Beim Eintreten sah Kassandra, wie Epicharis gerade einen Brief versiegelte und ging daher leise und stumm zu dem ihr zugewiesenen Stuhl. Ihre innere Anspannung und Nervosität war deutlich zu erkennen, denn sie setzte sich steif und aufrecht auf die vordere Kante das Stuhles. Beide Hände ruhten gefaltet in ihrem Schoß und die Finger zitterten leicht. Es war eben alles noch völlig neu und ungewohnt für Kassandra und sie hatte große Angst Fehler zu machen und dafür bestraft zu werden.
Bei wievielen Herren ich gedient habe ...? wiederholte sie die Frage leise. Anscheinend war Epicharis davon ausgegangen, dass sie eine erfahrene Dienerin gekauft hatte. Kassandras Angst, dass sie nun die Erwartungen nicht erfüllen könnte wuchs noch mehr. Trotzdem würde sie es nie wagen zu lügen. Sie holte tief Luft, schaute dabei auf ihre Hände und begann von ihrer Vergangenheit zu erzählen.
Ich ... ich ... habe noch keiner Herrschaft gedient, bis heute. die ersten Worte kamen sehr zögerlich und kurz blickte sie zu ihrer Herrin auf. ... aber ich kann viel ! Meine Eltern haben mir alles beigebracht. fügte sie schnell hinzu, um dann eine kurze Pause zu machen. Doch Epicharis schien ihr weiter zu zu hören und so sprach sie weiter.
Ich bin die Tochter einfacher Bauern aus Zypern. Meine Eltern haben ein wenig Land in der Nähe von Paphos, das sie bestellen. Bis vor wenigen Wochen lebte ich noch dort zusammen mit meinen vier Brüdern. wieder waren die Erinnerungen an das Erlebte da als wäre es gestern gewesen. Die Ernte war dieses Jahr nicht besonders gut und so konnte mein Vater nicht die geforderten Abgaben bezahlen. Da haben mich die römischen Steuereintreiber einfach mitgenommen. Sie hatten mir nur gesagt, dass ich von nun an dem römischen Staat gehöre und ich als Sklavin in Rom verkauft werde.
Wieder machte Kassandra eine Pause. Sie hatte versucht nur das Nötigste zu erzählen. Erstaunlicherweise war sie dabei nicht in Tränen ausgebrochen. Und das war gut so, denn sie wollte keinesfalls, dass es so aussehe als würde sie Mitleid erregen wollen.
Alles was ich kann, haben mir meine Eltern beigebracht. nun klingt ihre Stimme sogar ein bischen stolz. Ich kann nähen, kochen, alles das was in einem Haushalt anfällt. Auch weiss ich von meinem Vater, wie man das Land bestellt und Tiere hütet. nun werden ihre Augen doch etwas feucht, als sie die Gesichter ihrer Eltern und Geschwister im Geiste vor sich sieht. Und ich kann lesen, schreiben und rechnen ... auch in Latein. Meine Eltern wollten immer, dass ich einmal einen besonders guten Ehemann bekomme. Dafür schickten sie mich zur Schule und liesen mich auch all die Dinge lernen, die sonst nur Töchtern reicher Gutsherren vorbehalten war.
Wieder blickte sie zu Epicharis auf und um ihr zu zeigen, dass sie nicht mit ihrem Schickssal hadern sondern sich Mühe geben wollte, endete sie mit den Worten. Herrin ! ... meine Eltern lehrten mir aber auch Demut und Gehorsam. Ich lerne schnell und will Euch eine folgsame und treue Dienerin sein.