Beiträge von Gaius Aelius Paetus

    Ich wünsche allen ein frohes neues Jahr und komme sogleich mit einem Anliegen: Bitte versetzt mich von dem nicht sehr schmeichelhaften Status Desideratus ins Exilium. Danke.

    Die angebotene Sklavin machte auf Paetus tatsächlich einen ganz ordentlichen Eindruck. Natürlich versprach der profitgierige Händler einem zuviel und im Zweifel das Blaue vom Himmel. Aber bei diesem Einstiegspreis ließ sich nicht allzu viel falsch machen.


    Also straffte sich der junge Mann, hob, Aufmerksamkeit heischend, die Rechte und rief: “Den einen Sesterz zahle ich dir!“

    Paetus war von Aquilas Angebot überrascht worden. Wie es seiner Natur entsprach, hatte er zunächst gezögert, sich ihm dann aber doch freimütig und im Grunde genommen erfreut angeschlossen. Er kannte noch nicht so viele Leute in Rom, wenige in seinem Alter und diesen jungen Decimer näher kennen zu lernen, das konnte vielleicht nicht nur erfreulich sein, sondern mochte sich eines Tage sogar als nützlich erweisen.


    “Ich freue mich wirklich sehr für dich. Du hast es ganz bestimmt verdient.“, antwortete er dem überschwänglichen Decimer. Das seine eigene Kandidatur, wann auch immer er sich zur Wahl stellen würde, dann in Wahnsinn und wohlmöglich in einem weniger glanzvollen Ergebnis endete, ja, dass befürchtete er auch, wenn auch ganz anders als es Aquila vermutlich gemeint hatte.


    Paetus war etwas befangen. Er war es nicht gewohnt, im Kreise junger Männer um die Häuser zu ziehen und er brauchte etwas länger, um wirklich 'aufzutauen'. So war er eben.


    Jetzt bestellte der 'Wahlsieger' sogar Bier!


    “Kann man das überhaupt trinken?“, fragte er, zugleich scherzhaft, wie auch ernsthaft zweifelnd. Wer wusste schon, was hier für ein Gebräu ausgeschenkt wurde? Bier – nein, dass tranken die einfachen Leute, die Arbeiter in den Olivenhainen seiner Familie, irgendwelche Barbaren jenseits der sicheren Grenzen des Imperiums, aber bei den Aeliern kam gewöhnlich Wein in den Becher, mal mehr, gelegentlich auch weniger verdünnt, aber zumeist von der besseren Sorte.

    “Eine weitere Reise hätte meinen Vater sehr angestrengt, noch mehr, als es für ihn sowieso schon war.“


    Am schlimmsten war es für den alten und standesbewussten Mann jedoch gewesen, dass er sich als Sklave hatte verkleiden müssen. Das hatte er wirklich sehr ungern getan und erst nach langem Drängen. Kurz überlegte Paetus, ob er das Livianus gegenüber erwähnen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Dieser Umstand war seinem Vater sehr unangenehm, weil es ihn beschähmt hatte.


    “Außerdem hatten wir sehr viel Gepäck dabei, gleich drei Wagenladungen voll. Es gab zwar die Idee, stattdessen nach Aegyptus zu gehen. Aber wir wussten nicht, ob der Usurpator bereits die Häfen überwachen ließ. Wir wären sehr aufgefallen. Darum schied der Seeweg aus. Mantua aber vor allem aber deshalb, weil dort die I. Legion stationiert ist. Der damalige Legatus Legionis, Titus Aurelius Ursus, ist ein Freund meines Vaters. Wir hofften darauf, dass er uns mit seiner Legion Schutz gewähren würde. Und, nun, letztlich war es auch so, obwohl die Erste dann nicht dort, in Mantua geblieben ist, sondern in den Krieg zog. Die längste Zeit haben wir im Haus einer alten Witwe gewohnt. Wir sind nicht viel raus gegangen. Wir wollten nicht auffallen. Ich danke den Göttern, dass sie uns gewogen waren. Am Ende ist uns nichts geschehen.“

    “Ja, Senator, gerne. Wir haben damals fast alle Schriftstücke meines Vaters mit nach Mantua genommen. Das Meiste liegt jetzt in Kisten verstaut im Haus der Germanii. Die Suche wird etwas mühselig, aber wenn es noch Unterlagen gibt, und ich bin mir fast sicher, dass es so ist, dann werde ich sie finden.“

    “Oh, ja, dass nichts Rom gleichkäme, das sagt mein Vater auch immer. Er findet, es sei der einzige Ort, an dem es sich für einen Römer wirklich zu leben lohnt.“


    Es ging leichten Schrittes weiter, denn ihr Weg führte sie hügelabwärts in Richtung des Forum Romanum.


    “Außerdem möchte ich eines Tages den Cursus Honorum beschreiten. Es ist wichtig für mich, die Stadt gut kennen zu lernen.“, sagte er etwas geistesabwesend.
    Denn seine Gedanken galten seiner Mutter, die Livianus eben erwähnt hatte. Als Sohn wollte man sich die eigene Mutter für gewöhnlich wohl nicht anders vorstellen. Treusorgende Ehefrau und Mutter, ja, dieses Bild war einem Sohn am gefälligsten. Doch natürlich wusste Paetus, dass sie seinen Vater in zweiter Ehe geheiratet hatte und auch wenn sie selbst niemals mit ihm darüber gesprochen hatte, so hatte er doch andeutungsweise davon gehört, dass der besagte Vetter Meridius, der Triumphator, den man den 'Stier von Tarraco' nannte, dass dieser Decimus Meridius ebenfalls zu den Verehrern seiner Mutter gehört hatte. Aber, nun ja, vielleicht war es auch nur ein haltloses Gerücht.

    “Ja, dass stimmt, Senator. Bis vor rund zwei Jahren habe ich auf dem Landgut meiner Familie bei Misenum gelebt. Die längste Zeit meiner Jugend war ich dort, zusammen mit meiner Mutter. Als ich sie zuletzt sah, da ging es ihr sehr gut. Aber sie meidet Rom und zieht inzwischen das beschauliche Landleben vor. Natürlich kenne ich die Stadt Misenum selbst und wir waren auch manchmal in Cumae oder Neapolis, ein paarmal auch in Capua und sicher vier- oder fünfmal in Beneventum. Aber Rom ist natürlich viel größer, dass Zentrum der Welt und unvergleichlich. Ich hatte gute Lehrer, mein Vater war darauf bedacht, mir eine umfassende Bildung zuteil werden zu lassen und hat mich auch selbst viel gelehrt, seit ich bei ihm bin. Dennoch muss ich gestehen, dass es für mich noch viel zu erfahren gibt und manches neu ist. Darum bin ich sehr froh darüber, bei dir ein Tirocinium absolvieren zu dürfen.“

    Beinahe wäre Paetus aufgesprungen, als ihn der Kaiser unvermittelt persönlich ansprach. Fast wäre ihm die Antwort übereifrig herausgeplatzt und ihm wäre die ruhige Gelassenheit abhanden gekommen, die man in dieser Situation und von einem Römer seines Standes doch erwartete.
    Aber zum Glück wurde er sich dessen noch rechtzeitig gewahr und so zügelte er seinen nervösen Überschwang, besann sich kurz und antwortete nach einer kurzen Atempause.


    “Mein Vater spricht...“, ein kurzer, sich versichernder Seitenblick zum Alten unterbrach ihn noch einmal, aber dann: “Mein Vater meint die Oleanderbüsche, die unser Peristyl in der Domus Aeliana zieren. Wir mussten sie zurücklassen, als wir Rom verließen, wie so vieles Andere auch. Die Abreise geschah unter besonderen Umständen, im Geheimen, denn es stand zu befürchten, dass der Usurpator meinem Vater nachstellen würde. Nach unserer Rückkehr sind wir zunächst bei Freunden untergekommen, im Haus der Germanii.“

    Paetus rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Er ahnte zwar, was sein Vater meinte. Doch woher sollte das der Kaiser wissen?
    Der junge Aelier fürchtete, dass die Sturheit und unverblümte Redeweise des Älteren, dieses Gespräch gleich zu Beginn in eine unerfreuliche Richtung lenken könnte. Aber mehr als einmal war er von ihm ermahnt worden, nicht von sich aus in die Gespräche der Ranghöheren einzugreifen, nicht ohne gefragt zu werden. Niemand wolle von so einem jungen Kerl wie ihm ständig verbessert, korrigiert, in den Schatten gestellt oder mit schlauen Kommentaren und Vorschlägen behelligt werden, so hatte er ihm eingeschärft.
    Also biss er sich auf die Zunge, sandte ein stummes Stoßgebet zu Mercurius und rutschte stattdessen weiter hin und her.

    “Ich werde da sein, Senator.“, antwortete Paetus und nickte ihm zu.
    Der designierte Consul verlor keine Zeit und das Tirocinium des jungen Aeliers würde früher beginnen, als er es wohl zunächst erwartet hatte.

    “Aber natürlich, Senator.“, sagte Paetus schnell. Er wollte ja nicht zögerlich wirken.
    “Ich würde mich sehr freuen und bin mir sicher, dass ich in einem Tirocinium bei dir sehr viel lernen kann. Bestimmt wird mir dieses Jahr nützlich sein, wenn ich eines Tages selbst mein erstes öffentliches Amt bekleide, falls mir die Götter diese Ehre vergönnen. Ich werde fleißig sein und dir nicht zu Last fallen, Senator, sondern mit meinen bescheidenen Mitteln, eine Hilfe.“, fügte er noch hinzu und hoffte, eifrig aber nicht übereifrig zu wirken, erfreut, aber ohne die gelassene Zurückhaltung zu verlieren, die ihrem Stand angemessen war, nicht maulfaul, aber auch nicht schwatzhaft. Alles in allem: er wollte einen guten Eindruck machen.

    Sein Vater hatte zwei Kaisern gedient, als Beamter der kaiserlichen Verwaltung, als Berater, ja, zweitweise auch als enger Vertrauter. Er kannte den Palast, er war bei diesen Männern ein und aus gegangen und hatte sie beinahe täglich gesehen. Die Situation war ihm nicht gänzlich fremd.
    Paetus schon. Denn als Kind hatte es ihn noch nicht geschert, dass sein Onkel Valerianus, nach dem er selbst Gaius genannt worden war, die Welt beherrschte.
    Der junge Mann war beeindruckt. Zwar bemühte er sich, dass man ihm seine Verunsicherung nicht anmerkte. Doch so ganz wollte es ihm nicht gelingen. Diese Begegnung, das wusste er, war ungemein wichtig. Die Zukunft seiner Familie konnte davon abhängen und seine eigene ohnehin. Ja, er war nervös. Hier und jetzt stand viel auf dem Spiel.


    Er schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch und als sein Vater ihm die Gelegenheit dazu gab, da sagte er: “Salve Imperator!“


    Die zwei Worte kamen klar und fest. Immerhin, ein Anfang war gemacht!

    Paetus folgte seinem Vater, der es sich diesmal nicht hatte nehmen lassen, ohne seine Hilfe aus der Sänfte zu steigen.


    Als er dazu aufgefordert wurde, holte er die Schriftrolle aus einem wildledernen Futteral hervor und rollte sie auf:


    Ad
    Consular
    Lucius Aelius Quarto
    Casa Germanica
    Urbs Aeterna


    Salve Consular Aelius,


    der Imperator Caesar Appius Cornelius Palma Augustus bittet dich, zu einem persönlichen Gespräch, auf den Palatin zukommen.


    Der Termin ist angesetzt für ANTE DIEM XII KAL NOV DCCCLXIII A.U.C. (21.10.2013/110 n.Chr.) zur neunten Stunde.


    Im Namen des Kaisers


    Tiberius Iulius Crassus
    ~~Primicerius ab epistulis - Administratio Imperatoris~~


    Das Gespräch nahm einen für Paetus sehr unerwarteten Verlauf. Er hatte angenommen, dass man über Politik sprechen würde. Stattdessen drehte es sich plötzlich um seine Base und um ihre Witwenschaft, sowie, wer hätte das erwartet, um die ihres Gastgebers. Hatte er das eben richtig verstanden? Hielt Livianus um ihre Hand an?
    Natürlich, das ging ihm im nächsten Moment auf, war das letztlich auch Politik – Heiratspolitik. Das gehörte zu ihrem Dasein, als Angehörige der Führungsschicht Roms. Er selbst würde eines Tages gewiss auch nicht, oder zumindest nicht nur der Liebe wegen heiraten und ganz bestimmt nicht die Tochter eines einfachen pistor oder caupo, eines Bäckers oder Schankwirts.
    In der Vergangenheit waren die Aelier über geschickt eingefädelte Hochzeiten recht gut vernetzt gewesen. Paulina hatte einen Vinicier geheiratet, Leontia einen Matinier und auch Vespas Ehe mit dem Prudentius, dem Sohn eines Consuls, war standesgemäß gewesen und festigte ein politisches Bündnis. Die Ehe seiner eigenen Eltern war die Grundlage ihrer engen Beziehungen zu den Germanii, und das seine Mutter eine geborene Cornelia war, hatte seinen Vater bestimmt nicht abgeschreckt. Als Witwe, so dachte sich Paetus, verschenkte Vespa ihre Möglichkeiten.


    Bevor sein Vater die gute Möglichkeit also mit der Sturheit eines alten Mannes zunichte machte, mischte er sich lieber ein: “Allerdings ehrst du meine Base mit deinem Ansinnen und ebenso den Namen unseres Hauses. Und natürlich währst du ein mehr als standesgemäßer Bräutigam, als langjähriger Senator und demnächst, wie wir hoffen, als amtierender Consul.“
    Zu Quarto gewandt: “Nicht wahr, Vater, dass muss man schon sagen. Außerdem wäre es sehr selbstsüchtig, Vespa ein Leben in einer Familie zu verwehren, als geachtete Ehefrau eines ebenso geachteten Mannes. Nicht zuletzt ihr Sohn, der junge Gaius Prudentius, er braucht eine Familie und wir müssen an seine Zukunft denken.“

    Auch Paetus hob seinen Becher und prostete den Anderen zu.
    “Auf euer Wohl und den Segen der Götter für all eure Vorhaben, vor allem jene, deren Schatten uns schon fast berühren.“
    Damit spielte er auf die bevorstehenden Wahlen an, denn dieses Thema fand am interessantesten. Schließlich würde er eines Tages dem Beispiel seines Vaters folgen und für den Cursus Honorum kandidieren, so wie die beiden Decimer es jetzt taten.

    “Salve! Wir freuen uns ebenfalls.“, antwortete Paetus, als der eben Angekündigte eintraf und sie begrüßte.


    Nachdem nun alle Platz genommen hatten und bei Tische lagen, würde das Essen wohl gleich beginnen. Das war gut, denn Paetus war mit einem ordentlichem Hunger erschienen.
    Zweifellos, so dachte er sich, würde sich am heutigen Abend einiges um die kommenden Wahlen drehen. Denn beide Decimer kandidierten, der ältere als Consul, der jüngere als Vigintivir.