Beiträge von Sisenna Seius Stilo

    "Originaltexte zu verstehen, macht natürlich Sinn. Das ist auch für meine Arbeit wichtig. Aber daran, dass das auch auf Mathematik zutreffen könnte, hätte ich nicht getippt." Er ließ den Wein in seinem Becher kreisen.


    "Ich selbst habe hier noch keinen Patron. Aber unser Verwandter Iunius Caepio schwärmte von Lucius Annaeus Florus Minor. Auch mein Halbbruder Ravilla hat den Mann schon kennengelernt und wusste nichts Schlechtes zu berichten." Wobei Ravilla generell jemand war, der aufpassen musste, nicht auf seiner meterlangen Schleimspur auszurutschen. Der lobte jeden über den grünen Klee und kannte in seinem Überschwang kein Maß. Hoffentlich würden die Offiziere der Legio ihn zurechtstutzen.


    "Ja, ich denke, für deine gewünschten Karriereambitionen ist Annaeus der richtige Mann. Für eine Militärlaufbahn hätte ich dir hingegen eher empfohlen, mal bei Herius Claudius Menecrates vorzusprechen, dem Praefectus Urbi.


    Wirklich fernhalten musst du dich momentan von niemandem. Derzeit ist mir keine Giftspinne bekannt. Der Eine setzt halt die Schwerpunkte so und der andere so. Wen ich leiden mag, musst nicht auch du leiden mögen. Das kann sich natürlich ändern, die Politik ist niemals statisch, weil auch die Menschen es nicht sind."


    Er schaute die weichgekochten Eier an, deren Dotter verführerisch breitfloss. "Darf ich mich bedienen? Und klar, um dir einen Namen zu machen sind handfeste Referenzen der beste Weg. Sollte sich was ergeben, spreche ich gern meine Empfehlung für dich aus oder gebe dir einen Tipp, wann du dich deinerseits mal irgendwo vorstellen solltest. Allerdings bin ich selbst nur Optio und habe nicht wirklich viel bei den Cohortes Praetoriae zu melden. Es mag also nicht zwingend von Erfolg gekrönt sein. Wirklich ernst genommen wird man erst als Centurio und nennenswerten Einfluss haben nach meiner Einschätzung nur die Stabsoffiziere."

    "Angenehm, Paullus. Sisenna Seius Stilo ist mein Name. Es ist Monate her, seit ich das letzte Mal einen Gladiatorenkampf sehen durfte. Ich bin ein großer Freund dieses Sports. In Satala habe ich keinen Kampf verpasst. In Rom müssen die Kämpfe eine ganz andere Hausnummer sein!


    Zu einer Führung sage ich nicht Nein. Besonders auf den Übungskampf freue ich mich! Steigst du auch selbst noch in die Arena?" Er schickte sich an, den Mann zu begleiten.

    Stilo mochte Gladiatorenkämpfe. Beim Ludus Magnus beobachtete er ein reges Treiben in letzter Zeit, was ihm gefiel. Gerade wurden wilde Tiere geliefert. Er schaute, ob er hier irgendwen anquatschen konnte, der bereit war, dem Soldaten, der hier in einer moosgrünen Freizeittunika herumstand, aber anhand der Caligae, des Militärgürtels und des Dolches als Soldat zu erkennen war, Beachtung zu schenken.

    Stilo brachte das gewünschte Schreiben persönlich beim Officium des Praefectus Urbi vorbei und gab es in die Hände von dessen Cornicularius. So würde es bald seinen Weg auf den Schreibtisch von Herius Claudius Menecrates gefunden haben.


    Leider konnte er den Namen des Eudoxus diesmal nicht "vergessen", wie er das in mündlichen Gesprächen gern mal tat, ohne sich angreifbar zu machen. Und so viel Ärger ... für ihr gemeinsames Spiel ... das zwickte ein wenig, aber er wusste, was er tun musste. Ein Verräter war Stilo nicht, nur eine Spielernatur.


    Das Schreiben war versiegelt und mit dem Zusatz "persönlich" versehen, so dass allein der Praefectus Urbi in persona dazu befugt war, es zu öffnen.



    Persönlich!

    Praefectus Urbi

    Herius Claudius Menecrates



    Zwischenergebnis der Befragungen im Fall "Zugriff in der Casa Didia"



    Salve Praefectus Claudius,


    im Folgenden gebe ich dir eine Auflistung der Personen, die in der Casa Didia angetroffen wurden samt deren momentanen Aufenthaltsort, ihrem Stand und dem eventuellen Vorhandensein eines Fischanhängers:



    Person
    AufenthaltsortStandFischanhänger
    ja/nein
    Gaius Trebatius CalvusCarcer CP
    Doppelzelle CP II
    Civis
    ja (Link)
    Trebatia Caeca
    Carcer CP
    Doppelzelle CP II
    Civisja (Link)
    EudoxusCarcer CP
    Einzelzelle CP-I
    Peregrinusja (Link)
    TheognisCarcer CP
    Einzelzelle CP III
    Servusja (Link)


    Bei Fragen stehe ich zur Verfügung.



    Optio Sisenna Seius Stilo

    cp-optio.png


    311-7ee8d546.gif


    Diesen Gefangenen hatte Stilo vergessen. Zu leise, zu unwichtig, zu uninteressant. Ein Sklave eben.


    So musste es zügig gehen. Ohne viel Federlesen wurde Theognis aus dem Schlaf gerissen, gepackt, ihm das Hemd vom Leib gerissen und er in den Verhörraum gestoßen. Man ließ ihm nicht die Wahl, freiwillig zu gehen. Heute zeigte der Skorpion seinen Stachel. Stilo brauchte Ergebnisse, nachdem er sich vor dem Praefectus Urbi blamiert hatte, und die wollte er schnell.


    Zahnräder knirschten, schwere Ketten rasselten und dann war Theognis fest in eine Apparatur gespannt, deren Namen er nicht kannte, einer gewaltigen Eisenspinne gleich, die ihr Opfer unnachgiebig packte. Kalte Luft strich über seinen Körper. Ohne dass jemand Theognis Gelegenheit gab, freiwillig zu sprechen, drehte Pansa eine Winde, so dass der wehrlose Körper überdehnt wurde. Er spannte die Apparatur, bis die ersten Schmerzensschreie ertönten. Es zeigte dem Gefangenen, dass die Prätorianer keinerlei Hemmungen hatten, seinen Körper zu zerstören, ganz gleich, ob es gerecht war oder nicht. Sie taten es einfach.


    Stilo beugte sich über das Gesicht des Gefangenen. "Die Vöglein haben gesungen, Theognis. Deine Freunde haben dich und alle anderen verraten. Wir wissen nun die Namen der Mitverschwörer, aller Helfer und Helfershelfer. Und dass du einer davon bist. Ich habe alle Namen hier auf dieser Liste. Du weißt, welches Schicksal ihnen blüht. Oh ja. Und du weißt auch, welches dich erwartet. Auf Hochverrat kann es nur den Tod als Antwort geben."


    Er ließ eine Pause, um die Fantasie des Sklaven anzuregen, ehe er weitersprach. "Es kann auf die eine Weise oder auf die andere Weise geschehen. Du kannst unter dem Applaus einer blutrünstigen Menge in der Arena zerfleischt werden. Du kannst auch hier und jetzt deiner Haut entledigt werden, Streifen für Streifen, und in den nächsten Stunden so nackt, wie ein Mensch nur sein kann, allein und vergessen in deiner Zelle daran zugrundegehen. Niemand wird für dich beten, niemand um dich weinen, und deine Gebeine enden als Fischfutter im Tiber.


    Es mag aber auch sein, dass jemand ein Einsehen hat, dass dir jemand einen Holzfisch um den Hals legt, damit dein Gott bei dir ist auf deinem letzten Weg, und dass du vor der Vollstreckung einen tragischen Unfall erleidest, bei dem kurz und schmerzlos dein Genick bricht."


    Stilo sah ihm unentwegt in die Augen. Er sah nicht für einen noch so kleinen Moment weg. "Sprechen wir Klartext, Sklave: Dies ist deine einzige Gelegenheit, mir zu beweisen, dass du nicht nur ein Staatsfeind bist, nicht nur ein Stück Abfall, das jede Tortur verdient, sondern dass du einst ein Mensch warst, jemand, dem seine Heimat Rom am Herzen lag, bevor ihn die Umstände vom Weg abbrachten.


    Sprich, Theognis. Bestätige mir die Namen." Und er richtete sich auf, trat einen Schritt zurück und nahm den Griffel und die Tabula, die völlig leer war. Im Raum nebenan saß Dexter, der durch einen unsichtbarten Spalt in der Wand alles mit anhörte und für Stilo notieren würde.


    Sim-Off:

    Sollte es dir zu viel werden - PN.

    Einzelzelle

    CP-III


    Die Einzelzellen waren schmal, dunkel und tief wie ein Grab. Als Theognis eintrat, fand er den Raum gerade so dimensioniert, dass ein Mensch sich hinlegen konnte. Wenn er die Arme ausbreitete, berührte er rechts und links die Mauern. Den meisten Platz beanspruchte ein frischer Haufen Stroh zum Schlafen, denn es musste etwas geben, das man dem neuen Insassen wegnehmen konnte. Die Notdurft würde er fortan in ein kleines Loch im Boden verrichten, das in einer stinkenden Sickergrube endete, anstatt in die Kanalisation zu führen.

    Plötzlich sah man, dass etwas in Stilo vorging. Die alltägliche Maskerade wich aufrichtigem Erschrecken, als er merkte, dass er dem Praefectus Urbi gerade ziemlichen Bockmist erzählt hatte.*


    "Ich bitte um Verzeihung, Präfekt. Mir ist gerade ein Irrtum unterlaufen. Den Sklaven Theognis wollte ich aus taktischen Gründen zurücklassen." Er legte nicht gern seine Taktik dar, weil sich das anfühlte, als würde er die Tunika anheben, um seinen entblößten Unterleib vorzuzeigen. Und nun musste er auch noch einen Fehler eingestehen. "Da die Casa Didia Treffpunkt radikaler Christen ist, muss Theognis als Ianitor eine Schlüsselrolle haben. Ich gedachte, über die Observierung herausfinden, wer mit ihm noch Kontakt aufzunehmen versucht oder wen er kontaktieren würde, um Hilfe zu erhoffen. Aber weil das dem Einsatzbefehl zuwiderlief, habe ich den Gedanken verworfen.


    Ich werde dir die gewünschte Liste** anfertigen." Oder anfertigen lassen. Mal schauen. "... und die Frage nach weiteren Angehörigen der Gruppierung beim Verhör mit dem notwendigen Nachdruck stellen!"


    Sim-Off:

    *Mir ist gerade aufgefallen, dass ich den Sklaven doch mitgenommen hatte. Es war nur eine Idee gewesen, ihn zur Observierung zurückzulassen, die ich dann doch wieder verwarf ... hab nicht mal eine Zelle für ihn angelegt. Argh. War mein Fehler, keine Willkür von Stilo. Sorry für die Verwirrung.

    Sim-Off:

    ** Link zur Liste


    "Babylonisch? Sieh an. Wozu braucht man denn Babylonisch? Koine ist da schon praktikabler, eigentlich ein Muss für jeden, wie ich finde, nicht nur im römischen Osten."


    Er nahm noch einen Schluck des Weines. "Zu einem Wein sage ich nicht Nein. Gern nehme ich eine Amphore mit, der mir bei dem Mistwetter die Füße und das Gemüt wärmen wird.


    Was deine Gedanken zu einem Posten in der fernen Zukunft betrifft: Kappadokien liebt man oder geht daran zugrunde. Wie es auch auf so manchen Menschen zutrifft. Man muss es selbst erlebt haben, um zu wissen, zu welcher Sorte Mensch man gehört. Mein Herz habe ich dort zurückgelassen, was vielleicht der Grundgedanke war, als man mich zu den Prätorianern berief.


    Ich begrüße deine beruflichen Ambitionen, auch wenn ich dabei kaum eine Unterstützung sein werde. Kann ich dir noch einen guten Rat für deine Zeit hier in Rom geben?"

    Stilo nickte zum geistigen Kräftemessen. Das Gefühl kannte er, auch wenn er eher auf einer anderen Ebene spielte als jener der reinen Logik.


    "Und was möchtest du mit diesem logischen Denkvermögen anfangen? Es gibt ja sicher viele Bereiche, in denen das nützt. Hast du schon Pläne? Du wirst als Mann der Logik kaum nach Rom gereist sein, um dir bei Studien den Hintern platt zu sitzen, was in Alexandria oder Athen viel besser möglich wäre. Was Kappadokien betrifft ..."


    Stilo drehte das Glas in seinen Fingern. Er vermisste keinen einzigen Menschen, aber er vermisste bisweilen die alten Zeiten. Dann fühlte er sich alt, obwohl er die Dreißig noch nicht erreicht hatte.


    "In Kappadokien atmet die Erde Feuer. Vulkane schwelen überall, nicht alle sind als Berge zu erkennen. Nachts brennen die Feuergruben an den Hängen des Olympos, es riecht nach Schwefel und Rauch. In warmen, kreisrunden Kraterseen kann man das ganze Jahr über baden. Sonne und Wind haben das Land verbrannt und die Felsen zu Kegeln geschliffen, weich genug, um ohne viel Mühen Wohnhöhlen hineintreiben zu können. Darin findet so mancher Zuflucht, ehe er weiterzieht.


    Nomaden und Wilpferde durchstreifen die Steppe, Hirten und Räuber, Pilger und Einsiedler, wo er Orient den Okzident küsst. Die Spuren Babylons führen über den Taurus vom Euphrat zum Halys. Man trifft auf persische Stämme und parthische Händler, auf galatische Eunuchen und hellenische Lebensfreude, Tempel der alten urkappadokischen Wettergötter neben jenen der Griechen und Römer, genau so wie auf römische Bürokratie. Reisende aus Rom müssen sich oft erst daran gewöhnen, dass Koine die Landessprache ist und nicht Latein, und generell die Farbenfreude des Ostens dominiert."


    Er dachte an seinen Halbbruder Ravilla, der in Rom auffiel wie ein Paradiesvogel und sich jetzt in der Legio als vornehmer Exot vermutlich nicht sonderlich wohlfühlte. Stilo kreiste den Wein im Glas und trank noch einen Schluck.


    "Der ist gut", meinte Stilo ohne jede Fachkenntnis. Der Wein schmeckte ihm einfach.

    "Alexandria. Davon haben wir in Satala immer geschwärmt, allerdings nicht wegen des Museion. Es war für uns das bessere Rom, weil es uns kulturell näher ist, verlockend in seinem Reichtum und seiner Sündigkeit, wärend wir in der Steppe verschimmelten. Wobei ich Kappadokien als meine Heimat liebe, während andere dorthin strafversetzt wurden. Trotzdem hätte ich damals gern einmal Alexandria besucht, viel lieber noch als Rom, und gespürt, wie man dort lebt."


    Stilo ließ sich in gewohnter Uneleganz in einem Sitzmöbel nieder. Er saß gern und viel, da er im Dienst genug rumlatschen musste und ihm die Füße schmerzten.


    "Was du zur Logik sagst, sind interessante Ansichten. Hat deine Neugier dir nie Probleme beschert, wenn du, sagen wir, die falschen Fragen stelltest oder durchs falsche Schlüsselloch geschaut hast? Und - was bringt es dir, zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind?" Er selbst hatte dazu seine eigenen Vorstellungen, wollte aber erstmal hören, was sein philosophischer Verwandter dazu zu sagen hatte.

    Auf die Gefahr, dass bei Folter Ergebnisse zu Tage traten, die mit der Wahrheit nichts gemein hatten, hatte Stilo schon hingewiesen. Kurzfristige Ergebnisse waren gewünscht, weil der Praefectus Urbi seinerseits unter Druck stand. Unter Zeitdruck mussten sie beide nun arbeiten. Stilo würde das Beste aus der Anweisung machen, auch wenn es ihn ärgerte, dass irgendwer in den höheren Etagen meinte, besser als der Optio zu wissen, welche Zeit für ein brauchbares Verhör angemessen wäre.


    "Gaius Trebatius Calvus und Trebatia Caeca wurden beim Spezialeinsatz "Zugriff Casa Didia" aufgegriffen, als sie sich im Keller des Anwesens versteckten. Die gesuchten Anhänger trugen: Der römische Bürger Trebatius Calvus, die Matrone Trebatia Caeca und Theognis der Sklave, den wir zu Beobachtungszwecken in der Casa Didia beließen. Alle aufgegriffenen Personen frönen ihren Angaben nach dem christlichen Glauben. Verdächtig, kriminell zu agieren, macht sie die Anwesenheit im Hause des Fanatikers Didius Molliculus und dass sie sich vor meinen Männern im Keller verbargen, anstatt der römischen Ordnungsmacht freudig die Tür zu öffnen.


    Die Verhöre, wie gesagt ... sie laufen noch, Praefectus. Die inhaltlichen Zwischenergebnisse werden dir vermutlich kaum weiterhelfen. Ich werde die Befragungen, wie gewünscht, beschleunigen. Wünschst du, dass dabei bestimmte Fragen gestellt werden, die für dich von Interesse sind?"

    "Keine Sorge, ich bin bestens genährt. Man lässt uns nicht hungern in der Castra Praetoria. Freut mich, dass mein spontanes Erscheinen keine Umstände macht."


    Er stand auf, als Terpander seinem Herrn, sichtlich mürrisch, ein Zeichen gab. Wahrscheinlich sollten sie jetzt irgendwohin gehen.


    "Offen gestanden hat sich mein Lebensgefühl nicht wirklich verändert, seit ich die Toga virilis trage. Der Spieltrieb ist geblieben, auch wenn die Art der Spiele sich verändert hat. Wir hatten in Satala ein Theater, das unter der Hand als das Theater mit den hässlichsten Schauspielern des Imperiums bezeichnet wurde. Der Humor war derb, anzüglich und plump. Wir haben mit den Soldaten der Legio XV Apollinaris kaum eine Aufführung verpasst. Obendrein hatten wir auch das Lupanar mit den hässlichsten Huren abbekommen. Du siehst, Wein war überlebenswichtig."


    Er hob schmunzelnd den Weinbecher, den der Sklave aus Rache nur zum Teil befüllt hatte, was Stilo amüsiert zur Kenntnis nahm.


    "Aber deiner Frage entnehme ich, dass du die Dinge anders erlebt hast. Dein Lebensgefühl hat sich gewandelt. Wie? Und wie kam es dazu?"

    Stilo stand auf, als der Gast eintrat und drückte ihm lächelnd die Hand. Er nahm die Details des Gesichts von Iunius Tacitus mit besonderer Aufmerksamkeit wahr. Der Mann sah völlig anders aus als vermutet. Von wegen Wiesel. Gutaussehend in jedem Fall, wie alle ihres Blutes, dunkelhaarig und dunkeläugig, wie es sich gehörte. Aber Tacitus war zur Abwechslung ein bärtiger Iunier, da mochte vielleicht eine Neigung für griechische Philosophen durchschlagen. Aber das würde sich im Gespräch ergeben.


    "Salve, Iunius Tacitus. Angenehm, deine Bekanntschaft zu machen. Sisenna Seius Stilo. Besten Dank für die Einladung. Ich könnte mich für mein spontanes Entscheiden entschuldigen, allerdings wäre das geheuchelt, denn mein plötzliches Erscheinen ist pure Absicht, da ich gerade Zeit fand und in der Nähe war. Warum länger als nötig warten, wenn es einen verschollenen Verwandten zu begrüßen gilt. Hast du dich schon gut in Rom eingelebt?"


    Vor allem wollte Stilo einen unverfälschten Eindruck gewinnen und nicht den feinen und geleckten, den man bei angemeldeten Besuchen präsentiert bekam.

    Die Schreibstube des Carcers


    << RE: Die Zelle von Calvus & Frau | Römisches Ehepaar unter Christenverdacht


    Für die Wachsoldaten gab es eine Schreibstube, in der sie tägliche Protokolle schrieben und über alle Vorgänge innerhalb des Carcers Buch führten. Die Tür war schalldicht. Hierhin führte Stilo nun den Praefectus Urbi samt Begleitung, damit sie ungestört sprechen konnten. Wichtige Unterlagen wurden im Archiv gelagert und nicht hier, so dass alles seine Ordnung hatte. Falls Herius Claudius Menecrates sich setzen wollte, gab es dafür die Möglichkeit, doch wahrscheinlich würde er nicht lange bleiben wollen.


    "Hier sind wir unter uns. Mein Auftrag lautet, Informationen von bestimmten Gefangenen zu gewinnen, doch Folter sparsam einzusetzen. Wer tot ist, kann nicht mehr reden, einfache Rechnung. In der Vergangenheit ist das leider hin und wieder passiert. Folter von römischen Bürgern ist sowieso noch mal eine andere Sache. Ich gehe also den Weg über die Psyche. Das braucht Zeit, aber die Ergebnisse sind besser, da man mit Folter jede noch so unsinnige Aussage aus jemandem herauspressen kann.


    Die beiden Inhaftierten sind ein römisches Ehepaar. Gaius Trebatius Calvus und Trebatia Caeca, die durch endlos viel Zeit, sehr viel Langeweile und ewige Dunkelheit mürbe gemacht werden sollen. Ihr erstes Verhör steht noch bevor. Ich beginne bei allen Gefangenen mit dem Status Null, was bedeutet, dass sie zu Beginn, von den unerfreulichen Umständen des Gefängnisalltags abgesehen, neutral behandelt werden. Je nach Verhalten haben sie vom ersten Tag an die Chance, sich Privilegien zu verdienen oder zu verspielen. Diese beiden sind zu zweit, da sie sich bei der Festnahme fügsam zeigten - und damit man künftig drohen kann, sie zu trennen."


    Er gab dem Praefectus Urbi Gelegenheit, Rückfragen zu stellen.

    Wie Stilo das gefiel. Ewig könnte er so weitermachen, wären da nicht Fristen und Vorgesetzte, sollte der Orcus sie allesamt verschlucken. Als hätten sie eine Ahnung von dem, was in Stilos Carcer geschah, jene Halbblinden, welche die feinen Fäden nicht sahen, die er webte, bis der Spinnenkokon sich anfühlte wie ein Seidenmantel. Ihm würde nie ein Gefangener unter den Fingern wegsterben, wie die Mahnung gelautet hatte, denn er misshandelte nicht ihre Körper, sondern tauchte langsam und beinahe schmerzlos ein in ihre Seelen, um daraus zu bergen, was ihn interessierte, und einiges hier und da ein wenig umzusortieren, was den Menschen ausmachte. Er bräuchte Zeit, hatte es seinen Vorgesetzten oft genug gesagt, dann würde das Ergebnis gut werden. Doch sie gewährten ihm keinen Aufschub mehr.


    Die geforderte Beschleunigung war so riskant wie lästig, beinahe ein persönlicher Angriff auf den gekränkten Optio, eine Beleidigung, als würde man einem Töpfer das nur roh geformte Werkstück für den Brennofen entreißen und es anhand dieses Zustands bewerten, ohne zu ahnen, dass dies sein Meisterstück hätte werden sollen, in das er all ein Herzblut investiert hatte.


    Beinahe liebevoll betrachtete Stilo sein viel menschlicheres Werk, das atmete und sich regte, das einige Momente in einer unfreiwilligen Verneigung verharrte in dem Versuch, sich vom Boden aufzurichten. Ein wenig mehr Feinschliff noch, und Eudoxus würde bis ins letzte Detail wissen, wie er seinen neuen Herrn und Meister erfreuen konnte, so dass sie am Ende beide glücklich waren. Mal schauen, in welcher Stimmung Eudoxus heute war. Die von Stilo entsprach einem Wetterleuchten, das die Luft flimmern ließ und ihm eine sanfte Erregung bescherte.


    Eudoxus wusste noch nicht, dass dies heute sein letztes Gespräch mit Stilo werden würde, wie der Prätorianer die Verhöre nannte. Der Zeitdruck konnte am Ende alles zerstören, was bisher erarbeitet worden war. Stilo, sonst kein Mann großer Sorgen, spürte einen stärkeren Herzschlag als üblich in seiner Brust. Eine Emotion, die, wie die meisten seiner Gefühle, keinen Namen hatte. Er wusste nur, dass da irgendetwas schwelte, ein Platzhalter für etwas, das andere hätten benennen können.


    Er ließ Eudoxus vorweg gehen, analysierte das Bewegungsmuster und die Gestalt. Hunger litt niemand, der kooperierte. Die Nahrung war nicht gut, doch sie war genug.


    Körperliche Wunden - bei Eudoxus nicht existent. Seine Haut war unberührt, sofern er selbst nicht daran herumkratzte und nagte, doch bislang hatte Stilo ihm nicht das Hemd genommen, um darunter nachzusehen. Sein Innenleben - ein bislang unentschlüsseltes Mysterium, doch es war da, ein tiefer, reich gefüllter See, dessen reflektierende Oberfläche Stilo hatte glätten wollen, um in die Tiefe zu blicken, vielleicht dies und das schon zu erahnen, ehe er eintauchte. Von hinten - das Licht von Pansas Laterne, so dass Stilos langer schwarzer Schatten jenen des Eudoxus zu verschlucken schien. Eine deformierte Monstrosität war das Resultat, mit vier Armen und einem schwellenden und schrumpfenden Kopf.


    Eudoxus kannte den Weg, es war der altbekannte Verhörraum. "Setz dich", sprach Stilo und würde gleich danach selbst Platz nehmen.


    Fixiert wurde Eudoxus nicht auf seinem Stuhl - ein Privileg, das er sich erarbeitet hatte. Pansa schloss von außen die Tür und drehte den Schlüssel herum, den er danach an sich nahm. Eudoxus wusste nicht, dass Pansa diesmal nur die Laterne stehen ließ, so als würde er vor dem Raum warten, sich jedoch außerhalb der Hörweite verzog, so dass er die beiden nur hören würde, wenn einer von ihnen schrie. Das Gespräch selbst blieb unverständlich, Stilo und Eudoxus würden die einzigen sein, die um den Inhalt wussten. Es war gut, verlässliche Freunde zu haben, und sicherer für Pansa, wenn er so wenig wie möglich von dem mitbekam, was heute hier geschehen würde.


    Die Foltermaschinen wurden von der Laterne heute deutlicher ausgeleuchtet und warteten in offensichtlicher Bereitschaft, das Opfer aufzunehmen und seinen Körper zu zerstören.

    Der Gruß von Stilo kam beinahe tadellos, vielleicht etwas weniger schneidig als erwartet. Das lag weniger am fehlenden Respekt, er war ja kein Idiot, als an Stilos Naturell. Er war wie ein stiller, schwarzer Tümpel an dessen kahlem Grund ein hässliches Tier kroch, beständig lauernd, bisweilen lockend, doch nur selten schnappend.


    "Salve, Praefectus Claudius. Darf ich darum bitten, die Meldung in einem anderen Teil des Carcers zu machen? Es entspricht nicht der mir anvertrauten Zielsetzung, den Gefangenen unsere Absichten offenzulegen."

    Stilo drosch wenige Tage nach der Einladung mit gewohnter Nachdrücklichkeit gegen die Porta. Die nobleren Anwesen machten dies mithilfe eines Klopfers möglich, wodurch seine Faustknöchel geschont wurden, so dass er sie bei Bedarf geradezu jungfräulich in geeigneten Gesichtern versenken könnte - würde er denn zu roher Gewalt neigen. Manch einen mochte das überraschen, doch ausgerechnet dazu neigte dieser stattliche Prätorianer mit dem schwarzen Haar und den dunklen Augen nicht.


    Er trat einen Schritt zurück, wartend auf den Sklaven, der die Tür öffnen mochte, doch viel gespannter auf das Gesicht des neuen Iuniers, der ihn erwarten würde. Er versuchte zu erraten, wie dieser aussehen mochte. Geprägt von den drei Söhnen seiner Schwester tippte er auf ein schlankes Wiesel mit exzentrischer Veranlagung.