Der Wettstreit der Rhetoren - die Rückkehr der Redenschwinger

  • Dominus Serapio schien heute bester Laune zu sein. Doch das änderte sich schlagartig, sobald ich in sein Blickfeld rückte. Zum Glück schien ich gerade nicht von Belang zu sein, denn Dominus Scapula war heute die große Hoffnung der Familie. Also stand ich alleingelassen und traurig so herum. Zumindest fühlte ich mich alleingelassen, denn der einzige (und auch dazu noch der beste!) Freund, den ich hatte, war fort. Wohin, das wusste niemand. Ich fragte mich, ob Dominus Serapio ihn auch zur Strafe Dreck schaufeln lassen würde, so wie mich, wenn man Silas finden sollte. Oder schickte er ihn doch lieber in die Schwefelmienen nach Sizilien? Daran wollte ich erst gar nicht denken, denn das machte mich noch mehr traurig. Da dachte ich lieber an unseren gemeinsamen Spaziergang mit den Hunden zurück und wie er rot geworden war, als ich ihm auf die Backe geküsst hatte.
    Was hatte er damals gesagt? Ich müsse mir keine Sorgen mehr machen, denn Domina Valentina könne mich immer retten. Ob sie auch Silas retten konnte, wenn sie ihn fanden? Wieder sah ich zu ihr hinüber. Mittlerweile stand sie bei Dominus Serapio. Ob ich sie mal ansprechen sollte? Vielleicht sogar jetzt?
    Angetrieben von meinem Aktionismus, pirschte ich nach vorne, in der Hoffnung, dass mich die kleine Ägypterin nicht in der Luft zerriss. Nein, das tat sie nicht. Sie schaute mich nur mit abschätziger Neugier an, als ich an die Domina herantrat.


    Obwohl ich sonst immer eine große Klappe hatte, wusste ich jetzt nicht, was ich sagen sollte. „D-Dominia Valentina? Darf ich… .“ Mehr brachte ich nicht hervor.Ich hoffte nur, dass meine Aktion nicht wieder neuen Ärger hinter sich herzog.

  • Caesoninus hatte schon ungeduldig bei den anderen Rednern gewartet, als er aufgerufen wurde. Na endlich! Heute war wieder ein Tag, um der Gens Iulia Ehre zu machen, ganz in der Tradition seines wortgewandten Vetters Iulius Dives, der ihm bestimmt gerne heute zugesehen hätte, doch man konnte nicht alles haben. Dafür hatte er beim Rest der anwesenden Familie versucht so viele wie möglich mitkommen zu lassen, damit sie alle ihm zujubeln konnten.


    Jetzt schritt Caesoninus hoch auf die Rostra, so wie er es zuletzt schon einmal während seines Wahlkampfes getan hatte. Immer wieder ein erhebendes Gefühl hier hochzusteigen! Diese Bühne war wahrlich für ihn gemacht, hier fühlte er sich wohl und deshalb ließ er sein schmachtendes Publikum nicht lange auf sich warten, das sehnsüchtig seiner goldenen Worte harrte.
    So machte Caesoninus eine imposante Eröffnungsgeste und donnerte: "Civis! Wir stehen heute alle hier am Forum Romanum, um Lobeshymnen auf unsere Heimat zu singen! Rom ist groß! Rom ist siegreich, Roma ist das Haupt der Welt. Wir alle sind die Kinder dieser großartigen Stadt und die meisten anderen Völker beneiden uns um unser Bürgerrecht und unsere Art zu leben. Wenn ich euch in der Menge alle fragen würde, ich bin sicher jeder würde mir zur Antwort geben, dass er oder sie stolz ist Römer zu sein und das mit Recht!"


    Ein guter Einstieg wie er fand. Pack sie bei ihren Heimatgefühlen und der Vaterlandsliebe, das ist schon die halbe Miete!
    Er hatte sich zuvor nur ungefähr überlegt was er sagen wollte, da er die nötige Klarheit und Emotionalität der Rede aus dem Moment heraus entwickeln wollte. So wirkte die Rede seiner Meinung nach plastischer und nicht so gestelzt, als wenn man auswendig gelernte Sätze herunterleiern würde.


    "Es war ein langer Weg bis an die Spitze! Wo unsere Vorfahren einst mit Schlamm und Stroh begonnen hatten diese unsere Stadt zu erbauen, dort haben wir letztendlich das Werk mit Stein und Marmor vollendet. Viele Male schon hatten ausländische Könige und Feldherrn versucht uns in die Knie zu zwingen, unsere Männer zu töten, unsere Frauen zu rauben und die Mauern dieser Stadt zu Fall zu bringen. Vom Molosserkönig Pyrrhus, über Hannibal von Karthago bis hin zum König der Könige Mithridates II. und seiner in der Sonne funkelnde reitende Urgewalt, die Kataphrakten. Sie alle waren große und mutige Männer, die aus unterschiedlichen Gründen zum Kriege gegen Roma bliesen und doch schlugen wir am Ende jeden einzelnen von ihnen und warum? Weil wir Römer sind! Und Römer sein bedeutet diszipliniert zu sein, in jeder Lebenslage, überall und jederzeit. Das ist unser Geheimnis, welches unsere Väters Väter vor so langer Zeit entdeckten und das wir seither von Generation zu Generation weitergehegt und gepflegt haben; Disziplin! Mit ihr erbauten wir Weltwunder, mit ihr schufen wir unsere Dignitas und mit ihr eroberten wir die Welt."


    Caesoninus wanderte stets der aktuellen Tonalität angemessen von einem Ende der Rostra zur anderen und zurück, und arbeitete mit großen und ausladenden Gesten, um so viele Zuhörer wie möglich während seiner Rede mitzunehmen auf seinem rhetorischen Exkurs in die Vergangenheit, der immerhin am besten zeigte, wieso Roma so großartig geworden war, wie sie es alle heute kannten. Und was daran so schätzenswert war folgte jetzt stante pede.


    "Wir haben saubere Straßen aus hartem Stein, eine funktionierende Kanalisation und jeder, selbst die Armen, haben genug zu essen dank der regelmäßigen kostenlosen Getreidespenden an den Plebs. Können das die Germanen auch von sich behaupten, wie sie dort oben in ihren Wäldern im Dreck hocken? Oder die Parther in ihren staubtrockenen Wüsten, während ihrer Kinderopfer? Nein! Nur Rom genießt diese Priviliegien und daher ist es auch unsere Aufgabe diese Errungenschaften zu den anderen Völkern in die Welt hinauszutragen. Roma ist die Fackel, die das Dunkel des Barbarentums erhellt und Zivilisation und Fortschritt mit sich bringt. So sehr wir auch das Verderben unserer Feinde sein mögen, so sind wir ein umso großzügigerer Freund für unsere Verbündeten und jenen, die zu uns gehören wollen. Wir haben so vieles zu geben, lasst es uns mit den anderen teilen auf dass auch sie abschließend erkennen mögen, was jeder von euch schon mit der Muttermilch eingesogen hat; Rom ist groß! Rom ist siegreich, Roma ist das Haupt der Welt!"


    Zum Abschluss noch einmal die Wiederholung der formelhaften Lobpreisung Roms vom Anfang, das hielt er für ein besonders gelungenes rhetorisches Mittel. Ob das Publikum und die Richter derselben Auffassung waren, würde sich erst zeigen müssen. Jedenfalls war Caesoninus ans Ende angelangt und so nickte er noch einmal hulfvoll und lächelnd in Richtung Zuhörer und zu den Richtern und verließ anschließend die Rostra, um dem nächsten Redner Platz zu machen.

  • Angenehmerweise gab es nicht allzu viele Vorreden, sondern es wurde schon bald der erste Teilnehmer aufgerufen. Macer verfolgte ihn mit besonderer Aufmerksamkeit und Wohlwollen, den es handelte sich um seinen ehemaligen Tiro Iulius Caesoninus. Außerdem hatte dieser den Vorteil, als erste Redner noch ein völlig unvoreingenommenes Publikum vor sich zu haben, dass ihm unweigerlich gut zuhören musste und ihn nicht schon insgeheim mit anderen Rednern vergleich konnte. Auch Macer folgte der Rede aufmerksam und befand, dass der Redner seine Sache keineswegs schlecht gemacht hatte. Daher spendete er am Ende natürlich Beifall, was alle in seinem kleinen Gefolge pflichtbewusst ebenfalls taten.

  • Während der Nomenclator mich über die anwesende bessere Gesellschaft Roms aufklärte, ließ ich meinen Blick über den mit Menschen gefüllten Platz gleiten. So konnte ich die jeweiligen Gesichter mit den erhaltenen Auskünften verbinden. Im Grunde war es viel zu viel an Informationen, die ich so erhielt. Wahrscheinlich vergas ich auch das meiste wieder nach kurzer Zeit. Jedoch war dies eine kurzweilige Beschäftigung, um den Beginn des Wettstreits damit zu überbrücken.


    Doch dieser ließ nicht lange auf sich warten. Die gestellte Aufgabe war nach meinem Ermessen eine Leichte. Eine Lobpreisung auf Roma war doch für jeden gewandten Redner eine dankbare Aufgabe, die problemlos zu bewerkstelligen war.
    Der Ausrufer gab die Reihenfolge der Redner statt. Bis auf den ersten Namen sagten mir die anderen überhaupt nichts. „Gaius Iulius Caesoninius, der Name kommt mir bekannt vor. Wo habe ich ihn nur schon einmal gehört?,“ raunte ich zu meinen Sklaven. Creton, der aus 99% Muskeln und 1% Hirn bestand, sah mich fragend an. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal verstanden, worum es hier eigentlich ging. Der Nomenclator, nennen wir ihn an dieser Stelle Hermocles, begann sogleich mir alles Wissenswerte über den Iulius ins Ohr zu flüstern, jedoch beantwortete dies nicht meine Frage. Eleni allerdings, die stets aufmerksam darüber wachte, mit wem ich verkehrte, wusste die Antwort sofort. „Erinnerst du dich nicht? Der goldene Mann?! Im Theater?!“ Ja natürlich! Jetzt fiel es mir wieder ein. Mein Sitznachbar, der mich förmlich überschüttete hatte mit Komplimenten und den Eleni für den ‚goldenen Mann‘ aus der Prophezeiung einer alten Wahrsagerin aus Achaia hielt. „Ach ja richtig. Ich erinnere mich wieder.“ Nun denn, dann gab es ja doch einen Kandidaten, für den man jubeln konnte. Was natürlich nicht hieß, dass nicht auch die anderen Redner Applaus verdienten.


    Etwas weiter weg von meinem Platz begann man bereits Wetten abzuschließen, wer denn der Gewinner werden mochte. Zu gerne hätte ich dagegen gehalten, doch ich wusste, was sich gehörte.


    Kurze Zeit später erschien dann auch der Iulier auf der Rostra und begann mit seiner Lobpreisung auf die ewige Stadt. Wie zu erwarten war, strotzte seine Rede nur so von Patriotismus und von der Glorie Roms, der Bezwingerin der Völker. Selbstredend durften auch nicht die Errungenschaften unserer Kultur fehlen, die wir den unterworfenen Barbaren gebracht hatten und von denen sie nun profitieren konnten.
    Für meinen Geschmack war es eine gute Rede und daher bekundete ich dies mit klatschen und einen „Bravo!“ Dass der Iulier gut und viel reden konnte, hatte er mir ja bereits im Theater offenbart. Nun war abzuwarten, wie die Preisrichter entscheiden würden. Das Publikum jedenfalls schien sich bereits entschieden zu haben.

  • Anlässlich des Rhetoren-Wettstreits hatten natürlich auch die abkömmlichen Familienmitglieder der Gens Iulia das Haus verlassen, um sich zum Forum zu begeben. Etliche Sklaven hatte ebenso das Glück ereilt, ihre Herrschaften begleiten zu dürfen.


    Mitten in der Menge von Zuschauern befanden sich auch Iulia Graecina und deren Sklavin Sulamith, die sie heute begleitete. Eigentlich hatte es ihr widerstrebt, hierherzukommen. Doch es galt den Anschein zu wahren, denn schließlich war einer der Redner heute ihr Verwandter, Gaius Iulius Caesoninus. Daher konnte sie sich heute nicht fernhalten.
    In sich gekehrt wartete sie nun, bis der Wettstreit begann. Je ehe er wieder zu Ende war, umso besser. Natürlich bemerkte Sula sofort, wie es um ihre Herrin stand. Nach den Ereignissen im Theater wollte sie sie keinesfalls mehr allein lassen. Wann immer sie ihres Beistandes bedurfte, wollte sie an der Seite ihrer Freundin sein. „Sei stark!“, wisperte sie Graecina mit einem Lächeln auf den Lippen zu. „Das ist leichter gesagt, als getan,“ antwortete sie ihr leise. „Du wirst es schaffen! Ganz sicher!“, versicherte ihr Sulamith leise. Dann schweifte ihr Blick ab, zur Bühne hin. „Oh sieh nur Domina! Dominus Caesoninus steht dort oben!“ rief sie mit lauter Stimme. Graecina nahm sich zusammen, drehte sich um und schlüpfte hinein in ihre Rolle.

  • [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/nsc/redner.jpg] | Calpetanus


    "Applaus, Applaus für Gaius Iulius Caesoninus! Das war doch schon ein wunderbarer Auftakt für den Wettbewerb! "
    Calpetanus hatte sich zurück auf die Rostra gedrängt und forderte nach dem Beifall auch wieder Ruhe ein.
    "Aber noch haben wir viel vor uns, daher will ich euch nicht länger mit meinen unqualifizierten Worten behelligen. Einen neuen Applaus bitte für unseren zweiten Kandidaten: Tiberius Valerius Flaccus!"
    Er winkte den Valerius zu sich hinauf und trat zeitgleich den Rückweg an.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Die Redekünste des ersten Kandidaten kannte Menecrates bereits aus den verschiedensten Situationen. Das Thema allerdings bildete eine Überraschung und so sah der Praefectus Urbi diesem ersten Beitrag gespannt entgegen. Er fühlte sich angesprochen - wie wohl jeder der römischen Zuschauer. Mit Traditionen, Tugenden und dem Lobpreisen des Reiches erwarb man sich immer seine Wohlwollen. Einzig die Behauptung, jedes Volk müsse sich glücklich schätzen, römischen Standard übernehmen zu können, löste Zweifel aus. Die germanischen Barbaren legten nur bedingt Wert auf Zivilisation und Fortschritt. Sie klebten ebenfalls an ihren Traditionen, was ihnen Menecrates nicht einmal verübeln konnte, weil er selbst an Traditionen hing. Sein Verständnis hielt sich dennoch in Grenzen, weil er germanische Traditionen für primitiv und rückständig hielt.
    Der Rede tat dies aber keinen Abbruch und so spendete er Applaus für diese erste Darbietung.


    Den zweiten Kandidaten kannte Menecrates ebenfalls: Valerius Flaccus. Bei ihrer letzten Begegnung hatte der alte Claudier den Valerier aus seinem Hauses komplimentiert, weil er dessen Auftreten als unverschämt empfand. Persönliche Vorlieben und Abneigungen durften heute jedoch keine Rolle spielen, denn als Preisrichter musste Menecrates neutral und unparteiisch sein. Er räusperte sich einmal und harrte der Dinge, die kommen sollten.

  • Auch Valentina war verwundert einen bekannten Namen zu hören. Doch es war niemand aus ihrer näheren Familie. Vielleicht Verwandtschaft vom Land? Auf Serapios Frage schüttelte sie deswegen den Kopf. "Nein, der Name sagt mir überhaupt nichts." Auch wenn sie für jemand anderen jubelte, so würde sich Valentina diesen Redner ganz genau ansehen.
    Und neben ihr rief Serapio auch schon eine Wette aus. Sie schmunzelte amüsiert, biss von einer neuen Erdbeere ab und sah sich neugierig um, ob jemand auf diese Wette eingehen würde. Da wurde sie plötzlich angesprochen, von jemandem, von dem sie es überhaupt nicht erwartet hatte. Verwundert, jedoch nicht abweisend, wandte Valentina den Blick in die Richtung von Cascas Sklavin. Seit sie im Haus weilte, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt und nun stand sie direkt vor ihr? Abwartend sah die blonde Quintilia die Frau vor sich an, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit unterbrochen, denn der erste Redner trat vor.
    Valentina stellte sich ein bisschen auf die Zehenspitzen. Um sicherer Stehen zu können legte sie eine Hand auf Serapios Schulter. Gebannt hörte sie dem Sprecher zu. Wie konnte man nur so viele Worte auf einmal sprechen? Fast trat es in den Hintergrund, dass er nicht der favorisierte Teilnehmer war. Valentina war schlichtweg beeindruckt. Als dann jedoch der Jubel aufbrandete, hielt sie sich dezent zurück. Statt dessen trat sie zurück und wandte sich wieder der Sklavin zu die immer noch neben ihr stand. "Ja?"

  • Zufrieden mit sich und seiner Rede stieg Caesoninus die Stufen der Rostra hinab. Dabei keuchte der dicke Calpetanus an ihm vorbei, um seinerseits den nächsten Teilnehmer anzukündigen. Es sollte Caesoninus' gute Bekannter und ehemaliger Juristikmentor Tiberius Valerius Flaccus sein! Na das versprach ja spannend zu werden, er konnte sich nicht erinnern Flaccus jemals bei einem öffentlichen Auftritt zugesehen zu haben, umso gespannter war er jetzt auf das kommende. Im vorbeigehen legte er seine Hand auf Flaccus' Schulter und drückte ihn kurz.
    "Viel Glück da oben und möge Cicero mit dir sein!", ehe Caesoninus weiterging.


    Er umrundete die Rostra und mischte sich in die Zuschauermenge, da er die nächsten Kandidaten von vorne wie jeder andere auch verfolgen wollte. Wo standen noch einmal die anderen Iulier?
    Er musste sich ein wenig durch die Menge drängeln, bis er endlich die gesuchten Gesichter erblickte. Er trat zu Iulia Graecina und den anderen und grinste üers ganze Gesicht. "Da seid ihr ja! Na wie war ich?"
    Ehe er sich auch schon wieder zur Rostra umwandte, um gespannt Flaccus' Rede zu verfolgen.

  • Natürlich war heute auch Iulia Phoebe im Tross der Familie dabei, um ihren Verwandten anzufeuern und so fand man sie neben Iulia Graecina stehend, ihre Leibwächterin und Freundin Callista direkt hinter ihr stehend.
    Was war das nur für eine Freude in so einer Menschenmenge zu stehen! Und erst die ganzen Frauen, die perfekte Gelegenheit für sie, sich ein paar besonders schöne Frisurmodelle abzukupfern. Immerhin liebte sie es immer wieder mal etwas neues mit ihren Haaren auszuprobieren. Das ausgefallendste, was sie bislang versucht hatte war, als sie anlässlich einer Feier einmal eine kleine Trireme in ihr Haar flechten hatte lassen und ihre leichten Locken darum herum wie Wellen mit Nadeln fixiert drapiert worden waren. Servilia Gemina hatte dieser „anrüchige Firlefanz von der Arroganz eines Pfaus“ (wie sie diese Frisur benannt hatte) eher weniger gefallen. „Denkst du dein Vetter hat eine Chance zu gewinnen?“ raunte ihr Callista von hinten zu. Amüsiert hob Iulia eine Braue. „Wenn es etwas gibt, das dem lieben Gaius liegt, dann sich selbst reden zu hören, natürlich wird er gewinnen!
    Keine Frage. Doch nicht lange und sie könnten sich selbst von seiner Kunst überzeugen, denn schon wurde ihr Vetter angekündigt.
    Dann trat er auch schon höchstselbst in Erscheinung. Iulia hatte die Rede zuvor nicht gekannt, also war es auch für sie das erste (und einzige) Mal, aber sie musste zugeben, dass Caesoninus seine Sache gut machte! Sogar eine Art roter Faden wollte sie darin erkennen, alles in allem eine gelungene Rede. Nachher applaudierte sie genauso wie der Rest der Menge auch. „Gar nicht so schlecht, oder?“ meinte sie zu Graecina neben ihr.
    Dann wurde auch schon der nächste Sprecher angekündigt. Valerius Flaccus! Den kannte Iulia ebenfalls von einer früheren Begegnung her, mal sehen, ob er ihrem Verwandten das Wasser reichen konnte. Eigentlich musste er sich ja gut im Reden schwingen auskennen, wo er sich ja viel mit Gesetzestexten auseinandersetzte und selbst Kommentare zu ihnen schrieb. Doch einmal sehen.
    Caesoninus fand seinen Weg zu der Stelle unter den Zusehern, wo die Vertreter der Gens Iulia standen und erkundigte sich nach der Güte seiner Darbietung. „Zumindest für den vorletzten Platz wird es schon reichen. Aber nein im Ernst, du warst gut!“ meinte Iulia vergnügt. Sie liebte es ihn zu necken. Doch jetzt Bühne frei für Valerius Flaccus.

  • Caesoninus hatte eine beachtliche Rede gehalten und so klatschte Tiberius auch gebührenden Beifall.
    Er erwiderte den Klapps auf die Schulter und grinste. "Dank dir."


    Dann konzentrierte er sich wieder auf die Rede. Es war ein erhebendes Gefühl auf die Plattform zu steigen. Die Lautstärke der Menge, die er hinter der Rostra nur gedämpft gehört oder in seiner Konzentration einfach nicht wahrgenommen hatte, war nun dabei, ihn zu überwältigen. Er blinzelte, als die Aufregung wie eine Welle über ihn herein brach. Zum Glück hatte er keine Zeit, groß herum zu hampeln. Tiberius atmete tief ein und aus, gab sich einen Ruck und marschierte festen Schrittes zum Rand der Rostra damit ihn alle sehen konnten. Dort angekommen blickte er kurz herum. Das Forum war durchaus voll geworden.


    Tiberius nutzte die Zeit, die das Publikum brauchte, um etwas zur Ruhe zu kommen, um auch die "Richterbank" mit einem respektvollen Nicken zur Kenntnis zu nehmen und wandte sich dann aber wieder dem großen Publikum auf dem Platz zu. Er hörte der Menge kurz zu, die nun, da der nächste Redner oben stand, zügig leiser wurde. Trotzdem konnte er etwas von der Stimmung einfangen. Leicht, fast volksfestartig. Die Leute waren hier um eine gute Zeit zu haben und sich in ihrer eigenen römischen Größe bestätigen zu lassen. Hervorragend.
    Schließlich begann er zu reden.


    "Quiriten. Es ist mir heute eine ganz besondere Ehre vor euch zu sprechen und ich danke dem gewesenen Konsul und ehrenwerten Pontifex pro magistro Flavius Gracchus dafür, dass er uns hier zusammen gerufen hat, um Roma, unsere Stadt, gebührend zu ehren."


    Tiberius hatte die schon etwas altertümliche Anrede "Quiriten" für die Römer als solche mit Bedacht gewählt. Sie sollte gleich von Anfang an den "traditionelle" Ästhetik, die er in der Rede haben wollte, etablieren. Ansonsten hielt er die Einleitung bewusst kurz. Die Leute wollten keine Lobrede auf die Honorationen der Stadt hören, sondern auf Rom selbst.
    Er achtete auch darauf laut und deutlich zu reden. Unter freiem Himmel trug die Stimme nicht besonders weit. Er hatte das in den letzten Tagen höchstpersönlich ausprobiert, um eine Ahnung davon zu bekommen, wo er mit der Lautstärke hin musste. dabei hatte er herausgefunden, dass es weniger die Lautstärke das Problem war, sondern die Deutlichkeit der Worte. Es hatte ihn einige Zeit gekostet, um heraus zu finden, wo die goldene Mitte zwischen Nuscheln und überdeutlicher Gesichtsakrobatik lag.
    Er fuhr fort.


    "Und da bräuchte ich hier gar nicht allzu viele Worte zu machen. Wir alle kennen doch die Größe unseres Gemeinwesens und unserer großartigen Stadt. Schauen wir uns doch nur einmal um. Wir sind von den Göttern schon dadurch besonders gesegnet, dass wir von uns behaupten können, in der Sicherheit dieser Mauern zu sein und zwischen ihren Gebäuden zu gehen.


    Es findet sich nirgendwo auf der Welt ein Ort, der sich mit dieser Stadt messen könnte. Keine andere Stadt nennen so viele ihre Heimat. Nirgendwo sonst werdet ihr so viel Pracht und Anmut in den Gebäuden finden und nirgendwo einfallsreichere Bauwerke, die uns das Leben so erleichtern. Von den Straßen, die täglich die Last des Reiches auf ihren Steinen tragen, zu den Aquädukten, die unsere Stadt mit ihrem Wasser am Leben erhalten. Händler aller Länder spülen die Reichtümer der Welt Tag für Tag zu diesem Ort. Unser Reichtum ist ohne Beispiel auf dem ganzen Erdkreis."


    Tiberius wollte das beschreiben, was die Zuschauer auch tatsächlich sehen konnten. Straßen, Mauern und Aquädukte waren praktischerweise nicht nur Errungenschaften der römischen Zivilisation, sondern auch Dinge die die Leute sehen, anfassen, "benutzen" konnten. Seine Rede sollte an dieser Stelle gezielt plastische Inhalte haben. Und eine Referenz zum Reichtum der Stadt ging natürlich immer.


    Aber nun war es Zeit für die Antithese:
    "Und doch, Quiriten, mag in so manchem unter uns gelegentlich Zweifel an unserer Größe aufkommen. Berichtet man uns nicht, die Barbaren des Nordens seien größer und stärker, als wir es gewöhnlich sind? Sagt man nicht, dass die Griechen geistreicher und intelligenter seien als wir? Manche behaupten, die Pyramiden in Aegyptus seien die größten Bauwerke, die jemals Menschen zustande gebracht haben. Und wer weiß, welche Pracht und Größe in den Ländern des Fernen Ostens auf den ausdauernden Reisenden warten? Können wir uns also wirklich hier versammeln und proklamieren, Roma sei das Beste und Größte, was die Menschheit je erschaffen hat und wir die besten und größten, die diese Stadt rechtmäßig ihr Eigen nennen? Oder haben wir uns nur die guten Eigenschaften anderer zu Nutze gemacht? Die Kraft und Schnelligkeit der Barbaren, die uns als Sklaven unsere Bauwunder verwirklichen? Und die Philosophie und Architektur und sogar die Mythen, von denen die Griechen behaupten, sie gehörten eigentlich ihnen?"


    Einfach die ganze Zeit unreflektiert zu rufen, "Wir sind toll!" hätte es für Tiberius nicht getan. Er trug das natürlich mit einem etwas ironischen Tonfall und hochgezogenen Augenbrauen vor, so wie er vor Gericht eine interessante aber letztlich abwegige Idee der Gegenseite abhandeln würde. Das Publikum sollte mit diesen Fragen vor allem zum Denken über seine Worte angeregt werden, um dann aber zu dem Schluss zu kommen, den Tiberius ihnen nun anbieten würde:


    "Diesen Zweifeln, Quiriten, können wir selbstbewusst und mit Gewissheit entgegen treten. Wir können uns unseres Platzes in der Geschichte als größtes Gemeinwesen der Welt sicher sein. Denn es sind nicht die Kraft unserer Arme oder die Gewitztheit unseres Geistes allein, die uns besonders machen. Diese können bestenfalls Mittel zum Zweck sein. Kraft allein garantiert weder Erfolg im Frieden noch im Krieg und der schlaue und gewitzte Geist allein ist besonders anfällig für die Korruption der niederen Gelüste."


    Das trug er nun im Gegensatz zum vorherigen Abschnitt mit besonderer Entschiedenheit. Klare Gesten und ein schärferer Tonfall. Der Zweck war klar. Barbarische Kraftmeierei und östliche Dekadenz taten es nicht.


    "Nein, Quiriten, was uns ausmacht, ist die uns eigene Tugend, die uns von unseren Vorvätern vermacht wurde, und die wir gemeinhin Virtus nennen. Wir finden sie in den Beispielen, die uns unsere Geschichte überliefert. Wir finden sie in der Kraft und dem Mut, die der Gründer Romulus uns zeigte, als er die Widrigkeiten der alten Zeit überwand und diese Stadt gründete.


    Wir finden sie in dem Pflichtgefühl, das Cincinnatus uns so trefflich vorführte, als er der Versuchung der Gier, der Ruhmsucht und der Korruption der Macht widerstand und nach getaner Pflicht zu seiner Arbeit an der Scholle zurückkehrte, so wie es geziemte.


    Wir finden diese Tugend und Tapferkeit und Kriegskunst mit der der große Scipio Africanus die Karthager besiegte und dafür sorgte, dass niemand mehr die Vorherrschaft Romas über den Erdkreis anzuzweifeln wagte. Wir finden sie in unserem Recht, das jedem die Möglichkeit bietet, Gerechtigkeit zu erlangen. Wir finden sie in der Tüchtigkeit unserer Händler und der Tapferkeit unserer Soldaten, denen kein Feind je dauerhaft wird widerstehen können."


    Nun kam natürlich die Synthese mit der Tiberius den Leuten die Großartigkeit ihrer eigenen Geschichte und ihrer Tugend vor Augen führen wollte. In einem gebildeten Salon mochte das alles vielleicht etwas abgedroschen sein, aber das hier war eine Volksrede und Tiberius musste Beispiele nehmen, die allgemein bekannt waren.
    Während dieser Aufzählung wurde er stetig etwas lauter und schneller und erhöhte auch seine eigene Körperspannung. Hier musste die Energie sein.
    Das praktische an "Tugend" war natürlich, dass es sich doch um ein metaphysisches, zwar bekanntes, im Ganzen aber eher unscharfes Konzept war. Es gab den Leuten in der Menge die Gelegenheit sich mal als "etwas Besseres" zu fühlen, und zwar als etwas Besseres im Gegensatz zu den "Barbaren" und "Dekadenten". Vor allem wollte Tiberius aber einen Nerv bei der aus nobiles bestehenden Richterbank treffen. Die würden mit dem Konzept bestens vertraut sein und sicher nichts dagegen haben, wenn man ihnen diese römischste aller Tugenden so entschieden zuschrieb.


    Eines durfte aber in der Reihe des Positiven nicht fehlen.
    "Und wir finden sie in der Weisheit des göttlichen Augustus, der den Staat rettete und eine nie gekannte Zeit des Wohlstands in das Gemeinwesen brachte, die der gegenwärtige Princeps mit so viel Geschick und Weisheit weiter führt. Möge er die Geschicke des Staates noch eine lange Zeit weiter lenken."
    In seiner Rede keinen Bezug zum Kaiser zu machen, wäre Tiberius mindestens als unweise vorgekommen.


    Nun wurde es Zeit für den Schlussakkord. Das hier war eine Volksrede auf dem Forum. Allzu langes herum monologisieren, würde die Aufmerksamkeit des Publikums ermüden und das würde auch die Richterbank zur Kenntnis nehmen.
    Noch einmal kondensieren und zuspitzen. Ein Bezug auf den Segen der Götter und ein klarer Schlusspunkt. Eine ernste, eindringliche Mimik und eine starke, aber sparsame Gestik


    "Solange wir diese Tugend in uns behalten, ist uns der Segen der Götter gewiss. Diese schauen mit Wohlwollen auf uns, die Rechtschaffenen, die Tapferen und Pflichterfüllten. Wir brauchen dazu keinen Pomp, keinen korrumpierenden Überfluss. Seid euch bewusst darüber, wer ihr seid und zu welcher Stadt ihr gehört und jeder unter euch, der Virtus in sich findet, kann sich seiner eigenen Größe sicher sein. Darin, Quiriten, liegt der Glanz und die Größe Romas."


    Damit beendete Tiberius seine Rede, hielt aber noch einen Moment die Körperspannung aufrecht. Der Auftritt endet erst, wenn der Spieler von der Bühne ist. Bis dahin musste die Spannung da sein.
    Und dann war sein Auftritt auch schon zuende. Er nickte noch einmal der Richterbank zu, trat von der Sichtkannte der Rostra zurück und stieg von der Plattform herab.
    Um sich herum nahm er erst einmal nichts weiter wahr. Erst wo die Anspannung nun von ihm abfiel, merkte er, wie groß sie eigentlich gewesen war und es war kein gutes Gefühl. Etwas orientierungslos lehnte Tiberius am Fuß des Bauwerkes. Er würde erst mal Pause machen.

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    SODALIS FACTIO VENETA - FACTIO VENETA

    KLIENT - MANIUS FLAVIUS GRACCHUS

  • Genauso wie die anderen Zuseher klatschte auch Iulia Beifall für Valerius Flaccus. In der Art und im Aufbau seiner Rede war ihrer Meinung nach wieder klar der Jurist herausgestochen. Flaccus‘ Rede war weniger mitreissend und prägnant gewesen als die von Caesoninus, auch ihr Ton war viel nüchterner und eher an eine Beweisdarlegung vor Gericht erinnernd, als dafür da um die Massen mitzureissen, andererseits erschien sie Iulia technisch gesehen ein wenig vielseitiger und ausgefeilter, als die ihres Vetters. Die beiden Reden des ersten Tages bildeten somit gleich einen Gegensatz, der größer nicht sein könnte. Auf der einen Seite nüchterne Technik und auf der anderen packende Emotion. Was würden wohl die Richter davon bevorzugen? Entsprechend deren Präferenzen hätte dann der eine oder andere Kandidat die besseren Chancen auf den Sieg. Doch mochte diese Frage wohl eine eigene philosophische Debatte sein, worauf es an einer guten Rede mehr ankam, darauf dass sie Leute mitriss und von ihrem Inhalt überzeugte, oder dass sie technisch ausgereift war und möglichst viele verschiedene Register der Rhetorik bot, wenn dies auch ihrer Kraft ein wenig abträglich sein mochte.


    Iulia jedenfalls hatte auch Flaccus‘ Rede sehr gefallen. Um ihren Vetter zusätzlich noch ein wenig zu ärgern beugte sie sich zu Caesoninus hinüber und rief ihm über den Lärm der Menge zu:
    Tja, sieht so aus als wars das mit deinen Chancen auf den Sieg!
    Ob Flaccus sich überhaupt noch an sie erinnern konnte?
    Ein wenig hatte er Iulia ja schon gefallen.

  • Die erste Rede tropfte nur so von Patriotismus. Brotspenden! Dass ich nicht lache! Na klar, niemand in Rom musste hungern! Dabei waren die mit dem meisten Speck auf den Hüften doch immer ganz vorne bei den Spenden. Ja die Ausgabe von Brot war natürlich besser als nichts. Sonst hätten vermutlich noch mehr nichts zu essen. Aber die Menschen die wirklich hungerten, wie Aila oder Mutus, die wurden von den Aasgeiern doch schon von weitem verjagt. Und manchmal sogar von den Stadtwachen. Die kamen nicht mal bis nach vorne durch zum Brot.


    Aber klar, dass der feine Herr aus der Politik das nicht wusste. Er kam sich vermutlich noch wie ein Gutmensch vor. Dabei hatte er keine Ahnung vom wahren Leben. Trotzdem klatschte ich natürlich mit wie alle um mich herum. Ich versuchte auch halbwegs begeistert auszusehen.


    Die zweite Rede war auch patriotisch aber etwas trockener. Ich hatte das Gefühl angeklagt zu werden ein Römer zu sein. Und dieser Valerius verteidigte mich. Und irgendwie funktionierte es. Am Ende fühlte ich mich als Römer und gut verteidigt. Und ich war stolz auf mein Rom.


    Es war ja auch nicht so dass ich es nicht mochte. Ich mochte meine Heimat. Ich war stolz auf unsere Geschichte. Und ich mochte die Menschen um mich (deswegen versuchte ich ja auch sie zu retten).
    Ich war nur nicht einverstanden mit denen die all das ausnutzten. Die unser Gemeinwohl verprassten. Die auf Kosten anderer lebten. Die Gutgläubigkeit anderer ausnutzen. Und uns alle ins Verderben stürzten.

  • Leider waren die Umstehenden nicht so wettlustig wie ich. Oder, so dachte ich selbstgefällig, der Name Decimus allein reichte schon aus, damit niemand gegenzuhalten wagte.


    Der erste Redner sprach. Ich nickte beifällig bei der Passage von Schlamm und Stroh zu Marmor, fand den patriotischen Inhalt solide, ansonsten traf die Rede nicht so meinen Geschmack. Ich hörte das geschliffene Wort eben lieber als das bodenständige und applaudierte nur höflich.


    Valentina hatte sich auf meiner Schulter abgestützt. Mir gefiel diese kleine, so selbstverständlich vertraute Geste. Ich lächelte ihr zu. Ach wie nett wäre es doch, wenn sie meine Frau wäre. Ich hätte sie vom Fleck weg heiraten sollen. Dann stünden wir hier als Paar, ich hätte eine liebe und holde Frau, die mir immer den Rücken stärken würde, und keiner würde mich mehr als ewigen Junggesellen schief ansehen.
    Stattdessen konnte das ganze Theater wieder von vorne losgehen. Ich ließ meinen Blick über die Menschenmenge auf dem Forum schweifen, sah junge Gänschen und würdige Matronen und mir graute bei dem Gedanken, mich auf Freiersfüße zu begeben. Eine wie Valentina würde ich sowieso nicht mehr finden. Wenn ich sie nicht haben konnte, dann konnte ich gleich die Nächstbeste nehmen. Die nächste, die mich an irgendeiner Ecke anrempelt, die heirate ich! so dachte ich mir zynisch.


    Der zweite Redner, eher traditionell in seinem Auftreten, schlug mich rasch in seinen Bann. Die Klarheit seiner Worte und die Präsenz, mit der er diese vorbrachte, war enorm. Die Tapferkeit von uns Soldaten rühmte er auf gefällige Weise, schlug einen Bogen vom großen Augustus zu unserem Friedenskaiser, sehr gekonnt.
    "Bravo! Bravo! Vortrefflich gesprochen!" rief ich, dem Valerier laut applaudierend.




  • Zitat

    Original von Quintilia Valentina
    Auch Valentina war verwundert einen bekannten Namen zu hören. Doch es war niemand aus ihrer näheren Familie. Vielleicht Verwandtschaft vom Land? Auf Serapios Frage schüttelte sie deswegen den Kopf. "Nein, der Name sagt mir überhaupt nichts." Auch wenn sie für jemand anderen jubelte, so würde sich Valentina diesen Redner ganz genau ansehen.
    Und neben ihr rief Serapio auch schon eine Wette aus. Sie schmunzelte amüsiert, biss von einer neuen Erdbeere ab und sah sich neugierig um, ob jemand auf diese Wette eingehen würde. Da wurde sie plötzlich angesprochen, von jemandem, von dem sie es überhaupt nicht erwartet hatte. Verwundert, jedoch nicht abweisend, wandte Valentina den Blick in die Richtung von Cascas Sklavin. Seit sie im Haus weilte, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt und nun stand sie direkt vor ihr? Abwartend sah die blonde Quintilia die Frau vor sich an, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit unterbrochen, denn der erste Redner trat vor.
    Valentina stellte sich ein bisschen auf die Zehenspitzen. Um sicherer Stehen zu können legte sie eine Hand auf Serapios Schulter. Gebannt hörte sie dem Sprecher zu. Wie konnte man nur so viele Worte auf einmal sprechen? Fast trat es in den Hintergrund, dass er nicht der favorisierte Teilnehmer war. Valentina war schlichtweg beeindruckt. Als dann jedoch der Jubel aufbrandete, hielt sie sich dezent zurück. Statt dessen trat sie zurück und wandte sich wieder der Sklavin zu die immer noch neben ihr stand. "Ja?"


    Ich wusste sofort, dass es eine große Dummheit war, Domina Valentina anzusprechen. Aber jetzt war es zu spät. Nachdem sie ihren Blick auf mich gerichtet hatte, sah sie mich nur kurz an, um sich dann wieder von mir abzuwenden. Der erste Redner hatte begonnen, seine Rede zu schwingen und erzählte jetzt den Leuten, wie toll doch Rom war. Oh Mann, was für eine Neuigkeit! Mich interessierte das Geschwafel überhaupt nicht. Ich wollte einfach nur dieses ganze Gedöns hinter mich kriegen und dann wieder ab nach Hause gehen.


    Eigentlich hätte ich mich jetzt verdünnisieren können. Stattdessen blieb ich schön dort stehen und wartete. Worauf eigentlich? Dass sich die Domina doch herabließ, um mit der Sklavin ihres Verlobten zu plaudern?

    Der erste Redner war gerade fertig geworden, als sich die Domina dann doch besann und sich meiner annahm. Vielleicht hätte ich die Wartezeit nutzen sollen, mir zu überlegen, was ich denn eigentlich sagen wollte. Klar ich wollte sie bitten, für Silas ein gutes Wort einzulegen, falls man ihn erwischte. Aber was würde sie denken, wenn ich einfach so drauflosplapperte?
    „Ähm, Domina. Ich äh wollte dir nur sagen, äh…“ Dass sie sich keine Sorgen machen müsse, weil ihr Verlobter und ich…äh ziemlich viel Zeit…. oh Scheiße! Was ging mir denn da im gerade im Kopf herum. Wenn ich noch ein Wort sagte, brachte ich mich um Kopf und Kragen. Dann lieber doch um Nachsicht für Silas bitten!


    „Domina, bitte entschuldige, wenn ich dich hier anspreche. Aber ich mache mir große Sorgen. Du weiß ja sicher, dass Silas, der junge Mundschenk, einfach verschwunden ist.“ Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ich wollte dich nur bitten…. wenn man ihn wieder findet… Könntest du dann ein gutes Wort für ihn einlegen?“ So, jetzt war es raus. Keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Wenn Silas Recht hatte, dann würde sie mich jetzt nicht in die Wüste schicken.

  • [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/nsc/redner.jpg] | Calpetanus


    "Wunderbar, wunderbar!"
    schnaufte Calpetanus wieder die Treppe zur Rostra empor, an Valerius vorbei, um oben etwas lauter zu fordern:
    "Applaus für Tiberius Valerius Flaccus!"


    Nachdem dieser verklungen war, kündigte Calpetanus weiter an:
    "Und damit kommen wir auch schon zum dritten Kandidaten des heutigen Tages! Einen neuen Applaus für Servius Quintilius Luscus!"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Gänzlich in Gedanken stand ich während das Spektakulum seinen Verlauf nahm neben meiner Verlobten. Baldigen Verlobten! Dabei fühlte ich mich wie jemand, der der einem Wurm gleich unter dem Boden her herbeigekrochen war. Da ich dieser Empfindung auf die Schliche kommen wollte, da sie wohl aus dem Innersten stammte, in das mein Verstand noch keinen Einblick besaß, sinnierte ich vor mich hin, während ich vollkommen unbewusst meiner Valentina immer wiederkehrende schmachtende und verliebte Blicke zuwarf. Allein wie sie die Erdbeere aß, wie sie aussah. So schön wie eine Bachnymphe und ebenso grazil. Alle Worte rauschten dabei an mir vorbei und auch die Kaiserin, deren Anwesenheit Jubelrufe provozierte, ließ mich vollkommen versunken. Vielleicht hätte ich als Mann der Worte ebenso auf dem Podest stehen und Epen hervorbringen sollen, doch hatte mich die Arbeit von den schönen Worten abgehalten und das Gefühl des Wurm-Seins von einer Anmeldung abgehalten. Hin und wieder schwenkte mein Blick zu Serapio, dem strahlenden Helden der Familie, der er in meinen Augen war und wie immer, wenn ich ihn erblickte, tauchte auch aus der Ferne das Bild meines Bruders auf, der stets der Erste und niemals der Letzte war. Das war wohl eher doch ich mit meinem nachgezogenen Bein und meinem Gehstock, der mich stets begleiten musste.


    Auch an diesem Tag war er dabei, denn der Herbst steckte in den Knochen meines Knies und ließen meinen jugendlichen Schwung in den Habitus eines Greises übergehen. Zumindest, wenn ich lief. Zumindest war mein Gehstock schön, denn ich hatte ihn mit einem neuen Knauf versehen lassen. Doch dies war nicht alles, was recht neu war. Auch Grian war es noch für mich und es war mir nicht entgangenen, dass etwas zwischen ihr und Serapio schwelen musste. Was es war, war mir noch nicht bekannt und vielleicht war es auch gar nicht so wichtig. Aus der Ferne winkte ich dann der Kaiserin zu, deren Klient ich immerhin war, nur um dann seufzend wieder meine Blicke auf Valentina zu setzen, wobei mir fast entging, dass Caesoninus die Rostra betreten hatte. Danach folgte Flaccus.


    “BRAVOOO!“, rief ich dann laut und deutlich, nachdem er geendet hatte, ohne eine Notiz vom Inhalt genommen zu haben. Noch immer war ich mit dem Wurm-Gefühl befasst und irgendwie hatte es etwas mit Serapio zu tun. Meinem Bein und meinem Bruder und irgendwie auch mit der Großartigkeit und erbrachten Leistungen, an welchen es mir immernoch mangelte. Doch dafür hatte ich etwas anderes: Die Liebe meines Lebens und eine Zukunft im Glück. “Nächstes Mal werde ich den Rhetorenwettstreit für dich gewinnen!“, raunte ich meiner Angebeteten ins Ohr und ich wagte es sogar, ihr zaghaft auf die Schulter dabei zu fassen. Es war der Moment, in welchem meine Sklavin Grian sie angesprochen hatte. Das wurde mir erst jetzt bewusst. Doch was sollte es schon.

  • Die Sklavin vor ihr stammelte unzusammenhängende Worte, weswegen Valentina verwundert drein blickte. Was war los?
    Zum Pech der Sklavin begann nun der zweite Redner und Valentina sah wieder zur Bühne hinüber. Diese Rede war für sie viel Brachialer und konnte Valentina nicht so fesseln wie die des ersten Redners. Ehrlich gesagt verwirrte sie die Rede auch ein bisschen. Sollte sie sich schlecht fühlen, weil sie eine Römerin war? Valentina war stolz darauf hier zu leben und sich als Bürgerin dieser Stadt bezeichnen zu dürfen. Sie wollte sich schon abwenden als Serapio neben ihr dem Redner zujubelte nachdem er geendet hatte. Verwundert darüber klatschte auch Valentina, wenn auch weniger begeistert.


    Casca auf der anderen Seite applaudierte ebenfalls. Er war zwischen dem ersten und zweiten Redner zu ihnen gestoßen. Er wirkte so ruhig und zurückhaltend in den letzten Tagen. Valentina wusste nicht was ihn so bedrückte. Vielleicht war es die viele Arbeit in den Tempeln. Sie hoffte nur, dass die gemeinsame Reise ihn wieder aufmuntern konnte. Oder lag es etwa daran? Sie lächelte ihn an, als er meinte das nächste Mal würde er mitmachen und gewinnen. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter und sie legte ihre Hand auf die Seine. Ein liebevoller Blick traf ihren baldigen Verlobten. Dann widmetet sich wieder der Sklavin. Es war nicht schön sie warten zu lassen aber auch Valentina konnte nicht ganz aus ihrer Rolle ausbrechen. Als sie nun wieder zu Grian sah, fuhr sie fort. Es ging um Silas. Ja Valentina hatte die Dienerschaft erst kürzlich reden hören, dass er weg war. Und sie hatte sich noch gewundert, denn verkauft hätte ihn sicherlich weder Serapio noch Casca. Letzterer schon gar nicht ohne mit ihr zu reden, das traute sie sich zu behaupten. Und soweit sie bereits den Überblick in der Casa hatte, hatte sich Silas auch nichts zuschulden kommen lassen. Hinter ihr kündigte der Sprecher den nächsten Redner an. Genau denjenigen den sie sich genauer ansehen wollte. Aber sie wollte die Sklavin nicht noch einmal unbeachtet stehen lassen.


    "Nun..." Fing sie dann etwas gedehnt an. "Ich kann dir hier und jetzt nicht einfach so mein Wort geben. Erst wenn man weiß was er getan hat und warum er verschwunden ist. Aber was ich dir verspreche ist, dass ich ihn anhören werde und mir erzählen lasse was passiert ist. Dann entscheide ich ob ich ihm helfe." Es war sicherlich nicht das was Grian hören wollte, doch Valentina konnte nicht einfach Dinge versprechen. Nicht nur ihr Ruf stand auf dem Spiel, je nachdem was Silas Verschwinden verursacht hatte, waren es auch die Decimer. Außerdem war Silas nicht -ihr- Sklave. Eine Kleinigkeit, die Valentina zwar nicht gefiel aber die man nicht unbeachtet lassen konnte. Allerdings entging ihr nicht die echte Sorge im Blick des Mädchens und Valentina spürte Mitleid mit der blonden Frau auf die sie eben noch eifersüchtig war. "Bestimmt ist er bald wieder da und es klärt sich alles auf." Nun schenkte sie Grian ein Lächeln und griff in die Schale in der nur noch wenige Erdbeeren vorhanden waren. Eine davon reichte sie nun an Grian weiter, vielleicht tröstete sie das für den Moment.

  • Der Tag des Rhetorenwettstreits – Scapula war tatsächlich aufgeregt. Ihm war es wie eine gute Idee vorgekommen, am Wettstreit teilzunehmen. Fernab von Politik (naja, war nicht alles in Rom irgendwie Politik?) einen öffentlichen Auftritt haben? Sich schon einmal den wichtigen Leuten der Stadt präsentieren und wenn alles gut läuft sogar noch ein Stück Land mit nach Hause nehmen? Eine solche Gelegenheit konnte man sich nicht entgehen lassen und doch… fühlte er sich nicht gut vorbereitet. Tatsächlich war er auch nicht gut vorbereitet. Er hatte deutlich weniger Zeit in die Ausarbeitung seiner Rede gesteckt, als ihm lieb war. Der Decimer war noch immer nicht ganz in Rom angekommen, zumindest gedanklich. Es gab noch einiges zu tun und diese Rede schien ihm hin und wieder eher wie eine störende Ablenkung. Deswegen die Aufregung: Würde es reichen? Letztendlich trat er nicht nur für sich, sondern auch für die Gens Decima an.


    Recht früh hatten sie sich schon auf dem Forum versammelt. Sie – das war der halbe Hausstand und Dank Faustus Bemühen befanden sich auch viele Klienten hier, die strategisch verteilt für Stimmung sorgen sollten – ganz normal Tricksereien. Eine Weile stand Scapula noch bei Faustus und Quintilia, sonderlich gesprächig war er allerdings nicht. Aufmerksam beäugte er die Menge, versuchte, ein Gefühl für die Masse zu bekommen und sog die Atmosphäre des Tages in sich auf. Noch ehe der erste Redner begann, machte er sich dann allerdings auf den Weg zu den anderen Rhetoren. „Passt mir auf Nereos auf.“ Mit einem Grinsen blickte Scapula seinen Leibsklaven an. „Er verläuft sich gerne mal in den Straßen Roms. Bis später!“ Ertappt und verlegen schaute Nereos zu Boden und wünschte seinem Herrn viel Erfolg, ehe dieser langsam durch die Menge schritt.


    ~~~


    Freundlich grüßte er die Anwesenden Redner, stellte sich dann allerdings ein wenig abseits, um seine Rede in Gedanken noch einmal zu rezitieren. Ein guter Vortrag war ebenso wichtig wie der Inhalt einer Rede und nichts war unangenehmer als auf der Rostra zu stehen und sich zu verhaspeln oder sogar Teile der Rede zu vergessen. Als es losging mischte sich der Decimer jedoch unter die anderen und lauschte gespannt den Beiträgen seiner Mitstreiter. Erst Iulius Caesoninus, dann Valerius Flaccus. Beides gute, jedoch sehr unterschiedliche Reden. Beide quittierte er mit angemessenem Applaus – eine starke Konkurrenz!

  • Auch die zweite Rede wurde mit angenehm wenigen Worten angekündigt und Macer folgte auch ihr aufmerksam. Sie war länger als die erste, inhaltlich aber durchaus ähnlich. Aber das war bei dem vorgegebenen Thema wohl auch nicht anders zu erwarten. Die Preisrichter würden es da sicher nicht leicht haben, eine Entscheidung zu treffen, wenn alle Reden so ausfielen. Macer war irgendwie froh, selber kein Preisrichter zu sein, sondern die Reden einfach nur genießen zu können.


    Der Auftritt des Servius Quintilius Luscus stand an. Ein junge Mann aus ritterlichem Hause, weitläufig verwandt mit Iullus Quintilius Sermo. Genau diese Tatsache hatte ihm auch seinen Patron beschert, den Senator Purgitius Macer. Für sich selbst konnte Servius Quintilius Luscus einen weitaus geringeren Bekanntheitsgrad verbuchen. Drei öffentliche Auftritte als Leichenredner für mehr oder minder wichtige Verwandte standen in seinen Palmarès, allesamt außerhalb Roms gehalten. Dazu noch zwei erfolgreiche Auftritte als Prozessredner, das erschien ihm für einen Ritter nicht ganz schlecht, denn eine Karriere als Anwalt strebte er ohnehin nicht an. Jetzt also die ganz große Bühne. Seine Familie und auch sein Patron hatten ihm das als nächsten logischen Schritt verkauft. Servius Quintilius Luscus war sich da nicht ganz so sicher. Als leichte Beruhigung mochte dienen, dass es diesmal fast um nichts ging. Weder der Ruf eines Toten noch der Geldbeutel eines Angeklagten hingen diesmal von seiner Redekunst ab. Nur seinen eigenen Ruf konnte er heute ruinieren, aber das konnte er ja jeden Tag, war also vielleicht wirklich keine Besonderheit.


    Servius Quintilius Luscus atmete tief durch, während er die letzte Schritte ging. Ein kurzer prüfender Blick, ob er auch wirklich die Erlaubnis zum Start hatte, dann ging es los. "Reden wir über Roma!" Immerhin auf seine Stimme konnte er sich verlassen. Laut und klar war sie vor allem, und zumindest tief genug, um nicht als schrill oder quietschend gelten zu müssen. Melodisch war sie nicht, aber Servius Quintilius Luscus wollte auch weder singen noch ein Gedicht vortragen, so dass er überzeugt war, auf diese Qualität sorglos verzichten zu können. Eine ausladende Geste füllte die kurze Pause, die er nach dem Eröffnungssatz gelassen hatte. "Das siegreiche Rom! Das ewige Rom! Unser Rom!" Jetzt waren die Hände vor seiner Brust verschränkt, als hätte er ganz Rom umarmt und zu sich heran gezogen. "Ein Lob auf Roma sollen wir heute vortragen, hat uns unser edler Veranstalter aufgetragen, und fürwahr, das ist eine noble Aufgabe. Was haben wir unserem Rom nicht alles zu verdanken?" Kurz schaute Servius Quintilius Luscus mit aufforderndem Blick ins Publikum, dann begann er, ganz langsam und gemächlich die Renderbühne auf und ab zu schlendern, als wäre er mit einem Freund in einem Wandelgang unterwegs und würde mit ihm gemeinsam die Vorzüge eines gemeinsamen Bekannten aufzählen. "Alleine, dass wir heute hier versammelt sind und ihr meinen Worten lauscht. Wo sonst außer in Rom ist das möglich, dass man Rednern eine solche Bühne bietet, dass es so viele von euch sich leisten können, ihre Geschäfte ruhen zu lassen, um den Worten eines unbekannten Mannes wie mir zu lauschen; wo sonst hält man ganz ohne einen Feiertag nur aus der Freude an der Rede inne, um das zu preisen, was dies erst ermöglicht hat? Wo sonst findet man so einen schönen Platz für die Veranstaltung wie diesen hier, der so wundervoll passend für den heutigen Tag ist und dabei gleichzeitig nicht einmal der schönste Platz, den Rom zu bieten hat, denn Rom hat sich immer wieder selbst übertroffen und nie aufgehört, schöne Plätze und Bauwerke durch noch beeindruckendere Plätze und Bauwerke zu übertreffen und dafür können wir wirklich dankbar sein. Aber es ist nicht nur die Schönheit und die Muße, die wir Rom verdanken. Es ist auch die Bildung! Wo sonst trifft man so viele Schulen, selbst unter den einfachsten Säulengängen, so viele Lehrer, die die Geschichte, die Arithmetik, die Geometrie, die Geographie, die Grammatik und nicht zuletzt die Rhetorik lehren, ohne die wir uns heute auch schon wieder nicht versammelt hätten? Aber auch damit ist es nicht genug des Dankes, denn niemand würde sich zu einem Lehrer in den Säulengang setzen, wenn der Boden schmutzig und der Magen leer ist. Danken wir Rom für die Sauberkeit, das fließende Wasser und das wunderbare Getreide, dass aus allen Provinzen auf großartigen Straßen beziehungsweise in sprudelnden Aquädukten hierher gebracht wird, damit dieses Rom - damit unser Rom - der Ort ist, an dem es uns an nichts mangelt. Aber selbst damit ist es noch nicht genug, denn all dieses funktioniert nicht einfach nur, sondern es funktioniert sicher und zuverlässig." Den Punkt, dass man sich nachts als alte Frau alleine auf die Straße trauen konnte ließ Servius Quintilius Luscus bewusst aus, denn er wusste, dass auch Roms Straßen nachts unsicher genug waren, wenn man nicht gerade im Windschatten einer eigenen kleinen Privatarmee oder zumindest einer Patrouille der Vigiles lief. Servius Quintilius Luscus bezog sich hier aber ohnehin auf eine andere Ebene der Sicherheit und deshalb beendete er nun auch wieder seine Wanderung über die Bühne, um den nun folgenden Themenwechsel zu unterstreichen.


    "Das siegreiche Rom, ich sagte es eben schon. Roma Victrix! Ihm und nur ihm haben wir es zu verdanken, dass wir all das genießen. Gegen welche Stürme hat sich Rom nicht schon alles erfolgreich verteidigt und ist stets siegreich hervorgegangen? Die Gallier standen vor Roms Toren und doch blieb Rom siegreich! Die Punier standen vor Roms Toren und doch blieb Rom siegreich! Bürgerkriege tobten vor seinen Mauern und auch dort siegte am Ende nicht diese oder jene Partei, sondern es siegte Roma!" Bei jedem einzelnen Satzende hatte Servius Quintilius Luscus energisch mit dem Fuß aufgestampft und blickte nun mit einem kühnen, herausfordernden, fast kampfeslustigen Blick einmal über sein Publikum. "Wer würde Rom herausfordern? Es ist das Stärkste, es ist das Beste, es ist das Siegreiche - und nicht nur wir, sondern auch unsere Feinde tragen damit zum Lob auf Roma bei." Ein weiterer Blick schweifte über das Publikum und die Gesichtszüge von Servius Quintilius Luscus entspannten sich wieder, nur um sich gleich darauf weiter ins Sorgenvolle zu verwandeln. "Aber wird dies ewig so bleiben? Werden auch unsere Nachfahren und deren Nachfahren noch dieselben Dinge loben können, wie ich es heute getan habe?" Es folgte eine weitere Pause, bevor sich die Gesichtszüge von Servius Quintilius Luscus demonstrativ erhellten und er ein weiteres Mal energisch auf den Boden stampfte. Diesmal war es das Startsignal, um für den letzten Teil seiner Rede energisch über die Bühne zu schreiten. "Ja, das werden sie! Denn unser Rom, das siegreiche Rom, es ist auch das ewige Rom! Roma aeterna! So wie es Jahrhunderte den Stürmen und allen Feinden getrotzt hat, so wie es uns und unseren Vorfahren all das geboten und gesichert hat, was ich euch gerade dargelegt habe, all dies wird es auch unseren Nachfahren und deren Nachfahren bieten und sichern, denn unser Rom ist ewig. Nicht nur die Schönheit dieses Ortes steht auf den steinernen Fundamenten seiner Gebäude, nicht nur die Aquädukte und Straßen, die uns versorgen, sind aus festem Stein gebaut - nein, Roma selber, alles was dieses Rom ausmacht, alles was wir an ihm lieben und an ihm loben, alles das ist in Stein gehauen und wird so für die Ewigkeit bestehen." Servius Quintilius Luscus hatte seine Schritte zumindest halbwegs sorgfältig gewählt, so dass er nun fast wieder in der Mitte der Rednerbühne angekommen war. Ein kleiner Schritt zur Korrektur, dann schaute er mit einem Lächeln und mit ausgebreiteten Armen wie zu Beginn seiner Rede ins Publikum. "Die Worte meiner Rede werden schnell verhallen, rasch gefolgt von eurem Applaus. Das Lob auf Rom werdet ihr hoffentlich etwas länger behalten und euch stets daran erinnern, wie großartig dieses Rom ist. Aber selbst wenn eure Gedanken erloschen sind, wird Rom noch immer großartig sein, noch immer siegreich, und immer ewig. Danke, Roma!"


    Servius Quintilius Luscus wartete einen Augenblick, dann atmete er tief durch. Sein Blick suchte nach dem einen oder anderen bekannten Gesicht im Publikum und fand unter anderem das seines Patrons, der augenscheinlich einen guten Eindruck von der Rede gewonnen hatte. Dann ging der Blick von Servius Quintilius Luscus schließlich in Richtung der Veranstaltungsregie um in Erfahrung zu bringen, ob er noch irgendetwas zu tun hatte, oder die Bühne verlassen durfte.

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