Das Lächeln ihrer verehrten und geliebten Lehrerin wärmte Schwester Valerias Herz. Sie neigte den Kopf, um zuzuhören, als ihre Welt einen Herzschlag später auseinander fiel: Schwester Decima schwankte, getroffen von mörderischem Stahl, und während sich Rot ausbreitete auf ihrem weißen Gewand, sank sie zu Boden.
Valeria Maximilla kniete sich neben sie, fing sie auf und bettete sie sanft zur Erde.
Dann schaute sie auf und sah vor sich das Geschöpf stehen, welches zugestochen haben musste, denn es hielt die Tatwaffe, ein Messer mit einem hölzernen Griff und einer festen langen Klinge noch in der Hand. Es war ein Weib unbestimmten Alters, mit von Grau durchwirkten Haarsträhnen und Augen, in denen Wahnsinn lag. Vielleicht hatte es sich von der Schönheit und Reinheit der Vestalinnen anziehen lassen und sie dann nicht ertragen, denn es war ein Wesen direkt aus dem Orcus, so erschien es Maximilla.
Sie erhob sich und stand vor ihr und streckte die Hand aus. Kaum größer war sie als die gebeugte Wahnsinnige, aber ihre Stimme klang fest:
"Tochter, gib mir das Messer."
Und die Frau gehorchte. Maximilla legte es in ihren Korb. Nicht einmal ein Augenblick war vergangen, doch die Zeit dehnte sich unendlich lang. Nun griff der Liktor ein und hielt die Mörderin fest. Er wollte nach Soldaten rufen, aber da schüttelte Maximilla den Kopf. Wieder beugte sie sich über die Maxima. Sie hatte lange genug auf dem Land gelebt, um die Zeichen des Todes zu erkennen, Decima Messalina war tatsächlich tot, bei Vesta.
Aber der Frevel, der geschehen war, war so gewaltig, so verderblich für die Roma Aeterna, solch ein böses Omen für alles, was die Urbs nur war, dass es nun an Valeria Maximilla war, die Ordnung wieder herzustellen.
Das war es, was getan werden musste.
Laut sprach sie: "Die Vestalis Maxima hat einen Schwächeanfall. Bitte schickt nach dem Atrium Vestae."
Die Menschen näherten sich nicht, zu groß war die Ehrfurcht, so wartete Valeria Maximilla so blass wie ihr Gewand alleine.
Und nach einer weiteren Weile kamen auch die vestalischen Sklaven mit einer Sänfte, vorsichtig hoben sie den Leichnam der geliebten Maxima hinein.
Der Liktor hatte die Mörderin noch immer gepackt. Jeder, der eine Vestalin auch nur berührte, hatte sein Leben verwirkt. Das Weib war doch schon längst im Orcus, wo es hingehörte. Das es noch atmete, war reiner Zufall und bedeutungslos.
Maximilla nickte dem Mann zu und reichte ihm den Korb mit dem Messer. Immer noch hielt ihre Präsenz die Menschen davon ab, näher zu kommen. So war sie das Schild, um zu verbergen, was geschah. Aber etwas zerbrach in ihr, denn sie diente dem Leben. War es nicht so, dass sie die Macht hatte, sich zur Hinrichtung Verurteilten in den Weg zu stellen, um sie ins Leben zurückzuholen? Die göttliche Vesta war Güte, war Leben.
War es denn besser, sich der Hand und des Gewissens eines anderen zu bedienen, um keine Blutschuld auf sich zu laden?
Eine Vestalin, die den Tod befahl, eine, die getötet wurde durch Mörderhand, das waren grauenerregende fürchterliche Dinge. Niemand durfte davon wissen. Niemand in Roma außer dem Pontifex Maximus, damit er durch Opfer und Versöhnung mit den Göttern das fürchterliche Unheil abwenden würde, welches drohte.
Und Valeria Maximilla ahnte, dass sie vielleicht auch nicht mehr bleiben konnte. Was geschehen war, musste für immer verborgen bleiben.
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