Beiträge von Iunia Matidia

    Matidia war immer mal wieder in der Casa, seit sie sich in Mogontiacum aufhielt. Größtenteils lag das daran, dass sie hier im hohen Norden wenig zu tun hatte (gut – ebenso wie in Roma) und so gut wie niemanden kannte, den sie besuchen konnte. Zudem war dies hier immer noch der Besitz ihrer Familie, wenn auch eines weiter entfernteren Zweigs, und sie fühlte sich, nach anfänglichem Zögern, doch ein wenig verpflichtet.

    Wirklich sinnvolles tat sie indes nicht hier, sie spazierte meistens nur durch das Gebäude und überlegte vor sich hin, wie man die Räume umgestalten könnte, vor allem im Hinblick auf eine baldig hier auszurichtende Feier. Natürlich würde sie das alles nicht eigenhändig tun, sondern Sklaven oder Bedienstete organisieren müssen, was wiederum die nächste Schwierigkeit war. Hach, es gab so vieles zu planen!

    Heute aber traf sie jemanden in der Haupthalle, den sie nicht kannte. Eine Frau, offensichtlich, die ihr ähnlich ziellos vorkam. Sie räusperte sich. "Und wer bist du?"

    Von der Anspannung des Mannes bemerkte die junge Frau nichts, dafür stand man zu nah beieinander und dafür war ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf seinem Gesicht. Und auf seinem Blick, der ihren dreisten Finger und seinen diesen verfolgenden Blick genau im Auge behielt. Eine leichte Gänsehaut zeigte sich auf ihr, sie war sich sicher, dass man Sabaco nur sehr ungern als Feind hatte. Er wirkte nicht, als würde man ihm oft einen Finger auf die Brust legen und wenn, dann machte man das sicher nur ein einziges Mal, bevor man diesen gebrochen hatte.

    Umso besser gefiel es ihr, dass er es sich bei ihr gefallen ließ und sie so auch kurz ein wenig seiner Muskeln spüren konnte, wenn auch nur sehr oberflächlich.


    Prompt sprang er auf ihre wenig zurückhaltend formulierte Bitte an und bot ihr einen Arm. Ihre Augen wurden etwas größer, und plötzlich verließ sie der Mut ein wenig. "Jetzt? Ich habe mich noch nicht einmal bei der Hausherrin vorgestellt...", überlegte sie laut und sah sich dabei prüfend um. Sie wusste nicht einmal genau, wie jene aussah, aber andererseits hatte sie dafür ja auch mit der Tochter des Hauses gesprochen. Ein wenig Unsicherheit blieb, doch am Ende siegte ihre Abenteuerlust. "Wir sollten später wenigstens hierher zurückkehren." Verschwörerisch sah sie ihn an. "Natürlich war ich schon einmal bei Nacht draußen. Aber nicht hier." Wobei sie sich selbst in Rom, wenn sie sich aus dem Haus geschlichen hatte, immer von den ärmeren Gegenden fern gehalten hatte.

    Jetzt hatte sie allerdings einen starken Mann an ihrer Seite, auch wenn sie ihn eigentlich gar nicht kannte. Sie war unvernünftig, aber es war nicht das erste Mal. "Wir werden meine Begleitung überlisten müssen.", sagte sie. Der Bewaffnete stand sicher immer noch irgendwo am Eingang und trank vermutlich (hoffentlich) verdünnten Wein.

    Eigentlich war sie nicht einmal komplett sicher, ob ihre Beschreibung der Wahrheit entsprach. Sie hatte ein Bild in ihrem Kopf gehabt, und dieses wiedergegeben, wie viel davon Fantasie und wie viel Wahrheit war, war ihr tatsächlich nicht klar. Es mochte schon sein, dass es solche germanischen Wegelagerer hier gab, aber es konnte durchaus auch anders sein. Wichtiger war allerdings, wie der Mann darauf reagierte, und seine wenigen Worten sagten alles, was sie hören wollte. Sollte er leiden! Das hatte er verdient, egal, welche Haarfarbe er hatte!


    Ja, sie lächelte und schob ihren Körper wohl auch ein Stück näher an den ihren. Nicht, weil sie fröstelte, sondern weil er versprach, sich um sie und ihre Belange zu kümmern. Was wollte sie denn mehr? Was konnte sie denn mehr erwarten? Das Leid eines Anderen würde das ihre kaum schmälern, aber soweit dachte die junge Frau noch lange nicht. Sie wollte Rache, und anscheinend hatte sie hier ein Werkzeug vor sich, um diese zu erreichen. Und zudem war eine Ausgeburt der Männlichkeit, die ihrem gerade sehr fragilen Geist sehr gelegen kam. Er lieferte einfache Antworten. Mehr brauchte und wollte sie nicht, und noch dazu war er eben hier. Viele Andere waren das nicht.


    "Du wirst leichter empfangen, wenn du den Kopf dieses Unholds bei dir trägst!", kündigte sie an, auch wenn sie so etwas gar nicht sehen wollte. Das Grinsen auf ihren vollen Lippen zeigte das hoffentlich. "Aber melde dich in der domus iunia." Sie senkte den Blick und folgte damit ihrem linken Zeigefinger, der sich auf seine Brust legte. Erst dann sah sie ihn wieder an. "Zeigst du mir ein wenig von der Stadt?" Ihr Blick fing den seinen ein.

    Matidia war gerade um jede Gesellschaft dankbar. Denn am Krankenbett ihrer Mutter zu sitzen, war vielleicht nötig, aber nicht erfüllend. Sie wollte etwas erleben, und einen Mann der Armee kennenzulernen, ohne dass jemand wirklich auf sie aufpasste, nun, diese Gelegenheit ergab sich leider viel zu selten. Eigentlich nie. Kein Wunder also, dass sie dankbar war! "Das tut es.", schloss sie daher, mit wissendem Schmunzeln.

    Klar, er sah ein wenig einschüchternd aus. Sehr sogar! Und hätte sie ihn das erste Mal alleine im Dunkeln in einer unbeleuchteten (oder ausreichend beleuchteten, so dass sie gerade genug von ihm gesehen hätte, um Angst zu bekommen) Gasse getroffen, wäre sie sicherlich wenig begeistert gewesen. Hier aber hatte er sie angesprochen und den Kontakt gesucht, und das passte gerade für sie. Er wirkte vielleicht anders als einer der übertrieben höflichen Kerle in Rom, die sie für gewöhnlich in ein Gespräch verwickelten, aber genau das war sein Vorteil!


    "Oh.", hauchte sie ihm entgegen, als er näher kam. Das war es also. Er war der Held, den sie brauchte. Eifrig nickte sie. "Ich... Ich wünschte, ich könnte es genauer sagen. Er war einer der ihren. Groß. Blond, mit langen Haaren." Sie zuckte geknickt mit den Schultern. Mehr konnte sie kaum sagen, aber sie verspürte eine ungewöhnliche Wärme. Sabaco sorgte dafür, dass sie sich sicher fühlte, und sie merkte, wie ihr Körper darauf reagierte. Mehr aus Aufregung als allem anderen, aber es war nicht länger nur die Kälte, die ihren Körper unter der Tunika abzeichnen ließ. "Ich bin froh, dass es Männer wie dich gibt, Sabaco."

    Kurz hinter dem Tribun folgte die junge Römerin, die sich sehr aufmerksam hier umsah. Das Haus entsprach durchaus römischen Ansprüchen, allerdings waren es die Sklaven, die Matidias Blicke fingen. Diese waren ausnehmend schön anzuschauen und sie wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Der Koch war von ihren sehr neugierigen Blicken kein bisschen ausgenommen. Matidia war äußerst froh, dass man auch hier im Norden solche Sklaven bekommen und beschäftigen konnte. Das war ein gutes Zeichen!


    "Ein wenig Wein? Und zu essen..." Sie zögerte kurz. "Man isst sehr viel Fleisch hier im Norden, stimmt das? Ich möchte gerne nur eine Kleinigkeit."

    Ehrlichkeit war viel wert, und so zauberte es ihr tatsächlich ein Lächeln auf die Lippen. Dass er das so direkt sagte, war tatsächlich interessant, denn es viele Männer hielten sich da doch eher zurück. Sei es, weil sie sich nicht angreifbar machen wollten oder weil sie sich davor fürchteten, dass die Frau ablehnend reagierte. Wer wollte schon gerne einen Korb bekommen? Seine Worte von eben, dass man bei ihm wisse, woran man sei, waren offensichtlich keine leeren, und allein das gebot ein wenig Anerkennung.

    "Ich verstehe. Dann darf ich mich geehrt fühlen?" Sie neckte ihn nur ein wenig, es gab keinen Grund, ihn jetzt wirklich zu verärgern. "Ich danke dir auf jeden Fall, dass du mir hier die Zeit vertreibst." Und das meinte sie ehrlich. Die junge Duccierin neben ihr war da zwar auch noch, aber je mehr Leute sie hier traf, desto besser!


    "Gerne Süßen.", entschied sie und ihr erhobener Becher hatte bereits jemanden angelockt, der Getränke bringen würde. Mit dem Tuch und etwas Wein konnte man sich nun endlich über andere Dinge unterhalten, die sie zuvor nicht beantwortet hatte. "Die Stadt ist ganz nett. Natürlich ist es nicht Roma, aber ich hatte... weniger erwartet." Sie rückte ein kleines bisschen näher an ihn heran. "Natürlich ist es auch kalt, aber die Barbaren machen mir mehr Angst.", flüsterte sie ihm zu, sodass Camelia es nicht unbedingt hörte.

    "Wir wurden kurz vor der Stadt überfallen, von Colonia kommend. Ich vermute, es waren Germanen." Was ihren Respekt erklärte.

    Matidia schaute sich weiterhin um und überlegte, was hier alles anzupacken war. Tatsächlich war es gar nicht unbedingt heruntergekommen oder unordentlich, aber man müsste ein wenig umräumen. Und den Grillfreunden einen anderen Platz finden, damit sie nicht der erste Eindruck waren, den man bekam, wenn man das Haus betrat. Aber das wäre sicher kein großes Problem. Vor allem brauchte man sicherlich ein paar Sklaven, die hier mithelfen konnten.

    "Danke, das klingt gut." Im Grunde konnte sie also einziehen, und damit war sie nicht mehr ganz so allein und fremd in dieser fremden Stadt, wie noch vor ein paar Minuten. Auf diese Hilda war sie gespannt, auch wenn sie die Verbindung nicht auf den ersten Blick gutheißen konnte. Andererseits gab es viele Heilkundige aus fremden Ländern, auch in Rom. Das war also nichts Ungewöhnliches, und gerade an gewissen Tagen im Monat oder mit manchen anderen Problemen hatte sie wirklich lieber eine Frau, die sich kümmerte, als einen Mann. Vor allem, wenn dieser auch noch verwandt mit ihr war wie Scato. "Darauf werde ich zurückkommen. Vielleicht wird es hier ja bald wieder etwas gemütlicher!" Die Vorstellung gefiel ihr immer mehr.

    Dass die Leute von ihr entzückt waren, auf diese Wirkung legte die junge Frau es eigentlich immer an, denn dann waren sie weitaus zugänglicher, als sonst. Leider gelang ihr dies nicht immer, denn viel zu oft war sie schlicht zu direkt, dreist und vorlaut. Bei Respektspersonen mit ein wenig Einfluss wusste sie sich aber zum Glück meistens zu benehmen.


    "Ich werde mich in der Domus Iunia aufhalten und meinen Teil beitragen, sie ein wenig wohnlicher zu machen. Nur hätte ich gerne meine Mutter in Sicherheit und gut versorgt gewusst. Und da erscheint mir diese Villa erst einmal geeigneter. Hab also bereits jetzt vielen Dank." Sie lächelte zufrieden. "Durst habe ich. Und ich hätte auch nichts gegen eine Kleinigkeit zu essen." Das lief doch ganz gut! Natürlich würde sie ihm folgen, wenn er den Weg wies.

    "Und da du noch hier bist, bedeutet das... Was für mich? Oder über mich?" Die Zähne waren bemerkenswert und sie hatte da einige Fragen, aber an ihn erinnern würde sie sich aus anderen Gründen. Er war anders als viele andere Männer, hatte etwas von einem der einfachen Soldaten, die sie hin und wieder heimlich beobachtete. Aber er war eben auch ein Decurio und konnte hier auf Augenhöhe mit ihr sprechen. So jemanden traf zumindest sie selten und sie war gespannt, was hinter seinen Worten steckte. Eine ehrliche Meinung zu ihr wäre zumindest interessant.


    Das Tuch erreichte sie und Sabaco wagte einen zweiten Versucht. Den sie deutlich begeisterter annahm und ihn ebenfalls anlächelte. "Ja. Danke. Und nun der Wein?" Sie zog das Tuch noch grob zurecht und die Wärme war tatsächlich angenehmer, aber so schnell verschwanden weder die Gänsehaut, noch andere Anzeichen der Kälte. Ihr eigener erdiger Körperduft wurde begleitet von einem unguentum, welches sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatte. Oliven, Zitrusfrüchte, und Honig waren darin zu riechen. Dann hob sie ihren Becher. Vielleicht brachte ja ein Sklave auch noch so einen.

    Böse Blicke. Leidende Laute. Sichtbar werdende Schmerzen im hübschen Hinterteil. Nichts half. Der sadistische Scriba ließ den verwöhnten Spross aus dem fernen Rom hier gnadenlos auflaufen, und es gab wenig, was Matidia mehr zur Weißglut brachte als so eine demonstrativ zur Schau getragene Gleichgültigkeit. Hätte er sich ihr entgegen gestellt (wie ein echter Mann aus ihrer Sicht), ergäbe sich zumindest ein unterhaltsames Wortgefecht, so aber fühlte sie sich ignoriert und es blieb ihr am Ende wenig, als einen Schmollmund zu zeigen.


    Dies änderte sich dann tatsächlich erst, als ein wenig Bewegung ins Officium kam. Jemand kehrte zurück, und ein erster Anblick zeigte schnell, dass es sich nur um einen handeln konnte. Dafür war sie hier!

    "Oh, dies könnte sich bald ändern!" lächelte sie gekonnt und erhob sich. Denn schließlich wollte sie hier bald ein und aus gehen. "Mein Name ist Iunia Matidia. Sisenna Iunius Scato sendet beste Grüße. Ich bin auf der Suche nach einer Unterkunft für mich und meine invalide Mutter." Sie fiel mit der Tür ins Haus aber ihr war auch klar, dass sie nicht viel Zeit hatte bei so einem Mann. Der passende düstere Gesichtsausdruck fand sich.




    Ein Soldat mit Leib und Seele. Das zumindest verstand Matidia. Die Worte des Mannes klangen natürlich eindrucksvoll, allerdings kam es sehr darauf an, wer diese aussprach. Nicht jedem nahm man so etwas so leicht ab, denn oft genug war das nur heiße Luft oder etwas, was man sich selbst gerne einredete. Jeder war doch gerne von festem Willen und selbstsicher genug, diesen auch zu vertreten und durchzusetzen. Sie selbst sah sich beispielsweise gerne so.

    Ein Hüne wie Sabaco aber, dem glaubte sie, dass er das ernst meinte und lebte. Sie schmunzelte ihn an.

    "So etwas trifft man nicht so oft. Es gibt viele von der anderen Sorte." Jene mit den honigtriefenden Fingern. "Aber ich schätze, dann weiß man bei dir auch direkt, woran man ist." Was das nun für diese Begegnung hieß, war unklar, aber da er es weder bei seinem Schal, noch bei dem nun im Anschluss freundlicherweise organisierten Tuch, beließ, sondern weiterhin stehen blieb und mit ihr sprach, wollte er sie wohl kennenlernen. Was ihr gefiel. So etwas gefiel ihr immer.


    Er sprach aber zunächst weiter. Sie nickte bei seiner Vermutung. "Den meine ich." Natürlich kannte er ihr, Militär eben. Vermutlich kannten sie sich alle, da sie ja auch im Kampf aufeinander vertrauen mussten. Oder so ähnlich, aber das war das typisch männliche Geschwätz, was ja Frauen anscheinend ohnehin nicht verstehen konnten. Matidia war sich sicher, dass sie das hätte nachvollziehen können, wenn sie denn gewollt hätte. Wollte sie aber nicht.

    Zunächst aber starrte sie auf seine ramponierten Zähne. Es ließ sich nicht vermeiden, dass diese Ruinen ihre Aufmerksamkeit kurz fingen, bevor sie sich wieder auf seine Augen konzentrierte. Was war da geschehen? Hatte er sich geprügelt? Sie hatte keine Ahnung, wie man so etwas zuordnen könnte.

    Es blitzte aber zunächst erneut in ihren Augen. Sie verstand die Worte sehr gut, die er da sagte. Sie schnaubte herausgefordert. "So kannst du es sehen. Vielleicht sieht es auch danach aus, aber ich übernehme jede Verantwortung für meine Familie. Das domus wird wieder hergerichtet, und wir werden es mit einem Fest feiern. Und bei der Villa geht es nicht um mich.", log sie, nur ein wenig. "Wir wurden überfallen, nicht weit von hier. Meine Mutter ist verletzt und braucht einen Ort, an dem sie sich auskurieren kann." Und das Lager zweier grillbegeisterter Junggesellen war kein Ort dafür. Zudem wollte sie wissen, dass ihre Mutter sich an einem sicheren Ort befand.


    Der Sklave kehrte indes eifrig und eilig zurück, zeigte Matidia ein Tuch und legte es ihr dann nach deren Nicken um, dann hielt er Sabaco die Münzen hin. "Von der Herrin.", sagte er unterwürfig, aber bestimmt. Die Unterbrechung ließ der jungen Römerin Zeit, den Soldaten weiter anzufunkeln. Wenn er keine Ahnung hatte, sollte er sich nicht anmaßen, über sie zu urteilen!

    Geschäftig eiligen Schrittes betrat die junge Frau das Büro. Sie schaute sich kurz um, ob sie hier auch richtig war und ob sie hier wirklich ihren Brieg aufgeben wollte, egal, was Scato gesagt hatte. Vertrauen war gut, Kontrolle aber besser. Zumindest zufrieden legte sie dann ihre Nachricht auf den Tresen. "Salve. Das hier muss schleunigst nach Roma. Es handelt sich um eine wichtige Familienangelegenheit." Sie schloss kurz die Augen, schlug sie dann mit einem halb traurigen, halb eindringlichen Blick wieder auf. "Eine Notlage, sozusagen.", hauchte sie noch dazu.


    Ad

    Aulus Iunius Tacitus

    Domus Iunia

    Roma


    De

    Iunia Matidia

    Domus Iunia

    Mogontiacum

    Provincia Germania Superior



    Salve, liebster Bruder,


    In Deinem letzten Brief hattest Du mir berichtet, dass Du wieder in Deine Heimat zurückkehren möchtest. Wie schön es doch gewesen wäre, hätten wir uns wieder einmal gesehen, statt immer nur diese Briefe zu schreiben. Leider kam es anders, wie Du vermutlich bereits gemerkt hast, und ich machte mich, zusammen mit Mutter, auf dem Weg nach Germania Inferior, um meinen schwer verletzten Verlobten zu besuchen. Eine vielleicht etwas wenig durchdachte Entscheidung, aber nach Vaters Tod war Mutter davon nicht abzubringen. Du kennst diese Willensstärke von uns beiden ja ganz gut.


    Eigentlich wollte ich mich nun als eine glückliche, mit ihrem Verlobten vereinte, Frau, die womöglich bereits sogar verheiratet wäre, bei Dir melden. Die Welt könnte soviel einfacher sein! Aber bedauerlicherweise meinte Fortuna es wieder nicht gut mit uns. Noch bevor wir Colonia Claudia Ara Agrippinensium erreichten, verstarb mein Zukünftiger, und wir waren letztlich vollkommen umsonst so weit gereist! Du kannst Dir unsere Enttäuschung vorstellen, und ich will nicht bestreiten, dass ich Mutter gegenüber recht laut wurde. Dabei meinte sie es doch nur gut, und inzwischen tut es mir leid.


    Denn ich komme zum eigentlichen Anlass meiner Nachricht. Wir machten uns recht umgehend auf den Rückweg, doch kurz vor Mogontiacum wurden wir überfallen. Zwar konnten die Wachen den Angriff zurückschlagen und es wurden nur Kleinigkeiten entwendet, aber Mutter wurde verletzt. Zum Glück kamen wir bald in die Stadt, wo ihr geholfen werden konnte, aber sie wird sicherlich den Winter hier verbringen müssen. Und ich mit ihr, in dieser schrecklich kalten Provinz. Sobald es Neuigkeiten gibt, werde ich sie Dir natürlich mitteilen, aber es geht ihr täglich besser. Wir sind hier gut untergebracht und haben auch entfernte Verwandte hier, Sorgen musst Du Dir also keine machen. Höchstens, dass ich zu einem grobschlächtigen Landei werde. Ich vermisse Roma!


    Ich hoffe, Du hast Dich in dort wieder gut eingelebt? Es wird Zeit, dass wieder bessere Zeiten für unsere Familie anbrechen.


    Deine Schwester,

    Matidia

    Auf dem Weg von der Porta schaute Matidia sich interessiert um. So ein Lager hatte sie noch nie von innen gesehen, die Gelegenheit ergab sich für eine junge römische Frau dann doch eher selten. Viel zu schauen gab es aber durchaus, eine Menge junger, kräftiger Männer, die sie mehr oder minder intensiv musterte. Ihren Mantel zog sie aber doch lieber ein wenig enger um ihre Schultern. Allerdings konnte sie sich auch nicht länger als nötig aufhalten und folgte dem Soldaten zur Principia, wo man schließlich in besagtem Vorzimmer landete.


    Der dort arbeitende Mann wirkte nicht gerade begeistert oder gastfreundlich, daher blieb auch die Iunierin reserviert. Den Wunsch des Soldaten kommentierte sie mit einem selbstbewussten "Hm!", dann setzte sie sich. Wackelte kurz auf dem Stuhl umher und seufzte dann vernehmlich. "Wie lange wird es dauern?", verlangte sie zu wissen. Das war ja nicht auszuhalten. Man könnte ihr wenigstens etwas zu trinken anbieten!

    Nachdem Scato ihr von seinem Onkel, welcher eine Villa in einem Militärlager bewohnte, erzählt hatte, verlor Matidia nicht allzu viel Zeit, um dort einmal vorbeizuschauen. Die domus iunia war zwar eigentlich ein schönes Gebäude, aber leider in keinem Zustand, der ihren Ansprüchen genügte, auch wenn man mit gar nicht einmal so viel Aufwand sicher viel daraus machen konnte. Die bewohnte Villa war dennoch erst einmal die bessere Option auf den ersten Blick, auch wenn sie sich gar nicht mehr so sicher war, je näher sie dem Militärlager kam. Umständlich wäre das hier irgendwie schon! Und auch wenn es sich erst einmal sicher anfühlte, zogen Schwerter auch gerne einmal feindliche Schwerter an, oder?

    Wie auch immer. Jetzt war sie schon einmal hier...

    "Salve! Mein Name ist Iunia Matidia und ich möchte zu Galeo Seius Ravilla.", sagte sie zu einem der Soldaten an der Porta. "Sisenna Iunius Scato schickt mich." Dabei hob sie ihre feingliedrige Hand mit dem Siegelring, der ihre Worte unterstrich. Ob so ein Soldat damit etwas anfangen konnte, war natürlich eine andere Frage.

    Matidia war sich ohnehin sehr sicher, wem hier die Aufmerksamkeit des Mannes galt, auch ohne, dass dieser sie mit seinem Tuch hätte markieren brauchen.

    Natürlich war die junge Duccierin bei ihr eine Bewohnerin des Hauses und damit nicht gänzlich zu ignorieren, aber Matidia war es nicht nur gewöhnt, Aufmerksamkeit zu bekommen, sie sorgte auch dafür, dass dies so blieb. Und wenn es dazu nötig war, eine sich an ihre Haut schmiegende Tunika und keinen weiteren Schal oder Mantel zu tragen, dann machte sie das eben auch. Es war nicht so unschicklich, dass man sie nicht mehr als ehrbare Frau ansehen konnte, aber eben sehr unpraktisch. Dafür erfüllte es ja seinen Zweck, denn der Decurio wäre wohl sonst kaum auf sie zugekommen. Und auch wenn sie sich jetzt unnahbar gab, gefiel ihr das selbstverständlich.


    Seine Erklärung, weshalb er sie nicht gefragt oder gewarnt hatte, war ungewöhnlich. Er hatte also auf ihre Empörung gehofft? Die Augenbraue blieb weiterhin oben, als ihr einer Mundwinkel kurz einmal nach oben zuckte, bevor sie sich wieder fangen konnte. Der Mann mochte wohl die Gefahr ebenso wie Herausforderungen. Und er wollte sich nicht von Blendereien wie den feinen Umgangsformen hinters Licht führen lassen.

    Das gefiel ihr.

    Es erinnerte sie an sich selbst, wie sie gerne tat und ließ, was sie wollte und höchstens später einmal um Entschuldigung bat. Wie sie Rom erkundete und dabei nicht viele Berührungsängste kannte. Wie sie ihre Neugier auslebte, weil das Leben in den Villen so eintönig sein konnte.

    Abgesehen davon war Sabaco ein zweifellos beeindruckender Mann. Groß, muskulös, kampferprobt, soweit sie das beurteilen konnte. Ihr Verlobter war deutlich älter gewesen, ebenfalls bei der Armee, aber sie könnte sich den Mann vor ihr nicht siechend auf einem Krankenlager vorstellen.

    "Du magst es also, den Unmut einer Frau zu erregen? Sollte ein Mann nicht andere ehrliche Emotionen hervorrufen wollen?" Die meisten Männer wollten ihr gefallen und verhielten sich entsprechend. Auf diese Weise hatte sich noch nie jemand vorgestellt, aber sorgte für ein Alleinstellungsmerkmal. "Willst du mir nicht ein etwas feineres Tuch bringen? Das wäre ein Anfang!" Die andere Braue hob sich ebenfalls und sie sah ihn herausfordernd an, während sie ihren Becher hob. "Dann könnten wir zusammen einen Wein trinken."

    Ein wenig ihrer kostbaren Zeit un Aufmerksamkeit als Lohn für seine Mühen war vermutlich sehr verlockend.


    "Rupa kenne ich noch nicht. Aber Scato hat mir die Domus gezeigt. Eventuell werde ich aber bei seinem Onkel unterkommen." Ihr wurde klar, dass sich diese Villa ja in einem Militärlager befand. Also vermutlich dort, wo Sabaco stationiert war. Sie war sich noch nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war.

    Die ersten Worte des Mannes ließen vermuten, dass er nicht aus Germanien stammte, er wirkte deutlich wie ein Römer, wenn auch nicht wie einer, der aus der ewigen Stadt selbst kam. Letztlich war auch klar ersichtlich, was er getan hatte und warum, er hatte, das meinte er wohl, gesehen, wie sie fror und ihr ein Tuch oder so etwas in der Art um die Schultern gelegt. Das war im Grunde löblich, da würde sie ihm recht geben, aber er hatte sie eben nicht zuerst gefragt oder auch nur kurz auf seine Anwesenheit hingewiesen, und die junge Frau war gerne Herrin der Lage.


    Das empörte Funkeln ihrer Augen schwankte zwischen einer gewissen ziellosen Bockigkeit, weil sie nicht bereit war, zuzugeben dass der Mann und Camelia eventuell doch nicht so falsch lagen, einer bemühten Unnahbarkeit und einem Anflug von Unsicherheit, da der Mann mit dem Schal so groß und beeindruckend auf sie wirkte. Wenn er mit dem Feuer spielen wollte, hatte er sich auf jeden Fall die Richtige ausgesucht! Sie konnte sich nur ausmalen, dass es sich vermutlich um einen Soldaten handelte, darauf ließ auch die Narbe im Gesicht wirken, welche seine Erscheinung aber eher noch unterstrich. Ob sie sich unter anderen Umständen zweimal nach ihm umgedreht hätte, wie sie das gerne einmal bei anderen Männern tat, die ihr gefielen? Unwahrscheinlich, aber nun hatte er natürlich ihre Aufmerksamkeit. Und dass er eigentlich nur die Intention gehabt hatte, für ihr Wohlergehen zu sorgen, schrieb sie ihm insgeheim ebenfalls gut. So wollte sie ja im Grunde auch behandelt werden!


    Dass sie sich mit ihrer eigentlich ablehnenden Körperhaltung ihm eventuell sogar noch ein wenig mehr präsentierte als sie wollte, kam ihr nicht in den Sinn. Stattdessen interessierte sie vielmehr, wie der Mann hieß. Ein Decurio also, die Vermutung war also richtig. Und ein Matinier, das war eine nicht minder wichtige Information. Er stammte also aus einer guten Familie, nur schienen seine Sitten durch den Dienst in der Armee ein wenig abgeschliffen. Oder vielleicht war das hier im Norden auch einfach so üblich, egal was er sagte? Die Nähe zu den Barbaren vielleicht? Matidia ließ ihren Blick einmal demonstrativ an ihm hinunter und wieder hinauf gleiten. “Salve, Publius Matinius Sabaco. Iunia Matidia. Aus Roma.” Sie hob eine fein gezupfte Braue. “Eine Warnung wäre dennoch nicht verkehrt gewesen. Ich danke für die Absicht, aber…” Sie rieb sich mit der freien Hand über einen Oberarm und hob das Näschen ein wenig mehr. “...ich bevorzuge feinere Stoffe.” Dennoch hielt sie den Blick auf den beeindruckenden Augen, die sie nicht so ganz los ließen. Da spielten feine Sitten manchmal eine ganz untergeordnete Rolle.

    Mogontiacum und Rom zu vergleichen war natürlich eher schwierig. Natürlich gab es auch hier alte Gebäude, wichtige Bewohner, und die Stadt war für das Reich natürlich auch alles andere als unwichtig. Aber alles war eben eine Nummer kleiner als in Rom, man war nicht ganz so nah am Zentrum der Macht und das fühlte sich für jemanden wie Matidia eben nicht so an, als wäre es der Ort, an dem sie sein wollte. Das Fest hier stand allerdings einem beliebigen Anlass in Rom, abgesehen von der Temperatur, in nichts nach, daher ließ es sich natürlich dennoch aushalten. Sie hatte sich das alles hier schlimmer vorgestellt!

    Von Camelias nächster Aussage wurde sie dann aber kalt erwischt. Wie bitte? Wie meinte sie denn das? Irritiert starrte Matidia die Jüngere an und legte ihre Stirn in Falten. Dass man hier sicher war, setzte sie voraus, auch wenn es nach ihrer Meinung momentan gar nicht genug Wachen geben konnte. Der Überfall auf der Reise hatte ihr gereicht, sie brauchte keine weitere solche Erfahrung. Wie lange dieses Erlebnis ihre Neugier eindämmen würde, war sicher eine interessante Frage, die sie sich aber auch nicht stellte.

    “Wie meinst du das? Zu Gast bei Germanen?” Das Konzept, dass sich die Völker derart vermischten, war ihr nicht geläufig, und sie hatte eigentlich den Eindruck gehabt, dass sie hier bei Römern war. Was auch sonst?

    Für die Schönheiten der Natur hatte die Römerin hin und wieder tatsächlich Augen, aber für mehr als einen hübschen Anblick war diese dann doch nicht gut. Immerhin sagte es ja viel aus, wenn die Natur drumherum schöner war als die Stadt, und diese schätzte sie weitaus mehr. Ein paar Händler waren da wenigstens ein Lichtblick. “Ich bin gespannt. Wie es aussieht, werden wir wohl wenigstens den Winter hier verbringen.” Sie verkniff sich ein ‘müssen’, dafür war sie der Anderen zu dankbar, dass sie sie derart freundlich begrüßte.

    “Ich habe einen Verwandten in der Domus Iunia angetroffen. Iunius Scato? Er hat mir von dem Fest erzählt. Ich kannte ihn aber vorher nicht.” Zählte das als die Familie, die sie meinte? Man fühlte sich verbunden, aber es war zu einen guten Teil zunächst auch einmal Pflichtgefühl, wie sie fand. Vergleichen mit ihren Eltern oder ihrem Bruder wollte sie es nicht.


    “Oh, das werde ich gerne tun! Sie ist sicher auch hier…?”

    Jedweder Kontakt war ihr recht, aber sie kam nicht weiter, über Camelias Mutter nachzudenken, denn plötzlich geschah etwas hinter ihr. Eine behutsame Bewegung, dann spürte sie, wie etwas ihre Schulter berührte. Für einen Moment war sie irritiert, zuckte gar zusammen, dann merkte sie, dass es sich um etwas Warmes handelte, was ihr bei der Kälte dann doch unerwartet, aber willkommen war. Hatte sich etwa ein Haussklave ihrer angenommen und ihr ein Tuch gebracht? Nun, es war nicht üblich, das unangekündigt zu tun, aber womöglich hatte die junge Duccierin das in die Wege geleitet.

    Der Gedankengang wurde abrupt gestoppt, als Matidia merkte, dass sich da kein feines Tuch aus orientalischer Seide über ihre zarten Schultern und in den Nacken legte, sondern ein kratziges, bestenfalls zweckmäßiges und sehr getragen riechendes Stück Stoff. Sie nahm die freie Hand zur Hilfe und zog es wieder von sich herunter. “Was soll denn das?!” kam es empört und sie drehte sich herum, um zu sehen, wer sich da erdreistete, ihr einen solchen Lumpen umzulegen.


    Halb herumgedreht und sich damit noch ein wenig mehr dem Stoff entziehend, sah sie dann bereits, wer da halb hinter ihr stand. Sie musste ihren Blick, eben noch zu Camelia etwas hinunter gesenkt, nun deutlich heben um das Gesicht des großen und breiten Mannes erkennen zu können. “Ich hatte um kein…” Die Römerin stockte kurz mitten im Satz, als sie die vom Feuer beschienenen eisblauen Augen betrachtete, die ein amüsierter Ausdruck umspielte. Für einen Herzschlag starrte sie dort hinein und ließ den Mund dabei wenig damenhaft offen stehen. Venus’ Werk verirrte sich offenbar manchmal an die ungewöhnlichsten Orte. Der Mann wirkte wie ein Römer, von der Aufmachung und dem bartlosen Gesicht, aber die Augen und die Dreistigkeit deuteten eher auf einen Barbaren hin. Sie fing sich wieder. “...Tuch gebeten!” Ihre feinen Brauen zogen sich wieder zusammen und sie mühte sich um einen empörten Ausdruck im Gesicht. “Oder ist diese Frech… ist das hier etwa so üblich?” Sie trat endgültig seitlich von dem Schal fort und verschränkte die Arme vor der Brust, dabei den Becher balancierend. Erst erzählte Camelia etwas von Germanen, bei denen sie zu Gast wäre, und nun so etwas!