Beiträge von Othmar

    Es hatte sich viel getan seitdem der Hof nun von Othmar und den seinen bewirtschaftet wurde. Der Kräutergarten war komplett bestückt. Zu Beginn hatten sie etwas Geld für Sträucher und Kräuter ausgegeben, um deren Samen zum weiteren Setzen nutzen zu können. Auch war die kleine überdachte Sitzecke fertig, in der sich Othmars Lebensgefährtin Hildrun immer aufhielt und den Duft ihrer Kräuter zu genießen. Auch die Gemüsebeete hinter dem Haus waren komplett beflanzt und deren Erträge könnten bereits nach der nächsten Ernste verkauft werden. Glücklicherweise waren viele Säh- und Erntegeräte im Lager zurückgelassen worden, sodass sie sich direkt an die Arbeit machen konnten.


    Auch innerhalb des Hauses hatten sich alle vier mittlerweile eingelebt. Anfangs war es für Wolfhart und Hrothgar noch ungewohnt, dass sie jeweils einen Raum für sich hatten, doch mittlerweile hatten sie Gefallen daran gefunden. So bekam auch jeder der drei privaten Räume einen eigenen Charakter. Auch der große Wohnraum war mittlerweile komplett eingerichtet worden und Hildrun machte sich mehr und mehr Anstrengungen ihn schön und wohnlich zu gestalten, raumtrennende Vorhänge zu nutzen und so einen angenehmen Raum zu schaffen, in dem man sich auch in den kalten Monaten gerne aufhielt. Alle vier fühlten sich mittlerweile wohl hier und auch wenn Othmar dann und wann noch ein bisschen maulte, dem fahrenden Händler legte man halt nicht so einfach ab, vermehrten sich auch bei ihm die Anzeichen dafür, dass er hier einen bequemen Alterssitz gefunden hatte, der ihm aber immer noch Arbeit machte, dass er nicht komplett einrostete.

    Lange blickte Othmar den jungen Helvetier an. Einerseits widerstrebte es ihm, diese einfache Lösung als ein gutes Angebot anzunehmen, doch letztlich ließ er sich durch die aufrichtige Art des Helvetiers überzeugen.


    Nun gut, lass uns gehen.


    antwortete er schließlich nach einer sehr, sehr langen Pause und folgte dem Helvetier schließlich zurück in die Stadt und zum Haus des Fabriciers. Anders als gehofft wäre er also in der nächsten Zeit nicht mehr komplett unabhängig, sondern lediglich Pächter eines Händlers, den er gleich zum ersten Mal treffen würde. Inwieweit sich bei der endgültigen Pacht noch handeln ließe, musste sich zeigen.


    ~~~


    Bereits zwei Wochen später haten Othmar, Hildrun, Wolfhart und Othmar den Umzug von der Taberna des Hartmut zum neuen Hof abgeschlossen. Das Gespräch mit dem fabricischen Händler war zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen. Othmar hatte mit ihm aushandeln können, dass sie die Pacht für ein Jahr im Voraus bezahlen würden. Das Geld, das Othmar bei seinen Handelsreisen verdient hatte, reichte dafür aus und es blieb sogar noch genug Geld übrig, um zusätzliche Möbelstücke für den Innenraum und Saatgut sowie Arbeitsgeräte für den Hof zu kaufen. In den letzten Tagen hatten sie mit ihrem Eselskarren und den beiden Eseln Stück für Stück alles ins Hofhaus transportiert und hatten von nun an vorerst für ein Jahr ein neues Zuhause. In Absprache mit dem Fabricius wurde von nun an hier Gemüse und Kräuter angebaut. zusätzliche bauliche Projekten waren zwar imm möglich mussten aber in jedem Fall mit dem Fabricius abgesprochen werden. Als erstes kleines Projekt wollte Othmar eine kleine überdachte Sitzecke in den Kräutergarten bauen, damit Hildrun für die warmen Tage einen Rückzugsort zwischen ihren geliebten Kräutern bekam.

    Hm...


    gab Othmar einen undefinierbar indifferenten Grunzer von sich, als sie das Haus und das Grundstück einmal komplett umrundet hatten. Widerwillig zwar, aber dennoch nicht ohne Interesse war er dem Helvetier während des Rundgangs gefolgt, hatte durch alle verfügbaren Fenster geschaut und dabei den Schnitt des Innenraums, die vorhandenen Möbel und den Zustand der Räume und des Mobiliars registriert. Weiterhin hatte er die Anbauflächen in Augenschein genommen. Es war ein guter Boden, dem man vielleicht hier und da noch nachhelfen musste, der sich aber bestens zum Anbau von Gemüse und den von Hildrun so geliebten Heil- und Küchenkräutern eignete. Nun warf er nochmal einen Blick auf das Gesamtangebot und wandte sich schließlich wieder Curio zu.


    Wie viel wird mich das kosten?

    Je besser die Stimmung Curios wurde, desto genervter wurde Othmar. Nur widerwillig folgte er dem jungen Helvetier zur Eingangstür und ging selbst die Hausfront ab. Immer deutlicher zeigte sich seine schlechte Laune in seinem Gesicht, das sich langsam aber sicher zu einer starren Maske entwickelte, bei der die Gesichtszüge seltsam entrückt waren: Der rechte Mundwinkel nach oben gezogen, die Stirn tief gekräuselt, die Augen leicht geschlossen. Während er Curios Worten am Anfang noch mit viel Geduld zugehört hatte, bröckelte diese nun langsam vor sich hin und mit der Erwähnung der Teilmöblierung platzte es dann schließlich heraus.


    Bekommt ihr Politiker jetzt auch schon eine Ausbildung im Hausverkauf?


    fragte er mit unverhohlener Ablehnung der ganzen Aktion, die der junge Helvetier hier grade abspielte. Eigentlich war er schon geneigt, sich einfach umzudrehen, zu gehen und Curio hier einfach stehen zu lassen. Dann sollte der halt schauen, was er mit diesem "Topobjekt" anstellte. Doch entschied er sich dagegen, allein schon, weil er nicht glaubte, dass ihn der junge Helvetier nur deswegen hergerufen hatte, um ihn zu ärgern und seine ohnehin angekratzte Stimmung noch weiter zu verschlechtern.


    Aber machen wir es kurz: Was mache ich hier?

    Immer noch war Othmars Stirn gerunzelt, als Curio mit seinem Begleiter bei ihm ankam und ihn erstmal recht euphorisch grüßte. Es löste sich erst recht nicht, als Curio seinen Begleiter als "Sekretär" vorstellte.


    Sekretär, hä...?


    antwortete er nicht ohne Sarkasmus. Wichtig war er wohl geworden, der junge Mann, den sie quasi aus dem Straßengraben gezogen hatten und der danach für sie die Kasse geführt hatte. So wichtig sogar, dass er sich einen Sekretär leisten konnte. Belustigt schüttelte der Händler den Kopf und folgte dann Curios Blick hin zu dem Stück Land, das da vor ihnen lag. Zur linken Hand sprang zuerst das nicht allzu große und leicht verwitterte Wohnhaus ins Auge. Es war aus Stein gefertigt und bereits von außen ließ sich erkennen, dass es rechts wohl einen großen Stall oder ein großes Lager hatte. Dafür würde wohl knapp ein Dritter der Hausfläche draufgehen. Rechts neben dem Haus war bereits eine relative Große Anbaufläche für... was auch immer zu sehen.


    Was ich sage, Junge? Nett. Aber was habe ich damit zu tun?


    Sein fragender Blick machte deutlich, dass er sich kaum vorstellen könnte, dieses Stück Land zu besitzen und zu bebauen. Ganz im Gegenteil ging er davon aus, dass es schon irgendwem gehören würde, der es sicherlich noch bebauen würde... Irgendwann.


    Der Gemüsehof des Othmar, den er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Hildrun und seinen Angestellten Wolfhart und Hrothgar bewohnt und bestellt, befindet sich etwa eine dreiviertel Meile südwestlich der Canabae an der Via Alteia. Auf ihm wird handelsübliches, regionales Gemüse, aber auch Heil- und Küchenkräuter angebaut und verkauft. Der Wohnbereich ist in einen großen zentralen Wohnraum (I) und drei etwa gleich große Wohnkammern unterteilt. In der vorderen Kammer wohnt Wolfhart (II), in der hinteren Hrothgar (IV) und die mittlere Kammer bewohnen Othmar und Hildrun (III). Den Wirtschaftsbereich bilden der große Lager- und Vorratsraum (V) im Innern sowie die beiden Gemüsebeete (a/c) und das Kräuterbeet (b) außerhalb des Wohngebäudes.


    ~~~


    Othmar wusste nicht, was er hier sollte. Curio, der junge Magister Vici, den er und seine Begleiter, die heute in der Taberna zurückgeblieben waren, damals zwischen Noviomagus und Borbetomagus aufgelesen und hier in die Stadt mitgenommen hatten, hatte ihn für den heutigen Tag herbestellt. Auch wenn er froh war, endlich die Taberna seines Freundes Hartmuth zu verlassen, wo ihm allmählich die Decke auf den Kopf fiel, war er doch mit gemischten Gefühlen hergekommen, denn wenn er sich das Gründstück, das Gebäude und die drei Felder betrachtete, war ihm schleierhaft, wie er sich das leisten sollte. Der Verkauf der Pelze hatte zwar noch einiges an Geld in seine Kasser gespült, doch würde es wohl kaum reichen, dieses Land anzukaufen. So blickte er missmutig in der Gegend umher, als er den jungen Helvetier erblickte, gefolgt von einem jungen Mann, etwa in seinem Alter, der eine Tabula bei sich trug. Othmar runzelte die Stirn. Was das wohl alles sollte?

    Während seine Begleiter schnell Feuer und Flamme für die Einladung alpinas waren, hätte Othmar am liebsten abgesagt, da er mit Blick auf ihre unsichere Wohn- und Geschäftssituation lieber nach Tag und Nacht damit hätte zubringen wollen, genau dies aufzulösen. Entsprechend wollte er auch ansetzen, die Einladung dankend abzulehnen, was aber offensichtlich von Hildrun wahrgenommen wurde. So knuffte sie ihn beherzt in die Seite, sodass ihm kurz die Luft wegblieb und antwortete selbst.


    Gerne, Alpina. Es gibt ja noch so viel zu besprechen.


    Ihrem nachdrücklichen Blick wollte Othmar nicht widersprechen, sodass er sich nun also damit abfinden müsste. Sowohl Hrothgar, als auch Wolfhart wiederum freuten sich sichtlich über die Einladung und den Abend. Nur Othmar musste sich jetzt überlegen, wie sie die fehlende Zeit wieder gut machen konnten.

    Nach der Frage Alpinas schaute Othmar ungleich missmutiger drein. Man merkte ihm an, dass er mit den aktuellen Ereignissen nicht zufrieden war, das sie ihn und seine Begleiter in eine Situation brachten, die so von niemandem gewünscht war. Dennch mussten sie damit umgehen, da es um mehr als nur das Geschäft ging. Jeder, der mit den Römern Handel führte wäre im ehemals freien Germanien nicht mehr seines Lebens sicher. Und da Othmars Existenz von ebenjenem Handel abgehangen hatte, musste er sich nun umorientieren.


    Vorerst...


    antwortete er kurz angebunden, leerte seinen Bierhumpen und bestellt sich einen zweiten. Einige Momente starrte er Löcher in die Tischplatte, bevor er sich wieder Alpina zuwandte.


    Du weißt so gut wie wir, was hinter dem Limes los ist. Solange das nicht besser wird, werden wir hier bleiben. Egal wie lange das dauert.


    Man hatte ihm an der Grenze gesagt, dass er mit der Information über die chattischen Unruhen vorsichtig umgehen sollte. Das war er jetzt auch, zumal die Taberna bis auf den letzten Platz gefüllt war. Wie ihre zukunft aber jetzt aussehen sollte, stand in den Sternen, denn auch wenn er intensiv nach einem Hof suchte, den er und seine Begleiter bewirtschaften konnten, hatte er bislang noch keinen gefunden.

    Es dauerte ein wenig, bis Othmar die neue Gesellschaft wahrnahm. Die hektischen Bewegungen Hrothgar leisteten ihren Beitrag dazu. Zuerst erblickte er Alpina. Seitdem sie sich in Aquae getrennt hatten, hatten sie sich nicht mehr gesehen, doch er erkannte die junge Frau natürlich sofort wieder. Den jungen Mann neben ihr nahm er aber erst wahr, als sie ihn explizit darauf aufmerksam machte. In dessem durchnässten Mantel und den nassen Haaren dauerte es etwas bis der Händler die Gesichtszüge wiedererkannte. In ebenjener Zeit betrachtete auch Hildrun den jungen Mann eindringlich und Hrothgar und Wolfhart grinsten in sich hinein. Sie hatten Curio natürlich schon längst wiedererkannt, warteten aber noch ab, bis ihr Chef auch begriff. Langsam bildete sich ein breites Grinsen auf dem Gesicht des Händlers.


    Da schaut mal einer an. Der Kleine hat's also wirklich zu was gebracht, hä.


    Er stand auf, klopfte Curio fest auf die Schulter und wandte sich Hildrun zu, die Alpina und Othmar mittlerweile fragende Blicke zuwarf.


    Ich hab dir doch von dem Jungen erzählt, den wir vor... das muss ja auch schon ein Jahr her sein... zwischen Noviomagus und Borbetomagus aufgelesen haben und hierher mitgenommen haben. Damals war er schon ein aufgeweckter Junge, hat uns die Kasse geführt und wollte unbedingt den Göttern dienen, richtig.


    Er gab Wolfhart ein Zeichen, dass er ihnen noch zwei zusätzliche Stühle organisieren sollte und bot ihnen dann an, Platz zu nehmen.

    Die Taberna des Hartmuth befindet sich im Vicus Novus direkt an der Verbindungsstraße zum Vicus Victoria. Sie gehört Hartmuth, der schon hier in Mogontiacum geboren ist. Seine Familie betreibt schon in dritter Generation diese Taberna.


    ~ ~ ~


    Wie immer, wenn Othmar in Mogontiacum war, wohnte er in der Taberna des Hartmuth im Vicus Novus. Hartmuth war ein alter Freund des Pelzhändlers und hielt für ihn und seine Begleiter, zu denen nun auch die Kräuterfrau Hildrun gehörte, stets Zimmer frei. Zudem bewahrte der Wirt die Geldtruhe des Händlers auf, in die er alle Geld, das er zurücklassen wollte, lagerte. Mittlerweile war ein respektabler Betrag zusammengekommen, der durch den jüngsten Verkauf der Pelze in Aquae Mattiacorum und auf den einzelnen Vicinalmärkten noch deutlich angestiegen war. Dies war für den Händler umso wichtiger, da er unter den jetzigen Umständen um die chattische Usurpation der Dörfer des freien Germanien sein Geschäft nicht weiter führen wollte. Zudem musste er für seine Begleiter und Hildrun sorgen. Glücklicherweise stetzte langsam der Frühling einn und Othmar war auf der Suche nach einem landwirtschaftlichen Hof, ob er dort nun Getreide, Gemüse oder Obst anbauen oder sogar Vieh halten würde, war ihm dabei einerlei. Wichtig war nur, dass sie sich hier eine neue Existenz aufbauen konnten. Nach langer Zeit hatte er sich entschieden, sesshaft zu werden und sich gemeinsam mit Hildrun und seinen Begleitern Hrothgar und Wolfhart hier niederzulassen. Auch wenn es auf seine alten Tage noch einiges an Arbeit bedeutete.

    Auch wenn das Tempo hoch war, ließ es sich doch nicht vermeiden, dass sie wegen der Gruppengröße nicht so schnell vorankamen, wie es sich der Händler vielleicht gewünscht hätte. Vor allem Hildrun hatte Schwierigkeiten, das hohe Tempo mitzugehen, weshalb Othmar irgendwann mit Hrothgar wechselte und gemeinsam mit ihr hinter dem Wagen gingen, während Hrothgar vorne neben Alpina die Spitze bildete. Sein Arm war noch bandagiert und er hatte strikte Order, sich zu schonen, doch hatte auch er, so wie Othmar, einen hervorragenen Orientierungssinn und konnte die Gruppe daher auch gut um das Dorf herum und schließlich auf den Pfad gen Süden. Nichtdestotrotz wussten sie alle, dass sie schnell sein mussten, um nicht möglichen chattischen Patrouillen zu begegnen und bald den Limes überschritten.


    Dass sich Othmar ein bisschen Sorgen darum machte, dass sein Verhältnis mit Hildrun offenkundig werden würde, musste er sich zurückhalten, ihr nicht allzu große Freiheiten einzuräumen. Inwieweit das aber fruchtete - oder das Verhältnis ohnehin schon bekannt war - interessierte ihn im Moment nur wenig, solange sie nur bald den Limes zu Gesicht bekämen. Doch der Weg zog sich. Aus Sicherheitsgründen vermieden sie die breit ausgebauten Pfade und nahmen Schleichwege, wodurch der Wagen immer wieder abgebremst wurde. Als die Sonne dann ihren Zenit überschritten hatte, sahen sie die breite Schneise vor sich, die das Grenzgebiet markierte. Hildrun griff nach Othmars Hand und er hielt die ihre fest, während sie den Wald verließen und das nächste Tor ansteuerten. Es stand offen und es standen mehreren schwer bewaffnete Wachen dort, woraus Othmar schloss, dass auch ihnen die Veränderungen im "freien" Germanien nicht verborgen geblieben waren. Inwieweit sie dem aber tatsächlich Bedeutung zumaßen wusste der Händler natürlich nicht.


    Als sie das Tor erreichten kamen sofort mehrere Wächter auf sie zu. Othmar stellte sich und seine Begleiter vor, nannte ihr Ziel und seine übliche Handelsroute und einige Bürgen aus den Reihen der Grenzkohorten. Die Wächter nickten, durchsuchten den Wagen und ließen die Gruppe passieren. Das "freie" Germanien, oder - wie manche wohl sagen mochten - die "chattische Föderation" lag hinter ihnen und vor ihnen die römische Provinz Germania Superior, die von genug Soldaten beschützt wurden, um die Chatten fernhalten zu können.


    In dem zugehörigen Grenzkastell lag nun direkt ihr erster Haltepunkt. Wie immer verkaufte Othmar bereits hier die ersten Pelze und als jener Soldat, der sie auf dem Hinweg verabschiedet hatte, erfuhr, dass er wieder hier war, holte er sich auch seine zwei versprochenen Pelze ab.

    Sie waren bereits eine Stunde in der Hütte Hildruns als das Dorfoberhaupt Ranulf erschien. Er wirkte seit ihrem letzten Zusammentreffen vor wenigen Wochen deutlich älter und verhärmter. Es schien ein tiefer Schleier auf seinem Gesicht zu hängen, doch versuchte er, so engagiert wie früher zu wirken. Als er die Hütte betrat, begrüßte er erst Hildrun, die ebenfalls ziemlich bedrückt schien, auch wenn sie seit der Ankunft Othmars und seiner Begleiter etwas aufblühte, dann Othmar und seine Begleiter, die ebenfalls ein schlechtes Bild abgaben.


    Die Zeiten ändern sich.


    sagte er, ebenso entschuldigend, wie bedrückt und erzählte dann nochmal aus seiner Perspektive die Geschichte von der Übernahme des Dorfes durch die Chatten und damit auch von seiner eigenen Entmachtung. Er stellte klar, dass er praktisch nichts mehr zu sagen hatte und einer der Chatten nun das Dorf organisierte. Besonders der Handel mit den römischen Provinzen litt darunter, da dieser komplett untersagt wurde, was von den Chatten vor Ort mit aller Härte durchgesetzt würde.


    Othmar hörte angespannt zu. Es gefiel ihm natürlich überhaupt nicht, weil dadurch nicht weniger als seine wirtschaftliche Existenz in Frage gestellt wurde. Er entschied für sich, dass er so schnell wie möglich in die benachbarte römische Provinz Germania Superior zurückkehren wollte, um sich den chattischen Despoten zu entziehen, was er in der kleinen Runde auch deutlich sagte. Ranulf nickte verstehend. Auch er hätte mehrfach darüber nachgedacht, aber letztlich entschieden, dass sein Platz in seinem Dorf sei. Othmar blickte zu seinen Begleitern, sowohl Hrothgar, als auch Wolfhart stimmten ihm nickend zu und Alpina wollte ja ohnehin wieder zurück nach Mogontiacum. Überrascht wurde er jedoch, als Hildrun das Wort ergriff. Ihre Rede schien lang geplant und wohl durchdacht. Jedes Wort war genau gewählt und liefen letztlich darauf hinaus, dass sie gemeinsam mit dem in die römische Provinz fliehen wolle. Sie habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, doch könne sie unter diesen Tieren nicht mehr vernünftig ihrer Arbeit nachgehen.


    Othmar blickte die Kräuterfrau ungläubig an. Lange brachte er kein Wort heraus, bis er schließlich ganz einfach nickte. Letztlich kam es also so, wie sie beide es sich eigentlich gewünscht hatten. Ranulf hingegen stimmte nur widerwillig zu, zumal das Verschwinden der Kräuterfrau wohl sehr schnell auffallen würde. Doch es blieb die Frage nach dem Wie. Der Wächter hatte gesagt, dass sie nach Norden weiterziehen würde, allerdings hielt Othmar das für ausgeschlossen, wenn sie nun zwei Frauen dabeihatten, von denen eine auch letztlich gesucht werden würde. Sie müssten das chattischen Einflussbereich so schnell wie möglich verlassen, am besten über die Limeskastelle im Süden, wo sie dann auch gleich auf die chattische Bedrohung aufmerksam machen könnten. Der Weg dorthin war nicht weit, aber dennoch gefährlich genug.

    Othmar tat, wie ihm geheißen, zuckte dann aber doch zusammen, als der laute, kehlige Schrei seines Begleiters ertönte. Danach schaute er besorgt zu Hrothgar. Als dieser jedoch schon wieder ein Grinsen im Gesicht hatte, war der Händler erleichter. Für den weiteren Weg übergab er Alpina die Führung der Esel und ging selbst zur linken des Wagens. Hrothgar sollte sich zur rechten etwas schonen und Wolfhart bildete, wie immer, das Schlusslicht der kleinen Gruppe.


    Hier, kurz vor der Sieldung Mattiacum, nahmen dann auch endlich die Wegmarken zu, die sich Othmar gemerkt hatte: Dort der massive Findling, der dort lag, als sei er dort von einem Gott oder Riesen persönlich liegen gelassen worden, links eine verwitterte Mauer, die offenbar die Reste eines Hofgrenze markierte. Jedoch gab es Othmar zu denken, dass ihnen auch hier noch kaum Händler entgegenkamen. Erneut runzelte er die Stirn. Offenbar würde der Rückweg deutlich komplizierter werden. Bestätigt wurde das, als die Schneise im Erdwall der Siedlung Mattiacum in Sicht kam und dort ganze vier Wächter standen, von denen zwei schon an ihrer Kleidung als Fremde zu erkennen waren. Als jener ältere Wächter, der die Gruppe auch schon beim Hinweg eingelassen hatte, Othmar sah, löste er sich aus der Gruppe und rief seltsam laut


    Die übbernehmich!


    und kam der Gruppe bereits entgegen. Außerhalb der Hörweite der beiden Fremden umschritt er den Wagen und musterte die Händlergruppe, flüsterte ihnen dabei aber immer leise etwas zu.


    Scheiße, Othmar. Ganz schlechter Zeitpunkt. Kurz nach deiner Abreise sind die Chatten bei uns eingefalln. Sie haben zwanzig Krieger hiergelassen, die alles beobachten. Und Ranulf hat nichts mehr zu sagen. Wennes also nich unbedingt sein muss, solltes du weiterziehn.


    Er klopfte den Wagen ab und untersuchte die drei Männer und die junge Frau intensiver als gewohnt.


    Othmar wandte sein Gesicht ab, um seine schlechte Laune zu verbergen: Wie kamen die Chatten bis hier her? Doch brauchten sie Hildruns Heilkünste, auch wenn sie hier ihre Vorräte nicht aufstocken könnten.


    Es muss sein...


    flüsterte Othmar zurück. Der Krieger nahm ihre Dolche an sich und klopfte dann dem Händler leicht auf die Schulter bevor er sie zur Schneise führte.


    Diese Händlergruppe zieht morgen nach Norden weiter, benötigt aber Hilfe von unserer Kräuterfrau.


    Die Stimme des Wächters war lauernd und erst als die beiden Fremden nickten führte er sie hinein und direkt zum Haus Hildruns. Danach machte er sich auf den Weg zum neuen Haus des Ranulf, der nicht mehr im großen Gebäude im Dorfzentrum wohnte, sondern sich deutlich verkleinern musste.

    Othmar hatte in dem ganzen Stress gar nicht bedacht, dass auch Alpina medizinische Kenntnisse hatte. Daher beobachtete er, wie sie Hrothgar untersuchte unf offenbar sofort wusste, was ihm fehlte und wie das behandelt werden könnte. Danach trat er nun nach vorne, während Wolfhart bei den Tieren blieb und wartete auf Anweisungen der jungen Frau.

    Othmar verzog bei den Erzählungen Alpinas das Gesicht, schüttelte aber auf ihre Frage mit dem Kopf.


    Es war ein Hinterhalt. Die Chatten haben es nicht mehr nötig, aus dem Hinterhalt anzugreifen.


    stellte er verbittert fest. Nein, die Chatten würden wohl einfach nur Wegzoll nehmen oder Sondersteuern erheben oder Pflichtabgaben verlangen oder, oder, oder.


    Es hat vor allem Hrothgar schlimm erwischt. Ich weiß nicht, was mit seinem Arm ist, doch er muss dringend behandelt werden.


    Er blickte zu Hrothgar, der nur stoisch auf den Boden sah. Er hatte nicht einmal geblockt, sondern stöhnte nur manchmal unterdrückt auf, wenn er seinen Arm irgendwie belasten musste.


    Dann blickte er zu ihrer ausgestreckten Hand mit den Münzen. Er könnte jetzt ein Geschäft machen, schüttelte aber nur den Kopf.


    Wie du siehst, kann ich im Moment jede Hilfe gebrauchen, die ich bekommen kann. Allerdings wirst du wohl ein bisschen mehr gefordert sein, als auf dem Hinweg.

    Immer näher kamen sie der Gestalt und als diese plötzlich aufsprang und sich den Kopf vom Kopf riss, befürchtete Othmar einen weiteren Überfall. nicht schon wieder, dachte er und griff zu seinem Dolch. Als ihm jedoch bewusst wurde, was die Gestalt da von sich gab, hielt er inne und stoppte die Esel. Hrothgar trat an seine Seite und Wolfhart blinzelte etwas. Als die Gestalt dann kurz vor dem Wagen war, erkannte Othmar Alpina, allerdings nicht sofort und auch erst auf den dritten Blick. Sie hatte eine Verletzung im Gesicht und hatte sich wohl die Haare abgeschnitten. Außerdem hatte sie ihre Frauenkleidung zugunsten eines Männeraufzugs abgelegt. Nicht dumm, das Mädchen, dachte Othmar, doch sofort gingen seine Gedanken auf ihre Verletzungen. Was war mit ihr passiert?


    Alpina.


    grüßte der Händler leicht krächzend und musterte sie dann.


    Dir haben sie aber auch zugesetzt...


    Etwas Sorge blitzte in seinem Augen auf. Fast dachte Othmar, er würde väterliche Gefühle für die junge Frau entwickeln, was allerdings vollkommen seinem sonstigen Naturell widersprach. Eigentlich war sie doch immer nur ein kleines Geschäft gewesen.

    Ruckelnd rollte der Wagen über den steinigen Pfad. Othmar sah wieder nach oben, um den Sonnenstand abzuschätzen, während er vorne die Tiere zur Eile anstachelte. Ihre Vorräte waren bereits seit gestern aufgebraucht und so waren sie nun unbedingt darauf angewiesen, Mattiacum noch heute zu erreichen. Missmutig blickte er dann zu seinen Begleitern. Hrothgar hielt mit seinem angeschwollenen Arm tapfer durch und Wolfhart schien wieder einigermaßen auf dem Damm zu sein. Er macht seinem Namen alle Ehre, dachte sich der Händler. Dennoch wusste Othmar, dass der Hüne ebenfalls Schmerzen haben musste und er hoffte nur, dass er keine bleibenden Schäden davongetragen hatte. Besorgt blickte er nach vorne, denn jetzt würden sie wieder auf den altbekannten Weg einbiegen und er konnte nach Wegmarken Ausschau halten, die ihm verrieten, wo sie sich befanden und wie weit es noch nach Mattiacum sein würde. Die Gestalt am Wegesrand, die auf einem Stein saß und einen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, betrachtete er dabei erstmal gar nicht. Wäre eine Gefahr von ihm ausgegangen, hätte der Kerl sicherlich schon seine Schergen zum Angriff gerufen und überhaupt würde er sich nicht so offen, quasi auf dem Präsentierteller darbieten.

    Die kommenden beiden Tage gingen für die Gruppe noch langsamer um, als erwartet. Aufgrund der Verletzungen von Wolfhart und Hrothgar mussten sie immer wieder Halt machen, was ihre Reise nochmal verlängerte. Othmar entschied nun, dass an der Zwischenstation in Mattiacum nichts mehr vorbeiführte, damit sich Hildrun die Verletzungen ansehen und behandeln könnte. Doch bis dahin mussten sie noch die vielen Meilen zum Dorf zurücklegen. Glücklicherweise blieben sie bei der nächsten Etappe wieder von Überfällen und wilden Tieren verschont. Als sie am Abend in einer Schutzhütte ankamen, hatte Othmar ein paar Früchte gesammel, aus denen Wolfhart ein Abendessen zubereiten konnte. Währenddessen kümmerte sich Othmar um die Armverletzung Hrothgar, dessen Arm immer mehr anschwoll. Othmar versuchte es mit in Wasser getränkten Moos oder Tüchern zu kühlen. Doch hielt die Kühlwirkung nie lange an. Hrothgar blickte immer besorgter auf seinen Arm, doch mussten sie weiter. Hier würde ihnen niemand helfen.


    Othmar befürchtete, dass sie zu lange brauchen würden, bis sie in Mattiacum ankämen. Daher trieb er am nächsten Morgen seine beiden Begleiter zur Eile. Sie mussten weiter, immer weiter. Die Frage nach dem "Wie" stellte sich schon lange nicht mehr, vielmehr stellte sich Tag für Tag die Frage nach dem "Wie lange noch".

    Othmar und seine Begleiter hatten Amisia früh verlassen. Sie merkten, dass sie nicht wirklich willkommen waren und wollten ihren Gastgeber nicht länger fordern als notwendig. Nun allerdings mussten sie ihren Weg nach Süden fortsetzen, was durch verschiedenste Dinge erschwert wurde. Ihr Vorrat würde nicht für die drei- bis viertägige Reise nach Mattiacum reichen, Othmar kannte die Wege hier längst nicht so gut, wie seine Standardroute Mattiacum-Melocabus-Novaesium und dann war da noch die stetige Gefahr, irgendeiner chattischer Patrouille über den Weg zu laufen. Angespannter als sonst bewegten sie sich stetigen Schrittes auf ihrem Weg nach Süden. Jedes Rascheln in den Büschen, jedes Knacken im Unterholz, jedes Pfeifen und Rauschen zog einen kritischen Blick des Händlers nach sich.


    Doch anders als auf dem Hinweg blieben sie diesmal nicht verschont. Als von links mehrfaches Knacken zu vernehmen war, stoppte Othmar den Wagen. Sein erster Griff an seinen Dolch, den er bei solchen Reisen stets griffbereits trug. Hrothgar und Wolfhart taten es ihm gleich, Hrothgar griff an seine rechte Seite, wo er ebenfalls einen dolch trug, und Wolfhart schnappte sich einen schweren Ast vom Boden, den er als Knüppel benutzen konnte. Dennoch wurden sie von dem plötzlichen Überfall von hinten überrascht. Gleich sechs Männer rannten mit wilden Schreien auf sie los, alle mit Knüppeln bewaffnet. Wolfhart, der sich nur schwerfällig umdrehte, bekam den ersten Schlag ab, stöhnte laut auf, blieb aber stehen und begann seinen Knüppel gegen zwei der Männer zu schwingen. Hrothgar eilte dem Hünen zu Hilfe und bekam es ebenso mit zwei Gegnern zu tun, während sich Othmar nah bei den Tieren hielt, um zu verhindern, dass sie durchgingen. Gleichzeitig hielt er seine beiden Gegner mit unkontrollierten Hieben und Stichen von sich fern. Mit einem schweren gezielten Schlag auf den Kopf schaltete Wolfhart den ersten Gegner aus. Das hässliche Geräusch, dass beim Aufprall des Knüppels auf dem Kopf des Gegners war nur kurz zu hören und der junge Mann ging hart zu Boden. Auch Hrothgar konnte einen Stich setzen, der in den Oberkörper eines seiner Gegner eindrang. Der Mann schrie laut auf, wich einige Schritte zurück, unentschieden, ob er einen erneuten Angriff starten sollte. Der kurze Erfolg Hrothgars währte aber nicht lang. Ein gezielten Schlag auf seinen rechten Arm entwaffnete ihn. Auch er wich nun zurück, den Rücken zum Wagen, allerdings bereits, auch einen weiteren Angriff wenn nötig mit seinen Händen abzuwehren. Wolfhart hatte mittlerweile auch seinen zweiten Gegner außer Gefecht gesetzt und kam nun erstmal Hrothgar zu Hilfe. Erneut landete er einen Treffer ihm Genick jenes Gegners, der auf Hrothgar zustürmte. Der Mann klappte förmlich zusammen und stand nicht mehr auf. Die übrigen Gegner ergriffen daraufhin die Flucht. Othmar trieb die Tiere an, Hrothgar hob seinen Dolch auf und folgte dann, ebenso wie Wolfhart dem Wagen. Alle hielten auch weiterhin ihre Waffen in den Händen bis sie die nächste Schutzhütte erreichten.


    Die Verletzungen waren zwar nicht schlimm, doch würden sie die Reise umso schwerer machen: Wolfhart hatte einige Schläge am Oberkörper einstecken müssen und Hrothgars Arm musste bandagiert werden. Nur Othmar war von Verletzungen verschont geblieben, doch merkte er, dass ihm solche Kämpfe mehr und mehr zu schaffen machen. Zwar hatte er seine beiden Gegner vom Wagen und den Tieren fernhalten können, doch hatte er keinen Treffer setzen können. Auch wusste er, dass er seine Stiche und Hiebe nicht allzu lange mehr hätte durchhalten können. Hätten seine Begleiter nicht hinten so viele Treffer setzen können, wäre er vorne verloren gewesen.