Beiträge von Sisenna Seius Stilo

    Balneum


    Reiche Privatleute leisteten sich Badehäuser mit verschieden temperierten Becken. Das in die Casa Leonis integrierte "Balneum" ist zwar kein Badehaus, doch immerhin ein Bad mit einem heißen und einem kalten Becken. An den blauen Wänden schwimmen gemalte Fische des Mittelmeers durch die Wogen.

    Stilo besprach sich noch kurz mit dem Sklavenhändler, dann begab er sich in die Casa Leonis, um die elftausend Sesterze zu holen. Eine solche Summe trug man nicht einfach mit sich herum. Er lieh sich zwei Sklaven von Ravilla, die ihn mit Knüppeln begleiteten, als er das Geldsäckchen transportierte, aber eigentlich machte Stilo sich keine Sorgen. Er war dienstlich so oft auf den Straßen Roms unterwegs, dass er genau sagen konnte, welche Straßen und Gassen sicher waren - und um welche Uhrzeit. So kam er ohne Zwischenfälle wieder beim Markt an. Titus Tranquilius erhielt seine elftausend Sesterzen. Und Stilo erhielt seinen neuen Sklaven.


    "Na dann ... Sporus." Stilo wies mit dem Kopf in die Richtung, in die sie gehen würden. Ketten trug Sporus nun keine mehr. Ein Sklave, den man in Ketten transportieren musste, taugte bloß für einen einzigen Weg. Den in die Arena.

    "Armer, armer Sporus", sagte Stilo mit einem Lächeln, das nicht wirklich auf Mitleid schließen ließ, sondern eher auf Genuss. Er legte ihm die Hand auf den Kopf und streichelte sein Haar. "Ein Eromenos warst du also? Aha. Dann war dein alter Herr entweder ein Dummkopf oder ein Verbrecher. Aber jetzt bist du ja hier."


    Er wandte sich dem Sklavenhändler zu. "Der Kastrat kann nichts: Er kann nicht singen, nicht tanzen oder musizieren, keine Geschichten erzählen und beherrscht keine Fremdsprachen. Er kann anscheinend nicht mal lesen und schreiben, er kann einfach nur gar nichts. Das hat natürlich Einfluss auf mein Gebot. Außerdem ist er schon ziemlich alt. Ich gebe dir elftausend."


    Das war vermutlich der höchste Preis, den Titus Tranquilius je mit seinem schäbigen Geschäft erzielt hatte. Üblicherweise wechselten seine Sklaven für wenige hundert Sesterze den Besitzer. Doch für einen Eunuchen war das ein Spottpreis. Teurere Sklaven gab es nicht, sie waren Zeichen von unerhörtem Luxus. Stilo wollte Sporus unbedingt haben und sich mit seiner Gegenwart schmücken, doch er wäre ein Narr, das den Händler wissen zu lassen.


    "Das ist mein erstes und letztes Angebot, ich werde nicht mit dir feilschen, Titus Tranquilius. Entweder du nimmst es an, oder du lässt es bleiben."

    Sporus wich trotz der groben Behandlung nicht zurück, setzte keinen trotzigen Blick auf oder motzte gar herum. Er verhielt sich so, wie Stilo es wollte - duldsam, gefügig. Das passte gut in seine Pläne. Er gab ihn vorerst wieder frei. "Was kannst du alles?", wollte er wissen. Es ging ihm darum, zu erfahren, ob Sporus als professioneller Gesellschafter gedient hatte oder bloß als Bettgespiele, was für einen so teuren Sklaven eine unerhörte Verschwendung gewesen wäre.

    Immerhin, Sporus reagierte auf den kleinsten Fingerzeig. Ohne die Bewegung anzukündigen, packte Stilo den Sklaven mit einer Hand im Gesicht und drückte ihm die Wangen zwischen die Backenzähne, damit er den Mund öffnete, so dass er sich das Gebiss betrachten konnte. In Wahrheit war die Kauleiste ihm gleichgültig, die Untersuchung nur ein Vorwand. Was Stilo eigentlich sehen wollte, war, wie Sprous auf die unerwartete und recht grobe Berührung reagierte.

    "Zubin tut harte körperliche Arbeit gut", stellte Stilo klar. "Er ist ein Sohn seines Volkes und benötigt keine Samthandschuhe. Die Cappadocis sind zäh. Aber da er im fernen Caesarea weilt, erübrigt sich die Diskussion, wofür er eingesetzt werden könnte. Dein Plan hört sich ansonsten gut an. Hast du vom Vorarbeiter schon einen Kostenvoranschlag erhalten und eine Information, wie lange die Renovierungsarbeiten dauern werden?"

    Nachdem er in monatelanger Arbeit die Mappe für den Praefectus Praetorio vorbereitet hatte, konnte Stilo wieder durchatmen. Das Zusammentragen der Berichte, das Ermitteln von Ergebnissen und das Schreiben fehlender Unterlagen hatte viel Zeit verschlungen und ihn unter Druck gesetzt. Heute hatte er sich einen halben Tag frei genommen, um nach langer Zeit wieder einen Gladiatorenkampf zu besuchen. Für einige Stunden wollte er den Panzer des Skorpions ablegen, um wieder Mensch zu sein. Die Privatperson Sisenna Seius Stilo verblasste von Woche zu Woche mehr, um dem dunkleren, tödlicheren Selbst des Prätorianers Raum zu geben. Doch das noble Vorhaben zur Charakterpflege platzte jäh, als er die Versteigerung des Sklaven beobachtete, um sich die Zeit bis zum Gladiatorenkampf zu vertreiben. Die Worte des Verkäufers weckten schlagartig ein ausgesprochen dunkles Interesse. An diesem Sporus gab es einiges, was Stilo interessierte.


    Ohne Vorwarnung stieg Stilo die hölzerne Treppe des Podests empor. Nichts an seiner privaten Kleidung ließ den Prätorianer erahnen, allenfalls verwies seine muskulöse Statur auf einen Beruf, der mit harter körperlicher Arbeit einherging. "Salve, Titus Tranquilius", sagte Stilo voll falscher Freundlichkeit. "Bevor ich erwäge, für diesen Sklaven zu bieten, erlaube mir, dass ich den Wahrheitsgehalt von einigen deiner Aussagen auf die Probe stelle."


    Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er zu dem Sklaven und bedeutete ihm mit einem einzigen Fingerzeig, sich ganz zu ihm umzudrehen. Diese kleine Geste war der erste Teil der Prüfungsreihe, die Stilo soeben für den bedauernswerten Sporus ersonnen hatte.

    Die Casa Leonis fühlte sich nicht an wie eine Ruine. Das Leben war erst vor Kurzem aus ihren Räumen entwichen. Das Kräuterbeet war geplündert worden, wahrscheinlich von Scato, bevor er ausziehen musste, denn wer sonst würde Kräuter von Unkräutern unterscheiden können und in Ruinen einsteigen, nur um Pflanzen zu stehlen? Die Erde war durchwühlt und Gras wuchs nun anstelle von Salbei, Rosmarin und Thymian. Die Anzahl an Mauselöchern in der Erde sparte er sich zu zählen. Unter dem Vordach entdeckte er mehrere Vogelnester.


    "Und wer soll das alles auf Vordermann bringen?", fragte Stilo, als er mit seinem Bruder die gewaltige, doch nur halb renovierte Casa Leonis inspizierte. "Anaxis?"

    "So, ihr Lieben. Meine abendliche Stunde Freizeit ist um und die Pflicht ruft." Stilo stopfte sich rasch noch ein paar Häppchen in den Mund und spülte sie mit dem Wein hinunter. Er gab jedem zum Abschied die Hand, außer Ravilla, dem brachte er mit einem Wuscheln die Frisur durcheinander, danach gab er ihm einen Kuss auf die Stirn. "Ich freue mich, dass du gesund wieder da bist, kleiner Bruder", waren seine letzten Worte, viel weniger frotzig als zuvor, sondern ganz und gar ernst gemeint. Im Hinausgehen klopfte er Terpander noch die Schulter, dann verschwand er - bis zu ihrem nächsten Treffen.

    Als guter Bruder unterstützte Stilo natürlich den Wahlkampf von Ravilla. Er hatte von ihm eine Tafel erhalten, die er anbringen sollte. Eine Tafel ... Grafittis waren Ravilla nicht auffällig genug, da es ihrer so viele gab. Und so prangte nun an prominenter Stelle ein weiser Sinnspruch:


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    Dass sein Vorgesetzter schwieg und sich nicht einmal zu einem Gegengruß herabließ, beunruhigte Stilo, auch wenn nichts auf dieses Gefühl schließen ließ.


    "Die gesamte Causa Christenrazzia findet sich in dieser Mappe. Der Fall wurde mit höchster Präzision zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Es ist alles dokumentiert und ausgewertet. Lücken gibt es nicht, keine losen Fäden, keine offenen Enden. Die fanatische Gruppierung der Christianer in Rom wurde vollständig vernichtet. Diese Akten sind dein Zeuge. Es gibt keine mehr. Du hast alles getan, auch ohne den Praefectus Urbi. Ruhm den Prätorianern. Rom wurde befriedet, der Auftrag erfüllt. Wenn du diese Mappe dem Kaiser vorlegst, werden keine Fragen mehr offen sein."


    Der steinerne Gesichtsausdruck des Praefektus Praetorio begann an seinen Nerven zu zehren. Stilo leckte sich die Unterlippe. Als ihm dies bewusst wurde, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen, wütend ob der eigenen Schwäche. Doch seine Hand, welche ihm die Mappe reichte, zitterte nicht.

    Die Arbeit war vollkommen. Stilo hielt sich nicht bei der Ordonnanz auf. Er gehörte mittlerweile zu jenen, die sofort durchgewunken wurden, wenn sie zum Praefectus Praetorio wollten. Nicht etwa, weil der bissige Stabsoffizier ihn so sehr schätzen würde, sondern weil er diesem den schriftlichen Teil seiner bislang wichtigsten Mission anvertraut hatte. Und Stilo hatte sie komplettiert, das würde Caius Heius Vibulanus heute erfahren.


    "Salve, mein Präfekt", grüßte Stilo ihn und klopfte Lächelnd auf die Mappe unter seinem Arm. "Es gibt Neuigkeiten."

    Endlich waren die Berichte vollständig. Stilo lächelte, als er den letzten Absatz las, denn er wusste genau, was mit Aglaja geschehen war. Noch am Tag ihrer Freilassung fiel sie einem tragischen Verbrechen in der Subura zum Opfer. Die Prätorianer hatten ihr Urteil gefällt. Einer ihrer zivilen Meuchler aus der Subura kümmerte sich um die Sache. Doch das tauchte in keiner Akte auf. Aglaja verrottete wahrscheinlich im Tiber, denn dort wurden nicht nur Schwerverbrecher, sondern traditionell auch die Mordopfer aus der Subura entsorgt.


    Ein Liedchen auf den Lippen packte Stilo alle Akten zusammen in eine dicke und schwere Mappe, um sich auf den Weg zu machen. Der Praefectus Praetorio würde zufrieden sein.

    Stilo, dem die Stimmen draußen nicht entgangen waren, hatte ab diesem Zeitpunkt geahnt, wer gleich erscheinen würde. Und natürlich war ihm auch klar, wie die Reihenfolge der Begrüßung ausfallen würde, insbesondere, wenn Männer im heiratsfähigen, und noch schlimmer, heiratswilligen Alter zugegen waren.


    Stilo umfaste nun seinerseits den Unterarm seines Bruders, der zur Begrüßung brüderlich eine Prise grobkörniges Salz in eine seiner wenigen Wunden rieseln ließ und mit seinem Lächeln genüsslich verrieb. "Die Legio hat dich offensichtlich nicht nur das Schläfenhaar, sondern auch die Manieren gekostet", konterte Stilo grinsend. "Willkommen in Roma. Schön, dich gesund wieder im Kreis der Familie zu wissen."


    Für jemanden, der in Germania diente, war eine gesunde Heimkehr in den Kreis seiner Lieben nicht selbstverständich, auch nicht für Stabsoffiziere, die entgegen aller Gerüchte keine reinen Schreibtischsoldaten waren. Germania superior galt als eine der gefährlichsten Provinzen, durch eine bessere militärische Schule konnte man kaum gehen. Stilo musste eingestehen, dass das Tribunat Ravilla gut getan hatte: Sein Auftreten wirkte geerdet. Hätte die Vorstellung von Ravilla als Feldherr vor dessen Abreise noch zu Magenkrämpfen bei Stilo geführt, so erschien sie ihm heute nicht mehr so abwegig. Schade, dass er ihn nie in Rüstung gesehen hatte.

    Na, mal sehen, was die werte Schwester nun sagen würde. Was gab es in Rom, das Athen nicht bieten konnte, was fehlte, wenn man dem Haupt der Welt den Rücken kehrte? Vielleicht den Circus Maximus, andererseits hatte Athen dafür die Olympischen Spiele. Stilo hätte die Frage nicht ohne längeres Nachdenken beantworten können und war gespannt, wie Fusca die Dinge wahrgenommen hatte. Auch er ließ es sich schmecken. Da Terpander mal wieder Fresse zog, ließ er außerdem ein Lob verlauten, wie gut das Essen gelungen sei.

    Als Tacitus meinte, dass niemand die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur besäße, warf Stilo weise in den Raum: "Noch nicht."


    Denn die Dinge ließen sich durchaus ändern, mit den richtigen Leuten im Bekanntenkreis sowie dem notwendigen Engagement. Stilo würde eine entsprechende Entwicklung begrüßen, daraus machte er keinen Hehl. Als es darum ging, dass seine Schwester sich von Tacitus ausführen lassen wollte, zeigte sich ein sehr breites Lächeln auf Stilos Gesicht. Es galt jedoch nicht, wie man annehmen mochte, seinem Segen für die beiden Turteltäubchen sondern einzig Ravilla, der nichtsahnend in Germania verschimmelte und für seine geliebte Schwester enthaltsam wie ein Mönch lebte. Armer Bruder ...


    "Nur zu", ermunterte er Tacitus. Wenn sie klug waren, pfiffen sie auf den obligatorischen Anstandswauwau und ließen Terpander zu Hause, bei dessen Gesichtsausdruck jeder noch so kleine Schmetterling im Bauch unweigerlich zu Staub verdorrte.

    Stilo grinste, als Tacitus das Glas für ihn erhob, tat es ihm gleich und trank einen Schluck. Auch wenn er ein wenig dick aufgetragen hatte, waren seine Pflichten kein Zuckerschlecken und jeder Erfolg hart erarbeitet. Das Lob seiner Schwester war ein weiteres Zuckerwürfelchen, das Stilo sich gut schmecken ließ. Unter ihrer feinen Hand konnte sie seine Oberarmmuskulatur spüren und er erwiderte ihr Lächeln. Am Ende war es nicht das Streben eines Einzelnen, sondern der Ehrgeiz von ihnen allen, der zum Erfolg ihrer Gentes führen würde oder - im Falle eines Mangels - auf den Weg in die Bedeutungslosigkeit. Auch Fusca kannte ihren Weg. Was das Streben nach Höherem Betraf, waren sie trotz seiner Prägung, die im hellenischen Kulturkreis stattgefunden hatte, Römer durch und durch.


    "Als Optio ist mein Weg nicht die Magistratur", beantwortete er die Frage seiner Schwester, "aber mal schauen, wohin der Fluss der Zeit mich noch trägt."


    Seine konkreten Karriereambitionen behielt er erst einmal für sich. Noch mindestens eine Leitersprosse musste er erklimmen, ehe er einen sehr großen Schritt in Angriff nehmen konnte. Doch er war gespannt zu hören, ob Tacitus vielleicht entsprechend plante. Dass der andere Stilo mit der Legio liebäugelte, war ihm bereits bekannt. Mit seiner juristischen Expertise würde Tacitus eins Tages einen hervorragenden Praetor abgeben und für die bucklige Verwandtschaft wäre es das Elysium, einen einflussreichen Magistraten von solchem Kaliber in ihren Reihen zu wissen.

    Es kam selten vor, dass Stilo sich über ein dienstliches Schreiben derart freute wie über den Stapel Papyrus, der ihn heute erreichte. Endlich näherte sich das Kapitel Christenrazzia seinem Abschluss. Er wusste ja, dass Ferox ihn nicht leiden mochte und wahrscheinlich gegen sämtliche Prätorianer einen inneren Wall der Ablehnung errichtet hatte. Dennoch hatte er seine Aufgabe zügig und gut erledigt, was für seine Professionalität sprach. Stilo würde das künftig bei Gesprächen mit einflussreicheren Persönlichkeiten einstreuen. Ferox würde das nicht wissen, aber vielleicht würde er es eines Tages merken ...


    Jetzt fehlte nur noch der Abschlussbericht zum Einsatzbefehl I von Gaius Sempronius Sophus, bevor er alles in eine große Mappe packen und damit zum Praefectus Praetorio marschieren konnte.