Gratia gratis datur | Aedilicischer Alltag
Wie so häufig in diesem Jahre hatte Manius Minor an diesem Morgen auf seiner Sella Curulis sich platziert, um Petenten zu hören und ihre marktlichen Anliegen zu bearbeiten. Nach einigen Monaten im Amte hatte er sich an das unbequeme Mobiliar ein wenig gewöhnt, obschon noch immer er erleichtert aufatmete, wenn am späten Vormittag die Gepflogenheiten es ihm gestatteten, sich von selbigem zu erheben, um etwas zu sich zu nehmen und den Nachmittag mit internen administrativen Belangen, Gesprächen mit den Amtskollegen und imperialen Beamten oder gar persönlichen Kontrollgängen auf den Märkten der Urbs zuzubringen. Indessen war die inkommode Position nicht die einzige Unerquicklichkeit jenes Amtes, denn gleich seinen bisherigen öffentlichen Würden implizierte das Aedilat in besonders hohem Maße eine bisweilen recht gleichförmige, wenig fordernde oder gar reizende Arbeit, wenn etwa nichtige Strittigkeiten zwischen Krämern waren zu schlichten, wenn Genehmigungen waren auszustellen, zu denen der Flavius nicht viel mehr beitrug als den Entscheid seines juristischen Consilium durch den Aufdruck seines amtlichen Siegels zu konfirmieren oder gar noch war genötigt, sämtliche Parteien zu hören, um jene komplexen Verflechtungen in das bisweilen doch erschröcklich unterkomplexe Prokrustesbett des Marktrechtes hineinzupressen. Nicht selten war er hierbei genötigt, über die Nihilitäten der gemeinen Plebs die Nase oder die Stirne zu runzeln, fühlte er sich doch bisweilen geneigt, schlicht seinen Patrokolos anzuweisen, aus seinem privaten Säckel dem klageführenden Kaufmann die strittige Summe zu schenken, um nicht wegen derartiger Summen seine kostbare Zeit vergeuden zu müssen. Doch selbstredend folgte weiterhin er dem gefassten Vorsatze, sein Bestes zu geben, um zumindest zu versuchen, sich seiner Ahnen und Götter als würdig zu erweisen, sodass tapfer er ausharrte, so aufmerksam als ihm possibel war lauschte, beständig sein Consil um Rat fragte und stets höflich, doch entschieden seine Urteile verkündete.
Zu jenen Obliegenheiten zählte die Genehmigung von öffentlichen Spenden, die selbstredend insonderheit in der Zeit des Wahlkampfes von hoher Relevanz waren. So hatte auch Marcus Ovius Pullo, Candidatus für das Amt des Praetor Peregrinus, sich an diesem Tage dazu herabgelassen, den Aedilis Curulis aufzusuchen, um seine Getreidespenden genehmigen zu lassen, was insonderheit deshalb als heikel galt, als er bereits, um seine ökonomische Potenz zu demonstrieren, diverse Spenden hatte verteilen lassen. Für diese Genehmigung hatte Manius Minor daher den Kandidaten in persona vor seinen Stuhl zitieren lassen, da doch jene überschwänglichen Gaben den Argwohn eines traditionsbewussten Patriziers mussten erwecken.
"Ovius, ich danke dir für dein Erscheinen. Wie du mir brieflich liesest mitteilen, gedenkst du neuerlich einige Modii Getreide unter der Plebs verteilen zu lassen."
, eröffnete der Aedil das Gespräch mit dem formell ranghöheren, doch faktisch wohl bestenfalls ebenbürtigen Senator, dessen Stammbaum weitaus bescheidener ausfiel als jener der Flavii. Dennoch erwiderte er nicht ohne Hochmut:
"Und was sollte dagegen sprechen? Als Senatoren ist es unsere vornehmste Pflicht, für die Belange der Plebs zu sorgen!"
Manius Minor legte nachdenklich den Finger ans Kinn, als er jene altruistischen Motive vernahm, die einem gewesenen Tribunus plebis zweifelsohne wohlanstanden, doch letztlich nur verdeckten, dass der Eindruck mochte entstehen, Pullo wolle die Wahl durch schiere ökonomische Potenz entscheiden.
"Nun, bereits bei den letzten Nundinae wurden von deinen Leuten 50 Modii verteilt, ebenso eine größere Weinspende. Selbstredend spricht grundlegend nichts gegen deine Freigiebigkeit, indessen bereitet es den Getreide- und Weinhändlern nicht sonderliche Freude, wenn allzu große Mengen an Waren kostenfrei abgegeben werden."
"Ich verstehe nicht, warum Großzügigkeit so verstanden wird. Du weißt du wie ich, dass es genügend Bürger hier gibt, die sich ohnehin nicht genügend Brot leisten können. Ihre Unterstützung als Angriff auf den gerechten Lohn der Händler auszulegen, erscheint mir zynisch!"
Der Flavius hatte weder sonderliches Mitleid für die stadtrömische Plebs, welche an den Rockschößen der Annona hing und sich die Zeit lieber mit dem Umherstreifen auf dem Forum vertrieb als mit ehrlicher Arbeit, noch hegte er größere Sympathie für die übertrieben-demonstrative Freigiebigkeit des Kandidaten, der damit ja immerhin Standards setzte, an denen früher oder später auch er als Spross einer etablierten Familie würde gemessen werden.
"Dennoch sieht die Lex Mercatus vor, die öffentlichen Spenden zu limitieren, weshalb sie durch meine Person zu genehmigen sind, respektive in der von dir angestrebten Höhe durch beide Aedilen. Ich habe deinen Fall bereits mit Lucretius Carus erörtert und wir sind überein gekommen, dass deinerseits im vergangenen Monat hinreichend Korn gespendet wurde, da dadurch, verbunden mit den bereits stattfindenden Spenden der übrigen Kandidaten, doch ein erheblicher Eingriff in den Markt würde erfolgen."
Ovius Pullo kniff seine buschigen Augenbrauen zusammen.
"Ein erheblicher Eingriff in den Markt?"
"Nun, würde jeder der Kandidaten derart verschwenderische Gaben verteilen, so würde dies die Brotpreise drücken, von denen, wie dir zweifelsohne bekannt ist, wiederum rechtschaffene Bürger leben."
Dass die Getreidespenden auch nicht allein an die Ärmsten, sondern vielmehr an die Dreistesten gingen, welche sich bei derartigen Gelegenheiten vorzudrängen pflegten, ließ er unerwähnt.
"Pah! Ich wette, dass keiner meiner Konkurrenten den Wohlstand und den Willen besitzt, die Plebs in ähnlicher Weise zu beschenken! Insofern ist keine Gefahr, dass die armen Bäcker ihren Schnitt nicht machen!"
Minor seufzte, obschon er bereits hatte geargwöhnt, dass der als streitbar geltende Ovius nicht leicht würde einlenken.
"Nun, diesbezüglich wäre ich nicht sicher, indessen ist es nicht akzeptabel, dass einer der Kandidaten das potentielle Kontingent an Getreidespenden aufbraucht, während anderen diese Möglichkeit damit entzogen wird."
"Flavius, du weißt so gut wie ich, dass das hier ein abgekartetes Spiel ist: Mein Konkurrent Sabinius fürchtet um seinen Erfolg, weil er ein geiziger Habenichts ist und mir nicht das Wasser reichen kann! Ich bin empört, dass er offensichtlich euch auf seine Seite gezogen hat!"
Innerlich zuckte der Aedil zusammen, als er jene spitzen Worte vernahm, da sich doch recht unverholen implizierten, er sei parteilich. Ein wenig straffte er sich auf seiner Sella Curulis und legte eine strenge Miene auf:
"Achte auf deine Worte, Ovius. Mein Amtskollege Lucretius und ich sind ausschließlich der Res publica und den Bestimmungen der Lex Mercatus verpflichtet und es liegt uns ferne, Einfluss auf die Wahlen zu nehmen!"
Pullo gab einen verächtlichen Laut von sich.
"Dann genehmigt gefälligst meine Spende! Auf die paar Modii kommt es doch nun wirklich nicht an!"
"Ich bitte um Verzeihung, Ovius, aber mir sind die Hände gebunden! In einem Monat wäre es möglicherweise wieder vertretbar, doch-"
"In einem Monat? Dann ist die Wahl gelaufen und Sabinius poliert bereits seine Sella curulis!"
er grinste.
"Ich gelobe, nach der Wahl für die nächsten zwei Jahre auf sämtliche Getreidespenden zu verzichten!"
War es bereits eine Unverfrorenheit, einem amtierenden Magistraten das Wort abzuschneiden, so missfiel dem Gracchen vor allem der spöttisch-respektlose Unterton des Petenten, sodass er noch einmal sich straffte und mit großer Bestimmtheit erwiderte:
"Ich wiederhole mich nicht, Ovius: Deine Spende ist nicht genehmigt! Einwände sind an den Praetor Urbanus zu adressieren!"
Pullo rollte mit den Augen und lachte freudlos auf.
"Das ist doch auch ein Parteigänger von euch! Da kann ich mich ja auch gleich an den Großkönig in Ktesiphon wenden!"
Erbost sprang Minor auf. Jene Provokation war zu viel!
"Hüte deine Zunge, Ovius! Ich vertrete hier niemandes Interesse und ich kann dir versichern, dass es auch dem Princeps, dem im Übrigen die Cura Annonae obliegt, missfällt, wenn ihm jemand ungefragt seine Arbeit strittig macht!"
Feindselig blickte Pullo hinauf zum Tribunal, von dem der dickliche Aedil drohend hinabblickte und zugleich ein wenig drollig wirkte. Dennoch winkte der Ovius nun endlich ab.
"Schon gut, schon gut. Dann verzichte ich auf meine Spende. Das Volk wird es dir danken!"
Mit diesen Worten und ohne einen Gruß wandte er sich um und verließ mit der Schar seiner Klienten die Basilica. Manius Minor blickte ihm nach. Ob er sich einen Gegner geschaffen hatte?