Als Tacitus so hart über ungeduldige und schlecht beobachtende Kollegen urteilte, musste Scato schmunzeln. Tacitus gab sich große Mühe, ein rationaler, förmlicher und bisweilen kühl wirkender Mensch zu sein. Doch im Inneren war er nicht so kalt, wie er gern vorgab, zumindest nicht immer. Scato hatte es daran gesehen, wie Tacitus mit seiner Schwester umging, aber er merkte es auch an winzigen Kleinigkeiten des Alltags. Er schätzte seinen Verwandten und begann ihn zu mögen. Aber er fragte sich auch, warum Tacitus so handelte. War das dem mächtigen Einfluss eines charismatischen Mentors im Museion geschuldet? Dem eigenen Streben nach höchstmöglicher Professionalität? War es der Schutzmantel eines sensiblen Mannes, der lieber einen Schritt Abstand hielt, als sich zu verbrennen? Hatte er schlechte Erfahrungen gemacht? Oder war Tacitus jemand, der tatsächlich einfach von Natur aus so war, ohne dass es einen Anlass gab? Solche Leute gab es, doch Scato verumtete, dass bei Tacitus ein handfester Grund dahintersteckte, der über die Ausbildung hinausging, und dass er bewusst an sich arbeitete. Er würde Tacitus noch besser kennenlernen müssen, um ihn wirklich zu verstehen.
Scato las den Brief aufmerksam, das Schäufelchen in der Hand haltend. Er beließ den Brief beim Lesen in Tacitus' Händen, damit er keinen Schaden nahm. "Der Brief ist inhaltlich gut! Und natürlich finde ich es stark, dass du dich an diese Kreise heranwagst, wobei meine Meinung dazu unerheblich ist. Aber ja, eine kurze Zusammenfassung wäre nicht schlecht. Irgendwas Knackiges, damit der Brief nicht ewig auf einem Arbeitstisch versauert, ehe er bearbeitet wird. Nichts gegen die Schreiber, aber sie sind oft überarbeitet. Ich kann mir notfalls auch was ausdenken, aber mir wäre es lieber, du würdest mir sagen, was die Schreibstube in deinem Sinne hören soll, damit die Scribae sofort in den Brief hineinschauen und nicht erst irgendwann."