Beiträge von Aemilia Faustina

    Ein Sklave der Gens Aemilia überbringt eine Nachricht für Aurelia Drusilla


    Ad Aurelia Drusilla

    Villa Aurelia


    Salve Drusilla,


    Ich hoffe es geht dir gut und diese Nachricht findet dich. Ich bin seit kurzem wieder in Roma und würde mich über ein wenig Gesellschaft freuen. Ich würde mich freuen, wenn du mich in der Villa Aemilia besuchen kommst. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen! Über eine Antwort oder einen Spontanbesuch würde ich mich sehr freuen.

    Die Tränen der jungen Frau waren fürs Erste versiegt. Sie wischte sie sich aus dem Gesicht und erhob sich. Tapfer setzte sie ein Lächeln auf und nickte Pius zu, denn er hatte wie immer Recht. Das Leben musste weitergehen und konnte nicht einfach still stehen. Bassus würde ihr fehlen, wie Mutter ihr fehlte, aber sie musste sich um ihre Familie kümmern.


    "Ja, lass uns gehen. Ich werde nach Iulia sehen. Kannst du nach Vater sehen? Ich mache mir Sorgen um seinen Gemütszustand. Oder soll ich ihm Iulia vorbei bringen? Denkst du das würde ihn aufmuntern? Er sah sehr erschüttert aus und so habe ich ihn schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen."


    Pius kannte Lepidus am besten und sie vertraute auf seinen Rat, wenn es um Vater ging.

    Ein kurzes aber herzhaftes Lachen entrang sich Faustina, ehe sie die Tränen wegwischte und sich aufsetzte. Ihr Blick verweilte auf der Totenmaske ihrer Mutter und sie kam nicht darum herum, sich über diese Situation zu wundern. Wie konnte ein hässlicher Frosch wie Nero ihr Bruder sein, der doch viel besser zu ihrem Onkel passte und Bassus nur ihr Cousin sein? Vielleicht hatten die Götter einen Fehler gemacht, denn Sinn machte es für die junge Frau nicht. Bassus' Tod würde eine spürbare Leere hinterlassen, die man nicht füllen konnte.


    "Ich erinnere mich an die leckeren Honigkuchen mit Nüssen und das mit dem ekligen Frosch habe ich euch bis heute nicht vergessen." erwiderte Faustina gespielt ernst und streng.


    Es hatte einige Tage geregnet und plötzlich waren überall Frösche. Die drei Kinder hatten ihr "Lager" unter einem Unterstand für Gartengerät im hinteren Teil des Gartens aufgeschlagen mit ein paar Bahnen Stoff und drei kleinen Strohmatratzen. Pius und Bassus waren vor ihr wach und als Faustina ihre Augen aufschlug, saßen mehrere Frösche auf ihr und einer sprang ihr quakend genau ins Gesicht. Sie hatte wie am Spieß geschrien, während sich die älteren Jungen vor Lachen die Bäuche hielten. Ein harmloser Streich, aber sie hasste Frösche bis heute und auf Faustinas Ekelhaftigkeitsskala standen diese Viecher ganz oben.

    Die junge Frau folgte ihrem älteren Bruder und ließ sich dann auf einer Bank unter den Totenmasken nieder. Sie war immer noch zornig ob der Ungerechtigkeit, auch wenn dieser Ort sie besänftigte. Sie dachte nicht über die Geschichte der Familie nach - nur über das Hier und Jetzt. Schweigend setzte sich Pius zu ihr und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Der Druck für ihn würde nun umso größer sein, aber das war im Moment nicht wichtig.


    "Erinnerst du dich an den ersten Sommer, als Bassus hier war? Ihr habt mich ständig aufgezogen und meine Stoffpuppen versteckt. Immer wieder habe ich versucht euch hinterher zu laufen und mit euch zu spielen. Ich kann kaum älter als 7 oder 8 Jahre gewesen sein damals." Sie schniefte leise zwischen den Worten, aber zwischen den Tränen blitzte ein Lächeln auf. Pius und Bassus waren wirklich wie zwei Brüder für sie gewesen, auch wenn sie sie getriezt hatten. Faustina wünschte, sie könnte nun in Germania sein - hier zu sitzen war nicht das Gleiche.

    Kurz überlegte Faustina, ob sie etwas einwenden sollte aber ließ es dann doch. Plus hatte Recht, auch wenn es schmerzte. Bassus lebte nun in ihren Erinnerungen weiter und sein Körper wäre längst Asche bis sie Germania erreichten.


    "Ja, lass uns ins Lararium gehen." erwiderte Faustina kraftlos und einsilbig. Wie konnte ein Tag so gut beginnen und so schrecklich enden? "Danach sollten wir nach Vater und Iulia sehen. Sie brauchen uns auch." Vor allem Lepidus sah sehr geknickt aus.

    Faustina löste sich nach einigen Minuten aus Pius' Armen. Die erste Traurigkeit war verflogen, aber der Schmerz und vor allem der Zorn blieben. Sie musste etwas dagegen tun, aber was?


    "Pius, ich möchte mich von Bassus verabschieden. Begleitest du mich?"


    Der Plan war nicht gut und auch nicht durchdacht, aber vielleicht würde es der Heilung des Herzens helfen.

    Faustina schaute drein, als hätte sie einen Schlag abbekommen. "Bassus...ist tot?" Kaum waren die Worte ausgesprochen, sackte sie auch wieder in ihrem Stuhl zusammen. Wie konnte das passieren? Wie konnten die Götter die hässliche Kröte Nero überleben lassen und ein edles Gemüt wie Bassus aus dem Leben reißen? Das war nicht fair...so wie Mutters Tod nicht fair gewesen war.


    Es dauerte nicht lange, bis der Schock bitteren Tränen wich und das Gesicht der jungen Frau voller Zorn war. Bassus war Faustina fast so nahe wie Pius gewesen. Er hätte ihr Bruder sein sollen und Nero hätte mit ihrem lotterhaften Onkel in Germania hausen sollen. Eine hässliche Provinz für hässliche Gestalten mit defekten Charakter...ein Grund mehr dieses verwunschene Land voller Barbaren zu verabscheuen.

    Die junge Frau schüttelte schmunzelnd den Kopf bei Pius' Ablehnung der "guten Gesellschaft". Die meisten der angesehenen Bürger Roms waren in der Tat keine unterhaltsame Gesellschaft und mehr Schein als Sein. Aber es gab auch bestimmt Menschen da draußen, wo sich das Kennenlernen lohnte. Wie sollte sie sonst Freundschaften schließen, wenn sie immer nur hier in der Villa saß? In Tarrentum gab es zwar wenig Freunde, aber dort konnte sie immerhin jeden Tag mit Iulia raus gehen und spazieren und das Meer sehen.


    Faustina musste trotz allem herzhaft lachen bei der Bemerkung des Einhorns mitsamt reitendem Schönling, der am besten karrenweise den Reichtum hinter sich herzog. Als sie gerade zu einer spitzen Erwiderung ansetzen wollte, kam Antigonos in die Bibliothek und auch ihr wich schlagartig das Lächeln aus dem Gesicht. So einen Blick hatte sie schon sehr lange nicht mehr in Antigonos' Gesicht gesehen und sie war schon halb aufgesprungen, ehe sie aktiv einen Gedanken dazu formulierte. "Ist irgendetwas mit Iulia, Antigonos?"


    Faustina war fast selbst über ihre heftige Reaktion geschockt. Diese elementare Panik, dass ihrem Kind etwas zugestoßen sein könnte, brach einfach so aus ihr heraus.

    Faustina schmunzelte, da sie ja keine unbedarfte Jungfrau mehr war und sie der Ausdruck Orgie nicht unbedingt schockte. "Ich habe nur an der Cena im Haus der Braut teilgenommen und dort ein Weilchen höflichkeitshalber verbracht und ein wenig geplaudert. Am Brautzug und dem Gelage im Anschluss habe ich mich natürlich nicht beteiligt. Es war ohnehin bereits spät und zwei Becher Wein und ein paar Häppchen waren genug. Das betrunkene Gegröle und Geschreie des Brautzugs musste ich wirklich nicht haben. Ich hatte aber insgesamt den Eindruck, dass es sich um ein sehr ernsthaftes Paar handelte und sie haben mich beide sehr höflich behandelt und sich anscheinend über diesen Gruß und die Geschenke gefreut."


    Sie schenkte sich noch Quellwasser in ihren Becher und bot auch den beiden Männern noch Wein oder Wasser an, bevor sie sich setzte. "Ich versuche mein Bestes in dieser Angelegenheit. Und es war natürlich kein Umstand, Vater." Trotzdem ging der Dank und das damit verbundene Lob runter wie Öl. "Vielleicht sollten wir irgendwann auch einmal eine kleine Feier ausrichten hier und ein paar Leute einladen zu einem zivilisierten Essen. Ein wenig Gesellschaft würde nicht schaden und unseren Namen vielleicht wieder ein bisschen mehr ins Gedächtnis der wichtigen Menschen Roms bringen." Und auch ein wenig Leben und potentielle Verbindungen aller Art...irgendwo musste man ja anfangen.

    Faustina schenkte ihrem Vater ein warmes Lächeln, auch wenn seine Worte einen wunden Punkt trafen. Es war der jungen Patrizierin mehr als klar, dass der einzige Ehemann, der auf sie wartete wohl eher mit einem Makel behaftet sein würde - er wäre bestimmt alt und greisenhaft und hätte wahrscheinlich Kinder in ihrem Alter. Ein junger Mann von Stand und mit Vermögen würde sich eine Braut suchen, die zehn Jahre jünger und jungfräulich wäre. "Ich würde Iulia ungern verleugnen oder von Pius adoptieren lassen. Können wir nicht einfach einen verstorbenen Ehemann und Vater erfinden? Wer prüft schon, was in Tarrentum geschehen ist. Dann müssten wir Iulia nicht umerziehen." Die junge Frau schmunzelte bei der Idee, auch wenn diese kriminell und nur wenig praktikabel war.


    Heiraten mussten aber sowohl Bruder als auch Schwester, aber dafür mussten auch erst einmal Partner gefunden werden. Sowohl Faustina als auch Pius waren in einem Alter, wo es durch das Gesetz vorgegeben wurde. Sie wischte diese trüben Gedanken weg, da sowieso kein perfekter Gatte da draußen auf sie warten würde. "Wenn wir schon beim Thema Heirat sind...ich war übrigens auf der Hochzeit von Senator Annaeus Florus Minor und Iulia Stella. Ich habe in Vaters Namen Geschenke überbracht. Ich bin aber nicht lange geblieben, da es eine sehr...durchmischte...Gesellschaft war. Sogar Vestalinnen waren dort und haben Glückwünsche überbracht."

    Faustina hob eine Augenbraue. Ein Original von Pythagoras? Das musste ja durch die Kraft der Götter zusammengehalten worden sein, da der Mann ja schon mehrere Jahrhunderte tot ist. Aber es würden bestimmt einige schöne Tage werden, wenn Pius noch ein wenig blieb.


    "Und wo willst du diese mythische Frau finden, mit der du die Aemilier nicht aussterben lässt? Hoffentlich nicht irgendwo in den Provinzen...die Leute da sind immer so...provinziell." Sie verzog gespielt das Gesicht, dass ihr Näschen lustig wackelte, ehe sie sich eine Nuss aus dem Knabberschälchen nahm. "Vielleicht sollte ich auch irgendwann heiraten. Wie schwer kann es schon sein einen Mann zu finden, der blendend aussieht, intelligent und gebildet, vermögend und erfolgreich und ein guter Liebhaber ist? Meine Ansprüche sind ja sehr moderat." erwiderte Faustina lachend.

    Dankend nahm Faustina den Becher entgegen, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass da sehr vieles ungesagt blieb bei der sehr oberflächlichen Zusammenfassung der letzten Jahre. Aber ihr Bruder würde darüber sprechen - oder auch nicht - wenn und wann es ihm passte. Es hatte in der Vergangenheit schon nichts genutzt zu bohren und zu drängen, denn Pius konnte wie ein Grab schweigen, wenn er keine Lust hatte etwas preiszugeben.


    "Tarrentum ist nicht sicher im Moment und ich plane nicht in näherer Zukunft dorthin zurück zu kehren. Rom ist meine Heimat und ich würde mir wünschen, dass Iulia hier aufwächst. Was Pläne angeht, so habe ich derzeit nicht wirklich welche - außerdem ist mir nicht mehr zu helfen! Ich lasse mich wie ein Blatt im Wind treiben, wie Mutter immer sagte." Faustina musste bei dieser Redewendung lächeln, hatte sie sie doch schon seit Jahren nicht mehr benutzt. Vielleicht hatten ja die Götter doch noch irgendwelche Pläne mit ihr...wer wusste das schon.


    "Vielleicht sollte ich auch auf eine Insel gehen und dort dichten, damit dann ein windiger Römer alle meine Gedichte stiehlt. Und was sind deine Pläne, Bruderherz? Wirst du länger hier in Rom bleiben oder bist du nur auf der Durchreise?" erwiderte die junge Frau lachend.

    Leben im Schatten


    Mutters Tod war wie das Erlöschen der Sonne in unserer Familie. Es half auch nicht, dass Nero ein kränkliches und ständig schreiendes Baby war. Oft schrie er bis zur Heiserkeit oder bis er vor Erschöpfung einschlief. Lepidus zog sich vollends vor uns zurück und ich sah nicht viel von ihm in den kommenden Jahren. Nur Pius, mein älterer Bruder, war mein Fels in der Brandung. Selbst in seinem Schmerz war er noch gutmütig genug und versuchte mich aufzuheitern.


    Bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr verbrachte ich fast all meine freie Zeit mit Pius. Nach Mutters Tod kam eine weit entfernte Cousine Vaters in die Villa Aemilia um meine Erziehung abzuschließen. Ich nannte sie einfach Tante Agrippina, obwohl sie nicht wirklich meine Tante war. Sie war keine mütterliche Frau und zwischen uns herrschte immer eine gewisse Distanz, auch wenn sie nicht herrisch oder gemein zu mir war.


    Wenn ich nicht gerade nähen, sticken, spinnen, weben oder nach Agrippinas Anleitung Kräutersud gegen Magenbeschwerden oder Fettsalbe anrühren musste, spielte ich oft mit Pius Brettspiele oder er las mir vor. Er hatte schon immer eine angenehme Stimme gehabt und ich mochte vor allem die Geschichten der tragischen Heldinnen der griechischen Literatur. Ich konnte einige Passagen auswendig aufsagen, während Pius las. Ich liebte diese langen Nachmittage mit ihm in der Bibliotheca. Es waren rare Lichtblicke in diesem Kapitel meines Lebens.


    Doch vieles änderte sich in den Jahren als Nero heranwuchs. Pius war bereits erwachsen und ging immer mehr seinen eigenen Weg, während mein Hass auf Nero nur stärker wurde mit den Jahren. Er war kein hübsches Baby gewesen und als er zum Kleinkind wurde, sind seine Froschaugen nur noch deutlicher hervor getreten. Ich nannte ihn oft den hässlichen Frosch, wenn niemand in der Nähe war. Ich weiß nicht, wie oft Vater den kleinen Nero besucht hat - oder ob er es überhaupt jemals tat.


    Die Kinderfrauen hatten Nero einige Male in den Garten gebracht, wenn ich auch gerade zufällig dort war, aber ich ertrug seine Anwesenheit nicht. In den Tiefen der Froschaugen sah ich nichts von Mutters Güte. Er wollte auch nicht wie ein kleines Kind spielen und entwickelte sich seltsam langsam. Es dauerte sehr lange, bis er sprechen lernte und selbst als er es beherrschte, sprach er nur wenig und oft merkwürdiges Zeug.


    Ich fühlte mich auch vernachlässigt und allein gelassen von Vater in diesen Jahren - nicht nur Nero. Agrippina war kein Ersatz für meine Eltern und so verbrachte ich viel Zeit mit Einkaufen. In die Menschenmasse einzutauchen gab mir ein Gefühl nicht mehr so alleine zu sein und ich liebte es Schätze in den Geschäften zu entdecken. In meinem vierzehnten Jahr begann ich endlich auch nicht mehr dürr wie ein Weidenzweig zu sein und weibliche Formen anzunehmen. Ich sonnte mich in den Blicken der Männer. Ich genoss die Aufmerksamkeit und im Mittelpunkt zu stehen und mich dafür heraus zu putzen.


    Nur wenige Male hatte Vater versucht das Thema Heirat oder Ehemann anzuschneiden, nachdem ich meine menses hatte und auch optisch alle weiblichen Attribute zur Schau stellte. Zuerst lehnte ich ab, da ich mich zu jung fühlte und dann lehnte ich die Bewerber direkt ab als zu alt, zu hässlich, zu arm, zu dumm. Als Lepidus es ein letztes Mal versuchte, flüchtete ich mich in Bedenkzeit um den Vestalinnen beizutreten. Es war eine Ausrede, denn ich hatte kein Interesse an einem religiösen Leben, aber ich ertrug den Gedanken nicht vielleicht wie Mutter zu enden.


    Agrippina blieb bis zum meinem achtzehnten Lebensjahr in der Villa Aemilia, bis sie ihrem jüngsten Sohn nach Corsica folgte, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Auch Pius war kaum noch in der Villa Aemilia in diesen Tagen. Er bereiste die Provinzen in Vaters Auftrag und war nur selten in Rom. Vater verbrachte immer öfter seine Zeit in Surrentum wegen seiner bereits nachlassenden Gesundheit und das Haus wurde leerer und leerer.

    Faustinas Blick wurde weicher und ihre Stimme sanfter. "Du weißt, ich könnte dich nie aus meinem Herzen aussperren - genauso wie Vater. Aber es fiel mir über viele Jahre schwer mich anderen Menschen zu öffnen. Die oberflächlichen Gesellschaften, zu denen ich oft allein ging. Ich sonnte mich in der Bewunderung der jungen Männer, aber das hat nur mein Ego gestreichelt. Da war einfach nichts Echtes - nur Höflichkeiten, Tratsch und Klatsch - keine Freundschaft oder gar Liebe." Wie sollte sie das beschreiben, ohne wie ein schwülstiges Gedicht zu klingen?


    Die junge Frau winkte ab. Das Thema war ein wenig zu peinlich und ließ sie wie ein romantisches Mädchen klingen. Sie runzelte ein wenig die Stirn. "Ich bin froh, dass Vater sie mag. Ich wüsste sonst nicht, wie ich ohne ihn aus dem Schlamassel wieder rauskomme. Das Geschwätz lässt sich ohnehin nicht vermeiden, wenn jemand von Iulia Wind bekommt. Vaters Umut würde mich aber härter treffen als der Klatsch und Tratsch es je könnte." Romantik war ja gut und schön, aber vielleicht wollte sie noch mehr Kinder und einen Mann an ihrer Seite. Nicht jeder Mann würde über ein uneheliches Kuckuckskind hinwegsehen und Iulia aufgeben war keine Option.


    Faustina setzte ein tapferes Lächeln auf. "Aber nun sag...was hast du in den letzten Jahren getrieben? Die Briefe aus Roma kamen nur sehr spärlich an und ich wusste immerhin, dass du am Leben bist. Aber was hast du die ganze Zeit angestellt?"

    Er hatte seinen Humor nicht verloren, selbst nach all den Jahren. Faustina stimmte in das Lächeln ein, auch wenn sie ein wenig besorgt auf das Knie schaute. "Mhmm...genießt Onkel Menec seinen Ruhestand?" Wahrscheinlich würde der Claudier sie mit bitterbösen Blicken strafen, wenn sie ihn in ihrem Alter noch Onkel nannte wie als Kleinkind. Die beiden hatten schon früher immer Ewigkeiten zusammen gesessen, obwohl sie doch so unterschiedlich wirkten. Ihr war diese Freundschaft immer merkwürdig erschienen, auch wenn sie froh war, dass Vater Freunde hatte.


    Instinktiv schloß Faustina ihre Hand um die ihres Bruders, als wären nicht Jahre seit dem letzten Mal vergangen. Natürlich hatte er direkt den Finger in die Wunde gelegt und sie verzog ein wenig das Gesicht. "Naja, ich muss dir ja nichts von Bienen und Blümchen erklären. Ich könnte genau so gut fragen, warum die Festung vor meiner Nase noch nicht erobert wurde. Die Antwort ist simpel. Ich war es leid mit einem Herz aus Eis herumzulaufen. Auch wenn mich einige vielleicht für Iulias Existenz verachten mögen, so ist sie doch mein Ein und Alles."


    Ihre Antwort fiel ernster und defensiver aus als geplant, war es doch ein sensibles Thema für sie. Sie wusste, dass ihr Bruder es nicht böse meinte oder sie bloßstellen wollte. Faustina atmete durch und normalisierte ihren Tonfall. "Was musste geschehen? Ich lernte einen Mann kennen, dessen Herz so frei wie ein Vogel war. Das hat mich fasziniert und war wie warme Sonnenstrahlen auf der Haut. In den letzten drei Jahren hat sich viel für mich verändert, auch wenn unsere...Liaison...nur etwa ein Jahr dauerte. Es ist schon so viele Jahre her...seit Mutter...ich wollte einfach nicht mehr unglücklich sein. Ich war es so leid und so müde davon."


    Faustina lehnte sich im Stuhl zurück, auch wenn sie Pius' Hand nicht los ließ. Vielleicht gab es da draußen ja auch eine Frau, die ihn erobern konnte. Sie fürchtete nur, dass diese Frau wohl eine ganze Legion und Belagerungsgerät mitbringen müsste.

    Die kalte, schwarze Nacht


    Mutter war bereits hochschwanger und kurz vor der Niederkunft an diesem sonnigen Spätnachmittag. Sie war in den Jahren seit meiner Geburt mehrere Male schwanger gewesen, aber sie erlitt immer wieder Fehlgeburten. Sie sprach nicht über ihre Traurigkeit, aber sie sagte oft, dass sie sich weitere Kinder gewünscht hatte. Sie war so glücklich darüber gewesen in ihrem Alter noch einmal gesegnet worden zu sein, war Pius doch schon fünfzehn und ich zehn - beide schon groß und bald erwachsen.


    Nur wenige Stunden später, als die Nacht hereinbrach, setzten die Wehen ein. Das ganze Haus war in Aufruhr und alle waren in Bewegung. Man schickte nach einem Medicus und einer Obstetrix, während die Sklaven Feuer entfachten, heißes Wasser herbeischafften, saubere Tücher bereitlegten. Mit meinen zehn Jahren in dieser Nacht war ich Teil dieser Kolonne an Tüchern, heißem Wasser, Lampen die entfacht wurden, Gewändern und Haaren die gelöst wurden.


    Ich erinnere mich an die Angst und Panik und die Worte der Obstetrix, die mir versicherte, dass dies normal bei Geburten war. Die Stunden erschienen mir gleichzeitig endlos und wie Augenblicke an mir vorüber zu ziehen. Das schmerzverzerrte Gesicht meiner Mutter, der Schweiß und der Geruch der vielen Frauen in dem Raum, das nicht durch Weihrauch überdeckt werden konnte. Die ganze Nacht hindurch lag, kroch und ging meine Mutter im Kreis und je länger es dauerte, desto animalischer wurde der Ausdruck in ihren Augen.


    Die Schmerzen hatten die Güte und Milde in ihrem Antlitz ausgelöscht. Sie sah mich an, wie ein verletztes Tier, das in eine Ecke gedrängt wurde und keinen Ausweg kannte. Sie sprach kaum noch im Laufe der Nacht. Die Laute waren tief und guttural, wenn die Obstetrix sie anherrschte, dass sie aufstehen und gehen musste, dass sie nicht aufgeben durfte. Links und rechts wurde Mutter von Frauen gestützt, die sich abwechselten. Auch ich drehte meine Runden mit ihr, in denen sie sich an mich krallte. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt noch erkannte am Ende, da ihre Augen so leer waren.


    Wo mein Vater und Bruder in dieser Nacht waren kann ich nicht sagen. Nur der Medicus war einige Male hier, warf einen Blick auf Mutter und unterhielt sich leise mit der Obstetrix, ehe er wieder ging. Als die Sonne aufging, verließen Mutter langsam die Kräfte. Sie lag fast nur noch im Bett und wand sich, wenn eine Wehe ihr Schmerzen verursachte. Sie konnte nicht mehr Stehen, Gehen oder auch nur Hocken. Sie war einfach am Ende und mehr als einmal verlor sie auch das Bewusstsein. Nur kurz verschwand eine der Frauen und kehrte dann mit einigen Vogelfedern wieder zurück.


    Nachdem sie die Federn angezündet und mit dem stinkenden Rauch Mutter wieder geweckt hatte, platzte endlich die Fruchtblase. Eine der Frauen legte sich auf Mutters Brust um ihr dabei zu helfen, das Kind aus dem Leib zu drücken, während die Obstetrix an dem Kind zog und es so auf die Welt holte. Mutter schrie wie am Spieß bis das Kind endlich ihren Leib verließ und wurde dann wieder ohnmächtig, überall war Blut. Sie würde nie wieder erwachen und auch das Kind schien mehr tot als lebendig und hatte noch keinen Mucks von sich gegeben.


    Die Frauen wickelten das Kind in ein Tuch und rieben ihm den Rücken, entfernten Schleim und Flüssigkeit aus seinem Gesicht und Mund. Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte das Quäken des Neugeborenen, während Mutter ihren letzten Atemzug in einem Bett voll Blut machte. Ich war einfach nur geschockt von dem Grauen, dem Blut, dem Geruch und Anblick. Ich konnte nicht einmal weinen in diesem Moment. Ich war kein kleines Kind mehr und kannte die Gefahren des Gebärens, aber keine Worte können einen auf etwas dergleichen vorbereiten.


    Die folgenden Stunden zogen wie ein weit entfernter Traum an mir vorbei. Ich sehe nur noch Fragmente davon in meinem Geist. Frauen, die die besudelten Laken wegbrachten. Meine Mutter, die notdürftig gesäubert und in eine frische Tunica gesteckt wurde. Der leere Blick von Lepidus. Die Tränen von Pius. Das Herz und Glück der Familie, tot und kalt. Das schreiende Bündel, das nach der Brust einer Mutter suchte, die es nie kennen lernen würde. Antigonos, der nach einigen Stunden mit einer Amme zurückkam.


    Ich hasste dieses Kind. Es war ein neues Gefühl und damals wusste ich noch nicht, dass es nur der Schmerz war, dem ich nichts entgegen zu setzen hatte. Aber in diesem Moment verwünschte ich dieses hässliche, schreiende Ding, das meine Mutter getötet hatte. Ich hoffte, dass es die Nacht nicht überleben würde, denn das wäre nur gerecht. Ich wollte niemals Kinder haben und niemals heiraten, wenn das das Ergebnis von Liebe und Ehe war.

    Der Sonne goldener Schein


    Es gab einmal eine Zeit in meinem Leben, in der ich nur glücklich war. Ich war der Stern meines Vaters, meine Mutter lehrte mich all ihre Künste und mein älterer Bruder liebte mich. Es mangelte uns an nichts - ob nun materiell oder immateriell.


    Ich erinnere mich an das Lachen meiner Mutter. Sie sang wunderschön und wenn ich meine Augen schließe, dann kann ich sie heute noch in meinem Geist hören. Ihr Haar duftete immer nach Gladiolen, ihren Lieblingsblumen. Sie war oft streng mit mir, da ich kein Interesse und keine Begabung für Hausarbeiten als Kind hatte. Nur widerwillig lernte ich Spinnen und Weben, hatten wir doch mehr als genug Vermögen um Kleidung und Stoffe zu kaufen wie ich oft trotzig erwiderte. Selbst heute noch verabscheue ich das Spinnen und Weben, auch wenn ich gerne nähe und sticke.


    Oft stahl ich mich davon und steckte meine Nase in Schriftrollen, Sprachen erlernte ich sehr leicht. Manchmal war ich ein wenig neidisch auf Pius, der so viele spannende Dinge lernen konnte und ich musste stundenlang am Webstuhl stehen oder Wolle spinnen bis mir die Finger bluteten. Aber oft genug belohnte mich Mutter mit einem Lied oder einer Geschichte während wir im Sonnenschein draußen saßen nach der getanen Arbeit zwischen den duftenden Blumen im hortus.


    Pius leistete oft uns dabei oft Gesellschaft und selbst Vater stand oft am Rande des Gartens und lauschte der warmen Stimme seiner Frau. Ich lag im Gras und schaute den Wolken beim Vorbeiziehen zu und Pius setzte sich zu Mutter auf die alte Steinbank, seinen Kopf an ihre Schulter gelehnt. Lepidus stand lässig an eine Säule gelehnt mit verschränkten Armen am Rande des Gartens, wollte den Moment nicht stören. Alles war in das goldene Licht des Spätnachmittags getaucht, alles war perfekt. Hätte dieser Tag doch niemals geendet, wäre diesem Tag doch niemals eine Nacht gefolgt.

    Faustina war ganz in den Gedichten versunken, als eine Stimme sie aus ihren Gedanken riss. Zuerst hatte sie gedacht, man holte sie, weil Iulia bereits wieder erwacht war. Aber stattdessen sah sie ihren Bruder Pius, der sie anstrahlte. Selbst mit früh ergrautem Bart und mit dem schlecht zusammen gewachsenen Bein war er ein gut aussehender Mann und sollte er eine Ehefrau suchen, so würde es wahrscheinlich Angebote hageln - war er doch der Haupterbe dieses prächtigen Heims und hatte einen guten Charakter obendrein.


    Sie legte die Schriftrolle vorsichtig beiseite und erhob sich, um ihren Bruder kurz zu umarmen. Es fühlte sich gut an, wieder hier zu sein. Danach setzte sie sich erneut und nahm wieder vorsichtig die Rolle in die Hand und zeigte sie Pius. "Es ist eine Gedichtesammlung von einem römischen Autor namens Gaius Valerius Catullus. Ich wusste gar nicht, dass wir auch Gedichte hier haben. Oder dass die Valerier literarisches Talent zeigten..." erwiderte sie zwinkernd. Ob er wohl mit den hier ansässigen heutigen Valeriern verwandt war? Sie wusste nicht, wie alt diese Schriftrolle war oder in welchem Jahr sie geschrieben wurde. Der ältere Lepidus würde es wahrscheinlich wissen, nachdem er die meisten der Schriftrollen hier gelesen oder angeschafft hatte. "Hast du nach Vater gesucht oder wolltest du zu mir?"

    Das würde dann wohl eine doppelte Stunde Griechisch werden, wenn Iulia etwas derart lernen sollte aber wenn Lepidus eine Geschichte dafür erzählte, dann war es das wert. Er war ein guter Geschichtenerzähler und Faustina hatte ihm immer gerne gelauscht als Kind. Sie war auf jeden Fall schon gespannt, was die kleine Iulia für Unfug angestellt hatte, dass der Großvater ihr diese Geschichte versprach.


    "Dann wollen wir dich auch gar nicht weiter aufhalten, Vater. Richte bitte dem Senator Claudius Menecrates meine besten Grüße aus. Bei der Cena kannst du mir ja erzählen, wie es ihm so geht."


    Faustina wartete kurz, bis Lepidus sie alle entließ und bedeutete dann der Kinderfrau, dass sie nun frühstücken gehen würden, ehe es zum Unterricht ging für die kleine Iulia. Sie erinnerte sich an Menecrates, aber sie hatte ihn bestimmt schon gute fünf oder sechs Jahre nicht mehr gesehen. Sie war schon gespannt, was ihr Vater dann bei der Cena erzählen würde. Mit ihrer Tochter im Arm verließ sie dann auch zügig Lepidus' Cubiculum, ehe sie sich ihrem zweibeinigen Tagewerk widmete, das ihr so ähnlich sah.