Es war ein langer Tag unter langen Tagen gewesen - und als sie schließlich Zeit fand, durchzuatmen, stellte die Keltin fest, dass der Schmerz, den sie den ganzen Tag unterdrückt hatte, weil es so viel zu tun gegeben hatte, mit aller Macht zurückkehrte. Er war fort. Einer neuen Aufgabe zustrebend, an einem anderen Ort in der Ferne, im Norden - und sie war noch hier, ihre Sachen ebenso gepackt, weil ihr Abschied von Rom desgleichen noch bevorstand. Würde sie ihn wiedersehen? Konnten sie sich noch einmal in den Armen liegen, gegenseitig wortlos beteuernd, wie sehr man für den anderen empfand? Mit seinem Fortgang schien die villa Aurelia seltsam leer geworden, und dass Siv und einige andere der Sklavinnen, mit denen sie sich angefreundet hatte, mit ihm gegangen waren, machte die Sache nicht einfacher. Die Stille der villa war nahezu unerträglich für Cadhla, und als sie die Tür zu ihrer kleinen Kammer öffnete, erwartete sie dort nur weitere Stille und Dunkelheit. Schweigend zündete sie die schäbige Öllampe an, die ihr erlauben würde, ihre Schreibkünste auch am Abend noch zu üben, aber sobald der Lichtschein über die Einrichtung geflackert war, wusste sie, bevor sie es genau erblickte, dass etwas anders war als sonst. Etwas lag auf ihrem Bett - und für einen flüchtigen Moment fürchtete sie, es sei der Besitz eines der Herren, der ihr untergeschoben worden war, um sie des Diebstahls zu bezichtigen.
Der Holzkasten war aber schlicht genug, um ihre Befürchtungen zu zerstreuen, und als sie ihn öffnete, wusste sie sofort, von wem er war. Schreibzeug. Das einzige Mittel, Gedanken und Sehnsüchte zu teilen, wenn man es wollte. Das einzige Mittel, das ihm und ihr geblieben war, sich bisweilen zu verständigen - und er hatte daran gedacht, sogar das ein oder andere für sie speziell anfertigen lassen. Ein eigenes Siegel sogar ... staunend strich sie mit den Fingerkuppen über den Siegelstempel, betastete das glänzende Metall, als sei es etwas außergewöhnliches, besonderes, einzigartiges. Letztendlich war es das sogar, denn das war sicher nichts, was man einem Sklaven sonst schenkte, sie hatte ihren Herrn mehrfach gesehen, wie er sein Siegel setzte, und kein Sklave in der villa besaß so etwas.
Dann ertastete sie jenen Lederriemen, an dem der silberne Anhänger befestigt war, und endlich rollten die Tränen, die sie seit Tagen immer wieder hatte herunterschlucken müssen. Ein Zeichen ihres Volkes - der keltische Knoten - und eines seiner Familie, das Wappen, das sie zu hassen und doch zu schätzen gelernt hatte, in einem Silberstück vereint, welche seltsamere und doch passendere Symbiose hätte es sonst geben können? Still saß sie auf ihrem einfachen Bett und weinte, ohne dass man es hätte hören können, lautes Schluchzen war nie ihr Fall gewesen.
Und Tränen des Glücks und Schmerzes zugleich hatten zumeist ohnehin die Gewohnheit, ungehört zu tropfen. Langsam legte sie sich den Lederriemen um und verbarg das Silberstück unter der tunica, sodass kein neidisches Auge auf dieses Zeichen seiner Liebe blicken konnte - oder irgendwer Fragen stellen würde. Dann wischte sie sich energisch die Tränen aus dem Gesicht, schloß das Kästchen wieder und schob es so weit unter ihr Bett, dass man es nicht sofort sehen würde, wenn man den Raum betrat. Dann legte sie sich auf die Strohmatratze, schloss die Augen und rief sich das Bild Ursus' in Erinnerung, wie er gelächelt hatte, als er still neben ihr gelegen hatte, nachdem sie sich das erste Mal gehört hatten ... seine Gedanken begleiteten sie also noch, und die ihren gehörten jetzt, da sie alleine war, ihm alleine.