Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Die salbungsvollen Worte seines Vaters erweckten nun doch eine gewisse Kuriosität bei dem Knaben, der sich, noch immer gebremst durch die Mattigkeit seiner Glieder, aufrappelte, wodurch seine Decke etwas herabsank. Jenem winzigen Bündel Mensch sollte nun also seine Loyalität gelten, obschon Antlitz und Gebaren mitnichten von dem seiner Schwester Flamma divergierten, deren Wachstumsfortschritte er sich allerdings in diesem Augenblick gewahr wurde.
    Als das kleine Wesen indessen seine für die gesamte Körpergröße durchaus überdimensionierten Augen öffnete, verspürte auch Manius Minor ein gewisses Maß an Zuneigung und eine freundliche, geradezu lieblicher Blick fixierte den infantilen Leib, ehe jener inkonvenierliche Geruch von diesem zu verströmen begann, der auch an die Nase des älteren jungen Flavius gelangte und diesen mit Ungeneigtheit erfüllte.
    "Igitt!"
    kommentierte er die Tat seines kleinen Bruders schließlich und sah seinen Vater fragend an, ehe ihm in den Sinn kam, dass sich nun der Anlass bot, sich seines inzwischen mitnichten geliebten Kosenamens zu entledigen:
    "Eigentlich ist er jetzt Minimus, oder?"
    Schon erbot sich ihm die Imagination, fortan seinen diminutiven Namen gegen ein weitaus beeindruckenderes 'Maximus' zu tauschen, welche den Gedanken an das degoutierliche Geschäft des kleinen Titus verdrängte.

    Das Bangen perpetuierte sich neuerlich, während der Medicus sein Auge in Augenschein nahm. Zugleich entfachte sich mit der zunehmenden Dauer der Examination eine gewisse Unrast, ein Sehnen nach Absolution von der Ungewissheit, selbst wenn mit ihr die Prophezeiung von Blindheit verbunden sein möchte.
    Dann aber erfolgte die Diagnose, welche neuerlich eher geeignet war, ihn zu konfundieren denn Gewissheit zu schenken. Eine Sehschwäche? Wie er in den Mythen der Griechen erfahren hatte, kam es bisweilen dazu, dass alte Menschen ihr Augenlicht einbüßten, doch warum dies bei einem Knaben der Fall sein mochte, erschloss sich ihm nicht. Darüber hinaus mochte es sich ihm nicht erschließen, inwieweit ein Edelstein ihm bei seiner Fehlsichtigkeit Linderung verschaffen sollte.
    "Aber ich kann kaum mehr lesen. Werde ich dann nie den Cursus Honorum beschreiten können?"
    fragte er daher, da eben jene Perspektive, die ihm als einzige Option erschien, sich der parentalen Liebe und Zuneigung als würdig zu erweisen und der Familie zur Ehre zu gereichen. Sollte dieser Weg indessen sich ihm schließen, so mochte es geradezu gleich sein, ob er sein Augenlicht letztlich verlor oder nicht.

    Selbstredend war dem Knabe die Nähe der Geburt seines Bruders, welche ihn mitnichten derartig zu exaltieren vermochte, wie es bei Flavia Flamma der Fall gewesen war. In der Tat hatte ihn größte Sekurität bezüglich des Geschlechts dieses neuerlichen Geschwisterchens, welches ohne Zweifel neuerlich feminin sein würde und damit seine Hoffnungen auf ein Neues zu enttäuschen vermochte. Dessenungeachtet hatte ihm die Existenz seiner Schwester allerdings auch dargelegt, auf welch deplorable Weise ein derartiger Umstand dem Erstgeborenen die parentale Aufmerksamkeit zu entziehen vermochte, was ihm insonderheit bei seiner Mutter manifest geworden war, welche im Gegensatz zu Manius Maior stets größte Sorge um ihren Minimus offenbart hatte, nun indessen in den Augen Manius Minors konstant mit der Pflege ihres jüngsten, dann endlich ihres ungeborenen Nachwuchses beschäftigt schien.


    Dennoch ahnte der junge Flavius nicht, was ihm die Zukunft bringen mochte, als er inmitten eines süßen Traumes aus dem Reich des Morpheus gerissen wurde und im flackernden Schein einer irdenen Lampe das Antlitz seines Vaters identifizierte. Voller Konfusion blickte er hinauf in das vertraute Gesicht, dann erst wurde er des Bündels gewahr, welches sich in den Armen des älteren Flavius befand und ihn, verbunden mit den Mahnung von jenem, die Situation erkennen ließ.
    "Ein...ein Junge?"
    fragte er demgemäß, doch angesichts des Genus des Praenomen gänzlich unnötigerweise, noch voller Schlaftrunkenheit, die seinen Körper naturgemäß noch immer gefangen hielt, selbst wenn die Novität seinen Geist bereits beflügelte, sie rascher als gewöhnlich in ihre Schranken zu weisen. So schien es durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen, dass ein weiterer Knabe im Haushalt rascher als das Mädchen Flamma, welche lediglich Geräusche von größter Possierlichkeit für Manius Maior und Claudia, indessen keine sinnhaltigen Inhalte für Manius Minor boten, zu einem akzeptablen Spielpartner heranreifen mochte.

    Dem Medicus mochte, so er überhaupt eine dysfunktionale Wandlung im Sehapparat des Knaben zu erkennen vermochte, würde lediglich möglicherweise eine leichte Esotropie identifizieren, die von der hypermetropiebedingten stetigen Belastung des infantilen Auges herrührte, indessen erfreulicherweise bisher nur in geringem Maße vorhanden war. Dennoch war der Druck, den Iarets sorgsame Hände auf die Lider des jungen Flavius ausübten, durchaus für diesen unangenehm und erhöhten die Furcht, ihnen könne eine deplorable Devianz auffallen, welche seine stetige Erblindung offenbar werden ließ. Dessenungeachtet beantwortete Manius Minor nun jedoch jede der ihm gestellten Fragen, selbst wenn diese ihn bisweilen zu unpräzisen Aussagen hinreißen mussten.
    "Ja, manchmal. Aber eher tut mein Kopf weh. Sonst ist, glaube ich, alles normal."
    Die letzte, neuerlich gestellte Frage, brachte ihn indessen ins Sinnieren, da es ihm vielmehr einem Prozess gleich erschienen war, dessen Anfang ebenso undeutlich erschien wie sein Ende.
    "Möglicherweise vor einem Jahr. Ich weiß nicht genau."
    rang er sich schließlich ab, obschon es ihm nicht einsichtig erschien, wie eine derartig geartete Replik der Diagnose behilflich sein mochte.

    Jene Geschäftsmäßigkeit, mit der der Medicus sich an sein Werk machte, verwirrten den Knaben erstlich, doch gaben ihm kurz darauf ein Gefühl von Geborgenheit in der Hand eines Spezialisten, sodass er widerstandslos die Griffe an sich geschehen ließ und versuchte, das verschwommene Antlitz Iarets zu fixieren, als dieser seinen Kopf sanft anhob.
    Seine orale Erwiderung benötigte indessen ein wenig mehr Zeit, da sie ein Spintisieren über die Anfänge seiner Ametropie erforderte, welche durchaus einige Zeit zurücklagen.
    "Ich...ich weiß nicht genau. Zuerst hatte ich Kopfweh und war stets müde. Dann...habe ich nicht mehr richtig lesen können, denn die Buchstaben verschwammen. Meinen Magister am Ende des Raumes vermochte ich noch zu erkennen, doch trat er an mich heran, verschwamm auch er."
    Der Bericht erweckte neuerlich den Gram des jungen Flavius. Jene Abfolge unterschiedlicher Stadien, die sich stets ins Schlimmere wandten, ließ ihn kaum mehr an die Possibilität eines Auswegs glauben.
    "Manchmal, wenn ich mich sehr anstrenge, schaffe ich sogar, etwas nähere Dinge scharf zu sehen. Aber ich glaube, ich schaffe es immer weniger."
    Eine Quantifizierung der Abnahme seiner Sehfähigkeit, ebenso eine Nennung weiterer Auswirkungen vermochte Manius Minor indessen nicht vorzunehmen, sodass er stattdessen auf geradezu elegische Weise fragte
    "Werde ich erblinden?"

    Die Perspektive, jenen heutigen Abend bei einer abendlichen Gesellschaft mit den Tiberii, an deren Hochzeit vor kurzem der junge Flavius partizipiert hatte, zu fristen, hatte diesen mitnichten zum Jubilieren gebracht, da er sich bereits ex ante ausmalen konnte, welche ennuyanten Disputationen über Politik sie begleiten würden. Doch als Sprössling eines edlen Geschlechts und Filius eines Praetoriers war ihm keinerlei Alternative gegeben, denn auf eben jener Gesellschaft zu erscheinen und achtsam zu wirken, als erweckten die parentalen Themen sein lebhaftes Interesse. Jener singuläre Grund, welcher derartige Termine erfreulicher gestaltete, war wohl das Essen, das wohl weitaus reichhaltiger und wohlschmeckender als zu gewöhnlichen Anlässen sich gestaltete und dem Manius Minor wohl den größten Teil des Abends seine Aufmerksamkeit schenken würde.


    Als er das Triclinium betrat, vermochte er tatsächlich die Fremden mit geringer Anstrengung auszumachen und als Tiberius Durus und Aurelia Flora zu identifizieren, doch kaum war er näher getreten, verschwammen sie zu einer Gestalt mit graumeliertem Haar und einer Matrona, die lediglich anhand der Stimmen zu identifizieren waren. Der Knabe nahm an der Seite seines Vaters Platz und begrüßte die Anwesenden mit jenem freundlichen
    "Salvete!"
    dessen sich zu bedienen ihm Artaxias, sein Paedagogus, angemahnt hatte, um parentales Wohlwollen und den Anschein von Wohlerzogenheit für sich zu gewinnen.

    Während das parentale Gespräch von weiterem Nachwuchs, durch den der junge Flavius selbst, wie er durchaus erkannte, noch jenseits eines Randthemas positioniert wurde, hin zur Politik sich wandelte, was den Knaben mehr noch ermüdete als jedweder Versuch, seinen Blick für das genaue Umreißen eines Ringes in seiner Hand zu schärfen, versuchte er seinen Augen gewissen Müßiggang zu gewähren, indem er entfernte Punkte des Triclinium fixierte, wo es ihm möglich war, die Wandbemalung genauer zu studieren oder die Gaben, welche Sklaven bei ihrem behänden Wandeln zwischen den einzelnen Liegen zur rechten Stelle transportierten, zu identifizieren, um zur rechten Zeit die Hand heben zu können, wenn die von ihm favorisierten Leckereien Einzug hielten.


    Sehr hätte Manius Minor es indessen begrüßt, wenn zumindest diesmal ein Altersgenosse die Feier attendiert hätte, doch obschon er beim Eintreten ein an Größe äquivalentes Wesen von Ferne gesehen zu haben geglaubt hatte, vermochte er dieses nicht mehr auszumachen und es verblieb ihm neuerlich nur an der Seite seiner Eltern zu verharren, deren ennuyante Disputationen mit halbem Ohre zu verfolgen, während er im Übrigen seine Anteilnahme den in mundgerechte Happen zerteilten oder als Schaugerichte drapierten Köstlichkeiten zuwandte.

    Die Tränen des Knaben waren versiegt, ehe die Porta sich neuerlich öffnete und Sciurius in Begleitung eines Mannes von mediärer Anciennität in das Officium schlüpfte. Doch selbst wenn die Flüssigkeit von der väterlichen Tunica aufgesogen und neutralisiert war, barg der junge Flavius sein Antlitz noch in eben jener und hing düsteren Gedanken nach.


    Vorsichtig versuchte er indessen nun den Unbekannten zu fixieren, was ihm nach dem Nähertreten des Mannes ob seiner Fehlsichtigkeit nur schwerlich gelang, sodass Iarets Züge rasch aufs Neue verschwammen, sodass lediglich Stimme und Habitus des Medicus das Misstrauen des Knaben erregten. Getreulich dem paternalen Befehl folgend, begann er dennoch stockend und stammelnd zu berichten:
    "Ich...ich kann nicht richtig sehen! Wenn Dinge weiter weg sind, kann ich sie schon sehen. Aber was direkt vor mir ist, ist immer ganz verschwommen! Aber ich glaube, es wird schlimmer."
    Durchaus hatte Manius Minor jene Regelmäßigkeit zu erkennen gewusst und eben dies ermöglichte ihm auch ein Zurechtfinden in der sich ihm verschließenden Welt. Etwa konnte er so wenige Details herannahender Personen sich einprägen, konnte Geschenke identifizieren, ehe sie sich durch die große Nähe vor seinem Auge in eine indifferente, monokolorierte Masse auflösten und sich dennoch artig für sie bedanken. Trotz jener gewiefter Techniken schwang weiterhin die Furcht des Erblindens mit jedem Atemzug, den der Knabe tat, mit und ließ ihn nun voller Bedrückung und Kummer auf den Mosaikboden vor seinen Füßen, dessen Musterung er lediglich aus längst vergangenen Tagen memorierte, blicken.

    Das Zeremoniell nahm seinen Fortgang und der junge Flavius fühlte sich schmerzvoll erinnert an jene peinvollen Stunden, welche er gemeinsam mit Onkel Piso bei juridischen Studien zugebracht hatte und welche sich nicht zuletzt um die rechtlichen Formen der Ehe hatten gedreht, deren penible Divergenzen sich dem Knaben mitnichten erschlossen hatten. Erfreulicherweise folgte der Vertragsunterzeichnung rasch das Opfer, welches summa summarum durchaus jenen glich, welche sein geliebter Vater vor dem häuslichen Lararium zu vollführen pflegte, sodass es ihm rasch sich erschloss, zu welchem Zeitpunkt er Augen und Ohren zu verschließen hatte, um den lätalen Schrei des Schweines zu verdrängen, da die Riten weit genug entfernt stattfanden, dass es ihm sogar möglich gewesen wäre, die Trefferfläche der Blutfontäne genauestens wahrzunehmen.


    Nach dem Opfer nun erfolgte endlich das erlösende Gastmahl, welches Manius Minor zu entschädigen vermochte für die unerquicklichen Minuten der Zeremonien und Rechtsakte. Rasch zog er seinen Vater und seine Mutter in Richtung des Triclinium, um bereits im Vorfeld sämtliche Speisen in Augenschein zu nehmen (was selbstredend aus einiger Entfernung geschehen musste, um einen Apfel nicht mit einer Birne zu konfundieren). Bei dem Fleisch würde er indessen wohl abzuwarten haben, welche Würzung sich an ihm befand und somit um welche Tierart es sich handelte.

    Konträr zum Ansinnen Gracchus Maiors, die Konzentration Gracchus Minors nicht durch erläuternde Disputationen zu disturbieren, verwirrte die Replikschuld den Geist des Knaben neuerlich, da jenes abwartende Brummen ihm suggerierte, bei seiner Frage habe es sich um eine überaus absurde oder gar dümmliche gehandelt. So frug er sich beständig, welches Malheur ihm unterlaufen sein mochte, während Onkel Flaccus sich aufs Neue zu dem Casus äußerte.

    Selbstredend entsprach jene Replik, die sein Vater in größter Aufrichtigkeit dem Knaben präsentierte, nicht der Hoffnung dessen, eine pazifizierende Relativierung seines Leidens zu finden. Die Augen schließend, um jene stetige Remineszenz der unscharfen Falten im Gewande des Vaters extingieren, presste er sein durch Tränen befeuchtetes Antlitz an den warmen, bergenden Leib.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    "Es gibt keine Münze, deren Wert derart gering wäre, Minimus. Du müsstest einen Quadrans in sechs gleich große Teile schlagen, so würde einer dieser Teile dem Wert entspre'hen, über welchen hier verhandelt wird. Ich gehe jedoch davon aus, dass Flaccus seine Waren in größerer Stückzahl hat verkauft, so dass ein halbes Dutzend davon um einen Quadrans weniger kostete als an Gesamther..stellungskosten für alle sechs Stücke angefallen sind. Angenommen er hätte ... 96 Stücke verkauft, so würde die Summe seines Vergehen sich also auf einen Sesterz belaufen."
    Eine mehr als lächerliche Summe aus dem Blickwinkel der Flavier, selbst wenn es 960 Stück und somit 10 Sesterzen gewesen sein mochten.
    "Jenem Manne, welchem diese Diskrepanz aufgefallen ist, wäre zweifelsohne eine sehr erfolgrei'he Beamtenkarriere in der Verwaltung beschieden, dort wird auf solcherlei ... Genauigkeit sehr viel Wert gelegt."


    Dass sich eine derartige Münze selbst der Kenntnis des Vaters entzog, versetzte den Knaben durchaus in Erstaunen, welches doch zumindest gemildert wurde, nachdem dieser auf den summarischen, fehlgehenden Preis einer größeren Menge hinwies, welcher dem jungen Flavius ob seiner tiefsten Abscheu entgegen jedweder Arithmetik selbstredend sich entzogen hatte. Dementsprechend vermochte er es ebenfalls nicht, die kurze, überaus admirabile Aufrechnung des Fehlbetrags auf eine größere Summe nachzuvollziehen, sondern hatte Manius Maior schlicht zu vertrauen.


    Jener abschließende Kommentar hingegen machte Manius Minor nicht wenig beklommen, da ihm derartige Pedanterie gänzlich fern lag, sodass er eine öffentliche Laufbahn, sollte sie nicht durch sein optisches Unvermögen, so doch zumindest durch sein arithmetisches in weite Ferne rücken sah.
    "So etwas tun Magistrate?"
    Selbstredend hatte der Knabe in diesem Falle nicht zwischen dem Magistratus und Procurator, Accensus oder Rationalis differenziert, welche ihm sämtlich für einen Patricius adäquat erschienen, da sie dem Staate dienten, wie man es auch von ihm erwartete.

    Jene sanfte väterliche Berührung, die der Knabe an seiner Wange spürte, evozierte bei ihm ein Gefühl von Geborgenheit und vermochte, verbunden mit tröstenden Worten, ihm zu vermitteln, dass sein Vater mitnichten vollständig vergrämt war. Mit einem kummervollen Schniefen beendete der junge Flavius ob dessen den Tränenstrom und replizierte mit weiterhin in gewissem Maße tremorösen Stimme
    "Ich...ich weiß nicht. Anfangs verschwamm alles nur manchmal, dann habe ich immer Kopfweh bekommen."
    So vermochte er den Vorgang zumindest zu rekonstruieren, dessen peinvolle Schmerzen der Augen wie des ganzen Kopfes ihm vornehmlich und eindrücklich in Erinnerung geblieben waren, während er seine optische Potenz rückwirkend kaum mehr einzuschätzen vermochte.


    Obschon durch die tröstenden Worte in nicht geringem Maße beschwichtigt, keimte angesichts jener Remineszensien neuerlich die Furcht vor einer gänzlichen Erblindung in ihm auf, weshalb Manius Minor einen Schritt auf Manius Maior zumachte, um seine Arme um den verschwommen sich präsentierenden Leib zu legen.
    "Werde ich so blind wie Onkel Nero?"
    Mit leichten Schaudern wurde der Knabe sich augenblicklich gewahr, dass eben jener Claudius Tucca ihm seinen liebsten Spielgefährten, das Krokodil Caius, in seiner frühesten Kindheit zum Präsent gemacht hatte. Mochte jenes geliebte Wesen die Blindheit gleich einem Fluch auf ihn übertragen haben?

    Zitat

    Original von Claudia Antonia


    An diesem Tage hatte es im Cubiculum des jungen Flavius eine minderschwere Dramatik präsentiert, als der Knabe sich für eine geraume Zeit schlichtweg dem Tragen der Toga Praetexta verweigert hatte mit dem Hinweis auf deren Inpraktikabilität. Erst die beschwichtigenden Reden sämtlicher Bediensteter und der Verweis auf den Kummer, welchen er durch die Zurückweisung des römischen Staatskleids seinen geliebten Eltern bereiten mochte, hatte ihn letzten Endes widerwillig sein Plazet abgerungen, weshalb er nun in eben jener Montur sich inmitten seiner Eltern präsentierte, während seine Schwester zu Hause von Ammen gehegt wurde.


    Nicht wenig erstaunt war Manius Minor zudem, einer neuerlichen Heirat eben jenes alten Tiberius beizuwohnen, bei dessen erster augenscheinlich nicht lebenslänglichen Bindung er die Ehre des Trägers der Hochzeitsfackel innegehabt hatte. Nun indessen erschien es ihm, als sei der Consular seither signifikant gealtert, sodass seine physische Erscheinung geradezu Furcht induzierte, was ihn, wenn sein Alter es ihm zwar versagte, zwischen den Gewändern seines Vaters Schutz zu suchen, doch dazu veranlasste, bei seiner Begrüßung eine gewisse Distanz zu waren.


    Erfreulicherweise war diese dessenungeachtet recht kurz und rasch schritt die Feierlichkeit fort, als ein Augur auftrat, um den alten Brauch der privaten Auspicia zu vollziehen, welchen der Knabe bereits im öffentlichen Raum während der väterlichen Praetur wiederholt Zeuge geworden war, selbst wenn es sich in jenen Fällen stets um andere Formen gehandelt hatte.

    In der Tat hatte der Knabe sich mitnichten zurate gezogen, oder vielmehr examiniert gefühlt. Indessen war er bestrebt, es seiner Abscheu entgegen jenen juristischen Vokalgefechten zu verwehren, sich seines Geistes in der Form zu bemächtigen, dass sie seine Aufmerksamkeit gänzlich den öffentlich gesprochenen Worten entzog, welche zweifelsohne in Kürze innerhalb der heimischen Gefilde repetiert werden würden (dies mochte durch Artaxias, möglicherweise einen Verwandter wie Onkel Piso oder gar seinen Vater selbst geschehen).
    Um dem Missfallen seiner Repetitoren also zu entgehen lauschte er den Worten, wobei selbst seinem infantilen Wissensschatz es geradezu als eine Beleidigung erschien, wegen einer derartigen Summe seinen geliebten Onkel Flaccus zu indignieren. In der Tat vermochte er sich nicht zu erinnern, jemals eine Münze von einem derartigen Nennwert in Händen gehalten zu haben oder auch nur eine Bezeichnung für selbige gehört zu haben.
    "Vater, wie nennt man jene Münze?"
    fragte er ob dessen in seiner jugendlichen Unbefangenheit schlicht seinen Vater, dessen schier unermesslicher und bis zu diesem Tage niemals versiegende Wissensschatz ihm jene simple Frage zweifelsohne beantworten konnte.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus


    An der Seite seines Vaters hatte sich auch der junge Flavius aufgemacht einem Prozess beizuwohnen, der durch die Beteiligung des Onkels Flaccus, zu welchem der Knabe seit jenen Ballspielen in den flavischen Gärten ein gewisses Nahverhältnis pflegte, das seine Beziehung zu anderen Flavii durchaus übertraf. Indessen erschien ihm die Attendenz bei derartigen Veranstaltungen dennoch überaus ennuyant, nachdem Artaxias ihn wiederholt zu den paternalen Rechtssprüchen eskortiert hatte, welche dank seiner mangelnden Appetenz in diesen Causae durch große Gleichförmigkeit geprägt gewesen waren, sodass er beinahe den Schulbesuch herbeisehnte, selbst wenn seine Hypermetropie es ihm dort erschwerte, seine eigenen Aufzeichnungen wahrzunehmen.


    Nachdem er an der Seite seines Vaters dann seinen Platz eingenommen hatte, bemerkte er mit Freude, dass zumindest in diesem Falle sein Augenlicht ihn weniger trog denn bei der persönlichen Lektüre, denn sämtliche Akteure vom Iudex auf dem Tribunal bis hinab zu Onkel Flaccus, der sich auf der Verteidigerbank postiert hatte, vermochte er recht scharf zu sehen. In der Tat war ihm jener Zusammenhang bereits wiederholt zur Aufmerksamkeit gelangt, dass es ihm bei der Identifikation entfernter Realien und Personen weitaus leichter gelang, ihre Konturen scharf wahrzunehmen und sie damit besser zu erkennen. Inwiefern sein Körper ihm indessen einen derartigen Streich spielte oder warum seine Erblindung in diesem Falle weitaus langsamer voranzuschreiten schien, entzog sich seiner Kenntnis.
    Ungeachtet dieser Problematik begann Manius Maior unverzagt mit der Präsentation der beteiligten Parteien, welche Manius Minor mitnichten interessierte mit Ausnahme seines Onkels, der ihm ohnehin bekannt war. Auch die Interdependenzien erschienen wenig ergötzlich, selbst wenn er durchaus die doppelte Nennung des Patronats eines Vinicius, den er einzuordnen in dieser Situation nicht in der Lage war, bemerkte.

    Es erschien dem Knaben schwerlich zu imaginieren, dass einer Ehefrau ein infantiler Rechtsstatus zukommen konnte, was ihm lediglich durch den Umstand erklärlich erschien, dass jedwede Person innerhalb der Familie dem Pater Familias gleichermaßen untertan war. Inwiefern hingegen es possibel sein konnte, dass eine Frau ihrem Manne nicht unterstand, erschloss sich ihm weitaus schlechter.


    Die nun folgende Frage präsentierte sich indessen weitaus diffiziler, da der junge Flavius ob dem Usus der Nuptiae per usum niemals einer andersartigen Heiratsform attendiert hatte als jener.
    "Nein, was ist das?"
    replizierte er dementsprechend, zumal ihm juridische Fragestellungen bei derartigen Angelegenheiten niemals großes Interesse entlockt hatten.

    Die avunkuläre Narration erschien dem Knaben in der Tat einleuchtend, zumal er für diesen Kasus eine Situation zu kommemorieren vermochte, in der einer der Bediensteten den anderen mit der Vokabel 'Bastard' tituliert hatte in einem Kontext, der eindeutig auf die beleidigende Funktion dieses Wortes hindeutete. Indessen endete Piso neuerlich mit einer komplizierten, augenscheinlich auf Spekulation hin ausgerichteten Frage betreffs der Auslegung juristischer Fachtermini. Da der junge Flavius jedoch mit der Zeit vor dem Anspruch, stets eine korrekte Replik zu formulieren kapituliert hatte, beschloss er sich in diesem Falle schlicht einer etymologisch basierten Interpretation zu bedienen selbst auf das Risiko hin, einen Fehltritt zu tun.
    "Unter väterliche Gewalt* ist vielleicht so, dass eine Frau cum manu genauso unter ihrem Mann steht wie ich unter meinem Vater."
    Jene Deutung erschien Manius Minor in der Tat plausibel und traf, obschon er dies nicht zu wissen vermochte, zweifelsohne auch den originären Kern der juristischen Konzeption.

    Sim-Off:

    * Hausgewalt = patria potestas

    Hinabgetaucht in jenes Meer des Autocompassion, das von seinen Tränen und den düsteren Gedanken, die seinem Geiste entstiegen, gleichermaßen genährt wurde, vernahm der Knabe wie durch einen Schleier den harschen Befehl seines Vaters, welcher seine Verdrossenheit nur steigerte, entsprach doch eine derartig gestrenges Wort nicht dem Usus der väterlichen Kommunikation und deutete daher auf größten Gram, wenn nicht gar Verachtung hin. So rannen weiter stumme Tränen die prallen Wangen hinab, während der junge Flavius sich die Frage stellte, ob es angesichts der parentalen Verachtung und des Kummers, den er durch sein Unvermögen die familiaren Erwartungen zu erfüllen evozierte, überhaupt adäquat oder überhaupt legitim war, weiterhin im Leben zu verweilen.


    In dieser Trübsal gefangen vermochte er auch die disruptierten, ursprünglich beschwichtigenden folgenden Worte nicht zu vernehmen, sondern erst die Frage nach einem Medicus ließ aus dem Meer der Tränen emergieren.
    "N...nein."
    stammelte er gehorsam, bemüht, seinem Vater über den Kummer seines Defizitarität nicht noch den eines ungehorsamen Sohnes zu bereiten. Zugleich wurde er sich seines unangebrachten Äußeren gewahr und wischte sich rasch die Tränen aus dem Gesicht, während sich indessen wieder neue bildeten und sein Antlitz neuerlich benässten. Doch selbst als Sciurius, jenes ihm suspekte Individuum, den Raum verlassen hatte, wusste er nichts zu seinem Bekenntnis zu addieren, ebenso erschien ihm jedes weitere Wort unangebracht.

    In unmittelbarer Nähe seines Vaters vermochte der Knabe zumindest die oralen Regungen von jenem zu identifizieren, selbst wenn die Abgrenzungen der einzelnen, durchaus wohlgeformten Zähne nicht auszumachen waren. Ungetrübt gelangte indessen der ihrerseits produzierte Klang der väterlichen Stimme an sein Ohr, deren Inhalte in ihm größte Konfusion evozierte. Welchen Fehltritt hatte er getan, dass es Manius Maior zur Kenntnis gelangt war, dass sein Sehvermögen sich selbst zu annihilieren geneigt war? Hatten jene geschwätzigen Sklaven, denen er seine Inkapazitäten zu beichten strengstens untersagt hatte, sich etwa über sein Wort hinweg gesetzt? Dabei hatte er jenen engsten Leibsklaven sein Vetrauen geschenkt! Oder entsprach jene Introduktion etwa der Wahrheit, und er hatte sich durch seine mangelhaften Leistungen vor Artaxias verraten?
    "Es...ich...ich meine..."
    Die Stimme des Knaben versagte und er blickte schuldbewusst auf den verschwimmenden Boden, dessen Musterung ihm ob der ihm entgleitenden Konzentration zu erkennen versagt war.
    Nun, da sein Mangel augenscheinlich aufgedeckt worden war, war er gänzlich unschlüssig der sich ihm präsentierenden Alternativen. Zweifelsohne würde sein Vater sich unermesslich grämen angesichts jener Einsicht, die jedwede Hoffnung auf ihn zunichte machen würde, da man ihn als Blinden lediglich gleich seinem Onkel Claudius Tucca zu einem Leben bar jeder Nützlichkeit verdammen konnte, wo er gleich einem Schmarotzer ohne die Potenz zur Steigerung des Ruhmes der Familie sein Dasein fristen würde, was der junge Flavius unter jedweden Umständen zu vermeiden oder zumindest aufzuschieben geneigt war. Auf der anderen Hand hingegen bestand durchaus die Possibilität, dass der ältere Flavius längst von der Wahrheit erfahren hatte und lediglich seine Honorität prüfte, indem er nun ein Geständnis erwartete, wie er es ihn einst gelehrt hatte.
    All jenes hatte Manius Minor abzuwägen, doch schwirrten diese Gedanken in derartiger Geschwindigkeit durch seinen Geist, dass er es mitnichten vermochte, einen zu fassen und unter dem gestrengen Blick seines Vaters bis zur Vollendung durchzuspintisieren. Letztlich besann er sich auf dessen mahnende Worte, da weder die Interessen seiner Familie, noch jene des Imperium Romanum durch jene Affirmation tangiert waren.
    "Ich...ich...ich verliere mein Augenlicht, Vater!"
    Kaum hatte er jene Worte exprimiert, bedeckten seine Hände sein rundliches Antlitz, während aus seinen ersterbenden Augen Tränen zu fließen begannen, wobei ihm zugleich ein beklagenswertes Schluchzen.