Mogontiacum und Rom zu vergleichen war natürlich eher schwierig. Natürlich gab es auch hier alte Gebäude, wichtige Bewohner, und die Stadt war für das Reich natürlich auch alles andere als unwichtig. Aber alles war eben eine Nummer kleiner als in Rom, man war nicht ganz so nah am Zentrum der Macht und das fühlte sich für jemanden wie Matidia eben nicht so an, als wäre es der Ort, an dem sie sein wollte. Das Fest hier stand allerdings einem beliebigen Anlass in Rom, abgesehen von der Temperatur, in nichts nach, daher ließ es sich natürlich dennoch aushalten. Sie hatte sich das alles hier schlimmer vorgestellt!
Von Camelias nächster Aussage wurde sie dann aber kalt erwischt. Wie bitte? Wie meinte sie denn das? Irritiert starrte Matidia die Jüngere an und legte ihre Stirn in Falten. Dass man hier sicher war, setzte sie voraus, auch wenn es nach ihrer Meinung momentan gar nicht genug Wachen geben konnte. Der Überfall auf der Reise hatte ihr gereicht, sie brauchte keine weitere solche Erfahrung. Wie lange dieses Erlebnis ihre Neugier eindämmen würde, war sicher eine interessante Frage, die sie sich aber auch nicht stellte.
“Wie meinst du das? Zu Gast bei Germanen?” Das Konzept, dass sich die Völker derart vermischten, war ihr nicht geläufig, und sie hatte eigentlich den Eindruck gehabt, dass sie hier bei Römern war. Was auch sonst?
Für die Schönheiten der Natur hatte die Römerin hin und wieder tatsächlich Augen, aber für mehr als einen hübschen Anblick war diese dann doch nicht gut. Immerhin sagte es ja viel aus, wenn die Natur drumherum schöner war als die Stadt, und diese schätzte sie weitaus mehr. Ein paar Händler waren da wenigstens ein Lichtblick. “Ich bin gespannt. Wie es aussieht, werden wir wohl wenigstens den Winter hier verbringen.” Sie verkniff sich ein ‘müssen’, dafür war sie der Anderen zu dankbar, dass sie sie derart freundlich begrüßte.
“Ich habe einen Verwandten in der Domus Iunia angetroffen. Iunius Scato? Er hat mir von dem Fest erzählt. Ich kannte ihn aber vorher nicht.” Zählte das als die Familie, die sie meinte? Man fühlte sich verbunden, aber es war zu einen guten Teil zunächst auch einmal Pflichtgefühl, wie sie fand. Vergleichen mit ihren Eltern oder ihrem Bruder wollte sie es nicht.
“Oh, das werde ich gerne tun! Sie ist sicher auch hier…?”
Jedweder Kontakt war ihr recht, aber sie kam nicht weiter, über Camelias Mutter nachzudenken, denn plötzlich geschah etwas hinter ihr. Eine behutsame Bewegung, dann spürte sie, wie etwas ihre Schulter berührte. Für einen Moment war sie irritiert, zuckte gar zusammen, dann merkte sie, dass es sich um etwas Warmes handelte, was ihr bei der Kälte dann doch unerwartet, aber willkommen war. Hatte sich etwa ein Haussklave ihrer angenommen und ihr ein Tuch gebracht? Nun, es war nicht üblich, das unangekündigt zu tun, aber womöglich hatte die junge Duccierin das in die Wege geleitet.
Der Gedankengang wurde abrupt gestoppt, als Matidia merkte, dass sich da kein feines Tuch aus orientalischer Seide über ihre zarten Schultern und in den Nacken legte, sondern ein kratziges, bestenfalls zweckmäßiges und sehr getragen riechendes Stück Stoff. Sie nahm die freie Hand zur Hilfe und zog es wieder von sich herunter. “Was soll denn das?!” kam es empört und sie drehte sich herum, um zu sehen, wer sich da erdreistete, ihr einen solchen Lumpen umzulegen.
Halb herumgedreht und sich damit noch ein wenig mehr dem Stoff entziehend, sah sie dann bereits, wer da halb hinter ihr stand. Sie musste ihren Blick, eben noch zu Camelia etwas hinunter gesenkt, nun deutlich heben um das Gesicht des großen und breiten Mannes erkennen zu können. “Ich hatte um kein…” Die Römerin stockte kurz mitten im Satz, als sie die vom Feuer beschienenen eisblauen Augen betrachtete, die ein amüsierter Ausdruck umspielte. Für einen Herzschlag starrte sie dort hinein und ließ den Mund dabei wenig damenhaft offen stehen. Venus’ Werk verirrte sich offenbar manchmal an die ungewöhnlichsten Orte. Der Mann wirkte wie ein Römer, von der Aufmachung und dem bartlosen Gesicht, aber die Augen und die Dreistigkeit deuteten eher auf einen Barbaren hin. Sie fing sich wieder. “...Tuch gebeten!” Ihre feinen Brauen zogen sich wieder zusammen und sie mühte sich um einen empörten Ausdruck im Gesicht. “Oder ist diese Frech… ist das hier etwa so üblich?” Sie trat endgültig seitlich von dem Schal fort und verschränkte die Arme vor der Brust, dabei den Becher balancierend. Erst erzählte Camelia etwas von Germanen, bei denen sie zu Gast wäre, und nun so etwas!