Die Nacht war kalt, aber der Alkohol in seiner Blutbahn verhinderte, dass Scato die Kälte spürte, obwohl er noch immer nur seinen Lendenschurz aus der abgezogenen Ziegenhaut trug. Scato hörte Tiberios zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als dieser eine kurze Pause machte und ihn unsicher ansah, nickte der Urbaner, um ihm zu zeigen, dass er aufmerksam bei der Sache war und er ruhig fortfahren sollte.
"Ich verstehe die Frauen nicht", korrigierte Scato am Ende Tiberios' Sicht. "Aber ich verstehe dich. Weil ich ganz ähnliches erlebt habe.
Decria Tucca ist der Name des letzten Mädchens, das ich heiraten sollte. Ihr gingen zich andere voraus und immer lief es gleich. Das erste Kennenlernen im Kreise der Familie war in Ordnung. Als dann ein Treffen zu zweit arrangiert wurden, kippte die Stimmung. Tucca sagte das Eine und wünschte das Andere. Sie marschierte nach einem Streit mit erhobener Nase in ihr Gästequartier, knallte die Tür hinter sich zu und warf mir am nächsten Morgen vor, dass ich ihr nicht gefolgt war. Sie sagte mir, ich könne machen was ich will, ich sei ja künftig der Mann im Haus - und tat ich es, war sie mir böse. Warum, konnte sie mir aber auch nicht sagen, da sie nur weinte und wirres Zeug redete. Sie erwartete, dass ich hellsehen könne und nannte das Einfühlsamkeit. Da ich des Hellsehens aber nicht mächtig bin, meinte sie, ich würde mich nicht für sie interessieren. Womit sie auch recht hatte, da ich mich nur über sie ärgerte und sie mich langweilte.
Ganz anders ist das mit den Kameraden bei den Cohortes Urbanae. Ihr Wort ist Gesetz, sie reden sehr präzise, besonders die alten Hasen und die Vorgesetzten. Den größten Fehler, den man da machen kann, ist zu versuchen, irgendeine zweite Bedeutungsebene in ihre Aussagen hinein zu interpretieren. Und weißt du, wie angenehm das ist? Wie herrlich effektiv Probleme gelöst oder verhindert werden können?
Ein Beispiel. Ich frage Lurco, weil er komisch guckt: Ist alles in Ordnung? Er antwortet: Ja, ich bin nur müde. Und ich kann mich darauf verlassen, dass er wirklich müde ist. Aber frage ich Tucca das Gleiche und sie antwortet: Ja, ich bin nur müde. Dann kann sie entweder beleidigt sein oder sie ist tatsächlich müde. Was davon zutrifft, soll ich bitte erraten. Das war ein ewiges Ratespiel, das uns beide stresste, darum habe ich sie bei den Treffen irgendwann nur noch versetzt und bin lieber wandern gegangen. Da ich langsam an mir verzweifelte, wollte ich zum Militär, wegen des Heiratsverbots. Das war tatsächlich mein erster Beweggrund, inzwischen gehört da natürlich etwas mehr dazu. Ich dachte, ich sei einfach nicht fähig, Menschen zu verstehen. Aber die Kameraden verstehe ich komischerweise sehr gut. Dich auch. Nur die Frauen, die verstehe ich so wenig wie du, Tiberios. Und offen gestanden habe ich auch keine Lust mehr, es zu versuchen."
Er schloss kurz die Augen und überlegte in seinem angetrunkenen Hirn, was er dem jungen Sklaven raten sollte, wo er selber doch vor diesen Problemen geflohen war. Wie hätte er sie anders lösen können? Sie waren unlösbar. Also versuchte er sein Bestes, um Tiberios vor dem gleichen seelischen Abgrund zu bewahren, in dem er sich befunden hatte, auch wenn man ihm davon heute nicht mehr viel anmerkte.
"Eireann wünschte dir viel Spaß. Sie sagte, du solltest dich amüsieren. Dann tu das ohne schlechtes Gewissen. Mach nicht den gleichen Fehler wie ich und lass dich von einer Frau manipulieren. Sonst verlierst du dich eines Tages selbst, dann bleibt von dir ist nichts mehr übrig als ihr kuschender Diener, der sich müht, ihre unausgesprochenen Wünsche zu erraten. Das ist keine Liebe, Tiberios. Wenn sie nicht möchte, dass du ins Freudenhaus gehst, sollte sie genau das sagen und nicht das Gegenteil. Dieser andere Mann hat damit nichts zu tun, er ist für eine funktionierende Freundschaft oder auch Beziehung keine Gefahr. Niemand ist das. Alles andere zeigt nur, das etwas falsch läuft. Lass dich auf dieses Spiel nicht ein."
Er legte kurz die Hand auf Tiberios' Schulter. Für Tiberios, der Eireann sehr zu mögen schien, war Scatos Sicht bestimmt keine leichte Kost. Scato wollte Tiberios nichts kaputt machen, aber auch nichts schönreden, da er nun einmal nach seiner ehrlichen Meinung gefragt worden war. Er hatte das Gefühl, dass der junge Grieche aufgrund seines freundlichen Wesens einen Weg einschlug, der Finsternis verhieß. Und für einen Lupercus, der das Leben und Lebensfreude bringen sollte, war das schmerzhaft.
"Wenn ihr euch das nächste Mal trefft, dann rede mit ihr genau darüber. Aber nicht heute. Heute solltest du Spaß haben und deine Sorgen vergessen." Scato würde mitkommen. Seinen Plan, unterwegs zufällig umzufallen, verwarf er. Es würde sich schon eine andere Möglichkeit ergeben, den Ernstfall abzuwenden.