Da ich noch nicht gefrühstückt hatte, beschloss ich auf halber Strecke des Argeus Boulevard, an einer kleinen Garküche Rast zu machen und mir ein kleines Frühstück zu bestellen, das aus Brot, Obst, frischem Fruchtsaft und aus einem für meinen Geschmack sonderbar gewürzten Glas Wein bestand. Hier im Schatten der Arkade, an den marmornen Tresen gelehnt, wurde mein Dasein zu einen Punkt der Muße und Ruhe im geschäftigen Treiben dieses Vormittags. So nahm ich mir ein wenig Zeit, die Menschen um mich herum genauer zu betrachten. Ich brauchte diese Ruhe dringend, denn die Stadt machte mich bereits ganz konfus. So sammelte ich mich und beobachtete:
Die Menschen des Brucheions waren hauptsächlich Griechen, das fiel sofort auf. Obwohl sich auch einige Ausländer unter den Leuten befanden, dominierte der griechische Stil. Allerdings bemerkte ich, dass den Griechen Alexandrias ihre Verwandtschaft zu den Barbaren anzusehen war: Ihre Haut war durchgehend sehr dunkel und die Gesichter hatten orientalischere Schnitte. Das Griechische und das Orientalische mischte sich hier zu einen sehr schön anzusehenden Menschenschlag, wie ich fand.
Wie bereits erwähnt, schienen die Menschen hier zu versuchen, sich in ihrer Vielfältigkeit der Kleidung und des Verhaltens gegenseitig auszustechen. Dennoch fielen mir einige Gemeinsamkeiten ein: Der Grundtenor der Kleidung hier war griechisch. Man trug immer noch Tunika, Chiton, den weiten, wallenden Himation oder vielleicht einen Chlamis, ein weites Cape, obwohl bei diesem Klima eher selten. Die Handwerker und Bediensteten trugen die Exomis, eine leichte Tunika für grobe Arbeiten.
Und ich konnte eine formenreiche Vielzahl verschiedenster Hüte aus Filz und Stroh ausmachen. Neben dem Pilos, einer konisch geschnittenen Mütze, dominierten vor allem Hüte mit breiten Krempen, die vor der Sonne schützten wie der Mazedonische Kausia.
Doch in diesen Dingen hörte die Ähnlichkeit auf. Jeder hatte in das Grundkostüm seine Eigenheiten einfließen lassen und Faltungen und Windungen des Stoffes durch individuelle Anwendung von Gürteln und Bändern nach Bedarf unterschiedlich betont. Dazu die bereits erwähnte Schminke und der Schmuck.
Als Grieche aus Achaia konnte man sich kaum des Eindrucks entwehren, die Alexandriner seien besonders verweiblicht. Wobei mir einfällt, dass ein Gesamtbild der Stadt nicht vollständig ist, wenn ich die Alexandrinerinnen vergesse:
Diese waren nämlich besonders kunstvoll ausgestattet: Sie trugen in oft gefärbten Locken und Strähnen hochdrappierte und getürmte Frisuren, bunte und mit zahlreichen Ornamenten verzierte Röcke und den fast schon obligatorischen Peplos, ein traditionelles Kleidungsstück der Frau, das über der Tunika getragen wurde. Aber auch orientalische Gewänder, Schnitte aus Nordafrika, Ägypten, Syrien, Arabien oder gar Indien kamen vor und mischten sich geschmackvoll mit dem Griechischen. Die Kleidung wurde durch verschiedene Bänder und Gurte festgehalten, auch um trotz der wallenden, weiten Stoffe die Figur der Trägerinnen zu betonen. Auch sie waren prachtvoll geschminkt, entweder im ägyptischen Stil, afrikanisch oder griechisch mit Pflanzenmustern, die das Gesicht verzierten. Daneben trugen sie eine Vielzahl von Schmuck, kunstvoll und individuell geschnittene, breite Hüte und oft fein gewebte Gesichtsschleier afrikanischer Machart, die das Gesicht mehr zieren als verhüllen sollten. Ja, die Alexandrinerinnen verstanden es aufs Beste, ihre Reize zu betonen und Männern wie mir zu gefallen.
Daneben sei natürlich noch erwähnt, dass es auch unter den Griechen gewaltige Unterschiede gab: Die vornehmen Bürger, die Landbesitzer, Reeder und Fernhändler, hatten andere Gewänder an als die vielen Handwerker oder Bauern, die die Früchte ihrer Arbeit mit Hilfe von Lasttieren und Karren zu den Tagesmärkten brachten. Während in der Mitte der Straße zwei Diven fröhlich tratschend lustwandelten, sah ich gleich neben mir zwei Bauern stehen, die schon um diese Urzeit betrunken von Bier und Wein derbe Sprüche klopften.
Und überall gab es wieder die Bettler im Lumpengewand, die die betuchteren Leute grob anredeten, verfolgten, betatschten und belästigten. Ein wahrhaft furchtbares Bettlerheer: Krüppel, Aussätzige und Verwachsene, dürre Kinder und zahnlose Alte. Ein grausamer Anblick. Auch hier fiel mir wieder auf, dass sich unter den Bettlern vor allem Ägypter befanden.
Angewidert stellte ich fest, dass ich mich in das Leben dieser Stadt noch nicht ganz eingewöhnt hatte. Ich beendete mein Mahl und machte mich auf dem Weg zur Agorà.
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