Beiträge von Lucius Aelius Quarto

    Quarto wanderte weiter durch die ausgedehnten Märkte. Er besah sich mal an diesem, mal an jenem Stand ein paar Waren. Dann lauschte er den Neuigkeiten, welche die Marktgänger untereinander austauschten. Er betrachtete die Werbung eines angeblich gelehrten Aurelianers, der anbot, Kinder wohlhabender Bürger zu unterrichten und schließlich erwarb er ein Laib Brot und ein paar gute, lukanische Würste um seinen Hunger zu stillen.

    “Salve!“
    “Salve! Womit kann ich dienen?”
    Der das sprach war ein dicklicher Weinhändler, an dessen Taberna Quarto getreten war. Ein Schild am Eingang versprach Gutes: „Bene te! – Auf Dein Wohl!“ stand dort geschrieben. Hinter dem Händler stapelten sich Amphoren in den verschiedensten Rot-, Braun- und Ockertönen. Weiter hinten sah man Regale, in denen weitere Behältnisse lagerten. Auf kleinen Wachstafeln waren kurze Beschreibungen des Inhalts verzeichnet, etwa:

    BAIAE
    sanguineum
    DCCCLIII


    Damit waren Herkunft, Farbe und Jahrgang beschrieben. Aber ob der Inhalt auch der Beschreibung entsprach, dass wusste freilich nur der Händler selbst.
    Quarto besah sich das Angebot.
    “Einen Schlauch guten Weins suche ich.“
    “Nur einen Schlauch? Oh, Du bist zu bescheiden. Der Wein ist das Blut der Götter, in ihm wohnt Wonne wie Glück, Du solltest Dir reichlich davon gönnen.“, flötete der Händler in höchsten Tönen.
    “Wohl gesprochen, doch ein Schlauch soll vorerst reichen.“
    “Wie Du wünschst. Womit kann ich Deinen Gaumen erfreuen? Mit einem dunklen Vinum nigrum vom Monte Massicus, oder soll es eher ein heller Wein sein, ein Vinum album oder Vinum fulvum? Ich habe gerade eine Ladung aus Sizilien bekommen. Ein exquisiter Tarentiner. Denn kann ich wärmstens empfehlen.“
    Quarto wollte gerade etwas erwidern, da fuhr der Händler in seinem Redefluss erneut lautstark fort:
    “Aber vielleicht wünschst Du Deinen Durst auch mit einem exotischen Genuss zu stillen. Ich habe Weine aus Griechenland und von den Inseln Rhodos, Lesbos, Kos und Zypern. Auch die Weine aus Syrien und Judäa erfreuen sich großer Beliebtheit und der ägyptische Wein gefällt dem Kenner, denn er ist süß wie Honig und sanft wie orientalische Prinzessin.
    Vielleicht möchtest Du aber auch einmal einen gallischen Wein probieren?“

    “Nichts läge mir ferner. Bevor die Gallier jemals lernen werden, einen genießbaren Wein zu machen, regiert eher ein Germane in Rom.“, stieß Quarto hervor. “Ein italischer Wein wäre schon recht.“
    “Ein heimischer Wein, gerne. Ich kann Dir einen Wein aus Lucca anbieten, oder einen aus Terracina? Aus Capua ist ein ganz passabler, tiefroter eingetroffen und ich habe einen Restbestand aus Baiae. Oder aber, wenn Du ein wahrer Freund des Bacchus bist, dann nehme doch einen Caecuber!“
    “Ein Freund ja, aber kein reicher. Hast Du Wein aus Puteoli?“
    “Ich sehe, Du weißt Qualität und Preiswürdigkeit zu schätzen. Ja, auch von dort kann ich Dir einen guten Tropfen anbieten. Ein wirklich guter Wein und zu unrecht minder geschätzt.“
    “Gut, dann soll es der sein.“


    Sie feilschten noch eine weile um den Preis, bevor sie sich einig wurden. Schließlich wechselten ein paar Münzen und ein Schlauch Wein den Besitzer. Quarto zog zufrieden weiter.

    Quarto schlenderte durch die Galerien der Trajansmärkte. Sie schmiegten sich halbkreisförmig an den Westhang des Quirinalus, wie die Ränge eines Amphitheaters. Die Läden und Magazine türmten sich bis zu fünf Stockwerke hoch und reichten teilweise bis tief in den Fels des Hügels hinein. Auf dem Vorplatz reihten sich die Zelte und Stände weiterer Händler.
    Zwischen den geschäftig umhereilenden Käufern, Sklaven und Krämern fiel Quarto durch seine Langsamkeit auf. Gemächlich und in aller Ruhe besah er sich alles, denn er hatte Zeit.


    Nach einer Weile entdeckte er einen Tuch und Kleidungshändler und sprach ihn an:
    “Salve!“
    “Salve! Kann ich helfen?”
    Der Händler sah sich seinen neuen Kunden, leicht Naserümpfend an. Ob der ein ordentliches Geschäft versprach?
    ”Da bin ich fast sicher. Ich suche eine neue Tunika.“
    “Oh ja, dass scheint mir angebracht.“
    “Mein Guter, ich weiß sehr wohl das diese hier nichts mehr taugt. Also halte Dich nicht mit großen Reden auf, sag mir was Du hast.“
    “Es darf wohl eher etwas Einfaches sein, nehme ich an?“
    “Schlicht ja. Günstig auch. Billig: Nein!“
    “Also eine Tunica rectra?“
    ”Selbstredend, oder sehe ich wie ein Senator aus?”
    “Ähm… Nein!“
    Der Händler begann im hinteren Teil seines Ladens in einem Regal zu wühlen. Schließlich zog er ein Kleidungsstück heraus.
    “Wie wäre diese hier. Gute Wolle und günstig.“
    Das, was er Quarto anbot, war eine schief genähte, wurmstichige Tunika. Zudem schlecht gebleicht und deshalb schmutzig gelb.
    “Das kann nicht Dein Ernst sein. Was ist das? Bitte, ich möchte einen Fortschritt in meiner Erscheinung erzielen.“
    “Entschuldige, aber hast Du auch genug Geld?“
    “Wenn Du kein Halsabschneider bist, dann reicht es für etwas Anständiges.“
    “Also gut, wie wäre es damit?“
    Er zeigte eine bessere Tunika, gut gebleicht und solide vernäht.
    Dennoch…:“Ja, besser. Jedoch möchte ich eine mit Ärmel. Die da, hat ja keine.“
    “Ja, es ist die traditionelle Form. Doch, warte, dass ist kein Problem. Wie gefällt Dir diese?“
    “Ja. Gut. Zeig mal her.“
    Der Händler reichte Quarto das Kleidungsstück und der besah es sich genauer. Die Nähte waren doppelt und stark. Die Farbe war annehmbar, der Stoff nicht extravagant, doch von ordentlicher Qualität.
    “Feinfein. Was willst Du dafür?“
    “Dreißig Sesterze!“
    “Dreißig??? Du bist also doch ein Halsabschneider! Mehr als Fünfzehn bekommst Du dafür nicht von mir.“
    “Fünfzehn? Also hör mal, dass ist eine gute Arbeit, die hat ihren Preis. Sagen wir… Fünfundzwanzig.“
    “Wenn es keine gute Arbeit wäre, dann nähme ich sie auch gar nicht erst. Achtzehn und Du kannst zufrieden sein.“
    “Einundzwanzig, sonst scher dich fort!“
    “Abgemacht. Aber nur weil ich genug von Dir habe.“
    Quarto holte seinen Beutel hervor, zählte einundzwanzig Sesterzen ab und gab sie dem Händler.
    “Mögen die Götter Dich segnen.“, sage der Händler grinsend.
    “ Dich segne Mercur, der Gott der Diebe.“
    “- und der Gott der Händler.“, ergänzte der Andere lächelnd.
    “Schon gut. Vale!“


    Quarto nahm die neue Tunika und verdrückte sich in eine dunkle Ecke des überdachten Ganges, von der es nicht wenige gab. Dann zog er seine alte, schmuddelige und arg verschlissene Tunika aus und die neue über. Er rollte das alte Kleidungsstück zusammen und ging weiter. An einer Ecke hockte ein Bettler. Quarto warf ihm die ausgediente Tunika zu und der Bettler fing sie überraschend geschickt auf. Er bedeutete ihm mit einem Nicken seinen Dank und Quarto fühlte sich nun deutlich besser.
    “Na also; schon eine Stufe aufgestiegen.“, murmelte er zufrieden und kam sich nun nicht mehr ganz so barbarisch vor.

    Quarto kam an einer Gruppe Vigiles vorbei, die etwas unschlüssig vor ein paar Räumlichkeiten standen, die auffällig, mit bunten und sinnesfrohen Malereien ausgestattet waren. Augenscheinlich waren sie unsicher, ob es sich dabei um ein Bordell handelte, oder nur um ein aufdringlich gestaltetes Geschäft für… Tja, was wohl?
    Quarto war bereits aufgefallen, dass obszöne Malereien zur Zeit große Mode in Rom waren und das man manches Mal einfache Bürgerhäuser kaum von Freudenhäusern unterscheiden konnte. Er schüttelte irritiert den Kopf und ging weiter.

    Quarto schüttelte den Kopf, ob dieses vorwitzigen Sklaven, der allem Anschein nach bereits gesucht worden war. Dann hob er den angebissenen Apfel auf, den der Dieb hatte fallen lassen, wischte ihn an seiner Tunika ab und biss herzhaft rein. *schmatz*

    "Hey, Freundchen!"
    Eine harte Hand packte Kassander von hinten am Kragen und hielt ihn mit eisernem Griff fest.
    Quarto hatte gesehen wie der Junge einen Apfel gestohlen hatte und nun fröhlich und keck, in einer Ecke des großen Marktes verspeiste.
    Einen Moment lang hatte er überlegt, ob er sich da einmischen sollte, doch dann siegte sein Ordnungssinn. Außerdem war dies ohne Zweifel ein Sklave und sein Herr, oder seine Herrin war weit und breit nicht zu sehen.


    "So mein Junge, sag nicht, du seihst ein freier Bürger! Wo ist dein Herr?"

    “Ich danke dir sehr, Gaius Flavius Catus“
    Quarto verstaute den Beutel unter seiner Tunika und blieb noch einen Moment um den Rest des Weines auszutrinken, dann machte auch er sich auch auf den weiteren Weg.


    Catus hatte Recht, er sah aus wie ein Straßenräuber aus Sizilien. Dem musste abgeholfen werden. Also wandte er sich nach Norden, denn auf den Trajansmärkten würde er sicher finden, was er suchte.


    Auf der rechten Seite erhob sich der Capitolshügel, links passierte er das Theatrum Marceli und den Porticus Octaviane. Schließlich kam er am Tempel der Bellona vorbei und fand nahe der Basilica Ulpia einen Barbier.


    “Was kostet die Rasur, guter Mann?"
    “Zwei Sesterzen.“, erwiderte der und hielt sein Rasiermesser hoch, um zu zeigen, dass es sauber und blank war.
    “Zwei? Bei diesem Preis musst du ein Meister deines Fachs sein!“
    “Ich werde dich nicht enttäuschen, du wirst aussehen wie ein neuer Mann.“
    “Das wird auch nötig sein. Also los.“
    Quarto setzte sich auf den Schemel des Barbiers und der begann sein Werk. Die Klinge war tatsächlich scharf und der Mann wusste mit ihr umzugehen. Zum Schluss besprengte er Quartos Gesicht mit ein paar Spritzern aromatisierten Wassers und nahm den Lohn.

    “Ich danke Dir sehr für die angebotene Freundschaft. Gerne will ich sie annehmen und erwidern.“
    Er goss Catus und sich aus der neuen Kanne Wein nach und hob den Becher.
    “Auf dich und Dein Wohl, Gaius Flavius Catus. Möge Rom mehr Männer wie Dich hervorbringen, dann ist mir nicht Bang!“
    Er trank den Becher mit großen Zügen leer.
    “Du hast Recht, nicht alles zu glauben, was Du hörst. In den Vergangenen Jahren, bevor Iulianus die Dinge ordnete, war Lug, Verrat und Betrug allgegenwärtig. Die Zeiten mögen sich geändert haben und das Reich hat zu Ordnung und Ruhe gefunden, doch noch immer mag es unter der schönen Fassade rau zugehen. Ich werde Deine Worte beherzigen und vorsichtig sein.“
    Er schenkte sich erneut nach, der Mann war durstig!
    “Was Deine Freundschaft angeht, so nehme ich sie mit großem Dank. Denn Freunde werde ich in Rom brauchen. Achtzehn Jahre Exil haben alle Verbindungen meiner Familie versiegen lassen, alle Freundschaften getilgt und alle Klienten vertrieben. Ich werde Zeit benötigen, die richtigen Verbindungen aufzubauen und mir der Gunst wichtiger Männer zu versichern, bevor ich es wage vor einen Praetor oder den Imperator selbst zu treten. Doch dann will ich es tun, damit der Name Aelia wieder rein gewaschen wird und ich mich wieder stolz einen ‚Römer’ nennen darf.“


    Für einen Moment versank er still in Gedanken.
    “Was ich bis dahin tun will… Womit mein Brot verdienen…“


    “Ich sehe, dass Du ein praktisch denkender Mann bist und ich danke Dir für Deine Ratschläge. Doch in die Auxilia kann ich nicht gehen. Damit würde ich anerkennen, wie ein Ausländer oder Freigelassener mein Bürgerrecht erdienen zu müssen. Das kann ich nicht!
    Was eine Arbeit angeht, so weißt Du als Patrizier wohl nur zu genau, was man in alten römischen Familien von handwerklichen Tätigkeiten hält. So habe auch ich kein Handwerk erlernt und verstehe mich nicht aufs Handeln. Das schränkt meine Möglichkeiten ein. Zudem verbietet mir mein jetziger Stand ein Amt in der öffentlichen Verwaltung zu bekleiden. Da bleibt nur die Arbeit als privater Scriba. Doch die Magistrate haben ja meist ihren amtlich bestellten Sekretär.“


    Er grübelte weiter.
    “Du weißt vermutlich, woran man einen Exilanten sicher erkennt, oder? Es ist nicht seine Kleidung, nicht sein Benehmen, nein, es ist seine Kenntnis der griechischen Philosophie! Römer, die sich in diesen Dingen auskennen und ständig alte Mythen rezitieren, müssen im Exil gewesen sein.
    So ist es wohl dieses, auf das ich mich am Besten verstehe. Aber wer braucht das? Nicht ohne Grund kennt die Welt uns eher als Krieger, denn als Schönredner.“

    Er lachte mit tiefer Stimme und trank seinen Becher leer.

    “Ich danke Dir für die Einladung.“ Quarto nahm sich ein Brot, tunkte es in eine Schale mit Garum und begann begierig zu essen.
    “Du bist…“, sagte er zwischen zwei Bissen: “Du bist ein aufmerksamer Beobachter und wie ich merke, auch ein Kenner römischer Geschichte. Doch wundert es mich nicht, sehe ich doch an Deinen Schuhen den Halbmond, dass Zeichen eines Patriziers.“
    Er nahm einen kräftigen Schluck vom Wein. Es war zwar nur ein Vaticaner und deshalb etwas sauer, doch dafür kaum verdünnt.
    “Nun gibt es meiner Erfahrung nach zwei Sorten Patrizier: Die degenerierten Nichtsnutze, die sich auf Kosten Roms den Wanst voll schlagen und jeder skandalösen Abartigkeit mit Wonne frönen…“, er nahm noch etwas Brot: “…und solche, die sich der ruhmreichen Tradition ihrer Vorväter bewusst sind und Rom nach Kräften dienen. Die einen trifft man auf Gelagen bei Gesandten orientalischer Potentaten und bei ekstatischen Feiern zu Ehren des Dionysos. Die Anderen auf der Straße, wenn sie ihr Amt ausüben. Du scheinst mir also zur zweiten Sorte zu gehören.“
    Für einen Peregrinus nahm er sich wirklich einiges heraus und anschließend gleich noch ein Lukanerwürstchen, dass er genüsslich verspeiste.


    “Nun… ich bin Plebejer, dass heißt, ich war es. Wer hätte gedacht, dass ich hier einen Mann treffe, dem der Name Aelius noch etwas sagt.
    Es ist wahr, ich entstamme dem alten und ehrwürdigen Geschlecht Aelia und wir waren über Jahrhunderte eine angesehene Familie von plebejischem Adel. Eine Senatorenfamilie über Generationen. Mein Ahnherr Publius Aelus Paetus diente Rom bereits vor über vierhundert Jahren als Konsul. Damals züchteten die Vorfahren manch mächtiger Familien heutiger Zeit noch Ziegen in den sabiner Bergen! Ich zähle nicht weniger als acht Konsule zu meinen Vorvätern. Sextus Aelius Catus war einer von ihnen, da hast Du Recht. Dazu etliche Volkstribune und Feldherrn. Der berühmte Jurist Quintus Aelius Tubero ist auch einer meiner Ahnen und auch Gaius Aelius Gallus, der Statthalter von Ägypten war und sogar einen Feldzug nach Arabia felix unternahm.“


    Der Wein löste nun merklich seine Zunge.
    “Aber all das ist Vergangenheit und zählt heute nichts mehr. Unter Kaiser Domitian – ich verfluche seinen Namen – wurden wir entehrt und verstoßen. Mein Vater, musst Du wissen, war der Bruder von Lucius Aelius Lamia, dem ersten Mann der Domitia Longina. Vielleicht kennst Du die Geschichte: Domitian zwang meinen Onkel zur Scheidung, auf das er selbst die Dame ehelichen konnte.“
    Der Wein schmeckte immer besser.
    “Lamia widersetzte sich nicht, denn Domitian war bekanntlich kein Imperator, der Anstand und Recht zu achten wusste. Niemand der leben wollte, widersetzte sich damals.
    Doch alles wäre gut gewesen, wenn Domitia nicht eine Affäre mit diesem Schauspieler… Wie war sein Name…? PARIS! Wenn sie nicht mit diesem Paris angebändelt hätte.
    Der Possenreißer wurde hingerichtet. Was mag er wohl erwartet haben? Domitia erhielt den Scheidungsbrief und wurde verbannt.
    Doch damit nicht genug: Verlogene Hofschranzen und Berater des Kaisers bezichtigten meinen Onkel, er hätte aus Rachsucht oder falschem Ergeiz diese Affäre in Szene gesetzt. Also wurden auch er und mit ihm seine ganze Familie ins Exil geschickt und sämtlicher Bürgerrechte beraubt.
    Ich vermute, Domitia steckte hinter diesen Anschuldigungen, um von ihrem Vergehen abzulenken. Denn später, als die Wut des Kaisers verflogen war, gewann sie erneut Einfluss auf ihn, bis…“

    Ein großer Schluck Wein unterbrach seinen Redefluss.
    “…na, dass weißt Du sicher; Domitian wurde ermordet und ich sage Dir, auch da hatte diese Hexe ihre Finger mit im Spiel!
    Egal. Mein Vater starb als Exilant, all seiner römischen Rechte beraubt. Unter Traian wurde die Verbannung aus Rom aufgehoben, die Götter mögen ihn segnen, doch in unsere Rechte wurden wir nicht wieder eingesetzt. Es würde mich nicht wundern, wenn da nicht alte, dunkle Mächte im Hintergrund wirken, die dies bewerkstelligt haben.
    Und darum, um auf Deine Frage zurückzukommen, darum bin ich hier. Ich will auf dem Forum von einer gerechten Welt sprechen, bis mir Gerechtigkeit widerfährt. Und ich will wissen, wer meine Familie mit Lügen und falschen Anschuldigungen verriet und ins Exil trieb.
    Das ist gefährlich sagst Du? Doch sieh mich an, was habe ich zu verlieren ohne mein Recht als Römer?
    Es ist nicht einträglich? Fürwahr, auch das sieht man.“

    Bei diesen Worten stellte der ehemalige Exilant missmutig fest, dass der Weinkrug leer war.

    Er ahnte, dass es lächerlich wirken musste und das er eine recht armselige Erscheinung abgab: Schlecht gekleidet, unrasiert, ein wenig verwahrlost. Trotzdem bemühte er sich um jene Würde und jene Erhabenheit, die in der ganzen Welt als Ausdruck römischen Selbstbewusstseins, ja, an einigen Orten auch römischer Arroganz bekannt war.
    Eben jenen Ausdruck suchte er in seine Antwort zu legen, als er entgegnete:
    “Ich habe nichts zu verbergen“ Er öffnete die Arme, als wolle er zeigen, dass er unbewaffnet sei. Natürlich trug er keine Waffe! “und um die Ordnung dieser Stadt zu stören, bin ich viel zu kurze Zeit hier und schwöre auch bei den Göttern unserer Väter, für keinerlei Aufruhr in den Straßen Roms verantwortlich zu sein.
    Mein Geschäft?
    Mein Geschäft ist die Wahrheit und die Gerechtigkeit.
    Mein Name…“
    ,
    er senkte die Stimme etwas: “...ist Lucius Aelius Quarto.“

    Der Mann in der schmutzigen Tunika beobachte das Geschehen. Ein Dieb war gefasst worden. Ein kläglicher Kerl, dem sein Ungeschick wohl nun ein böses Ende bei seiner finalen Vorstellung im Kolosseum bescheren würde.
    “Die Cohortes Urbanae… mmh“, murmelte der Mann: “es hat sich wirklich einiges getan in dieser Stadt.“ So sehr er auch grübelte, er konnte sich zwar an viele Schlägereien und Gewalttaten erinnern, doch an ein so schnelles und beherztes Durchgreifen der Stadtwachen kaum. Früher waren sie ein lahmer Haufen, schläfriger Nichtsnutze gewesen, doch allem Anschein nach gehörte das der Vergangenheit an.
    Der Mann wischte sich die Hände an seiner Tunika ab und versuchte unbeteiligt und unauffällig zu wirken. Doch erzielte er damit wohl gerade das Gegenteil, denn einer der Miles sah plötzlich unversehens zu ihm herüber und durchbohrte ihn förmlich mit einem forschenden Blick.

    Die Via Aurelia, auf der er lief, war eine der wenigen breiten Straßen Roms. Dennoch waren kaum Fuhrwerke auf ihr unterwegs, denn ein Dekret verwies fast alle Gespanne tagsüber aus der Stadt. Nur einige Karren mit Baumaterialien polterten an ihm vorbei, denn für sie galt eine Ausnahme. Das ständige Wachstum der Metropole stoppte zu keiner Tages- oder Nachtzeit!
    In seiner etwas schmuddeligen Tunika fiel der Mann in der Masse der geschäftig Umhereilenden oder müßig Dahinbummelnden nicht weiter auf. Es gab viele, die ähnlich gekleidet waren. Vielleicht Sklaven, vielleicht auch Freigelassene oder Plebejer, die nicht zu den begüterten Schichten der Stadt gehörten. Dazwischen sah er aber auch wohlhabende römische Bürger, viele von ihnen mit einer Toga bekleidet, dem Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur civis romanus.
    “Die Herren der Welt, das Volk in der Toga.“, reklamierte er einen alten Ausspruch und ein Hauch Bitterkeit klang in diesen Worten mit.


    Er ging weiter, folgte der großen Straße und erreichte das Ufer des Flusses. Links lag die Tiberinsel mit ihren Tempeln und Hospitälern. Vor ihm querte die Pons Aemilius den Tiberis. Der Mann ging hinüber und erreichte das Forum Boarium. Es war seit frühesten Zeiten der Viehmarkt der Stadt gewesen und selbst die Trajansmärkte konnten ihm in dieser Hinsicht nicht den Rang ablaufen. Neben Bauern und Händlern, die Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe, Hühner, Gänse, Enten, Amseln, Sperlinge, Buchfinken und Hunde anboten, gab es auch einige Stände mit Gemüse, Obst, Wein, Öl und Töpferwaren. In einer Ecke drängten sich zudem die bunten, auffälligen Zelte der Kräuterhexen und Seherinnen. Nur die Zelte der billigen Huren entdeckte er nicht, da hatte sich seit den alten Zeiten doch etwas geändert.

    Da lagen sie vor ihm, die sieben Hügel und die Stadt. Die Straße schlängelte sich in drei sanften Kurven den Abhang hinab, dass sanfte Gefälle des Einschnitts nutzend. Rechts erhob sich der Mons Vaticanus, mit seinen Weinbergen und verwilderten Olivenhainen. Links hatten römische Ingenieure und Baukolonnen trotz des dort steileren Hanges ein Aquädukt errichtet. War es immer schon da gewesen? Der Mann, der die Strasse hinab wanderte, konnte sich nicht mehr erinnern.
    Er blieb stehen und überblickte das Panorama der Stadt, das sich vor ihm ausbreitete. Direkt vor ihm war der Trans Tiber Distrikt, der sich langsam aber stetig am Westufer des Tiberis ins Umland fraß. Als er das letzte mal hier gewesen war, da waren einige Straßenzüge noch Schafwiesen oder Obstgärten gewesen. Jetzt sah man dort großflächige Gewerbebetriebe und großzügige Wohngebäude.
    Er ging weiter und erreichte die ersten Häuser. Direkt vor ihm erhob sich der Halbrund des Pompeiustheaters, mit dem krönenden Tempel auf der scaena. Welcher Gottheit war der noch geweiht gewesen? Er wusste es nicht mehr.


    http://mitglied.lycos.de/anian…mg/Pompeius%20Theater.jpg
    Das Pompeiustheater


    Er ließ das Theater rechterhand liegen und ging weiter. Langsam kehrten die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit in sein Gedächtnis zurück. Er hörte die Geräusche seiner Kindheit, er roch die Gerüche seiner Jugend. Ja, das war Rom, dass ‚Herz der Welt’!