli keinen Haufen fallen ließ.


    Der Sklave verschwand fast rennend.


    Mithilfe des Zügels band Ferox das Maultier an eine schlanke Säule und setzte sich auf den zugewiesenen Stuhl. Geistesabwesend betrachtete er den großen hellen Raum, von dem mehrere Zimmer abzweigten. Es war wohl eine Art Flur.

    Zu Hülf! Der Mann - wahrscheinlich ein Sklave - war ein gerissener Fuchs. Geschickt wob er seine Worte, um Ferox in Bedrängnis zu bringen, ohne dass er dafür irgendwie unhöflich wurde. Ferox fiel auf, dass er nervös mit dem Zügel seines Maultieres spielte und mühte sich, die Finger stillzuhalten.


    Er dachte angestrengt über das Wenige nach, was sein Vater ihm über die Germanici erzählt hatte. Wenn er jetzt offenbarte, dass er sich nicht einmal an die Namen der Oberhäupter erinnerte (er hatte ja sogar vergessen, dass es ihrer zwei gab), würde der Sklave ihn wahrscheinlich auslachen, für einen Hochstapler abtun und ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Sicher kam es öfters vor, dass jemand aufkreuzte und sich für einen verschollenes Familienmitglied ausgab in der Hoffnung auf finanzielle 'Unterstützung'.


    "Eigentlich würde ich gern meinen Vater Varus sprechen, er hat plötzlich aufgehört mich und meine Mutter zu besuchen. Ich dachte, er ist vielleicht hier. Oder dass einer hier mir sagen kann, wo er sich befindet."


    Jetzt hatte er doch zugegeben, dass Varus nicht nur der Vater von Antias war. Aber irgendwie musste er ja mal zu Potte kommen, denn der Gesichtsausdruck seines Gegenübers wurde immer komischer. Seine gesamte Körperhaltung wirkte irgendwie verkrampft.