Die kalte, schwarze Nacht
Mutter war bereits hochschwanger und kurz vor der Niederkunft an diesem sonnigen Spätnachmittag. Sie war in den Jahren seit meiner Geburt mehrere Male schwanger gewesen, aber sie erlitt immer wieder Fehlgeburten. Sie sprach nicht über ihre Traurigkeit, aber sie sagte oft, dass sie sich weitere Kinder gewünscht hatte. Sie war so glücklich darüber gewesen in ihrem Alter noch einmal gesegnet worden zu sein, war Pius doch schon fünfzehn und ich zehn - beide schon groß und bald erwachsen.
Nur wenige Stunden später, als die Nacht hereinbrach, setzten die Wehen ein. Das ganze Haus war in Aufruhr und alle waren in Bewegung. Man schickte nach einem Medicus und einer Obstetrix, während die Sklaven Feuer entfachten, heißes Wasser herbeischafften, saubere Tücher bereitlegten. Mit meinen zehn Jahren in dieser Nacht war ich Teil dieser Kolonne an Tüchern, heißem Wasser, Lampen die entfacht wurden, Gewändern und Haaren die gelöst wurden.
Ich erinnere mich an die Angst und Panik und die Worte der Obstetrix, die mir versicherte, dass dies normal bei Geburten war. Die Stunden erschienen mir gleichzeitig endlos und wie Augenblicke an mir vorüber zu ziehen. Das schmerzverzerrte Gesicht meiner Mutter, der Schweiß und der Geruch der vielen Frauen in dem Raum, das nicht durch Weihrauch überdeckt werden konnte. Die ganze Nacht hindurch lag, kroch und ging meine Mutter im Kreis und je länger es dauerte, desto animalischer wurde der Ausdruck in ihren Augen.
Die Schmerzen hatten die Güte und Milde in ihrem Antlitz ausgelöscht. Sie sah mich an, wie ein verletztes Tier, das in eine Ecke gedrängt wurde und keinen Ausweg kannte. Sie sprach kaum noch im Laufe der Nacht. Die Laute waren tief und guttural, wenn die Obstetrix sie anherrschte, dass sie aufstehen und gehen musste, dass sie nicht aufgeben durfte. Links und rechts wurde Mutter von Frauen gestützt, die sich abwechselten. Auch ich drehte meine Runden mit ihr, in denen sie sich an mich krallte. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt noch erkannte am Ende, da ihre Augen so leer waren.
Wo mein Vater und Bruder in dieser Nacht waren kann ich nicht sagen. Nur der Medicus war einige Male hier, warf einen Blick auf Mutter und unterhielt sich leise mit der Obstetrix, ehe er wieder ging. Als die Sonne aufging, verließen Mutter langsam die Kräfte. Sie lag fast nur noch im Bett und wand sich, wenn eine Wehe ihr Schmerzen verursachte. Sie konnte nicht mehr Stehen, Gehen oder auch nur Hocken. Sie war einfach am Ende und mehr als einmal verlor sie auch das Bewusstsein. Nur kurz verschwand eine der Frauen und kehrte dann mit einigen Vogelfedern wieder zurück.
Nachdem sie die Federn angezündet und mit dem stinkenden Rauch Mutter wieder geweckt hatte, platzte endlich die Fruchtblase. Eine der Frauen legte sich auf Mutters Brust um ihr dabei zu helfen, das Kind aus dem Leib zu drücken, während die Obstetrix an dem Kind zog und es so auf die Welt holte. Mutter schrie wie am Spieß bis das Kind endlich ihren Leib verließ und wurde dann wieder ohnmächtig, überall war Blut. Sie würde nie wieder erwachen und auch das Kind schien mehr tot als lebendig und hatte noch keinen Mucks von sich gegeben.
Die Frauen wickelten das Kind in ein Tuch und rieben ihm den Rücken, entfernten Schleim und Flüssigkeit aus seinem Gesicht und Mund. Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte das Quäken des Neugeborenen, während Mutter ihren letzten Atemzug in einem Bett voll Blut machte. Ich war einfach nur geschockt von dem Grauen, dem Blut, dem Geruch und Anblick. Ich konnte nicht einmal weinen in diesem Moment. Ich war kein kleines Kind mehr und kannte die Gefahren des Gebärens, aber keine Worte können einen auf etwas dergleichen vorbereiten.
Die folgenden Stunden zogen wie ein weit entfernter Traum an mir vorbei. Ich sehe nur noch Fragmente davon in meinem Geist. Frauen, die die besudelten Laken wegbrachten. Meine Mutter, die notdürftig gesäubert und in eine frische Tunica gesteckt wurde. Der leere Blick von Lepidus. Die Tränen von Pius. Das Herz und Glück der Familie, tot und kalt. Das schreiende Bündel, das nach der Brust einer Mutter suchte, die es nie kennen lernen würde. Antigonos, der nach einigen Stunden mit einer Amme zurückkam.
Ich hasste dieses Kind. Es war ein neues Gefühl und damals wusste ich noch nicht, dass es nur der Schmerz war, dem ich nichts entgegen zu setzen hatte. Aber in diesem Moment verwünschte ich dieses hässliche, schreiende Ding, das meine Mutter getötet hatte. Ich hoffte, dass es die Nacht nicht überleben würde, denn das wäre nur gerecht. Ich wollte niemals Kinder haben und niemals heiraten, wenn das das Ergebnis von Liebe und Ehe war.