Beiträge von Ganymed

    Ganymed lag auf einer grünen Wiese. Über ihm war der Himmel von Milet zu sehen. Verwirrt sah sich Ganymed um. Wo war er? fragte er sich. Ein Mann saß neben ihm. Ihm waren seine Augen mit einem Brenneisen ausgebrannt worden und häßliche Narben zogen sich über sein Gesicht. In seinen Händen hielt er eine Lyra und sah mit einem milden Lächeln auf Ganymed herunter. Irgendwo her kannte Ganymed ihn, das wußte er. Doch woher? 'Komm, Junge, heute abend sollst Du aufspielen. Du musst noch üben..." Ein Bellen war zu hören und dann kam ein weißer Hirtenhund heran. Er sprang an Ganymeds Seite und schleckte ihm im Gesicht herum.


    Ganymed wollte den Hund zur Seite schieben. Doch die Zunge schlug fest auf sein Gesicht. Ganymed stöhnte auf und die grüne Wiese verschwamm um ihn herum. Da war doch ein nasser Lappen in seinem Gesicht. Stöhnend schlug Ganymed danach. Ikarus...? Die Stimme drang an seinen Geist und Ganymed öffnete die Augen. Über ihn sah er eine dreckige Decke und für einen Moment war alles verschwommen. Schmerz zuckte durch seinen Leib. Wo war die Wiese? Wo der freundliche Mann? Verwirrt und mit schmerzverzogenen Gesicht sah er sich um.


    Vor sich sah er eine verschwommene Gestalt, die nur langsam an Kontur gewann. Ein Mann, genauso unbekannt wie jener auf der Wiese, stand vor ihm. "Wo bin ich?" murmelte Ganymed. Er schmeckte Blut in seinem Mund und fuhr sich verwundert mit der Zunge über seine Lippen.

    "Hmm...eigentlich nicht!" gab Ganymed zu. Natürlich hatte er sich schon Gedanken gemacht, was er machen könnte. Aber meistens war er einfach zu deprimiert. Zwar schollt er sich immer wieder deswegen. Es war ja auch ein wenig lächerlich, das sah er ein. Vor einigen Monaten hatte er noch nicht mal die Ahnung davon gehabt, jemals die Freiheit spüren zu dürfen. Aber da hatte er auch Aemilia noch nicht gekannt. Und seitdem versuchte er einen Weg zu finden, sie zu beeindrucken oder ihr näher zu sein als nur als Sklave seiner Herrin. Könnte er römischer Bürger werden, sähe die Situation sehr viel besser aus.


    Ganymed sah auf. Sollte er es wagen? Irgendetwas in ihm gab ihm einen Stoß, um sich ihr endlich zu offenbaren. Zwar war es hier nicht sonderlich romantisch, noch hatte er etwas um seine Worte zu unterstreichen, aber sie würde sowieso lachen, selbst wenn er alle Mühe der Welt aufwenden würde, ihr seine Liebe zu beweisen. Davon war Ganymed überzeugt.


    Er hielt ihre Hand sanft in der Seinen und sah sie an. Er schluckte leicht. "Domina...?" Er zögerte einen Moment. "Aemilia, ich liebe Euch!" brachte er endlich, nach so vielen Monaten hervor. 'Hatte er das gerade wirklich gesagt? Was für ein Daimon ritt ihn da gerade?' fragte sich der junge Mann. Doch die Worten waren raus und Ganymed sah Aemilia aufmerksam an. Angst bohrte sich in seine Eingeweide. Angst, dass sie ihn auslachen könnte.

    Ganymed war in eine tiefe Schwärze gefallen. Nur der dumpfe Schmerz verfolgte ihn in die Schwärze der Bewußtlosigkeit. Wie der junge Mann in den Carcer gebracht wurde, bekam er in keinster Weise mit. Ab und an stöhnte er vor Schmerz auf. Als er alleine gelassen wurde, erreichte Ganymeds Geist wieder höhrere Gefilde. Zwar wurde er nicht wach, aber Bilder zogen in seinen Geist. Wirre Vorstellungen und Träume.


    Eine schöne junge Frau mit braunen langen Locken sah ihn lächelnd an. Dann sah er die gestrenge Miene eines Uniformierten der Cohortes. Wieder war er in Milet und im Haus des Patriziers, der mit seinem Gehstock in der Hand wütend vor ihm stand. War Ganymed wieder 'frech' gewesen? Der Stock sauste auf ihn herunter und Ganymed stöhnte vor Schmerz auf. Er krümmte sich auf der Pritsche des Carcers. Dann riss er seine Augen auf. Verwirrt und völlig neben sich sah er kurz in dem Raum umher. Schwach versuchte er sich aufzurichten als wieder alles um sich herum drehte. Was machte er hier? Was war passiert? Verwirrt sah er auf die Pritsche als wieder der Schmerz durch seinen Schädel schoß.


    Keuchend sank Ganymed zurück und alles drehte sich. Wieder verlor er das Bewußtsein. Aus seine Nase floß wieder etwas Blut und tropfte auf seine einfache Tunika, die nichts von seiner Herkunft verriet. Die Schwärze hielt ihn so erneut umfangen. Traumbilder zogen vor seinen Augen vorbei und lösten sich langsam auf, bis nur noch Schwärze übrig blieb.

    In dem Moment als Nadia abgeführt wurde, brach auch die letzte Verstrebung der Regenrinne. Ganymed, der gerade mit seiner einen Hand in Richtung Fenster tastete, fiel in Richtung der Strasse herunter. Wieder kam ein erschrockener Laut über seine Lippen und die Regenrinne sauste herunter. Doch der Schwung katapultierte Ganymed, der sich an der Rinne nicht mehr halten konnte über die halbe Strasse hinweg und er landete auf einem Überdach eines Standes. Das Holz barst, das Ledertuch riß und Ganymed landete polternd in Würsten, geräuchertem Fleisch und anderen kulinarischen Dingen. Die Standfrau schrie laut auf als er vom Himmel fiel und kreischte. Sofort kam ein dicker Mann aus dem Laden und starrte auf den benommenen Ganymed, der sich aufzurappeln versuchte.


    Empört starrte ihn der dicke Mann an. Zornigen Blickes packte er einen Knüppel, den er auf dem Fensterbrett bereit hatte und schlug auf Ganymed ein. Ganymed schrie erschrocken auf. Vom Aufprall völlig benommen hielt Ganymed seine Arme schützend über seinen Kopf und taumelte aus der Reichweite des Mannes, der laut und empört. "He, Vigiles, ihr habt da jemanden vergessen!" rief. Ganymed taumelte auf die Strasse. Um ihn herum drehte sich alles und er wußte nicht recht, wo er hinlief.


    Ein heftiger Schmerz zuckte durch seinen Brustkorb und das Atmen fiel ihm schwer. Auch schien sein Kopf viel schwerer zu wiegen als sonst. Erstaunt merkte er, wie ihm etwas warmes aus der Nase lief und als seine Hand darüber fuhr, hatte er Blut daran kleben. Verwirrt blieb Ganymed stehen und sank langsam auf der Strasse auf die Knie und fiel dann um. Noch ehe er auf der Strasse aufschlug, war er schon bewußtlos. Einige Menschen sahen zu ihm und manche blieben um ihn herum stehen.


    "Ist er tot?" fragte ein kleines Mädchen.


    "Ich weiß nicht...!" meinte die Frau, die das Kind an der Hand hielt. "Aber das geht uns auch nichts an." Mit den Worten zerrte sie das Mädchen weiter, die mit großen Augen und mitleidig auf den bewußtlosen Ganymed zurück sah.

    Als Nadia den Halt verlor, gab Ganymed einen erschrockenen Laut von sich. Durch ihr Gewicht wurde Ganymed halb über das Dach gezogen. Weitere Dachziegel fielen auf die Strasse herunter. Verzweifelt hielt Ganymed Nadias Hand als sie Stück für Stück aus seiner Hand rutschte. Er streckte auch noch seine andere Hand aus. "Greif nach meiner Hand...!" rief er, doch in dem Moment spürte er nur noch ihre Fingerspitzen an den Seinen und im nächsten Moment fiel sie. Voller Entsetzen starrte er vom Dach herunter. Erleichtert stellte Ganymed fest, dass Nadia nicht ernsthaft verletzt war.


    Im nächsten Moment hörte er das Gebälk unter sich knacken und der Rauch stieg zwischen den Ziegeln hervor. Dann sah Ganymed schon den Löschzug heraneilen und kurze Zeit später den Mann, der ihm die Hand entgegen streckte. Doch Ganymed dachte nicht daran, sich den Vigilen zu stellen. Langsam kam er auf seine Füße und hielt sich schräge um den Winkel des Daches zu kompensieren. Sein Blick irrte umher und langsam bewegte er sich über das Dach und auf den nächsten Dachssims zu.


    Immer wieder fielen hinter ihm einige Ziegel herunter, während er am Rande des Abgrundes auf dem Dach entlang balancierte. Seine Hände hatte er weit von sich ausgestreckt. Dann blieb er am Rande des Daches stehen. Ein kleiner Sprung und Ganymed wäre auf der nächsten Dachseite. Ganymed sah nach unten und wieder auf die andere Seite. Dann holte er tief Luft um zu springen. Doch in dem Moment knackste es wieder laut und ein Dachbalken brach unter ihm zusammen als er springen wollte. Eine Feuerflamme, die noch nicht gelöscht wurde, leckte aus dem Loch hervor und Ganymed verlor den Halt.


    Der junge Mann, halb im Sprung, schrie erschrocken auf als er den Halt verlor, auf die Dachschräge fiel und herunterrutschte, über den Rand hinaus. Verzweifelt suchten seine Finger im Fall nach einem Halt und konnten die Regenrinne umgreifen, die laut knirschte als sein Gewicht mit Wucht an ihr hängen blieb. Kaum ein Herzschlag hing Ganymed über der nackten Strasse als die Regenrinne abbrach und sich der Strasse entgegen neigte. Die Halterung brach eine nach der Anderen ab und Ganymed hing in Fensterhöhe über der Strasse. Noch eine Halterung und er würde fallen. Verzweifelt sah sich Ganymed nach einer Rettung um.

    Ganymed stürzte Nadia in den Gang hinterher. In seinen Ohren rauschte das Blut und erleichtert stellt er fest, dass die Vigilen ihnen nicht in die Insula gefolgt waren. Hastig sah sich Ganymed im Flur um und dann zu Nadia, die eine Latte in der Hand hielt. "Verflucht!" entfuhr es Ganymed als er vernahm, dass sie umzingelt waren. Als dann mit dem Ausräuchern gedroht wurde, keuchte Ganymed erschrocken auf. Zwar war er kein Römer, aber trotzdem fürchtete er sich wie jene vor einem Brand, der sich schnell auf die anderen Häuser ausbreiten konnte. Fassunglos wollte er für einen Moment nicht glauben, dass ein Vigil ein Feuer legen würde. Das würde doch alle Regeln auf den Kopf stellen. Doch schnell hatte er den Rauch in der Nase.


    Zurück konnten sie nicht, unten aus einem Fenster auch nicht. Ganymed sah auf die Treppe und griff wieder nach Nadias Hand. "Wir müssen hoch! Schnell!" Hastig lief Ganymed auf die Treppe zu und rannte die Stockwerke nach oben. Als er am oberen Stockwerk vorbeikam, sah er schon die Flammen dort züngeln und der Rauch, der schnell in das Treppenhaus stieg. Hustend erreichte Ganymed das oberste Stockwerk und er riss dort eine Tür auf. Dabei hielt er sich seinen Ärmel vor den Mund und ging auf eines der Fenster zu, wo er den Fensterladen aufriss. Sein Blick irrte nach draußen. Unten sah er tatsächlich die Vigilen. Verzweifelt schätzte er die Entfernung des nächsten Hauses ab. Vom Dach aus, war es gar nicht so weit weg.


    Er drehte sich zu Nadia um. "Wir müssen auf das Dach klettern! Komm!" Mit den Worten erklomm er das Fensterbrett und hielt sich an dem Fensterrahmen fest. Dann schwang er sich vorsichtig nach draußen und griff nach oben, um den Dachsims zu erreichen. Sein Blick fiel kurz nach unten und die Höhe ließ sein Herz heftig schlagen. Doch es schien ihm der einzige Ausweg zu sein. 'Sie dürfen sie nicht in die Hände bekommen...' schoss es Ganymed durch den Kopf. Mit einem Fuß blieb er auf dem Fensterbrett stehen, mit den Händen zog er sich hoch und schwang dann sein Bein auf das Dachsims. Mühevoll zog er sich hoch, während einige Dachziegel herunterrutschen und scheppernd auf die Strasse fielen. Als er das Dach erreicht hatte, blieb Ganymed auf dem Bauch liegen und reichte seine Hand nach unten. "Nimm meine Hand!" rief er zu Nadia.

    Für einen Moment glaubte Ganymed schon, dass es ihnen vielleicht doch gelingen konnte unerkannt weiter zu gehen. Der Optio schien ihnen zu glauben. Doch dann ging irgend etwas schief. Ganymeds Augen weiteten sich als die Soldaten ihre Schwerter zogen. Ganymed hörte schon gar nicht mehr die darauffolgenden Worte des Optios richtig.


    Sein Blick ging zu Nadia und wieder zu den Soldaten. Wenn die Vigilen jetzt Nadia in die Hände bekamen, dann würde es sehr schlimm für sie enden. Das wußte Ganymed und wurde ihm in dem Moment richtig bewußt. Er erinnerte sich noch gut, was die Flavier mit der Sklavin in der Arena gemacht hatten. Die Angst, die jetzt in seinem Herzen sich ausbreitete, galt Nadia. Er wollte um keinen Preis, dass es Nadia ebenso erfuhr. Deswegen erschienen die letzten Worte von Strabo ihm schon fast banal dazu, Carcer...nicht unbeschadet.


    Sein Blick schweifte kurz in einem halbrund. Drei Männer der Vigilen hatten sie von hinten umrundet. Strabo war vor ihnen. Er sah zu ihren Fluchtmöglichkeiten und musste feststellen, dass die Vigilen die Gassen abschrimten. Doch dann fiel Ganymeds Blick auf die Insulatür neben sie. Ganymed atmete tief ein nach der Sekunde, die er mit sondieren verbracht hatte. Er nickte schließlich. "Ja, Optio! Wir ergeben uns..." heuchelte er und senkte den Blick.


    Doch dann bückte sich Ganymed blitzschnell, griff in den Dreck der Strasse und warf ihm dem Optio entgegen, in der Hoffnung, dass es den Optio ablenkte. Noch in der selben Bewegung ergriff Ganymed Nadias Hand und zog sie zu der Insulatür. "Komm mit!" rief er hastig und warf sich wuchtig gegen die Tür. Nadia hatte er so mit sich gezogen, dass Ganymed zwischen ihr und dem Optio blieb, sollte er mit seinem Gladius zuschlagen...

    Und wieder 'Oh bei den Göttern' durchfuhr es Ganymed. Sie suchten nach Nadia. Ganymed zwang sich weiter ruhig zu atmen und hielt weiter Nadia fest. Wenn sie jetzt Panik bekam, war alles aus! So runzelte er gespielt die Stirn. "Eine geflohene Sklavin? Mhm..." Er sah auf das Bild und musterte es eine Weile. Wenn er jetzt zu schnell antwortete, dann würde Ganymed sie Beide verraten.


    "Mhm...ich weiß nicht. Ich glaube eher nicht." Er sah auf und dann noch mal auf das Bild. "Nicht dass ich mich entsinnen kann. Wann ist sie denn geflohen?" fragte Ganymed unverfroren in dem Moment. Er sah gespielt entschuldigend den Optio an. "Tut mir leid, wenn ich Euch nicht weiter helfen kann, Vigil. Aber vielleicht weiß ja der Bäcker dort hinten Bescheid. Marcus kennt so gut wie jeden auf der Insel!" Ganymed lächelte wieder, obwohl ihm immer noch bang zumute war. Dabei deutete er auf ein Bäckergeschäft etwas weiter hinten.

    'Oh bei den Göttern!' kam Ganymed in den Sinn. Für einen Moment stockte sein Herz als er das State hörte. Seine Instinkte rieten ihm ja, jetzt schleunigst die Beine in die Hand zu nehmen. Statt dessen hielt er Nadia fest und blieb stehen. Ganymed drehte sich langsam zu dem Optio um, hob seinen Blick und sah dem Vigil ins Gesicht. Jetzt musste er so gut lügen wie lange nicht mehr. Insgeheim hoffte Ganymed immer noch, dass sie eigentlich ganz jemand anders suchten oder wirklich nur Routine hier betrieben.


    So rang sich Ganymed tatsächlich ein Lächeln ab. "Salve, Vigil! Was gibt es denn?" fragte er und wunderte sich, wie ruhig seine Stimme dabei klang. Das heftige Herzpochen und die Angst, die ihn übermannte, ließen seine Hand leicht zittern. Doch äußerlich konnte Ganymed den Schein wahren. Er spürte den Dolch unter seiner Tunika, aber ihm fiel es im Traum nicht ein, diesen zu ziehen. Dann würden die Vigilen ihn und Nadia gleich nieder machen und sie hätten keine Chance mehr zu entkommen. 'Ruhig Blut bleiben' dachte sich Ganymed und hoffte, dass Nadia ebenso 'ruhig' blieb.

    Ganymed nickte. "Ja, aber noch habe ich keine Suchtrupps gesehen, die nach Dir Ausschau halten. Vielleicht hat Dein Herr immer noch nicht wirklich Deine Abwesenheit registriert!" Ganymed zuckte mit der Schulter und sah nach draußen auf die Strasse. Sein Blick schweifte über die nächste Häuserecke als er erschrocken die Luft einsog. Sein Blick fiel auf einen Trupp Vigile, die gerade in einer Insula suchten. "Oh weh!" entfuhr es ihm dabei. Schnell zog er Nadia vom Fensterbrett herunter und hinein und duckte sich.


    "Da sind Vigile draußen!" raunte er. "Ich glaube, die suchen nach etwas. Sie werden die Insula gleich erreichen!" Er sah sich hastig um und seine Gedanken überschlugen sich. Wenn die Vigilen schon hier suchten, konnte es sein, dass sie die Brücke abgesperrt haben. Vielleicht suchten sie auch nach jemand ganz anders? Oder es war eine Routinedurchsuchung der Insulae, damit sich keine Wegelagerer und Bettler dort einnististen. Und entlaufene Sklaven, Verbrecher und Ganoven versteckten sich durchaus zu Hauf auf der Tiberinsel, so dass der Suchtrupp auf der Strasse einen ganz anderen Grund haben könnte. Diese Gedanken zuckten blitzschnell durch Ganymed Geist, doch dann schüttelte er den Kopf.


    Er sah noch mal über das Fensterbrett und musste erschrocken feststellen, dass sie viel zu nahe war. Er nahm Nadias Hand und zog sie weiter ins Zimmer hinein. "Wir müssen hier weg. Schnell, ehe sie die Insula erreicht haben!" Mit den Worten zog er Nadia zur Tür und zum Treppengang. Schnell lief er die Treppe herunter und dann zu der Tür, die er vorsichtig aufstieß. Er streckte seinen Kopf raus und sah dann zu Nadia. "Auf dieser Strassenseite sind sie noch nicht. Komm!" flüsterte er und zog Nadia auch auf die Strasse hinaus.


    Ganymed holte tief Luft und sah Nadia an. "Tun wir so als wären wir ganz normale Bewohner. Nicht rennen, sonst fallen wir auf!" Ganymed ging einige Schritte die Strasse entlang als er den Trupp plötzlich um die Ecke kommen sah. Ganymeds Herz schlug heftig hoch. Er fühlte sich ertappt und sein Gesicht sprach in dem Moment Bände, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte. "Nicht rennnen!" flüsterte Ganymed Nadia gedrängt zu. Er legte ihr einen Arm um die Hüfte, dann drehte er sich von den Vigilen weg und lief mit Nadia langsam und scheinbar gemächlich die Strasse entlang. Ob sie erkannt wurden? Ganymeds Rücken schoss es heiß und kalt herunter.

    Aus einem Impuls heraus strich Ganymed Nadia in einer schon fast zärtlichen Bewegung ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei strichen seine Fingerspitzen ganz sachte für einen Moment über ihre Wange. "Nein, Nadia, Du siehst wunderschön aus und nichts könnte das ändern!" versicherte ihr Ganymed aufrichtig und ehrlichen Gesichtsausdrucks. Dann ließ er etwas verlegen die Hand sinken. "Und mach Dir keine Gedanken wegen mir!" Er lächelte leicht und sah ihr dabei in die Augen.


    "Ich habe mich schon vorgestern dafür entschieden. Die Moiren haben nun mal einen anderen Weg für uns bestimmt. Ich komme mit Dir! Wir werden bestimmt, wenn wir aus Rom heraus sind, einen Weg in die Freiheit finden. Weit weg von Rom wird uns keiner finden." In seinen Augen war auch kein Zweifel zu finden. Er war sogar recht froh, dass Nadia ihn mit auf ihrer Flucht dabei haben wollte.


    Dann fiel ihm jedoch noch etwas ein. Mit dem Hebräer zu verhandeln war schwierig gewesen und sehr zäh. Außerdem musste Ganymed noch Nadia etwas sagen. "Es gibt jedoch noch einen kleinen Hacken an der ganzen Sache. Der Mann, der Hebräer, möchte Dich noch vorher kennen lernen. Er will wissen, wen er aus der Stadt schmuggeln soll. Wir müssten noch heute zu ihm gehen. Wäre das für Dich in Ordnung?" fragte Ganymed. Es war bestimmt riskant tagsüber durch die Stadt zu laufen, aber wenn sie das Geschäft mit dem Mann abschließen wollten, war es unabdingbar.

    Ganymed wollte ihr schon auf ihre Fragen antworten als ihm ihr Wandel auffiel. Lächelnd hob er seine Hand und fuhr ihr leicht durch einige Haarsträhnen hindurch. "Schön! Die Haarfarbe steht Dir auch sehr gut!" Dabei sah er dann jedoch auch ihre Hände und blinzelte. "Oh weh!" murmelte er und nahm ihre Hand in die Seine und betrachtete sich ihre braunen Handflächen. "Hast Du Dir die Farbe nicht nach dem Auftragen abgewaschen?" Er sah weiter auf ihre Handflächen. "Das wirst Du auch die nächsten Tage mindestens auf den Händen behalten..." murmelte er weiter. "Na gut, ist nicht so schlimm. Die Leute dürfen dann Deine Hände nicht sehen."


    Ganymed setzte sich auch auf das Fensterbrett und sah auf die Menschen herunter. "Nun, der Mann will schon ne Stange Geld dafür haben. Er hat ein Fischerboot und würde uns dann bei seiner Fahrt herausschmuggeln können." Ganymed zögerte kurz und fügte dann leise an. "Ich würde Dich begleiten, wenn Du willst. Dann musst Du Dich nicht alleine durchschlagen müssen. Wenn Du es willst?" fragte er zögerlich, da er nicht so recht wußte, ob Nadia überhaupt wollte, dass Ganymed mitkam.

    "Ein heikler Auftrag?" Ganymed grinste breit und in seinen Augen glomm Neugier auf. Er lehnte sich zurück und biss sich dabei leicht auf die Unterlippe. "Was musst Du denn machen?" fragte er er immer noch grinsend. Er trank noch einen Schluck Wein ehe die Anderen ihm vielleicht den Krug abnahmen.


    "Mich findest Du meistens in der Casa Decima Mercator...wenn ich nicht wieder herumstreife wie heute!" Mit den Worten stellte Ganymed den Wein zur Seite. Sich betrinken wollte er auch nicht unbedingt, da Aemilia dann wohl einige Fragen stellen würde. Er wollte seine kleinen Freiheiten, die er bei ihr genoß ja nicht aufs Spiel setzen. Zu sehr hatte er sich an seine Streifzüge in die Stadt gewöhnt.

    Ganymed lächelte kurz gequält. Wieder fuhr ihm ein kleiner Stich ins Herz bei Aemilias Worten. Aber er wußte ja, dass sie es nur scherzhaft meinte. Er schüttelte schließlich den Kopf. "Niemand kann von Euch erwarten, dass ihr einer erwachsenen Frau gegenüber Muttergefühle bekommt. Sie wird ja kaum viel jünger als Ihr sein und außerdem kennt Ihr sie ja nicht."


    Ganymed lehnte sich leicht zurück und hob nachdenklich seine Augenbrauen. "Vielleicht hat auch die Trauer um seinen Vater Livianus vergessen lassen, was sich bei so einer Sache gehören würde. Ich meine..." fügte er zögernd hinzu. "...vielleicht nimmt ihn das alles zu sehr mit?" Aus dieser Situation Vorteile herauszuschlagen hatte Ganymed schon längst in den Wind geschlagen. Auch fühlte er dann immer die Gewissensbisse an sich nagen, wenn er an das Opfer an Venus dachte.

    Ganymed schlief tief und fest auf den Boden. Er war im Laufe des Schlafes auch etwas heruntergerutscht und als Nadia sich auf das Fensterbrett setzte, seufzte Ganymed leicht im Schlaf und legte seinen Kopf auf seine Arme. Dabei erwachte er jedoch nicht und schlummerte noch einige Zeit selig weiter. Als jedoch eine Frau draußen ihren Ehegatten keifend anschrie, schreckte er hoch. Verschlafen sah er sich um und blinzelte als er Nadia erkannte. Er lächelte sie noch müde an und rieb sich seinen Rücken, der nach dieser unbequemen Nacht schmerzte.


    "Guten Morgen, Nadia! Es tut mir leid, dass es gestern etwas gedauert hat..." Er stand auf und trat an ihre Seite. Dabei fuhr er sich etwas verschlafen durch die Haare. "Die Suche nach den richtigen Leuten hat sich als etwas schwierig gestaltet. Ich habe dann jedoch doch noch jemanden gefunden. Einen älteren Mann, der bereit ist, Dich aus der Stadt zu schmuggeln." Ganymed ließ seine Hand wieder sinken und sah Nadia dabei lächelnd an. Bei den nächsten Worten nahm er ihre Hände in die Seinen. "Dann kannst Du von Rom fort und in die Freiheit..." Er hoffte, dass diese gute Nachricht sie etwas aufheitern und ihr Zuversicht vermitteln würde.

    Ganymed nickte. "Ja, er hätte Euch vorher fragen müssen, Domina!" pflichtete Ganymed Aemilia mit ganzen Herzen bei. Er verstand auch nicht, warum Livianus das getan hatte. Einfach eine wildfremde Frau adoptieren? Vielleicht war sie ihm gar nicht so wildfremd...?


    "Vielleicht ist sie ja sehr nett!" fügte er dann in einem vagen Versuch an, Aemilia die Adoption etwas schmackhafter zu machen. Vielleicht wäre sie dann nicht mehr ganz so nieder geschlagen. "Und Ihr...ich meine, hat das etwas an Eurer Liebe gegenüber Livianus geändert?" fragte Ganymed leise. Irgendwie hoffte er das innerlich, aber es schien ihm nicht sehr wahrscheinlich.

    Ganymed spähte durch die Dunkelheit, die nur schemenhaftes Erkennen zuliess. Leise trat er in das Zimmer heinein als er Nadia gewahr wurde. Lächelnd trat er an ihre Seite. Sie schlief so friedlich. Er betrachtete sie eine Weile. Ganymed erkannte, dass Nadia ihre Haare schon gefärbt hatte, wie das Ergebnis aussah, war in der Dunkelheit jedoch noch nicht zu sehen. Langsam setzte er sich neben sie auf den Boden und betrachtete Nadia wieder. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit im Zimmer.


    Selbst im Dunkeln konnte er ihr Profil erkennen. Die sanft geschwungene Nase, die vollen Lippen und ihre langen Wimpern. Sie war wirklich eine schöne, junge Frau. Ihr Herr würde wohl intensiv nach ihr suchen lassen, so wie er die Sache einschätzte. Und da sie so ruhig schlief, wollte Ganymed Nadia auch nicht wecken. Es würde ja auch reichen, wenn er es ihr am Morgen erzählte. Ganymed betrachtete sie lange Zeit. Langsam schlich wieder die Müdigkeit über Ganymed, doch er zwickte sich immer wieder, da er Wache halten wollte. Nach einiger Zeit lehnte er sich gegen die Wand und schloss halb die Augen. Und es sollte nicht lange dauern bis auch Ganymed in dieser unbequemen Position und wider Willen eingeschlafen war...

    Und unbeabsichtigt sprach Aemilia Ganymeds größten Wunsch aus. So sah er sie für einen Moment verwirrt an. Wußte sie doch Bescheid? Doch dann merkte er, dass sie es nur als Scherz meinte und für einen Moment sah Ganymed traurig auf den Strohsack ihnen gegenüber. Er rang sich ein Lächeln ab. Schließlich ging es Aemilia schlecht und er wollte nicht, dass sein eigener ständiger Kummer sie noch belastete.


    Er dachte für einen Augenblick nach. "Was möchtet Ihr denn, Domina? Dass er die Adoption rückgängig macht oder das Mädchen vielleicht nach Tarraco schickt? Oder eine Entschuldigung von Livianus?" Er sah sie fragend an. Irgendwie ahnte er schon, was Aemilia wollte, aber ob sie es auch wußte?

    Schnell schüttelte Ganymed den Kopf. "Nein, wirklich hübsch ist sie nicht!" versicherte ihr Ganymed. "Also häßlich auch nicht, aber...ähm...ein wenig plump." Ganymed lächelte verschmitzt und fügte an. "Aber mit Euch verglichen, Domina, sind die meisten Frauen nur ein blasser Schatten und Eure Schönheit überstrahlt alle!" Seine Augen waren voller Wärme und Bewunderung auf Aemilia gerichtet und er sprach die Worte inbrünstig, da er auch jedes einzelne so meinte.


    Insgeheim hielt er Livianus auch für verrückt, sollte er tatsächlich sich dieses Mädchen als Geliebte ins Haus holen. Aber die Vertreter seines eigenen Geschlechtes waren schon manchmal sehr verrückt, das stellte Ganymed immer wieder fest. "Und was wollt Ihr jetzt tun, Domina?"

    "Ja, ich verstehe, was Du meinst. Aber das mit dem Färben ist ja nur zeitweise. Und das mit dem Diebstahl? Ach, mach Dir da mal keine Sorge. Mein Herr hat sowieso zuviel Geld. Der merkt den Verlust gar nicht!" Ganymed lächelte sie dabei aufmunternd an. Dabei fingerte er nach einigen Oliven, die er auch noch aß. Dann stand er jedoch auf. "Gut, ich bin spätestens in ein paar Stunden wieder da. Pass auf Dich auf und wenn jemand anders kommt, dann versteck Dich am Besten!" Er zögerte einen Moment. "Sollte etwas passieren, treffen wir uns an der alten Brücke, wo wir mit Adara und Gabriel waren, ja?" Er lächelte noch einmal und ging dann wieder aus dem Zimmer.


    Erst Minuten und dann vergingen Stunden in denen Ganymed nicht zurückkehrte. Auch der Abend schritt voran und dann brach die Nacht herein. Ziemlich spät waren wieder Schritte auf der Treppe zu hören, die mal kurz stockten und sich dann weiter näherten. Die Tür zu ihrem Versteck ging auf und Ganymed streckte wieder den Kopf herein. "Nadia?" flüsterte er leise. "Ich bin's..." Er sah sich suchend um, ob Nadia noch da war...