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Das Rätsel um Tillas Herkunft löste sich langsam und gleichzeitig wurden so viele neue Fragen aufgeworfen. Zu viele, um sie alle hier und jetzt in Ruhe zu beantworten. Das wussten Esther und auch Hektor, der immer noch neben dem Eingang stand und Pumilio auf dem Arm hatte. Er hatte zum Aufbruch gedrängt, doch Tilla war diejenige die als Erste handelte. So schnell und unerwartet, dass die beiden Erwachsenen völlig überrascht wurden und ihr kaum folgen konnten. "Tilla nein… TILLA NICHT, BLEIB STEHEN!", schrie Esther nach Sekunden der Starre ihrer Tochter hinterher. "Hektor, tu doch was. Lauf ihr nach!… Halt sie auf, nun mach schon", keuchte Esther völlig atemlos, wie sie auf den Mann zu hastete und ihm den kleinen Jungen regelrecht aus den Armen riss.
Tilla war indes schon auf und davon geeilt , hin zu dem Altar, in der festen Absicht das Blutritual für Neith zu vollziehen. War sie nicht ganz bei Trost? Wie konnte sie nur so etwas verrücktes tun wollen … Doch sie konnte. Tilla erreichte den steinernen Altar als Erste und öffnete dort hastig die Wunden, sodass ihr Blut den kalten Stein benetzte. In dünnen Rillen floss der rote Lebenssaft über das kalkbleiche Gestein zusammen, um letztendlich über die Klippenkante hinab in das tosende Wasser zu tropfen. … Und? … War das nun die Erfüllung der Prophezeiung?
Zunächst geschah nichts, doch urplötzlich durchzuckte ein dumpfes Grollen die ganze Halle des Tempels und ließ jeden Stein und selbst das umgebende Felsmassiv im Mark erzittern. Ein Erdbeben? Nein! Anstatt zu verhallen, blieb ein unheimliches Grummeln, welches sich fortsetzte und langsam zu einem regelrechten Getöse anschwoll.
"Tilla? …Tilla! Was was machst du da? Hör sofort auf, bist du übergeschnappt!?", schrie Hektor gegen den Lärm an, als dieser die Halle endlich erreichte und er sah, was das Mädchen da mit ihrem eigenen Blut anstellte. Schon wollte der Grieche auf Tilla zueilen und sie retten, doch da fiel sein Blick nach oben zur Decke und was er da sah, ließ ihn augenblicklich erstarren. Aus den Ritzen zwischen den großen Deckenplatten rieselte unablässig Sand und schon löste sich einer von den schweren Steinen und krachte mit lautem Donner nach unten. Hart schlug die Steinplatte auf dem Boden auf, ehe sie mit einem lauten Knirschen kippte und über die Klippe hinweg nach unten in das tosende Wasser fiel. Sie verfehlte Tilla dabei nur um wenige Meter, wobei die hochspritzende Gischt das Mädchen voll traf und völlig durchnässte.
"Tilla pass auf! … Bei allen Göttern, was passiert denn hier?"
"Neith diese Wahnsinnige. Sie tatsächlich den Mechanismus in Gang gesetzt", rief Esther hinter ihm völlig außer Atem als sie, mit Pumilio auf ihren Armen, ebenfalls in die Halle getorkelt kam. Keine Sekunde zu spät, denn schon fiel hinter ihr der Gang zusammen. Die Ägypterin wollte sofort zu ihrer Tochter eilen, doch eine weitere Deckenplatte bohrte sich mit lautem Getöse zwischen sie, Hektor und Tilla und verhinderte dies zunächst.
"Welchen Mechanismus denn?", wollte Hektor wissen, während er zusammen mit Esther und Pumilio hastig über einen Schutthaufen hinweg kletterte.
"Oh nein, Tilla … gib auf die Decke acht, sie stürzt gleich ein! … Das ist der Mechanismus, der den Tempel vor Räubern schützen soll. Der ganze Tempel wird einstürzten und alles unter sich begraben. Die unterirdische Quelle wird gestaut und das Wasser wird die Hallen hier überfluten… Das ist es was auf den Hieroglyphen geschrieben steht. Neith hat sie - im Gegensatz zu mir - nur falsch gelesen und stets geglaubt eine Sintflut wird über das ganze Land kommen. Pah, dabei werden nur diejenigen sterben, die diesen Tempel entweihen wollen, so wie Neith … ", die erklärenden Worte sprudelten nur so aus Esther heraus, wobei sich ihre Stimme aus Angst und Sorge um Tilla fast überschlug. Sie hatte es all die Jahre gewusst und Neith die Wahrheit verschwiegen und jetzt sollte es für sie alle zum Verhängnis werden.
"Na toll! Und gibt es wenigstens einen Fluchtweg?? … Wenn ja, sollten wir diesen schnellstens suchen!", schrie Hektor gegen das stete Donnern zurück.
"Es gibt …"
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"Es gibt keinen Ausweg für euch, ihr unseligen Kreaturen. Außer mir und meinem Gefolge wird niemand die kommende Sintflut überleben", fiel Neith mit schriller Stimme Esther ins Wort. Mit fliehenden Gewändern kam die selbsternannte Göttin in die Halle gestürmt, ihr Blick starr auf Tilla gerichtet und das Gesicht zu einer lachenden Fratze verzerrt. Die herabfallenden Gesteinsbrocken schienen die Meduse gar nicht zu beeindrucken, sie sah nur das Mädchen dort neben Altar knien und wähnte den Triumph und den Sieg bereits ganz auf ihrer Seite. "Jaa Tilla, gut so! Gib dein Leben für mich hin, damit die Prophezeiung Wirklichkeit wird und ich auf ewig leben und herrschen kann!"
"Oh nein, da ist die Irre wieder! … Tilla pass auf hinter dir", versuchte Hektor das Mädchen zu warnen, da er erneut einem Felsbrocken ausweichen musste. Es war wie verhext. Während sie kaum vorwärts kamen eilte Neith mit einer Leichtigkeit durch das Chaos hindurch zum Altar hin.
"Neith du Scheusal, lass endlich meine Tochter in Ruhe!", schrie Esther zur gleichen Zeit ihren ganzen Hass gegen diese Frau heraus. Mit einem beherzten Sprung überwand sie einen Geröllhaufen und hätte beinahe Neith zu fassen bekommen, als … ein weiterer Gesteinsbrocken sie in letzter Sekunde zum Ausweichen zwang.
Es war zu spät! Neith hatte Tilla inzwischen erreicht. Mit schrillem Gelächter zog die Göttin einen langen Dolch unter ihrem roten Gewand hervor und versuchte damit sofort auf Tilla einzustechen. Was dann geschah entzog sich allerdings den Blicken von Hektor und Esther, da der herab rieselnde Staub, wie ein Vorhang die skurrile Szene verbarg. Erstals dieser Vorhang sich langsam wieder öffnete wurde es schreckliche Gewissheit, dass Tilla und Neith wie vom Erdboden verschwunden waren.
"Bei allen Göttern, wo sind sie hin?", versuchte Hektor zu begreifen was eben geschehen war, allerdings blieb ihnen nun nicht mehr viel Zeit um irgendetwas klar zu durchdenken. Immer mehr Steinplatten polterten auf den Boden und in diesem ganzen Chaos standen er, Esther und Pumilio wie verlorene Figuren in einem göttlichen Spiel.
Doch was tat Esther da? Die Frau hob den kleinen Jungen auf und lief mit ihm direkt auf die Klippe zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen rief sie nur: "Vertrau mir Hektor … und spring! Das ist der einzige Ausweg …. " Dann war sie auch schon über den Rand der Klippe hinweg und mit einem letzten Aufschrei in dem tosenden Wasser verschwunden.
"Springen?" Hektor konnte es nicht fassen. Tilla war verschwunden und Esther war mit Pumilio einfach in die Schlucht gesprungen und vom Wasser in die Dunkelheit fortgerissen worden. Was hatte er noch zu verlieren? Sein Ende war ohnehin besiegelt. Ein letzter Blick zurück erfasste das ganze Ausmaß der Zerstörung. Von der Tempelhalle war so gut wie nichts mehr übrig, nur noch übereinander fallende Steine, die alles unter sich zermalmten und das Wasser der unterirdischen Quelle langsam aufzustauen begannen. Erschlagen werden oder ertrinken, was wäre wohl der angenehmere Tod?
Hektor sprang! Hinab in die dunklen Wassermassen, die in sofort umschlangen und fort trugen. Tief unter dem Gestein wurde er hindurch gespült, doch nicht den Tod hatte der Grieche dabei vor Augen sondern ein fahles Licht, welches rasend schnell auf ihn zukam. Es wurde immer heller und als es am hellsten war, glaubte Hetkor sogar zu schweben. …Hektor schwebte sozusagen aus dem dunklen Schlund der Quelle heraus, die just an dieser Stelle das Felsmassiv durchbrach und in einer kleinen Oase mündete die hier von dem Felswasser gespeist wurde. Hustend und prustend ruderte Hektor an die Oberfläche, saugte frische Luft in seine Lungen und paddelte mit letzter Kraft auf das Ufer zu, an dem er verschwommen vier Gestalten erkennen konnte.
… Waren sie tot, oder lebten sie noch? … Gleich würde er es wissen. ...