• Nordöstlich vom Campus Martius hinter einem Abzweig der Via Flaminia lag freies Gelände, dessen Zweck längst beschlossen war. In Kürze würden hier die Mauern einer neuen Castra für Urbaner wachsen, die zum einen die anvisierte dezentrale Stationierung gewährleisteten und zum anderen die neue Cohors der aufgestockten Einheit aufnehmen sollte. Am heutigen Tag erfüllte Leben diesen Randbereich Roms, denn die Reinigung des Bauplatzes stand an. Als die Nacht der aufgehenden Sonne wich, wurde klar, dass dieser ID MAR DCCCLXXII A.U.C. (15.3.2022/119 n.Chr.) ein sonniger Vorfrühlingstag werden würde. Kein Lüftchen wehte. Tage zuvor wurden Absicherungen und ein kleines Podest errichtet, auf dem hochrangige Beamte, Offiziere und Senatoren ihre Plätze beziehen sollten, während die Bürger sich von der Absperrung gesichert um dem Bauplatz verteilten.

    Es handelte sich bei der Bauplatzreinigung um eine der Größe des Vorhabens angemessene, aber keinesfalls außergewöhnliche, denn die geplante Castra lag - wie die Castra Praetoria - außerhalb des Pomerium. Zwei Priester samt Opferhelfer standen bereit - nicht das gesamte Collegium; zwei Stabsoffiziere wohnten der Zeremonie bei, Vertreter des Senats, der kaiserlichen Kanzlei, Urbanersoldaten und Schaulustige, sowie der Praefectus Urbi samt einer Schar Klienten und Vertretern der Stadtverwaltung.

    Die Zeremonie leiteten dieses Mal die beiden Priester, aber Menecrates wollte es sich nicht nehmen lassen, wenigstens eine persönliche Opfergabe zu leisten. Nachdem Opferdiener einen Foculus platzierten, legten sie Kohle hinein und entzündeten sie. In der Zeit, wo sich die Glut entwickelte, hing jeder der Anwesenden seinen Gedanken nach. Die meisten verhielten sich still, manche murmelten. Eine andächtige Stimmung verbreitet sich. Der Preafectus Urbi, so lautete die Absprache, nahm die einführende Opferung vor.

    Als sich Glut einstellte, winkte Menecrates einen Gehilfen herbei, der frisch gebackenen Opferkuchen, Kekse und loses Getreide trug. In Begleitung dessen - ein Ende der Toga leicht über das Haupt gezogen - trat er an den Foculus heran. Sein Blick richtete sich auf die Flammen, während die Hände gereinigt wurden, dann sprach er zur Menge:

    "Senatoren, Würdenträger, Abgeordnete der Verwaltung, Offiziere, Bürger Roms, liebe Gäste! Seid herzlich willkommen und wohnt dem Akt der Besänftigung der Genii Loci bei. Ruft mit mir die Geister der hier ehemals Lebenden an und bittet um ihre Gnade, dass sie unserem Vorhaben, ihnen ein Bauwerk von erheblicher Größe auf ihr Land zu setzen, wohl gesonnen gegenüberstehen. Bittet mit mir um Vergebung, weil wir ihre Ruhe stören."


    Er nahm die Opfergaben entgegen und warf sie nach und nach in die Glut, während er jeden einzelnen Gott aufrief und am Ende zu den Geistern des Bauplatzes sprach. "Genii Loci, durch das Opfern der Kekse und des Getreides bete ich ein gutes Gebet, damit ihr unserem Bauvorhaben gewogen seid. Ich möchte euch ehren mit dem Kuchen." Immer dann, wenn eine Opfergabe in den Foculus rutschte, griffen die Flammen gierig danach. Es knackte zuweilen, Rauch stieg auf und der Geruch verbrannten Gebäcks durchzog die Luft.

  • Der Octavier hatte es geschafft sich Zeit freizuschaufeln, keineswegs wollte er die Bauplatzreinigung für die Castra Urbana verpassen. Er war sehr gläubig und verehrte vor allem Mars. Nun hatte er Gelegenheit dem Act
    der Besänftigung der Genii Loci beizuwohnen.

    Zahlose Prominente, Urbanersoldaten aber auch Zuschauer hatten es sich nicht nehmen lassen, an dieser Handlung teilzunehmen. Wieder konnte man sehen wie wichtig es für die Römer war, das die vorgeschriebenen
    Rieten und Opferhandlungen beibehalten wurden. In würdiger Stille lauschten alle den Worten der Begrüßung und der Aufforderung dem Ruf nach den Geistern der ehemals Lebenden mit einzustimmen, wie auch der Bitte um Vergebung für ihre Ruhestörung.

    Aufmerksam verfolgte er die Handlung wovon auch bald aufsteigender Rauch und ein leichter Geruch über der Stelle Zeugnis gab.

  • Den heutigen Tag wollte ich nutzen, um mich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Claudius Menecrates, jetzt Praefectus Urbi, benötigte meinen Schutz als Liktor eher nicht, da ihm seine Untergebenen vom Militär zur Verfügung standen. Doch der heutige Anlass schien mir geeignet, so stand ich ebenso wie die Urbaner mit meinen Insignien ausgerüstet in seiner Nähe. Ein besonders religiöser Mensch war ich, der fern von den Tempeln Roms aufgewachsen war, nicht. Doch in der Zeit als Claudius Menecrates Praetor Urbanus war, hatte ich ihn öfter zu solchen Feierlichkeiten begleiten müssen und hatte sie würdigen gelernt. So stand ich auch heute da und beobachtet die Handlungen aufmerksam. Es war heute, wie schon so oft ergreifend zu sehen, wie die Menschen sich bei den Rieten in ihrem Glauben versenkten. Sie vertrauten den Göttern und Ahnen und waren fest davon überzeugt, dass sie ihr Schicksal zu Besten fügen würden.

  • Mit dem weißen Rosshaarbusch, den zwei weißen Schmuckfedern und der blütenweiß gebleichten Tunika wohnte auch der Optio valetudinarii der Weihe bei. Auch seine Männer waren reinweiß gekleidet. Das hatte sich so eingebürgert, um die Ärzte und Sanitäter optisch von der kämpfenden Truppe ein wenig abzuheben. Es war jedoch nur eine stellvertretende Truppe anwesend. Der Rest des medizinischen Personals musste Dienst im Lazarett schieben.


    Zwar waren keine Vorkommnisse zu erwarten, doch wie bei allen Großveranstaltungen, in welchen die Urbaner involviert waren, hatte Scato auch diesmal ein kleines Zelt aufstellen lassen mit einer Pritsche, Decken sowie einer Truhe mit Verbandsmaterial und einer Trage. Abgekochtes Wasser stand natürlich ebenfalls bereit. Vor dem Zelt befand sich ein Tisch samt Stuhl, der immer besetzt war, meist von Scato persönlich. Wenn einer der anwesenden Soldaten umkippte, sich verletzte oder elend fühlte, konnte er sich mit seinem Zipperlein hier melden und würde mit dem für das Militär üblichen hohen Standard versorgt werden.


    Allerdings hatte Scato das Zelt so platziert, dass sie auch von der Weihe etwas mitbekamen. Im Geist war Scato bei den gefallenen Kameraden, während er hoffte, dass seine Anwesenheit heute ihren prophylaktischen Charakter beibehalten würde.

  • Nach den erklärenden Worten an die Zuschauer, dem Gruß und Ansprechen der Genii Loki durch ersten Opfergaben, blickte Menecrates in die Runde. Er las in den Gesichtern der Anwesenden und erkannte deren Wille zur Mithilfe. In diesem Moment fasste der Praefectus Urbi den Entschluss, entgegen der Absprache, weitere Handlungen vorzunehmen und erst später die Verantwortung an die Priester abzugeben. Wieder bemühte er sich, die Anwesenden einzubinden.


    "Wir wollen im Anschluss den Geistern und Göttern mit Räucherstoffen und Früchten ein großes Opfer bringen. Den Genii Loki opfern wir Oliven, denn ich habe herausgefunden, dass vor langer Zeit, als Rom noch nicht diese Ausmaße besaß, genau hier Oliven angebaut wurden. Als Zeugen für diesen Akt rufen wir die Göttertrias an, der wir Getreide und Mola Salsa darbringen." Menecrates wuchs mit Opferungen und der Kenntnis von Riten auf. Ihm wurde gelehrt, welche Bedeutung Traditionen besaßen und als Familienoberhaupt gab sie an seine Kindeskinder wieder. Als Offizier besaß er ebenfalls Verantwortung und zuweilen betrachtete er die Einwohner Roms als die Kinder des Stadtpräfekten. Heute unternahm er den Versuch, alle in ein gemeinsames Boot zu holen.

    Drei Helfer trugen je eine kleine Opferschalen und stellten sie in einem Halbkreis um die größere auf. Sie diente der Opferung an die Genii Loki. Der Grund für die drei kleineren offenbarte sich, als Menecrates seine Handlungen erläuterte.


    "Als erstes zelebriere ich ein allgemeines Rauchopfer. Es soll nicht nur den Götter und Geistern gefallen, es soll auch uns Menschen daran erinnern, dass die heutige Zeit eine entheiligte Zeit ist, in der Bäume, Sträucher und alle anderen Pflanzen fast nur noch als Sache angesehen werden. Zu viele Römer haben die Bedeutung der Götter und deren Huldigung vergessen. Wir wollen uns heute wieder der alten Traditionen erinnern und der Natur ein Stück nähertreten." Er unterließ es mit Absicht, das Thema der Christen anzureißen. Diese Zeremonie galt Rom und sie stellte ein Geschenk sowohl an die Götter und Geister als auch an alle traditionell gläubigen Personen dar.


    "Favete linguis", bat er die Anwesenden und Stille trat ein.


    Ein Opferdiener reichte das Gefäß, in dem das Harz des Weihrauchbaumes in Wein schwamm. Die Kombination von Wein- und Weihrauchopfer erzeugte eine beachtliche Rauchentwicklung, wenn sie auf Hitze traf, was sowohl eine Aussage erbringen würde als auch eine rituelle Reinigung aller Anwesenden. Behutsam ließ der Präfekt die besondere Flüssigkeit nach und nach in sämtliche Opferschalen laufen und trat anschließend zurück. Der Qualm breitete sich aus, stieg geruhsam in die Höhe und verweilte einen Moment, bevor er weiter gen Himmel zog. Kein Windhauch zupfte an der Formation herum.

    Würziger Duft breitete sich aus, der zunächst die nahe der Tribüne stehenden Menschen erreichte, doch schon bald auch den weiter entfernt Stehenden in die Nase stieg. Jeder, der bei der Zeremonie Anwesenden, konnte sich als Teil der Handlung empfinden, denn er wurde in die Räucherung mit einbezogen.

    Die eigentliche Opferung an die Wesen, die hier einst gelebt hatten, und die Götter folgte. Mit einem Griff überzeugte sich Menecrates, ob der Zipfel der Toga noch den Kopf bedeckte, dann trat er an die große Opferschale heran. Ihm wurde ein Gefäß mit Oliven gereicht, jenen Früchten, die auf diesem Land einst angebaut wurden. Er ließ die Früchte in die Opferschale rieseln und trat wieder zurück. Dicker Rauch entwickelte sich, denn die Früchte waren frisch und enthielten viel Saft, der offenbar Ursache für die starke Rauchentwicklung war. Den Moment nutzte Menecrates für ein Gebet.


    "Ihr Wesen, die ihr einst diesen Platz besiedelt und bestellt habt, wir rufen euch an. Schon bald wird dieses, euer Land überbaut. Wir möchten uns für die Störung eurer Ruhe entschuldigen. Gleichsam bitten wir euch zu bleiben und dieses Land auch weiterhin zu schützen. Die Menschen in unserer Stadt benötigen euren Schutz. Ihnen liegt viel daran, mit euch diesen Ort zu teilen."

    Viele Augenpaare richteten sich auf die dicke Rauchwolke. Wie würde die Antwort der verstorbenen Seelen ausfallen?

  • Lurco war ebenfalls zur Weihe angetreten. Begleitet wurde er nicht nur von seinen Barackenbrüdern, sondern er hatte auch die jungen Tirones mitgenommen. Eine Erfahrung, die ihnen einen Vorgeschmack davon geben sollte, was es hieß ein Urbaner zu sein. Ruhig und andächtig standen sie dort und schauten dem Ritual zu, was für sie alle vollzogen wurde.


    Auf der einen Seite von Lurco standen seine Barackenbrüder.

    Kaeso Rufius Ramnus
    Potitus Sittius Pullus
    Faustus Ateius Quietus
    Iullus Tillius Stilo
    Cossus Maecius Tarpa
    Galeo Sentius Asper


    Auf der anderen seine Tirones in Ausbildung.

    Titus Sempronius Carus

    Marcus Sittius Crus

    Decimus Nummius Myrtilus

    Sisenna Postumius Dolabella

    Spurius Plancius Phormio

    Iullus Tettius Natalis


    Für einen Moment schaute Lurco zu Scato hinüber, er war stolz auf das, was Scato erreicht hatte. Und dennoch, eine gewisse Wehmut lag in dem Ganzen, dass Scato nicht bei seinen Barackenbrüdern stand, sondern nur bei anderen Kameraden.

    "Als erstes zelebriere ich ein allgemeines Rauchopfer. Es soll nicht nur den Götter und Geistern gefallen, es soll auch uns Menschen daran erinnern, dass die heutige Zeit eine entheiligte Zeit ist, in der Bäume, Sträucher und alle anderen Pflanzen fast nur noch als Sache angesehen werden. Zu viele Römer haben die Bedeutung der Götter und deren Huldigung vergessen. Wir wollen uns heute wieder der alten Traditionen erinnern und der Natur ein Stück nähertreten."


    Die Worte seines Praefectus rissen Lurco aus seinen Gedanken. Leider wandten sich einige von den Göttern ab, jeder Einzelne war eine Person zu viel. Und manch anderer erachtete nicht nur die Natur und alles was dort lebte als Sache, manche betrachteten auch Menschen als Gegenstände. Deshalb standen sie hier, um für etwas einzutreten und um an etwas zu erinnern. Etwas das niemals vergessen werden sollte. Er hoffte die jungen Tirones würden ebenfalls über die Zeremonie und die Worte nachdenken.


    Die Menschen Roms benötigten Schutz, den weltlichen gewährte die Cohortes Urbanae. Den Schutz auf anderer Ebene sicherten Götter und Geister und ihre Entscheidung wurde abgewartet.

  • Unter den Zuschauern befand sich auch Sempronius. Er kannte Veranstaltungen wie diese, aber anders als in früheren Zeiten stand er bei der Militäreinheit, wobei er keiner Pflicht nachkommen musste. Auch als Tiro zählte er zu den Zuschauern, ebenso seine neuen Kameraden. Er beobachtete die letzten Vorbereitungen und registrierte, wie immer mehr Menschen herbeiströmten. Das öffentliche Interesse an der Bauplatzweihung war groß, was eine Spannung am zukünftigen Bauplatz erzeugte. Ein Tuscheln und Raunen erfüllte den Platz, bis Ruhe geboten wurde. Das Publikum um Mithilfe bei der Ansprache an die Götter und Geister zu bitten, kannte er und er wusste, dass es nie schadete, wenn möglichst viele Leute die Bitten unterstützten. Das bedeutete allerdings, dass auch er den Kopf bedecken musste, denn kein Betender, niemand, der vor die Götter trat, durfte dies mit unverhülltem Haupt tun.

    Der Ritus nahm seinen Lauf und als die ersten Rauchsäulen aufstiegen, wurde sichtbar, dass die Götter gewillt waren zuzuhören.

  • In der Phase, wo die Wünsche und Bitten der Menschen per fumum Richtung Himmel aufstiegen und der Rauch die Verbindung zu den Göttern und Geistern herstellte, herrschte andächtiges Schweigen auf dem Platz. Da kein Windhauch aufkam, der den Rauch zu Boden drückte oder auch nur die Rauchsäule abknickte, durfte die Gesellschaft annehmen, dass ihrem Ansinnen Gehör geschenkt wurde. Und doch stand längst nicht fest, ob die Götter und Geister dem Anliegen der Bebauung gnädig gegenübergestanden, denn in einer Höhe von vier oder fünf Doppelschritten sammelte sich der Rauch und es zeichnete sich lange keine Richtung ab, in die diese unglaublich dicke Rauchwolke entschweben wollte. Es schien, als wären die ehemals hier Lebenden selbst unschlüssig, ob sie der Anfrage der hier Versammelten nachgeben sollten. Doch dann, endlich, lösten sich erste Rauchfetzen und zogen gen Himmel. Weitere folgten und schließlich stiegen die Schwaden in einer leicht gekräuselten Säule nach oben.

    Ohne Verzug folgten die Vorbereitungen für die Opferung an die Göttertrias, die als Zeuge für die Weihe des Bauplatzes und die soeben gegebene Zustimmung der Genii Loki diente. Der Praefectus Urbi traf im Vorfeld seine Wahl, welche drei Götter er anrufen wollte, und entschied sich für Iupiter, Quirinus und Mars - die altrömische Göttertrias. Nicht ohne Grund griff Menecrates auf diese drei männlichen Götter der Frühzeit zurück. Zum einen gab er immer wieder dem Bedürfnis nach, alte Traditionen aufzufrischen, und zum anderen bauten sie auf diesem Grund eine Castra, in der Soldaten stationiert sein würden. Er wählte den Gottvater und zwei Kriegsgötter aus. Der Hügel Quirinal, an den westlich der Campus Martius grenzte, trug zudem den Namen des Quirinus und genau hier würde die Castra Urbana einst stehen.


    In jede der drei kleineren Opferschalen gab Menecrates Getreide und Mola Salsa, beobachtete die Rauchentwicklung und öffnete zum Gebet die Handflächen nach oben.

    "Iupiter – Vater der Götter und Menschen, Regent des Weltalls. Du, der die höchste Macht, Weisheit und Gerechtigkeit besitzt. Du ordnest den Wechsel von Tag und Nacht und den der Jahreszeiten an, dir gehorchen die Winde, du sammelst und zerstreust die Wolken und lässt den fruchtbaren Saatregen auf die Felder und Fluren herabströmen. Doch du bist nicht nur höchster Herrscher im Donnergewölk, du nimmt dich auch den Menschen an.

    Mars – Schutzgott unseres Staates neben Iupiter. Wir, die Soldaten Roms, Söhne des Mars, rufen heute auch dich an. Nicht, weil wir in eine Schlacht ziehen und deine Wachsamkeit über unser Leben begehren. Auch nicht, weil wir dir Kriegsbeute darbringen wollen. Zeuge sollst du sein bei diesem unblutigem Akt der Besänftigung der Genii Loki.

    Quirinus – Anverwandter des Mars, sein alter Ego, als der du gesehen wirst. Einst großer Kriegsgott Roms und die Bürger Roms werden in Anlehnung an dich als Quiriten bezeichnet. Auch dich bitten wir als Zeuge."

    Mit einer Körperwendung nach rechts schloss er die Bitte ab, sprach noch einige Worte über seine Frömmigkeit und gelobte Sorge zu tragen, dass die römischen Götter stets geehrt werden würden, solange er das Amt des Praefectus Urbi innehatte, und er mit aller Macht gegen Gotteslästerer vorging, wozu diese Castra ebenfalls dienen würde.


    Die Opfergaben schmolzen in den Schalen dahin, dünner und dünner wurden die Rauchsäulen. Manch Funken sprang aus dem Kohlebecken, manch Rußpartikel flog durch die Luft, doch unbeirrt stieg der Rauch auf.

    Im Ergebnis wurde das Opfer angenommen, die ehemals hier lebenden Wesen zeigten sich dem Vorhaben gegenüber geneigt, die Göttertrias kam der Bitte nach Bezeugung nach. Der Akt war vollbracht und die Weihe abgeschlossen.

  • Die Opferung an die Geschöpfe der Natur gefiel Scato, der seinen Kräutergarten und seinen Granatapfelbaum ebenso liebte wie seinen Pfau, die Singvögel und Onkel Stilos Tauben, die das Atrium der Casa Leonis in einen Ort des Lebens verwandelten. Eigentlich wünschte er sich noch Seerosen und Fische für das Impluvium, allerdings hatte Terpander sich bislang erfolgreich dagegen gesträubt, der das Regenwasser als zu wertvoll erachtete, um es mit "Viehzeug", wie er es nannte, zu verderben. Da ertrug er lieber die Mücken, die sich aus den abertausend Mückenlarven im Sommer entwickelten. Immerhin freuten die Singvögel sich über die willkommene Nascherei.


    Als die drei Rauchopfer angenommen wurden, spürte Scato einen tiefen inneren Frieden, der sich warm in ihm ausbreitete.


    Unter den Zuschauern entdeckte Scato Lurco mit seinen neuen Tirones. Auch die Barackenbrüder wohnten dem Opfer bei. Scato grinste herüber und grüßte in einer entspannten Weise, die es unmöglich machte, den Gruß mit irgendeinem Kommandozeichen zu verwechseln.


    Als Scato sicher war, dass nun nichts mehr schiefgehen konnte, meldete er sich kurz bei Sextus ab und schlängelte sich herüber zu Lurco. "Na?", grüßte er und knuffte ihn etwas weniger stark und dafür länger, als das sonst üblich war. Die Faust rutschte sozusagen an Lurcos Schulter entlang. Dann wandte er sich den Tirones zu. "Wie hat er sich gemacht? Hat er sich auch gut benommen?"


    Natürlich erwartete er, dass die Tirones ihren Ausbilder nun über den grünen Klee lobten. Es sei denn, die Frischlinge waren schon selbstbewusst genug, einen derben Scherz auf Kosten ihres Vorgesetzten zu machen. Scato hatte sich selbst schon einiges anhören müssen. Als Optio war man zu nah an der Basis, um eine Aura der Unnahbarkeit zu verströmen. Die Unteroffiziere waren wie die großen Brüder der Soldaten, einschließlich der garstigen Witze, die sie manchmal von den billigen Plätzen ertragen mussten. Gegenüber einem Centurio würde die Sache schon anders aussehen und alles, was einen roten Streifen trug, war geradezu gottgleich.


    Scato genoss diese dienstliche Nähe zu den Soldaten, während Lurco gerade alles dafür tat, sich von ihnen zu entfernen. Wenn seine Karrierewünsche sich erfüllten, würden seine Barackenbrüder keine Brüder mehr sein und Tirones sah er dann nur noch als Masse im Ganzen. Seine Ziele waren höher, größer als die von Scato.

  • Götter und Geister waren ihnen hold was den Platz für die neue Statio anging. Die Trinität die angerufen worden war, entsprach all dem, was einem guten Urbaner berührte. Mars würde seine schützende Hand über sie halten, heute wurde er um sein Wohlwollen gebeten. Die Opfer waren bereits dargebracht worden. Ohne Ritual, auf alte und urtümliche Weise. Quirinus und Iupiter hatten die Opfer sicher ebenso bemerkt. Doch es war Mars, den Lurco besonders ehrte. Wie konnte man von einem Krieger zum anderen Beistand erwarten, solange man selbst nicht bereit war, für seine Prinzipien und Schwüre aufzustehen und zu kämpfen? Er hatte gekämpft, er hatte gelitten, er hatte geblutet und er hatte die Opfer dargebracht.


    Gleich wie jene über ihn urteilten, die von seiner Tat wussten, Mars hatte die Opferung akzeptiert. Denn nicht umsonst zeigte er sich heute der neuen Statio wohlgesonnen. Viel hatte geschehen müssen, um das Wohlwollen ihres Gottes zurückzugewinnen und seine Tat war ein Teil davon. Das wusste Lurco mit felsenfester Überzeugung.


    Scato gesellte sich zu den Barackenbrüdern, seinen Tirones und ihm. Lurco schmunzelte seinen Schatz freundlich an und genoss das freundliche Knuffen. Er tippte kurz auf die Anhänger von Sacto, als sich dieser bei seinen Schützlingen nach ihm erkundigte.


    "Oh wir können nicht klagen Optio Iunius, dafür sind wir meist viel zu geschafft", lachte Crus, der jüngere Bruder von Pullus, was die anderen ebenfalls kichern ließ.

  • Sempronius gehörte zu jenen Personen, die viel beobachteten, aber wenig redeten. Während der Opferzeremonie war dies ohnehin angebracht, aber im Alltag verhielt er sich ebenso. Rückblickend auf die kurze Zeit innerhalb der Castra, in der zwischen der Tauglichkeitsuntersuchung mit anschließender Vereidigung und dieser Grundstücksweihe nur ein Einkaufsbummel und die Begehung der verschiedenen Einrichtungen in der Castra Praetoria lag, traf er bei nahezu jeder Gelegenheit den Optio Iunius. Sempronius schlussfolgerte daraus, dass dieser Optio entweder besonders wichtig und deswegen allgegenwärtig war, oder eine Affinität zwischen ihm und seinem Ausbilder bestand, die dafür sorgte, dass die beiden ständig die Nähe zueinander suchten. Er nahm sich vor, die Angelegenheit im Auge zu behalten.

    Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, sich im Hintergrund zu halten, äußerte er sich zu der Nachfrage des Optio aus dem Valetudinarium, ihren Ausbilder Cornicularius Purgitius betreffend. "Bisher hat er sich gut benommen, ja." Mehr als der Einführungstag lag allerdings nicht hinter den Tirones, daher konnten sie keine Aussage zur Ausbildung selbst treffen, denn die begann mit dem Übungsmarsch erst nach der Grundstücksweihe.

    Sempronius hätte gern mehr berichtet, aber dafür war es zu früh. Wer ihn fragte, konnte stets mit einer ehrlichen Antwort rechnen.

  • Lurco schmunzelte Scato an und schaute einen Moment später dem Rauch nach, der zu den Göttern empor stieg.


    "Da hörst Du es Scato. Noch kein Grund zur Klage. Das wird sich sicher bald ändern, sobald es an die Gewaltmärsche oder anderen leiblichen Ertüchtigungen geht. Die Götter und Geister waren unserem Anliegen hold. Hoffen wir, dass sie ihre schützenden Hände über diese Statio halten", sagte Lurco leise.


    "Das werden sie ganz sicher Cornicularius Purgitius", flüsterte Tettius Natalis von dem Ritual ergriffen.

  • "Na, dann ist ja gut", gurrte Scato, weil Lurco ihn so herzlich anschmunzelte. So drehte er sich rasch weg. "Sicheren Dienst noch", rief er, "bleibt anständig" und marschierte zurück zum Personal des Valetudinariums, um ihnen zu sagen, dass sie zusammenpacken sollten.


    Die Weihe war zu Ende und die Menge begann sich bereits zu zerstreuen.


    Niedlich, diese Tirones. Nicht unbedingt der Sinn der Sache, aber man musste die doch einfach liebhaben, so lange sie jung und lieb waren. Bald würden sie alles, was Rom nicht brauchte, in Grund und Boden stampfen, würden biestig und bissig werden, narbig, faltig und grau.

  • Die Gruppe Tirones befand sich auf dem Weg zur Castra Urbana, als Merula in einem vom Corni unbeobachteten Moment Mettius in die Seite knuffte. "Wie fandest du das vorhin?" Er flüsterte, um nicht von anderen gehört zu werden. "Hat der Corni einen auf den Deckel bekommen, oder warum erklärt der uns, dass die Ausbildung eigentlich anders läuft?"

    Mettius zuckte mit den Schultern. "Bestimmt nur als Information, damit wir es wissen."

    Merula kräuselte skeptisch die Lippen. "Wozu sollen wir das wissen? Ist unsere Ausbildung denn jetzt überhaupt vollwertig?"

    "Warum nicht?" Mettius blickte erschrocken, obwohl er überzeugt klingen wollte. "Spielt doch keine Rolle, wann was abgeleistet wird." Er atmete tief durch und beruhigte sich damit selbst.

    Die nächsten Straßenzüge liefen sie schweigend. Der Marsch stellte keine sonderliche Herausforderung dar, obwohl sie zügig liefen und vom äußersten Osten bis weit über die Mitte Roms gelangen mussten, um den Boden der Castra Urbana betreten zu können. Die Fläche war noch unbebaut.

  • Octavius war einige Zeit damit beschäftigt darüber nachzudenken, ob er seine Jungs mit dem Hinweis auf ihren Ausbildungsverlauf verunsichert hatte. Das Ergebnis war, er sah sich genötigt sie zu beruhigen.
    „Macht euch keine Sorge über eure Ausbildung“, begann er. „Ich habe es euch nur gesagt, damit ihr bei Nachfragen, eine Antwort geben könnt. Ihr wisst doch Gerede unter Kameraden. Da gibt es doch oft so
    Typen die Anderen, besonders Neulinge gerne Angst machen.“

    Mittlerweile an der Castra Urbana angekommen, wies er Mettius und Furius an den Weg in Richtung Norden einzuschlagen. Von der Via Flaminia auf die Via Aurelia. „Wir werden bis kurz vor Alsium marschieren und dann kehrt machen. Alsium liegt an der Mündung des Tibers und stammt noch aus der Zeit der Etrusker. Die Stadt ist ein Ferienort für Römer, sie haben dort ihre Villen.“

    Nach Meinung von Frugi, lagen sie gut in der Zeit und seine Jungs schienen kein Problem mit dem von ihm ein wenig angezogenem Tempo zu haben. Kurz vor Alsium kaufte er für jeden zwei Äpfel, an einem Bauernhof. Das war dann auch der Punkt, an den er den Befehl zur Kehrtwende gab. "Was denkt ihr schaffen wir es weit unter den vorgegebenen zwölf Stunden? Ich denke, ihr schafft das ganz bestimmt.“

    Sie schafften es, sie waren früh zurück. Am Tor zur Castra verkündete er vor dem Wegtreten. „Morgen habt ihr frei, ein Tag zum ausruhen. Denkt aber daran ihr verlasst die Castra unter keinen Umständen. Ja und Übermorgen in voller Ausrüstung antreten. Vergesst die Verpflegung nicht. Wegtreten.“

  • Entweder konnte der Corni Gedanken lesen oder besaß einen siebten Sinn, denn er äußerte sich zu Merulas Bedenken. Die Erklärung leuchtete dem Furier ein und sie beruhigte ihn. Jetzt wäre er gewappnet, falls einmal Nachfragen oder Sprüche kämen und außerdem lief es sich ab diesem Moment wie von einer Last befreit leichter weiter.

    Sie trafen bei der Castra ein und erhielten eine neue Marschrichtung. Merula sah gen Norden und schon schritten Mettius und er auf der Via Flaminia entlang. Zu ihrer Linken floss der Tiber und am anderen Ufer erstreckte sich eine größere Anlage namens Horti Luculliani. Der Corni nannte als nächstes Ziel Alsium. Merula kannte Alsium nicht, wusste nicht wie weit es bis dorthin war, hatte sich auch bisher nicht mit den Etruskern beschäftigt, aber er merkte sich den Ort als Feriendomizil. Dann stutzte er. Sie liefen Richtung Norden, tendenziell - wenn auch nicht spürbar - bergauf und nicht bergab.

    "Cornicularius Octavius, die Mündung des Tiber kann unmöglich hier liegen. Hast du die Quelle gemeint?" Er blickte zu Mettius und verzog das Gesicht, weil er nicht einzuschätzen wusste, ob er wegen vorlauten Auftretens eine Strafe aufgebrummt bekam.

    Das Tempo zog an und er verkniff sich weitere Worte, bis sie den vorläufigen Endpunkt erreicht hatten und jeder zwei Äpfel in Empfang nahm. Anschließend ging es wieder zurück. Auf die Frage des Corni nickte Merula. "Das kommt darauf an, welche Schlenker wir auf dem Rückweg einlegen. In Form sind bestimmt alle."

    Weitere Abstecher blieben aus. Sie kehrten auf gleicher Strecke in die Castra zurück, wie sie diese vor Stunden verlassen hatten. Der zugesagte freie Tag löste allgemeine Freude aus, bevor sie zu den Quartieren gingen.

  • Cornicularius Octavius sah mit einem scharfen Blick auf Furius. „Da ist einer aber mutig geworden und widerspricht. Aber fast richtig, der Tiber mündet nicht dort, sondern wie wohl jedem bekannt ist in Ostia in die See. Du weißt doch aber auch, dass der Tiber im Apennin entspringt oder? Immer hin habe ich festgestellt, dass mein Gerede euch nicht langweilt oder gar einschläfert. Gut gemacht“ Als er später eine weitere Bemerkung des Furius hörte schmunzelte er, schade dachte er dabei, jetzt endlich am Ende taut er auf.

  • Da die neue Castra außerhalb des Pomerium lag, benötigte der Bau außer der Zustimmung der Genii Loki keinerlei Genehmigungen oder zusätzliche Weihen, sodass unmittelbar nach der Grundstücksweihe mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Im Unterschied zur Statio Urbana, die sich - durch die Bauweise am Rande der Subura angepasst - auf schmaler Grundfläche in die Höhe streckte, folgte die Anlage der Castra Urbana der für Kastelle üblichen flächigen Auslegung. Gleichzeitig unterschied sie sich von anderen Kastellen. Während die Castra Praetoria an jeder ihrer Seiten ein Tor besaß, war bei der deutlich kleineren Castra Urbana nur eines vorgesehen. Es lag im Westen und ermöglichte den Milites, mit wenigen Schritten auf die Via Flaminia zu gelangen, die wiederum unmittelbar ins Herz Roms führte. Die Lage und Anbindung der Castra an die Stadt stellte für zukünftige Einsätze einen deutlichen Vorteil dar, weil Unruhen schneller bemerkt und zeitnah bekämpft werden konnten.

    Die Seiten der Castra flankierten Wohnhäuser, was beim Bau der Fundamente noch nicht störte, aber nun beim Errichten der Außenmauer die Bewegungsfreiheit der Arbeiter einschränkte und eine besonderer Umsicht verlangte. Sicherlich wären hölzerne Palisaden handlicher gewesen, aber ihnen hätte ein Graben zur Seite gestellt werden müssen, was in freiem Gelände durchaus üblich war, sich auch bewährt hatte, aber hier in Stadtnähe nicht ging. Demzufolge standen die Arbeiter - viele davon Milites - nicht außerhalb des Castrageländes, während die Mauern hochgezogen wurden, sondern arbeiteten von innen. Manche kamen mit der unüblichen Arbeitsrichtung gut zurecht, andere fluchten. Alleine die Einmessung erfolgte von ungewohnten Punkten aus und die Pfähle für die Markierungen standen entweder in den Ecken beim Mauern im Weg, oder - falls sie doch außerhalb aufgestellt waren - mussten beim Wachsen einer Mauer weichen und fehlten daher ab einer gewissen Mauerhöhe. Messlatten ersetzten weggefallene Stricke.

  • Flatsch.

    Eine weitere Kelle grauer Mörtel landete auf der wachsenden Mauer. Ferox strich die Masse breit, setzte die schweren Steinquader darauf und rückte sie sorgfältig zurecht. Rechts und links von ihm taten Tarpa und Pullus das Gleiche, bis eine neue Reihe entstanden war. Mit Lot, Richtwaage und Zollstock prüfte Ferox danach die Form. Als ob er das nicht allein könnte, kommentierte jeder, der in der Nähe stand, das Gesehene. Ferox erwiderte die Anmerkungen, man fachsimpelte und tüftelte, korrigierte einige Kleinigkeiten. Nach einer erneuten Überprüfung des Resultats begann die Prozedur von vorn.


    Flatsch. Breitstreichen.


    Die Moral der Truppe war gut, das Mauern eine willkommene Abwechslung zum monotonen Wachdienst, dem enervierenden Sichern von Veranstaltungen und den endlosen Streifen durch die Stadt, bei denen man nie wusste, was einen erwartete. Die körperlich schwere, dreckige und für die Abkömmlinge ehrwürdiger Gentes eher banale körperliche Arbeit wäre vielleicht dazu geeignet, an ihrem Ehrgefühl zu kratzen, doch stattdessen empfanden sie dabei Freude, vor allem, weil man im Gegensatz zum sonstigen Dienst mit duftendem Mörtel matschen, die Dreckfinger an der Arbeitstunika abwischen und ausgiebig plaudern konnte. Die Freude an handwerklichen Tätigkeiten, die vielen der Männer zu eigen war, sorgte für ein ordentliches Maß an Motivation.


    Pech hatte einzig Asper, der mit handwerklichen Tätigkeiten nichts anfangen konnte. Sei es Absicht gewesen oder ein tragischer Unfall, ihm war gleich zu Beginn des heutigen Dienstes - Flatsch - ein Fladen Mörtel aus der Kelle von Ramnus auf den Kopf gefallen. In dem Versuch, mit den Fingern seine sonst penibel gepflegten Haare zu säubern, hatte er alles nur noch fester einmassiert und trug nun eine eigenwillig anmutende grau-braune Frisur, die sich im Laufe des Tages immer weiter verfestigte, was auch seine schlechte Laune zementierte.

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