1. Epeisodion (216-462)
Ödipus verlässt den Palast und wendet sich an den Chor. Er apelliert an ihn, dass er, Ödipus alleine nicht weit kommen würde bei der Forschung nach dem Übeltäter, weshalb er auf die Hilfe seines Volkes baut. Er gebietet jedem, der etwas genaueres zum Mörder des Laios, Sohn des Labdakos, weiß, hervorzutreten und zu sprechen. Der, oder diejenige sollten nur keine Angst davor haben, selbst wenn sie sich selbst beschuldigen sollten, da König Ödipus sie bloß des Landes verbannen würde nach einer Selbstanzeige, körperlich unversehrt. Und wenn aber jemand anderen kennt, der die Tat verübte, so darf er keinesfalls schweigen, denn Belohnung winkt demjenigen und des Königs Dank noch dazu. Sollte aber einer einen Freund, oder Kumpanen decken, der der Täter war, dann soll dieser eine verflucht sein. Niemand soll ihn aufnehmen, oder mit ihm sprechen und auch von den Opfern und Gebeten an die Götter soll er ausgeschlossen sein und kein geweihtes Wasser darf er mehr erhalten. Ödipus macht sich für das Opfer, König Laios, stark und will sein Waffenbruder sein und will dem Mörder das gleiche Schicksal eines Verfluchten und Verbannten herabbeschwören, wie zuvor auch schon einem, der den Mörder decken sollte. Dann jedoch tritt Ödipus einen Schritt vor und erhebt die rechte Hand zum Tadel an den Chor, denn sie, das Volk von Theben war auch in seinen Augen mitschuldig an der Misere. An ihnen wäre es gelegen nachzuforschen und trotzdem hatten sie dies versäumt. Doch jetzt, da er, Ödipus, ihr König wäre und Bett und Frau des Toten hat (die von Laios, wie auch Ödipus die Leibesfrucht austrug), so will Ödipus für Laios fechten, als ob dieser sein eigen Vater wäre, bis der Mörder gefunden und gefasst wäre. Diejenigen, die sich diesem Wunsch des Königs verweigern und bei der Suche nicht mithelfen wollen wünscht Ödipus das Verderben und dass deren Frauen unfruchtbar werden, während die anderen hingegen, die ihm helfen wollen, mit dem Segen aller Götter frohgemut ans Werk gehen sollen.
Nach diesem langen Monolog des Ödipus lässt sich der Chorführer natürlich nicht beirren und tritt nun seinerseits vor, um sich selbst und das Volk von Theben zu verteidigen, nachdem Ödipus ja auch diesem Verfehlungen an der Sache vorgeworfen hatte. So spricht er, dass er zumindest nicht der Mörder sei und auch nicht sagen könnte, wer es sonst noch gewesen sein könnte. Nur Phoibos Apollon alleine könnte dies wissen, wer der Täter sei. Ödipus entgegnet, dass der Gott ihnen mit seinen seherischen Kräften wohl kaum helfen würde, woraufhin der Chorführer entgegnet: "Ich weiß, Phoibos, dem Herrn, an Seherkraft fast ebenbürtig ist der Herr Teiresias. Von dem könnts einer, der dies untersucht, am deutlichsten erfahren." Doch auch dies hat der König schon bedacht, denn Ödipus reißt die Arme auseinander und ruft: "Ha! Auch dies versäumt ich nicht, denn dies ist schon ins Werk gesetzt. So sandte ich, wie Kreon riet, zwei Boten nach ihm aus. Dass er nicht längst schon hier ist wundert mich."
Daraufhin sprechen sie noch kurz über den Fall, ehe auch endlich schon der alte, blinde Seher Teiresias erscheint. Er wird von einem Knaben geführt und von den beiden Boten des Ödipus begleitet. Ödipus läuft gleich zu ihm und beschwört ihn in einem erneuten längeren Monolog darin, rasch seine Seherskunst zum Wohle der Stadt und ihrer aller einzusetzen und den Namen des Mörders des Laios zu nennen. Teiresias jedoch will nicht so recht mit der Sprache herausrücken, was Ödipus gar nicht gefällt. Teiresias sagt dem König mehrmals, dass er nicht sprechen wolle, zu seinem eigenen und auch zu Ödipus' Wohl. Ödipus zettert weiter und will unbedingt, dass der Alte endlich mit der Sprache herausrückt, ja er geht sogar soweit Teiresias selbst als Komplizen dieser Tat zu betiteln, was den Seher gar nicht gefällt und ihn sogar dazu bringt, doch noch allen zu verkünden, was die Götterkraft ihn sehen ließ: "Wirklich? Ich fordere dich auf, bei dem Gebot, das vorhin du verkündet hast, zu bleiben und von dem heutigen Tage an die Leute hier nicht wieder anzureden, auch nicht mich; denn dieses Land heilloser Besudler bist DU!"
Ödipus kann gar nicht glauben, was sich der Alte da anmaßt! Doch Teiresias wiederholt seine Anschuldigung. Er selbst, Ödipus, sei der Mörder des Laios! Ja, der König stecke sogar noch tiefer im Übel, als er ahne. Doch Ödipus stellt sich taub für des Sehers Anschuldigungen und verschmäht und verhöhnt den Seher, ja droht ihm sogar. Er geht sogar soweit, dass er auch Kreon der Komplizenschaft bezichtigt, auch wenn Teiresias gleich einwirft, dass der König von seinem Schwager nichts zu befürchten hätte, sondern nur Ödipus von sich selbst. Doch Ödipus rückt nicht ab von seiner neuesten Idee. Kreon und Teiresias hätten sich verschworen, um Ödipus den Thron zu rauben, damit an dessen Stelle dann, der Schwager König der Thebaner werden könne! Wo hätte sich Teiresias denn schon bewährt? Gewiss hätte er nicht einmal die Sehersgabe und sei blind und taub für die Ratschlüsse der Götter, so Ödipus an den Seher. Denn, wieso hatte er, Teiresias, damals mit seiner Göttergabe nicht die finstre Sphinx besiegt mit ihrem Rätsel, um die Stadt zu retten? Wieso hatte da er, der nichtsahnende Ödipus extra des Weges kommen müssen, um dies Leid hinwegzunehmen? Das schon wäre der Beweis, dass Teiresias ein Scharlatan, aber niemals Seher ist! Wäre er nicht schon blind und alt, so der König, er würde ihn schlimmste Qualen jetzt und sofort angedeihen lassen.
Dem Chorführer fällt auf, dass nun beide im Zorn sprechen, doch wird er einfach ignoriert und Teiresias setzt dazu an, sich zu verteidigen. Er selbst sei nämlich alleinig der Diener des sehenden Gottes Apollon und könne daher niemals ein Gefolgsmann des Kreon sein. Außerdem habe Ödipus seine Blindheit verhöhnt, wo er doch gleichzeitig selbst nicht sieht, wie tief er im Übel stecke und auch nicht, wo er gerade wohne und mit wem er hause. Er sei ein Feind der seinen, für den es einst nur treffend war, aus diesem Land gejagt worden zu sein durch der Mutter und des Vaters Fluch. Bald schon würde Ödipus bestimmt selbst erkennen, in welch verderblichen Ehehafen er da eingefahren sei bei der Besteigung dieses Thrones und der Annahme dieses, seines Eheweibes. Deshalb solle er nicht Kreon und ihn beschmutzen, wo doch er selbst der Schlimmste aller Sterblichen sei!
Ödipus hat genug. Weg mit Teiresias! Dieser hingegen erwidert, er wäre ja gar nicht erst gekommen, hätte Ödipus ihn nicht rufen lassen. Ödipus bereut es, den Alten geholt zu haben, wo er seiner Meinung nach ja nichts als Schwachsinn von sich gebe. Daraufhin der Seher: "So bin ich von Geburt, so wie dir scheint, ein Narr, in den Augen deiner Eltern aber ein kluger Mann." Das rüttelt Ödipus noch einmal auf. "Wie, welchen Eltern? Bleib! Wer hat mich gezeugt?" Der Seher sagt, dass dieser Tag Ödipus zeugen würde...und auch vernichten!
Ödipus glaubt es nicht. Er sei immerhin bis jetzt sehr erfolgreich gewesen in allem, was er angefangen hatte. Doch Teiresias sagt ihm gerade dieser Erfolg hätte ihn vernichtet. Doch diese Worte prallen an dem König einfach ab und Ödipus bleibt bei seiner Hybris als strahlender Retter dieser Stadt, der er ja sei.
Nun hat auch der Seher genug: "So geh ich denn und du, Knabe, bring mich fort!"
"Ja, bring er dich fort, denn hier bist du im Weg und lästig! Pack dich und du kannst nicht weiter quälen!"
"Ich gehe fort, doch werf ich ins Antlitz dir das Wort, um dessenwillen ich herkam, denn dein Arm erreicht mich nicht. Ich sage dir: den du mit Heroldsrufen und Flüchen suchest, jener Laiosmörder, der Mann ist hier am Ort. Ein Fremder, meint man, zugezogen, doch dann wird als gebürtiger Thebaner er sich entpuppen! Von einem Sehenden zum Blinden, Jetzt reich, doch dann als Bettler, wird er am Stabe sich ins Elend tasten. Es wird bekannt, dass er mit seinen Kindern haust, als ihr Bruder und zugleich als Vater, und von der er abstammt, des Weibes Sohn und Gatte, und des Vaters Genoss' im Eh'bett und zugleich sein Mörder. Nun, König, geh' hinein und denke diesem nach, und lüg' ich dir zuletzt, dann höhne mich!"
Der Seher und sein Knabe gehen zur Stadt. Ödipus kehrt in den Palast zurück.
Sim-Off:Schauspieler in dieser Szene: König Ödipus, Chorführer, Teiresias