Beiträge von Vibius Valerius Victor

    Für einen Moment glaubt Victor zu verstehen was sie meint, genau dann, als er plötzlich ihren Arm um seinen Körper spürt. Seine Gedanken setzen aus und Verlangen spült durch jede Ader seines Körpers. Würden die Pferde ihn nicht aus diesem Gefühl herausreißen, Vic würde seiner Lust nachgeben, sich zu ihr umdrehen und ihren Körper an den seinen drücken. Wie lange war es her, dass er eine Frau auf diese Art und Weise begehrt hatte? Nicht einfach nur sein Verlangen an ihr stillen wollte, nicht nur seinen Trieben nachgeben, um sie dann nie wieder zu sehen, nicht nur ihren Körper begehrte? Sein halbes Leben war es her und jene Frau am anderen Ende der Welt.


    Das Donnern der Hufe auf der Bahn, der aufwirbelnde Staub und das Wiehern eines Pferdes bringen Vic zurück in die Gegenwart und zur Vernunft. 'Ououou, Vic, reiß dich zusammen! Da oben steht ihr Bruder und schaut zu!' schießt es ihm durch den Sinn und er treibt die Pferde weiter an. Je schneller die Pferde sind, desto schneller wäre die Fahrt um, und Victor aus dieser brenzligen Situation entlassen. "Ich werd mich bemühen, aber möglichst nich vom Wagen!" ruft er nach hinten zurück, auch wenn er sich nicht sicher ist, wie sie das meint. Sie preschen die Gerade entlang und nähern sich bereits wieder der konkaven Kurve. "Gleiches Spiel nochmal!" Noch als er den Satz ausspricht, verflucht sich Vic dafür und hofft, dass sich Helena in dieser Kurve, die sie direkt unter den Augen ihres Bruders fahren würden, am Wagen festhält.

    Victor lacht laut und treibt die Pferde an. "Das kann ich nicht beurteilen, ich bin noch nie geflogen!" Ihm kommen ganz andere Assoziationen in den Sinn, vor allem, da er sich Helena hinter sich nur allzu bewusst ist. Es ist nicht das erste mal, dass er mit doppelter Besetzung fährt, doch das erste Mal, dass es eine Frau ist, die hinter ihm steht. Je mehr er darüber nachdenkt, desto mehr wird er sich darüber klar, was für eine außergewöhnliche Frau die junge Iulierin ist und wie anziehend ihr unkonventionelles Verhalten auf ihn wirkt. Er versucht die Gedanken zu verdrängen und sich auf die Bahn zu konzentrieren. Das mit Ambrosiana war eine Sache gewesen, denn sie waren sich beide über die Konsequenzen ihres Handelns bewusst gewesen und hatten sich mit dem Bewusstsein über die Zukunft, die es nicht geben würde, aufeinander eingelassen. Doch eine Witwe aus gutem Haus zu verführen, das liegt nicht nur außerhalb der Legalität, sondern auch außerhalb aller Regeln, an die Victor glaubt.


    Die herannahende Kurve macht es Vic leicht, seine Gedanken auf das Lenken der Quadriga zu konzentrieren. Er zieht die Pferde weiter in die Mitte der Bahn um die Kurve in einem größeren Radius zu nehmen und lässt die Zügel lockerer. "Achtung, Kurve!" Er wagt nicht, den Kopf allzuweit zur Seite zu drehen, um nicht den Moment zu verpassen, in dem er die Pferde zur Kurve hinziehen muss. Das Gespann donnert auf die Südkurve des Circusses zu und Vic reißt an den Zügeln, links etwas stärker, als außen. Der Wagen legt sich in die Kurve hinein und Victor lehnt sich nach Innen, in der Hoffnung, Helena würdes ihm gleich tun, und stemmt sich gegen die Fliehkraft, welche an dem Gespann zerrt. Obwohl Vic sich vorgenommen hatte, etwas langsamer als sonst zu fahren, ist das Gefährt nun doch recht schnell geworden und als sie die meta beinahe umrundet haben, peitscht er die Pferde weiter mit den Zügeln an um den Wagen durch die Geschwindigkeit schnell wieder auf die gerade Bahn zu treiben.

    Victor greift nach den Zügeln und gibt den Stallburschen ein Zeichen, dass sie sich aus der Box trollen und den Mechanismus für das Tor fertig machen sollen. Er dreht sich leicht grinsend zu Helena um. "Ein schneller Start also, kein Problem. Halte dich gut hier an den Seiten fest, wenns dir zu schnell wird, dann gib einfach Bescheid. Und wenns zu langsam ist auch. In den Kurven lehn dich am besten immer ein bisschen zur spina hin um der Kraft entgegen zu wirken, die dich nach Außen drücken wird."


    "Wir sind soweit." hören sie von der Seite einen Sklaven rufen. Vic geht in Position, wirft nochmal einen kurzen Blick über die Schulter zu seiner Begleiterin, blickt dann angespannt nach vorne und hält die Zügel straff. "Wir auch, es kann losgehen." Bei einem normalen Rennen ist die Wartezeit in den carceres für die aurigae die erste Zerreißprobe. Sobald alle bereit sind, wird der Rennleiter davon unterrichtet. Doch bis dieser sich dann an die richtige Position bequemt, das gelbe Tuch in die Luft hält und es fallen lässt, kann unterschiedlich lange dauern. Den richtigen Moment abzupassen, wenn die Tore sich öffnen und dann im richtigen Moment die Pferde anzutreiben, dies kann bereits über eine gute Position im Rennen entscheiden. Für das heutige Rennen ist das jedoch alles unwichtig, für Vic kommt es nur darauf an, nicht seine wertvolle Fracht zu verlieren.


    Es dauert nur Sekunden, dann öffnet sich der Weg zum Circus hinaus und helles Licht flutet in die Startboxen. Victor kneift die Augen zusammen, reißt an den Zügeln und treibt die Pferde an. Ein Ruck geht durch den Wagen, als die Tiere losdonnern und das Gespann hinaus auf die Bahn ziehen. Da die Kurve noch fern ist, treibt Vic die Pferde weiter an und riskiert nur eine ganz kurzen Blick seitlich über die Schulter, bevor er wieder auf die Bahn vor sich achtet. "Alles in Ordnung?" ruft er gegen das Hufgetrappel an und hofft, dass sich Helena schon melden würde, wenn nicht.

    Natürlich bringt es Victor aus der Ruhe, als Helena ihr Haar vor ihnen so unbedarft öffnet und zu einem Zopf zusammen bindet. Um sich nichts anmerken zu lassen, wendet er sich an ihren Bruder. "Ich werde auf sie aufpassen und keine Sorge, den Weg in den Orcus werde ich geschickt umfahren." Während Constantius und Hermes den Weg zur Tribüne einschlagen, führt Victor Helena in die Startboxen. Die einzigen Frauen, die sonst hier zu finden sind, sind die Boxenlupae, aber natürlich nur an großen Renntagen. Vic nimmt von einem Stallburschen einen blauen Helm entgegen und tritt nah an Helena heran. Ungefragt setzt er ihn ihr auf und zieht den Riemen unter ihrem Kinn fest, ohne einen Gedanken an sittliche Einwände zu verschwenden, denn in diesem Fall geht ihm ihre Sicherheit vor. Er geht einen Schritt zurück, betrachtet sie und zieht einen Mundwinkel nach oben. "Passt perfekt."


    Er nimmt einen weiteren Helm entgegen, natürlich hat Victor seinen eigenen Ventahelm, setzt ihn routiniert auf und zieht den Riemen fest. Anschließend reibt er dem Pferd, welches auf der Innenseite der Bahn laufen würde, über den Hals. Der braune Hengst ist einer von den ausgeglichensten Innenpferden der Veneta und gehört meistens zu Diokles Gespann. Mit einigen Griffen prüft Vic den Halt des Zaumzeugs und nickt zufrieden. Die Zügel liegen bereits wartend über den Rand des Wagens und es kann jederzeit losgehen. Mit einem Schritt steht er auf dem Wagen, beugt sich zu Helena hinunter und bietet ihr seine Hand an, um ihr hinauf zu helfen. "Soll ich es langsam angehen lassen, oder möchtest du einen schnellen Start wie bei einem Rennen?" Victor würde so oder so nicht so schnell starten, wie es ihm möglich wäre, doch Spielraum bleibt trotzdem.

    Dass der Sklave ihn immer noch nicht kennt, das verwundet Victor jedes mal wieder. Entweder der Patron empfängt wirklich so viele Besucher, dass Vic in den Massen einfach untergeht, oder Ursus hat ein ernsthaftes Gedächtnisproblem.


    "Salve, ist der Patron im Haus und zu sprechen?"

    Natürlich ist Vic neugierig, was Helena dem auriga zugerufen hat, doch er würde diesen nach dem Training fragen. Jetzt zu fragen hätte sowieso keinen Sinn, denn so wie Hermes grinst würde es ihm Spaß machen, etwas zu wissen, was Vic nicht weiß und nicht damit herausrücken. "Die Kurven sahen wirklich gut aus. So will ich das nächstes mal auch beim Rennen sehen, Hermes." Er schaut zu Constantius. "Man könnte glauben, du wärst schon öfter durch einen Circus geheizt, so wie du dich in die Kurven gelegt hast, hrhr."


    Er wirft einen Blick zu den carceres und schaut dann erwartungsvoll zu Helena. "Wenn du immer noch möchtest, dann bist du nun dran. Die Palla solltest du aber vielleicht in der Obhut deines Bruders lassen, nicht, dass sie noch im Staub landet. Blaue Helme bekommen wir in der Startbox."

    Mit einem Schmunzeln auf den Lippen folgt Victor Helena und beobachtet, wie ihr schlanker Körper im Zugang zur Treppe verschwindet. Obwohl das Rennen ziemlich spannend gewesen ist hatte Dareios wahrscheinlich den Verlauf jederzeit fest im Griff gehabt. Seiner Kollegialität rechnet Vic auch zu, dass Hermes nicht eine halbe Bahn später durchs Ziel gefahren ist, trotz des zusätzlichen Gewichts auf dem Wagen.


    Unten angekommen brauchen sie nicht lange zu warten, dann fahren die beiden Quadrigen in die Kurve und kommen vor den carceres zum Stehen. Sofort eilen Stallburschen heran um die Pferde nach Innen zu führen und sich um sie zu kümmern. Die aurigae springen von ihren Wägen und Dareios nickt seinen beiden 'Gegnern' anerkennend zu. "Nicht schlecht, für so zwei junge Kerle, wirklich nicht schlecht."
    "Das nächste mal schaffen wir dich, Dareios!" Hermes schaut siegessicher zu Constantius. "Das war perfekter Körpereinsatz, hätte der alte Mann nicht wieder seine fiesen Tricks ausgepackt, dann hätten wir ihn locker abgehängt!"


    Als Helena und Victor zu der kleinen Gruppe hinkommen, blitzen Hermes Augen vor Vergnügen auf. Er verneigt sich demütig vor Helena und als er zu ihr spricht, blitzt der Schalk in seinen Augen. "Es tut mir wirklich leid, edle Dame, dass ich deinen Worten nicht folgen konnte. Ich fürchte, dieser Blitz könnte für mich noch sehr unangenehm werden."

    Auf einmal steht Helena mit ihrer Palla winkend am Geländer und brüllt irgend etwas in einer Lautstärke zur Bahn hinunter, dass man für den Augenblick vergessen kann, dass sie allein im Circus sind und nicht gerade ein wichtiges Entscheidungrennen ansteht. Irgendwo in seinem Hinterkopf registriert Vic diese Tatsache belustigt und fragt sich, was genau sie Hermes wohl hinunter ruft, denn im Griechischen kenn er nur wenige Worte und Sätze. Er vermutet Worte der glühenden Verehrung oder begeisterte Anfeuerungsrufe. Auriga müsste man eben sein, da ist es leicht, die volle Aufmerksamkeit der Damenwelt zu erlangen. Um die volle Aufmerksamkeit Victors zu erlangen reicht es ebenfalls, eine Quadriga zu fahren, oder aber eine schöne Frau zu sein. Ohne die Palla und mit einigen gelösten Haarsträhnen bietet Helena einen leicht verwegenen Anblick und es fällt Vic schwer zu entscheiden, wohin er schauen soll, auf die Bahn oder zu Helena.


    Letztendlich ist es die aufkommende Rennbahnstimmung, die auch von Victor Besitz ergreift und zudem ist auf der Tribüne des Circus Maximus weder der richtige Ort, noch jetzt die richtige Zeit für irgendetwas anders als Wagenrennen. Unten im Staub brettern die Quadrigen unaufhaltsam auf die Kurve zu, Dareios leicht vorgebeugt und mit zusammengekniffenen Augen, man sieht ihm an, dass er seinen Weg bereits im Voraus berechnet, Hermes daneben mit verbissenem Gesicht und Constantius dahinter, nicht weniger verbissen. Wieder legt sich der Wagen des Hermes stark in die Seitenlage, doch Dareios kreuzt plötzlich mit dem rechten Arm über seinen Linken und schlägt die Zügel hart zum Innenpferd hin. Ohne Rücksicht auf Verluste kommt das Gespann gefählich dem von Hermes und Constantius nahe und auch, wenn Dareios darauf achtet, den Wagen nicht zu streifen, das Manöver verfehlt nicht seine Wirkung. Aus der Ruhe gebracht schafft es Hermes nicht, den Wagen noch einmal auf einem Rad um die Kurve zu bringen. Ein falscher Ruck an den Zügeln bringt auch die Pferde aus dem gleichmäßigen Tritt und obwohl von den Zuschauerrängen kaum eine Veränderung zu sehen ist, büßt das Gespann unmerklich an Geschwindigkeit ein. Dareios zieht scharf um die Meta und fährt die letzten Meter eine halbe Pferdelänge vor dem Doppelwagen ein.

    Manchmal kommt es Victor so vor, als wäre er öfter in der Casa des Patrons, als zuhause. Aber so ist das mit einem Patron nun einmal, nicht nur vorteilhaft, sondern auch anstrengend. Nachdem er ihm bei seinem letzten Besuch den Gang auf die Rostra angekündigt hatte und der Wahltermin nun bekannt ist, ist es zudem nötig, wieder einmal das Gespräch zu suchen. Vic klopft also an die Tür und wartet bis der Ianitor, oder Ursus, öffnet.

    Die Vostellung des Magister Opimius Naso, der begeistert in der Fankurve steht, entlockt Victor ein ziemlich breites Grinsen. "Das meinte ich nicht, in der Zuschauermenge haben sie wenig zu suchen. Doch die Septemviri übernehmen bei den Ludi die kultisch-administrativen Aufgaben. Die Organisation der Pompa, das Opfer und diese Dinge, es sei denn, die ausrichtenden Magistrate wollen das alles selbst machen." Erst nach und nach wird sich Vic der vollen Bedeutung ihrer Worte bewusst. Als Mitglied des Collegiums würde er ebenfalls nicht mehr Fähnchen schwingend und laut gröhlend in der Südkurve stehen können, da würde es auch nichts nutzen, die blaue Tunika überzuziehen. Wie der Princeps würde er sich mit einer Schärpe begnügen müssen, sich zwingen, seinen Hintern auf dem Sitz zu lassen und am Ende des Rennens etwas Beifall zu spenden. Wie ein Blitz trifft ihn die Erkenntnis, dass er damit automatisch in die Riege der alten Säcke abrutscht.


    "Hmm, ja." gibt er daher etwas nachdenklich von sich. "In der Südkurve ist für alle Venetaner Platz." Ob der Sev diese Problematik schon bedacht hat, bei den Spitzenplätzen? "Wenn es große Ludi werden, dann werden wir alle Fahrer ins Feld schicken. Dareios und Diokles sind unsere Siegfahrer, Rothar und Hermes sind eher Teamfahrer. Dabei kommt es dann stark auf die Taktik an, die man mit zwei Gespannen in einem Rennen fährt."


    Die Gespanne donnern auf der Zielgeraden ihrem Aussichtspunkt entgegen. Noch einmal würden sie die konkave Kurve nehmen und dann ihre Fahrt nach der Zielgeraden beenden. Die Übungsrennen werden in der Regel keine vollen sieben Runden ausgefahren, um die Pferde zu schonen. Dareios holt gefährlich von hinten auf, doch Hermes Gespann hat noch immer den Vorteil der Innenbahn. Victor deutet auf die äußere Quadriga. "Schau genau hin, Dareios versteht es, in der letzten Kurve dem führenden Gespann den Weg abzuschneiden und vor ihm ins Ziel zu fahren. Vielleicht schafft er es auch heute."

    Dass die Wagenlenker sich unten auf der Bahn umbringen könnten, das ist Berufsrisiko und gehört einfach dazu, daher hat Victor bisher noch nie einen Gedanken daran verschwendet. Und auch jetzt freut er sich lieber an den gewagten Manövern. Helenas Antwort lässt ihm jedoch etwas die gute Laune vergehen. Natürlich hat er als Iulier große Pläne, alle haben sie immer große Pläne und am Ende kommen sie nur noch als Funktionäre zum Falernertrinken ins Factiohaus und während der Wagenrennen sitzen sie auf ihren Plätzen und schwenken ab und an ein Fähnchen. Um bei den Trainings zuzusehen, mal was zu Organisieren oder auch mal im Sand beim Start an der Bahn zu stehen, dafür ist dann keine Zeit mehr und zudem schickt es sich nicht.


    "Die nächsten Rennen müssten die Ludi Apollonaris im Iulius sein." Das passt ja. "Ich hoffe nur, es gibt dann zahlungskräftige Aedile, die diese Ludi in ihrer traditionellen Größe ausrichten. Und vor allem, die sie auch traditionell ausrichten und nicht nur damit prahlen." Mit Schrecken denkt er an die sogenannten Ludi Florales in Mantua zurück. Zugegeben, die Lupae waren allesamt nicht schlecht gewesen, aber die hätte er auch in Rom haben können. "Dass ich bei den Septemviri im Bedarfsfall für die Organisation der Zeremonie zuständig sein werde, daran zweifle ich nicht. Der Rest des Collegiums scheint mir in dieser Hinsicht etwas... träge zu sein." Ein Grinsen deutet an, dass er das keinesfall respektlos meint.


    Unten auf der Bahn schiebt sich Dareios langsam wieder nach vorne, doch er schafft es bis zur Kurve nicht, mit Hermes Gespann gleich zu ziehen.

    "Hrhr, ja, er liegt vorne." Es ist die reinste Freude zu sehen, wie sie sich über diesen Umstand freut. Kein Wunder, dass Hermes auf der Bahn immer um so besser abgeht, je mehr weibliche Fans am Rand stehen. Natürlich ist es erst die zweite Runde, es kann noch eine Menge passieren, doch Vic will ihr nicht diese Freude nehmen. Darum lässt er es auch sein, von den Schattenseiten des Glücks zu sprechen, denn am Glück hats bei ihm wirklich nicht gelegen, eher an den Folgen. Er hat auch seinen Vater nie dafür ghasst, dass er ihn in die Ehe gezwungen hat, nur für die Modalitäten, die er dabei ausgehandelt hat. Aber letztenlich hatte er seinen Weg auch so gefunden, auch wenn es sicherlich einen besseren gegeben hätte.


    Die Wägen auf der Bahn heizen schon wieder auf die Kurve zu ihren Füßen zu und Vic glaub, einige freudige Jubelschrei von dort unten zu hören. Er kann es Constantius wirklich nicht verdenken, denn so durch den Circus zu rasen, das ist schon etwas Besonderes. Hermes setzt das Gespann nun deutlich vor das des Dareios, der die Tiere in gleichmäßigem Tempo hält. "Viel spannender ist es natürlich, wenn noch andere Factiones dabei sind. Dann geht es um jeden passus und man hat immer das Gefühl, je lauter man schreit und je mehr man anfeuert, desto schneller werden die eigenen Wägen. Da gehts manchmal schon ziemlich heiß her, auf den Zuschauerrängen."


    Dann auf einmal, kurz vor der Kurve, neigt sich der Wagen mit dem Iulier und Hermes bedenklich zur Innenseite. Victor verfolgt mit ungläubigem Ausdruck, wie der Wagen auf einem Rad um die Kurve saust, kurz vor dem Umkippen ist und im letzten Moment auf der Geraden wieder hart auf das Außenrad kracht. Ein Triumphschrei ist zu vernehmen, ob von Hermes oder Constantius oder von beiden ist nicht auszumachen und schon saust das Gefährt Dareios davon, den die Aktion anscheinend auch etwas aus der Ruhe gebracht hat. Victor schüttelt lachend den Kopf. "Dat war ja kühl! Unglaublich! Was hat dein Bruder vor in Rom? Er möchte nicht zufällig auriga werden?"

    "Manche Fehler machen auch junge Männer nur einmal." gibt Vic ebenso zweideutig wie nachdenklich zurück. Sein Blick, der auf die Bahn gerichtet scheint, verliert sich im Sand, verliert sich in der Vergangenheit. Der Strand von Malaca kommt ihm in den Sinn, der zarte Körper einer jungen Frau, die im Sand liegt und verführerisch lächelt. Nein, es war kein Fehler gewesen, doch irgendwie hätte alles anders laufen müssen. Jetzt wäre der Zeipunkt gewesen, für Nachwuchs zu sorgen, eine Amme zu bezahlen und die Bälger zur Erziehung aus dem Haus zu geben. "Hinterher ist man eben immer schlauer, als vorher." Er mustert Helena und zieht einen Mundwinkel nach oben. "Aber ich würde nicht sagen, dass diese Form der Heirat altmodisch ist. Selbst in Peregrini-Familien werden Ehen von Vätern geschlossen, wenn auch vielleicht nicht immer so vorausschauend und klug wie in den alten Häusern Roms. Wenn du in deiner Ehe glücklich warst, dann hatte dein Vater wohl wirklich ein gutes Händchen für solche Dinge."


    Unten auf der Bahn gehen die Wägen bald wieder in die Kurve. Und eben in dieser Kurve, die runde, welche Hermes schon ziemlich gut beherrscht, schiebt sich das doppelt besetzte Gespann nun aufgrund der besseren Position auf der Innenbahn unmerklich nach vorne, auch wenn dies für die beiden Beobachter auf der Tribüne nicht zu sehen ist.


    Den Blick wieder auf die Bahn gewendet, doch in Gedanken weit fort, fügt Victor dem Gesagten hinzu: "Aber du hast sicher recht, Hermes wird es schon noch lernen. Es wäre nur schade, wenn es dann schon zu spät wäre."

    Victor kratzt sich am Hinterkopf. "Da ich nicht mehr der direkte Verantwortliche für den Tempel bin, wäre es vielleicht besser, du als der offizielle politische Verantwortliche würdest es tun." 8)


    Er überschlägt kurz einige Möglichkeiten. "Es sollte auf jeden Fall ein Aushang in Rom aufgehängt werden und vielleicht auch eine Anzeige in die Acta Diurna. Wer weiß, so ein Projekt zieht vielleicht auch einen Architekten aus der Provinz. Zumindest sollte man die Möglichkeit in Betracht ziehen."

    In Sorge um ihren Bruder wirkt Helena für einen Moment so zerbrechlich wie ein Gefäß aus dünnem Glas und es scheint, als wäre alle Stärke aus ihr gewichen, doch schon im nächsten Augenblick scherzt sie wieder und in ihren Augen liegt ein faszinierendes Glühen. Obwohl sie erzählt hat, dass die beiden lange Zeit voneinander getrennt waren, so kommt es Vic doch vor, dass die Geschwister ein ziemlich inniges Verhältnis zueinander haben. Er überlegt, ob sich Amatia wohl auch so sorgen würde, wenn sie wüsste, wie Sev und er manchmal im Circus Macimus um die Kurven brettern, aber irgendwie ist das nicht vergleichbar. Nichteinmal Vio würde so an der Bahn stehen. "Das mit der Kaiserin wird wohl eher nichts mehr, auch wenn du nicht die erste Iulia in der Loge wärst und dich sicherlich auch recht gut darin machen würdest. Aber wer weiß, wohin dein Weg in Rom dich führen wird, wenn er gut gelaunt ist, dann läd der Augustus manchmal Gäste zu sich ein. Senatoren, Konsule, Staatsmänner, du musst nur den richtigen Mann heiraten, der bringt dich überall hin."


    Auf der Zielgeraden fegen die beiden Gespanne heran und Victor schaut mit Argusaugen auf die Bahn hinab. Dareios liegt eine Pferdelänge vorn, kann sich jedoch nicht vor Hermes und Constanius setzen, da diese auf der Innenbahn fahren und ihn je näher sie der Kurve kommen nach außen drängen. Kurz sieht es so aus, als würde Hermes winken und Victor ist sich ziemlich sicher, dass es nicht nur so aussieht. "Heeermeeees! Mach keine Faxen, geh in die Kurve! Die Zügel enger halten und verlager verdammt noch mal dein Gewicht mehr nach Innen!" Der Wagen rauscht um die Kurve und wird von Dareios Gespann wieder etwas nach Innen gedrückt. Erst auf der Geraden schafft es Hermes wieder nah an die spina ran. Victor schüttelt den Kopf und grummelt vor sich hin. "Mann, Mann, Mann."


    Als er sich seiner Begleitung wieder bewusst wird, ist ihm die Situation etwas unangenehm. "Öhm... tschuldigung." Er räuspert sich verlegen. "Ich kann einfach nicht zusehen, wenn der Junge sich dermaßen um die Kurve schiebt. Die Kurve am anderen Ende schafft er meist ganz gut, aber hier unten die Konkave ist sein größtes Problem. Er geht viel zu weit in die Kurve rein und kommt nicht nah genug an die Wendemarke ran. Dabei hat er schon den besten Hengst, den wir haben. Ich hatte schonmal erwähnt, dass das schnellste Pferd nach Außen muss, oder? Nach Innen dagegen muss das stärkste Pferd, denn dort ist die Fliehkraft am größten und dieses Pferd sorgt dafür, dass das ganze Gespann auf der Bahn bleibt." Er schaut dem Wagen nach und deutet auf die Bahn. "Und siehst du, jetzt fängt er an, die Pferde zu hetzen. So schafft er es zwar meist, einen guten Vorsprung herauszuholen, aber am Ende muss er diesen wieder aufgeben, weil die Pferde nicht mehr können. Nuja, das ist alles nicht so einfach."

    "Germanicus Avarus kenne ich natürlich aus der Factio." Victor denkt an diesen Vorfall vor einiger Zeit zurück, zudem glaub er sich zu erinnern, dass der Germanicus bereits irgendwann Desinteresse bekundet hatte. "Aber in architektonischer Hinsicht habe ich ebenfalls keine Ahnung, was er schon so alles getan hat. Ich könnte ihn mal in der Factio darauf ansprechen, aber ich glaube, er weilt momentan nicht in Rom? Decimus Martinus sagt mir auch nichts. Hmm. Vielleicht sollte man eine Ausschreibung machen?"

    Zum wirklichen Beeindrucken würde Victor später kommen. Wenn sie die Fahrt im Circus noch nicht beeindrucken würde, dann würde er ihr sein bestes Stück zeigen, eine ausgemusterten Rennwagen, an welchem Sev und er immer rumschrauben und den sie mit allerlei Spielereien aufmotzen. Den Verderber hatten sie daran schon erfolgreich getestet und den Wagen auch längst mit aktiver Radaufhängung ausgestattet. Die Zügelführung ist noch experimentell, aber mit etwas Feinschliff würde diese Besonderheit die Veneta bei den nächsten Spielen vielleicht auf die ersten Plätze katapultieren. Zusätzlich hat der Wagen einen Turbolader mit welchem man problemlos innerhalb eines kurzen Augenblick von vier auf zwei Pferden, oder umgekehrt, umspannen kann. 8)


    "Hermes zieht meist in der zweiten oder dritten Runde an." Vic glaub nicht, dass Hermes mit dem Iulier auf einem Wagen eine reelle Chance gegen Dareios haben würde, doch der erfahrene auriga würde es schon verstehen, den beiden das Rennen trotzdem spannend zu machen. "Hrhr, jetzt kommen sie gleich in die Kurve." Natürlich ist ihre Position am anderen Ende des Circus nun ziemlich schlecht, denn sehr genau sehen sie das nicht mehr. "Wenn sie das Gewicht geschickt verteilen, könnten sie einen Vorteil daraus ziehen." Einen Augenblick nur blickt Vic zur Seite, doch das genügt, um an Helenas gebanntem Blick hängen zu bleiben. Weit entfernt umrunden die beiden blauen Wägen die meta und verschwinden hinter der spina. "Der einzige Platz, von dem man beide Bahnen aus einigermaßen gut sehen kann ist die Kaiserloge. Dafür sieht man da die Kurve nicht richtig. Einen Idealplatz gibts im Circus leider nicht, in der Südkurve sieht man zwar die runde Kurve und beide Bahnen einigermaßen, dafür verpasst man den Start und kann schlecht ausmachen, wer vorne liegt."

    "Aber nicht doch," Victor winkt ab. "Es gibt schließlich nicht viele Frauen, die man mit sowas beindrucken kann." Etwas zu hastig dreht sich Victor auf einmal um und schaut über die Brüstung nach unten. Er lehnt sich dabei recht weit über den Rand. "Wo bleiben die denn?"


    Er wendet sich wieder zu Helena hin und will etwas sagen, als er bemerkt, dass ihm auf einmal das Thema fehlt. Nicht, dass er nicht noch viele Dinge über den Circus im Allgemeinen und Wagenrennen im Speiziellen weiß, doch es will ihm nichts mehr einfallen. Er räuspert sich und setzt zu einem 'Hmm' an, als von unten das untrügerische Rattern zu hören ist. "Oh, jetzt musst du aufpassen, nu gehts los!"


    Der Moment peinlicher Stille ist vergessen und Victor hängt schon wieder am Geländer. Mit einem mal klappen unter ihnen die Tore der carceres auf und zwei Wägen schießen daraus hervor. Der linke von beiden, derjenige der näher an der spina und mit zwei Mann bemannt ist, ist etwas langsamer als der rechte. Dennoch rasen beide Gespanne in einer Geschwindigkeit von ihnen fort, dass bald nur noch der Staub hinter ihnen zu sehen ist und Victor schaut ihnen mit leuchtenden Augen nach. Der Start von Dareios ist einfach zu phaenomenal, als dass man nicht neidisch werden müsste. "Das linke Gespann sind Hermes und dein Bruder, der rechte ist Dareios." erklärt er überflüssigerweise.

    "Och, edle Frauen aus guter Familie sind nicht immer die Hübschesten." entgegnet Victor hintergründig. "Die schönsten Perlen können sich in den unscheinbarsten Schalen verbergen." Bevor es dann zu schmalzig wird, deutet er zur Tür, aus welcher sie gekommen sind. "Hier gehts lang."


    Über eine schmale Treppen erreichen sie die Tribünen des Circus Maximus und betreten dann den abgetrennten, normalerweise für wichtige Personen reservierten Bereich. Die Ehrenlogen sind natürlich nicht mit der Loge des Kaisers zu vergleichen, genau genommen handelt es sich um mehr oder weniger die gleichen Sitzgelegenheiten wie ringsum auch, doch es sind immerhin die Plätze neben dem Kaiser und dazu hat man hat einen ziemlich guten Blick über die ganze Bahn. "Die Startboxen sind direkt unter uns." Victor tritt nach vorne an die Brüstung und deutet zur entgegengesetzten Kurve hin. "Die Bahn ist fast 400 passus lang, ingesamt fasst der Circus etwa 50 bis 60tausend Besucher. Die Schreine, die du in der Mitte auf der spina, der Trennung der beiden Bahnen siehst, das sind diejenigen, an welchen die Götter vor dem Rennen geehrt werden. Vor jedem Rennen gibt es eine mehr oder weniger große pompa circensis, ein festlicher Umzug, an dessen Ende die Gespanne in den Circus einfahren und eine Ehrenrunde drehen. Auf die beiden Gerüste auf der spina werden vor einem Rennen silberne Delphine und marmorne Eier gelegt. Nach jeder Runde wird dann je eines davon runtergenommen und damit gezählt, wieviele Runden noch zu fahren sind."


    Er dreht sich um, lehnt sich an die Brüstung und zieht die Augenbrauen fragend zusammen. "Ich langweile dich doch nicht, oder?"